Die nordatlantische Zivilisation
Senator Barack Obama
Etwas ist sehr gründlich schief gelaufen in den transatlantischen Beziehungen. Ganz wie bei den materiellen und symbolischen Überresten der alten Amerikanisch-Berliner Freundschaft ? in diesem Heft ins Bild gesetzt von Malte Ludwigs ? ist mehr als bloß der Lack ab. Das ließe sich mit einem neuen Anstrich fix beheben. Die Sache ist ernster. Verloren gegangen ist auf deutscher Seite das grundlegende Gefühl einer tiefen Gemeinsamkeit zwischen Amerika und uns ? über alle Dispute in der Sache hinweg. So fremd wie heute waren die Amerikaner den Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten noch nie. Es handelt sich um ein großes Missverständnis, zu dem allerdings beide Seiten, zumal seit dem Jahr 2001, nach Kräften beigetragen haben. So richtig es war, dass sich Deutschland der katastrophalen Irak-Politik der Regierung Bush von Anfang an entschieden entgegenstellte, so falsch sind einige der Ableitungen gewesen, die nicht zuletzt Sozialdemokraten aus dieser Distanzierung gezogen haben. Die ganze Idee etwa, Europa in umfassend verstandener Weise als ein zivilisatorisch höherwertiges "Gegenmodell" zu den Vereinigten Staaten zu imaginieren, ist nicht nur arrogant. Sie führt auch politisch wie strategisch auf gefährliche Weise in die Irre. Sehr zu Recht weisen daher Karsten D. Voigt, Jan Techau, Corinna Emundts und Andrei S. Markovits auf die überaus schädlichen Dimensionen und Konsequenzen dieses törichten Ansatzes hin.
Aber es geht nicht nur um Strategie, es geht nicht nur um handfeste Interessen. Es stimmt: Europa hat, da wo es gut funktioniert, überhaupt keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen; der junge Brite Mark Leonard zeigt das in diesem Heft. Ein Europa indes, das sich auf Dauer innerlich gegen die Vereinigten Staaten wendete, würde sich unweigerlich auch von einigen der besten Traditionsstränge der nordatlantischen Zivilisation abschneiden, ohne die eine erfolgreiche europäische Zukunft nicht möglich sein wird. Die großen amerikanischen Traditionen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe, der Selbst-Verbesserung und des zupackenden Can-do-ism gehören zweifellos dazu. Wer etwa in diesen Monaten verfolgt, mit welcher eindrucksvollen Unbedingtheit und Emphase der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama für das große Ideal der equal opportunities for all eintritt, der kann sich durchaus fragen, wann er zuletzt ähnlich mitreißende Plädoyers für Gleichheit und bessere Lebenschancen aus dem Munde deutscher Sozialdemokraten gehört hat. Es gibt in Amerika weitaus mehr Beispielgebendes, als viele glauben. Wir sollten einfach wieder genauer hinsehen.