Und das soll gerecht sein?

EDITORIAL

In Deutschland wird derzeit eine lebhafte Debatte über die Zukunft der Gerechtigkeit geführt. An dieser Diskussion hat sich die Berliner Republik von Anfang an intensiv beteiligt - etwa mit Jürgen Kockas großem Essay Die Zukunft der Gerechtigkeit (in Heft 3/2003). Gleichsam stellvertretend für die Gesellschaft insgesamt debattieren Sozialdemokraten, was heute als gerecht gelten kann und was nicht. Dass sich das Thema überhaupt als Gegenstand erregten Streits eignet, belegt zunächst einmal, wie dringend es ist, über die Sache neu und offen zu reden. Offensichtlich ist zum einen, dass Fragen der Gerechtigkeit die Menschen in Deutschland mitnichten kalt lassen. Das ist ein gutes Zeichen. Klar ist zum anderen aber auch, dass einige der alten Gewissheiten darüber, was gerecht sei und mit welchen Mitteln dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit am besten gedient werden könne, heute schlichtweg nicht mehr befriedigen.

A future fair for all - wie kann das im 21. Jahrhundert funktionieren? Wo alle gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnisse so sehr in Bewegung geraten sind wie in diesen Jahren, lassen sich alte Anliegen jedenfalls nicht mehr auf ausgetretenen Pfaden erreichen. Gerechtigkeit hat Voraussetzungen - und diese Voraussetzungen sind in rasantem Umbruch. Wer dagegen vor allem das mantrahafte Beschwören einer besseren Vergangenheit oder leises Weinen im stillen Kämmerlein aufbietet, trägt in Wahrheit eher wenig dazu bei, dass es in Deutschland und der Welt auch im 21. Jahrhundert noch - oder wieder - gerecht zugehen kann. Wo man die ernst gemeinte Suche nach zeitgemäßen Antworten auf die alte Frage der Gerechtigkeit mit dem Verrat an überdauernden Werten gleichsetzt, hat die Zukunft keinen leichten Stand.

Durchaus nicht immer sind Herausgeber, Redaktion und Autoren der Berliner Republik einer Ansicht; bereits der oberflächliche Vergleich der Texte von Warnfried Dettling, Heinz Bude und Franz Walter in dieser Ausgabe bestätigt diese These. Allemal einig ist man sich im Umkreis dieser Zeitschrift aber in der Überzeugung, dass es niemals das kollektive Beschweigen wichtiger Themen sein kann, das bessere, gerechtere und lebenswertere Verhältnisse schafft. Ohne grundsätzliche Verständigung über die großen Fragen von Gegenwart und Zukunft ist zielgerichtetes politisches Handeln für eine soziale Demokratie schlechterdings nicht möglich. Diese Verständigung hat in der Berliner Republik ihren Platz. Aus demselben Grund dokumentieren wir diesmal auch den aktuellen Aufruf Die neue SPD: Menschen stärken, Wege öffnen. Denn auch seine Unterzeichner wissen: Je schwieriger die Lage, desto wichtiger wird neues Nachdenken über alte Ziele.

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