Wehrhafte Demokratie 2.0

EDITORIAL

In Wolfgang Petersens legendärem Film „Das Boot“ gibt es eine Szene, in der das angeschlagene Unterseeboot immer weiter dem Meeresgrund entgegen sinkt, dreimal so tief wie maximal zugelassen. Irgendwann steigt der Außendruck so gewaltig an, dass der Besatzung knallend die ersten Bolzen um die Ohren fliegen. Am Ende läuft das Boot rechtzeitig auf Grund und hält der Belastung wider Erwarten stand. Doch das Entsetzen der Männer an Bord ist mit den Händen zu greifen. „Dass das Boot das mitmacht“, staunt der Kapitän beim Blick auf den Tiefenmesser.

In diesen Wochen ist die Frage nicht mehr abwegig, wann wohl auf der MS Deutschland die ersten Bolzen wegplatzen. Sicher, wirtschaftlich liegt die Bundesrepublik immer noch auf Kurs. Doch zugleich hat der kumulierte Problemdruck, der von außen auf unser Land und unsere Gesellschaft einwirkt, in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommen. Sind wir dafür seetauglich genug? Wie viel Krise, Konflikt und sogar – mit Blick auf Putins Russland – unverhohlene hybride Aggression kann unser postheroisches Gemeinwesen mental und institutionell überhaupt verarbeiten? Und wenn wir nicht da sind, wo wir angesichts der herandrängenden Herausforderungen sein müssten, wie kommen wir dann auf die Höhe der veränderten Zeit? Wie lässt sich die Widerstandskraft unserer Gesellschaft erhöhen, gerade damit sie ihren liberalen und zivilen Kern bewahren kann? Es ist höchste Zeit, die Kategorie der „wehrhaften Demokratie“ wieder praktisch mit Leben zu füllen.

Die Bolzen sollen halten. Deshalb durchzieht die Leitfrage nach den Bedingungen der Druckbeständigkeit unserer freiheitlichen Lebensform dieses gesamte Heft. Zu klären ist, worin eigentlich die Bedrohungen bestehen, derer wir uns erwehren müssen – schon um uns im Gegenzug selbst in die Lage zu versetzen, wirksam zur Konfliktlösung und -vermeidung beitragen zu können. Ein wichtiger Anstoß hierfür war die vor einem guten Jahr von Frank-Walter Steinmeier und Joachim Gauck angestoßene Debatte zu „Deutschlands Verantwortung in der Welt“. Was manche zunächst als abstrakte Trockenübung empfanden, hat fast beängstigend schnell die reine Diskursebene verlassen: Vor allem in Reaktion auf Russlands Aggression sowie in der Eurokrise schultert die Bundesrepublik inzwischen tatsächlich wie nie zuvor Verantwortung dafür, wie es in Europa und weltweit weitergeht. Der Ernstfall deutscher Verantwortung in der Welt ist eingetreten. Er besteht übrigens, anders als von vielen befürchtet, gerade nicht in „immer mehr Militäreinsätzen“. Hieraus wiederum ergeben sich jedoch spezifische Grenzen (oder Defizite) deutscher Verantwortungsübernahme – Ulrich Speck, Liana Fix und Bartomiej E. Nowak weisen darauf hin.

Abschied nehmen wir mit dieser Ausgabe von Anke Hassel – jedenfalls in ihrer Eigenschaft als ständige Kolumnistin. Fast ein Jahrzehnt lang hat sie die Berliner Republik unter dem Titel „Und wie jetzt weiter?“ mit ihren scharfsinnigen Beobachtungen und Analysen bereichert. Dafür sind wir ihr dankbar. Jetzt möchte sich Anke Neues vornehmen – wir wünschen ihr dafür alles Gute und hoffen auf intensive Kooperation auch in den kommenden Jahren.

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