Angies Mode
Journalisten verstehen das alles nicht. Sie sind bedingt durch ihre professionelle Sozialisation unabhängig, loyal zu fast niemandem, kritisch eben. Für vormoderne Bindungen haben sie keine Zeit. Davon, dass es sich bei Parteien um verkrustete, verknöcherte Vereine handelt, die dringend der Reform und Modernisierung bedürfen, sind sie überzeugt. Politiker, die sich weigern, auf Knopfdruck die aktuell für notwendig gehaltenen Zuspitzungen zu produzieren, sind ihnen ebenso lästig wie unverlangt eingesandte Presseerklärungen.
Eine Ausnahme machen Journalisten nur für jene Spitzenpolitiker, die ihnen Zugang zu exklusiven Hintergrundkreisen und gut verkäuflichen Personality-Nachrichten-Schnipseln bieten. Unter anderem aus dieser Vorliebe für Prominente ergibt sich ein Personalisierungs- und Psychologisierungstrend in der politischen Berichterstattung: Schröder gegen Lafontaine, Kohl gegen Schäuble, Wer-ist-Riester-wer-ist-Merz-wie-fühlt-sich-Joschka-Fischer?
Natürlich spielen Psychologie und Persönlichkeit in Machtkämpfen eine Rolle und sind insofern nicht unwichtig. "Sachpolitik" allerdings (schon das Wort klingt öde und jargonhaft) wird auf diese Weise immer schwerer verkäuflich: Sie interessiert fast nur noch, wenn sie instrumentell von einer innerparteilichen Fraktion gegen eine andere eingesetzt wird. Wer sich einfach nur so für die intelligente Organisation von Kinderbetreuungseinrichtungen oder die zeitgemäße Fortentwicklung der Jungendhilfe, für Rentenversicherungsfragen oder Sonnenenergie engagiert, wird damit weniger Furore machen, als mit einer scharfen Attacke gegen den eigenen Parteivorsitzenden.
Die Beurteilung einer Person erscheint den meisten Kommentatoren einfacher (und dementsprechend attraktiver) als die Bewertung ihrer Politik - oder auch nur ihres relativen Gewichts in der Partei. Und unter den Personen werden diejenigen besonders geschätzt, die - im Einklang mit den Abneigungen des begleitenden Journalisten - den eigenen Laden angreifen: "die parteiinternen Kritiker", die radikalen Modernisierer, die Rebellen, die Erneuerer.
Das politische Prinzip, das mit dem Berichterstatter-Interesse am Konflikt korrespondiert, lautet: "Leg Dich quer, dann bist Du wer." Die Jusos der Enkel-Generation haben von diesem Grundsatz über die Maßen profitiert; erst in den neunziger Jahren waren die Provokationen der ehemaligen Jungsozialisten so erkennbar zur Pose geronnen, dass sich damit medienmäßig kaum noch etwas erreichen ließ.
Auch die "Jungen Wilden" in der CDU errangen ihren publizistischen Ruhm nicht in erster Linie mit konstruktiven politischen Vorstellungen, sondern vor allem mit ihrer (vorsichtigen) Kritik am Überkanzler und Parteivorsitzenden.
Ein Abgeordneter wie Oswald Metzger würde für seine haushaltspolitischen Vorstellungen als FDP-Mitglied wenig Aufmerksamkeit ernten. Er ist aber ein Grüner.
Jüngster Fall einer erfolgreichen Querlegerei ist die populäre Neubesetzung für den CDU-Vorsitz, Angela Merkel: Zur rechten Zeit (als es nicht mehr wirklich gefährlich, aber noch hinreichend oppositionell war) veröffentlichte sie in der FAZ ihren Kohl-kritischen Aufklärungsaufsatz. Nun ist ihr der Beifall und die Unterstützung der allermeisten Journalisten, die entweder immer schon oder neuerdings gegen Kohl sind, gewiss.
Gegen die genannten Beispiele lässt sich mit Recht einwenden, dass innerparteiliche Minderheiten durchaus des Schutzes durch die Presse bedürfen, weil das Establishment der jeweiligen Organisation aus naheliegenden Gründen alles zu verhindern versuchen wird, was die eigene Macht, auch nur die eigene Bequemlichkeit in Frage stellen könnte. Doch der Verbesserung von Politik dient die Konfliktberichterstattung nur, solange es sich um echte Konflikte, um erkennbare Interessen über den reinen Machterhalt oder -erwerb hinaus handelt.
Der Fall Merkel ist freilich mehr als eine reine Protestler-Belobigung. Fast das gesamte links-liberale Medien-Establishment ist sich einig darin, dass die CDU-Generalsekretärin eine wunderbare Parteivorsitzende abgäbe. Die Frage ist nur: Für wen? Wenn man sich eine CDU wünscht, die letzten Endes der SPD gleicht, die sich in der neuen Mitte hinter ein paar gängigen Modernisierungsvokabeln versammelt, dann ist Merkel die Richtige, und dann wird die CDU auch über kurz oder lang den gesellschaftspolitischen Stand erreichen, den die SPD etwa seit Anfang der 80er Jahre innehat.
Doch so kann eigentlich nur argumentieren, wer am Fortbestand der Union allenfalls ein begrenztes Interesse hat: Die Partei - wie das politische System insgesamt - lebt nun einmal davon, dass sie auch und gerade die Wähler und Interessen in der rechten Mitte und am rechten Rand des demokratischen Spektrums integriert. Das wird ihr mit der vielbeschworenen Modernisierung in Gestalt von Angela Merkel nicht gelingen.
Die wichtige intellektuelle Aufgabe für die CDU und ihre Vorsitzende bestünde gerade in der Besinnung auf konservative Kernpositionen, auf die Frage, wie man in einer in Auflösung begriffenen Gesellschaft Institutionen stärkt, in der Suche nach überlebensfähigen Traditionen, in Entschleunigung, im Widerstand gegen den aktuellen turbokapitalistischen Zeitgeist.
Für nichts von alledem steht Merkel, und für keines dieser Themen würde sie von den Medien Unterstützung erhalten, denn ihre Aufgabe ist nun einmal die "Modernisierung" und Erfüllung der schicken Doppelquote Frau-Ost.
Die Vermutung der Journalisten, mit Merkel als Spitzenfrau werde sich die CDU-Wählerschaft dramatisch verweiblichen, harrt des Beweises. Mag sein, dass CDU-Freunde ein geringes Interesse an Quoten und Modernität aufbringen als mancher Hamburger oder Berliner Redakteur.
Von links wegen wäre also die Durchsetzung von Angela Merkel eine pfiffige Sache, fast ebenso genial wie der Vorschlag, Christian Wulff zum Kanzlerkandidaten der Union hochzuschreiben. Und schließlich muss es doch ein tröstliches Erlebnis für Helmut Kohl sein, dass eine Frucht seiner Personalpolitik letzten Endes sogar bei den ihm verhassten linken Blättern solch einen Anklang findet.