Bessere Städte, besseres Leben

Menschengerechte Mobilität in unseren Städten schont Klima, Kinder und Portemonnaie zugleich. Wirklich intelligent gemacht sind Verkehrssysteme erst, wenn sie sich wie ein Puzzle aus vielen Teilen zusammensetzen und ein ganzes Bild ergeben

Kürzlich fuhr ich auf der Autobahn A3 zwischen Frankfurt und Bonn in einen Stau. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Interessant war die Ursache. Auf der Gegenfahrbahn war ein kleiner Lkw in die Böschung gefahren. Es war nichts Spektakuläres passiert, keine Explosionen, kein Krankenwagen, nichts, was die Gafflust des Herdentiers Mensch wirklich herausgefordert hätte. Und dennoch stockte der Verkehr auch auf unserer Seite und löste einen mehrere Kilometer langen Stau aus.


Wir bewegen uns mit übermotorisierten High-Tech-Maschinen in Geschwindigkeiten, denen unsere Sinne kaum gewachsen sind – und reagieren doch auf das Missgeschick unseres Artgenossen wie zu Zeiten, als wir noch Savannenläufer auf der Jagd waren.


Die Online-Enzyklopädie Wikipedia definiert Intelligenz folgendermaßen: „(lat.: intelligentia „Einsicht, Erkenntnisvermögen“, intellegere „verstehen“) bezeichnet im weitesten Sinne die geistige Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und zum Finden von Problemlösungen. Intelligenz kann auch als die Fähigkeit, den Verstand zu gebrauchen, angesehen werden. Sie zeigt sich im vernünftigen Handeln.“


Wie aber zeigt sich der Gebrauch des Verstandes und vernünftiges Handeln im Verkehr? Ingenieure und Politiker präsentieren als intelligente Verkehrslösungen gern kostspielige, computergestützte Verkehrsleittechnik, die Automassen von einem Ende der Stadt zum anderen verschiebt. Urbane Mobilität muss aber zuerst den in der Stadt lebenden Menschen dienen. Intelligente Mobilität wäre kostengünstig, sicher und würde möglichst wenig Schadstoffe und Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten. „Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert überall hinkommt“, bringt es der ehemalige Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogota, Enrique Peñalosa, gegenüber mobil, dem Magazin der Deutschen Bahn, auf den Punkt.


Allerdings wurde die Stadt in den vergangenen fünf Jahrzehnten immer autogerechter – und damit menschenfeindlicher. Heute, wo die Zeichen auf Klimaschutz und Ölsparen stehen, existieren gute Chancen, diesen Trend zu brechen. Menschengerechter Stadtverkehr setzt sich aus vielen Teilen zusammen: Platz für Fußgänger, spielende Kinder, alte Menschen, Radfahrer. Dazu ein komfortables Bus- oder Bahnangebot, weniger herumstehende Autos, langsamer Straßenverkehr. Das wichtige letzte Teil des Puzzles wären Bürgerinnen und Bürger, die ein solches Verkehrsmodell auch annehmen.


Der größte Handlungsdruck entsteht derzeit durch das knapper werdende Öl. Auf tendenziell steigende Spritpreise reagieren Menschen sensibler als auf zunehmende Kohlendioxid-Emissionen. Professor Jürgen Gerlach von der Universität Wuppertal rechnete kürzlich auf dem IFMA-Kongress der Kölner Fahrradmesse einen Spritpreis von fünf bis sieben Euro für das Jahr 2015 vor. „Doch selbst dieser Preis würde alleine noch keine gravierende Reduktion des Autoverkehrs auslösen“, sagte Gerlach – was weniger mit Verstand als vielmehr mit Emotion zu tun hat. In kaum einem anderen Lebensbereich werden Emotionen so perfekt angesprochen wie beim Auto, und nirgendwo wird so viel Geld dafür eingesetzt. Das Fernsehen liefert automobile Mobilitätskultur in jedes Haus. Es ist fast amüsant zu sehen, dass Kommissare in Krimis so gut wie nie im Stau stehen und immer ein Parkplatz vor der Tür frei ist.


Derzeit bereitet sich Deutschland völlig unzureichend auf mögliche Steigerungen des Benzinpreises vor. Es besteht das Risiko, dass die Politik bei Preissprüngen ebenso aktionistisch vorgeht wie einst bei den „autofreien Sonntagen“ in den siebziger Jahren. Eine wirkliche Vorsorge trifft derzeit keine Stadt in Deutschland.

„Walking London“ als Vorbild

Intelligente Mobilitätsplanung muss die Bedürfnisse von Fußgängern und Radfahrern beachten. Gehweg- und Radwegbreiten sollten sich daran orientieren, wie viel Platz Menschen brauchen, wenn sie nebeneinander gehen oder Rad fahren. Nichtmotorisierte Mobile müssen Raum und Zeit vom Autoverkehr zurückgewinnen.


Wie zum Beispiel beim Fußverkehrskonzept für London. Über 580 Kilometer strategisch geplante Fußwege auf komfortablen Strecken durchziehen die britische Hauptstadt, ausgestattet mit Sitzgelegenheiten, Toiletten und Spielplätzen. Das Besondere an „Walking London“ ist, dass man dort nicht nur Infrastruktur bereitstellt, sondern auch kräftig die Werbetrommel für ein neues Image des Zu-Fuß-Gehens rührt. Die Wege sind online abrufbar, man kann das Streckennetz ausdrucken oder auf Handys laden. Mehr als zehn Millionen Euro investiert die Themse-Stadt dafür jährlich.

Grüne Welle für den Radverkehr

Ähnlich viel lässt sich Kopenhagen den Ausbau seines ohnehin schon exzellenten Fahrradnetzes kosten. Die Einführung der grünen Welle für Radfahrer auf einer sehr stark genutzten Straße der dänischen Hauptstadt zeigt ein erstaunliches Ergebnis: Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Radfahrer stieg von 15 auf 20 km/h, weil das ewige Stop and Go an den Ampeln wegfiel. Das mittlere Tempo der Autos auf dieser Straße fiel nur von 23 auf 22 km/h. Im dänischen Odense haben Stadtplaner eine Grüne Welle für den Radverkehr mit Leuchtdiodenanzeigen auf dem Radweg eingeführt. Kleine Signalleuchten am Wegesrand zeigen an, ob man die nächste grüne Ampel rechtzeitig erreicht.


Natürlich kann der Rad- und Fußverkehr nicht alle städtischen Mobilitätsbedürfnisse erfüllen. Manchmal müssen Verkehrsteilnehmer auf weiten Wegen schneller vorankommen. Eine zentrale Rolle in einem nachhaltigen Mobilitätskonzept spielen deshalb die öffentlichen Verkehrsmittel. Relevant bleibt auch der Autoverkehr, wo allerdings bessere Fahrzeuge und ihre effizientere Nutzung – beispielsweise durch die Bildung von Fahrgemeinschaften – große Potenziale bieten.


Einige öffentliche Verkehrsbetriebe haben in den vergangenen Jahren kräftig am Image poliert und investiert. Gerade bei einem Kollektivverkehrsmittel ist es wichtig, dass die einzelne Nutzerin oder der einzelne Fahrgast ernst genommen werden. Ein gutes Beispiel für die Berücksichtigung emotionaler Bedürfnisse sind die vielerorts eingeführten Echtzeit-Informationen an Haltestellen. Sie machen zwar keinen Bus pünktlicher, verkürzen aber die gefühlte Wartezeit.


Wie im Fernverkehr wird auch in der Stadt oft die so genannte Reisekette übersehen. Eine Fahrt beginnt und endet nicht an Bahnhöfen und Haltestellen, sondern an der Haustür. Und der Weg dazwischen ist von größter Bedeutung. Ist die Haltestelle nicht sicher und bequem zu Fuß erreichbar, laufen die Menschen erst gar nicht hin, sondern steigen gleich ins Auto.

Busverkehr auf Vorrangkorridoren

Intelligente Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel müssen nicht zwangsläufig zu Hightech-Lösungen führen. Einfache, durchschaubare Angebote mit Bussen und Straßenbahnen sind oft benutzerfreundlicher als teure U-Bahn-Systeme. Busverkehr auf Vorrangkorridoren kann schneller und deutlich attraktiver sein. Steht der Bus dagegen im Stau des motorisierten Individualverkehrs, fährt niemand mehr gerne mit. Gleiches gilt für Straßenbahnen. Im dichten Stadtverkehr müssen Straßenbahnen an Kreuzungen Vorrang vor dem Autoverkehr haben. In den erfolgreichen Schweizer ÖPNV-Städten wie Zürich, Bern und Basel ist das bereits so. Eine Tram, die mit zeitungslesenden Fahrgästen lässig am Rush-hour-Stau vorbeizieht, löst vielleicht Denkprozesse im Kopf des – meist einzelnen – Fahrers einer zwei Tonnen schweren Limousine aus.


Hier muss die Politik klare Prioritäten setzen. Ein großer Vorteil des Busverkehrs gegenüber dem schienengebundenen Verkehr ist seine Einfachheit: Ein Netz ist sehr schnell geknüpft. Als in Prag nach einem schweren Hochwasser die U-Bahn ausfiel, legten die Stadtoberen innerhalb weniger Tage mehr als 100 Kilometer funktionierende Busspuren an.


Erste Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl werden bereits deutlich: In Städten wie Bremen zeigt sich ein Rückgang der zugelassenen Autos trotz Bevölkerungszuwachs. Hier ist Car-Sharing ein weiterer Baustein intelligenter Mobilität. Taxi, Mietwagen und Car-Sharing ergänzen den Umweltverbund – und machen deutlich, dass es nicht um Verzicht, sondern um größere Wahlfreiheit gehen muss. 120.000 Car-Sharer in Deutschland sind zwar schon eine sichtbare Größe, aber von den erreichbaren Potenzialen ist das Land noch weit entfernt. Auch hier lohnt der Blick über die Grenze. Die heute bereits erreichte Car-Sharing-Dichte in der Schweiz – 80.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei rund 7,5 Millionen Einwohnern – würde für Deutschland über 850.000 Car-Sharer bedeuten.


In Belgiens Hauptstadt Brüssel haben die gute Vernetzung des Car-Sharing-Angebots mit dem öffentlichen Verkehr, eine städtische „Stilllegungsprämie“ für Privatautos und die überall sichtbaren Auto-Teilen-Stationen im öffentlichen Straßenraum dem Car-Sharing Zuwachsraten von 40 Prozent gebracht. In Bremen haben die 4.800 Car-Sharer rund 900 Autos ersetzt. Hätte man den gleichen Entlastungseffekt mit Parkhäusern und Tiefgaragen erreichen wollen, wären Investitionen von 10 bis 15 Millionen Euro erforderlich gewesen. Leider verweigert das Bundeswirtschaftsministerium eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, um Car-Sharing-Stationen im öffentlichen Straßenraum in Deutschland ebenso einfach einrichten zu können, wie dies in Belgien, Italien, England oder den Niederlanden der Fall ist.

Alles viel zu teuer? Das Gegenteil ist wahr!

Dass Car-Sharing eine Möglichkeit für die Stadtentwicklung sein kann, entdecken mittlerweile auch die extrem dicht bevölkerten Megastädte. So wird das Land Bremen auf der Weltausstellung 2010 in Shanghai unter dem Motto „Better Cities – better Life“ Car-Sharing als gelungenes Element nachhaltiger, moderner Mobilitätskultur präsentieren.


Alles viel zu teuer, werden jetzt wieder einige Kommunalpolitiker rufen, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. Das Gegenteil ist wahr. Wer bei der einseitigen Autoideologie der vergangenen Jahrzehnte bleibt, verschwendet Millionen. Das internationale Städtenetzwerk ICLEI hat vor einigen Jahren im Auftrag des Umweltbundesamtes die versteckten Subventionen für die einzelnen Verkehrsträger im Stadthaushalt gesucht. Rund 150 Euro pro Kopf und Jahr müssen deutsche Kommunen für den Autoverkehr aufwenden. In Düsseldorf sind es sogar 250 Euro pro Einwohner. Die Kosten für den Autoverkehr verbergen sich hinter so unscheinbaren Positionen wie Stadtbeleuchtung, Rettungsdiensten, Parkplätzen vor Schulen und Ämtern oder Polizei. Wohlgemerkt: Einnahmen aus Parkgebühren oder Mittelzuflüsse aus Bund und Ländern sind da schon abgezogen. Es ist die reine Subvention. Das angebliche Subventionsgrab ÖPNV kommt bei dieser Analyse meist mit weit weniger Zuschüssen aus dem Stadtsäckel aus. Und die Förderung von Fuß- und Radverkehr, die in den meisten Städten für 30 bis 40 Prozent der Wege stehen, sind ein wahres Schnäppchen. Luftverbesserung, Klimaschutz und gesündere Menschen inklusive.


Nachhaltige Mobilität ist wie ein Puzzle. Je mehr Teile vorhanden sind und zusammenpassen, umso deutlicher wird das Bild. Infrastruktur, Fortbewegungsmittel, Image und emotionale Faktoren müssen zusammen gesehen werden. Nur wenn das Angebot an vernetzter Verkehrsinfrastruktur gut ist und gut kommuniziert wird, folgt auch die Nachfrage. Und dann können die Städte ihr Angebot weiter verbessern.


Länder wie die Niederlande und Dänemark, in denen viel Rad gefahren wird, formulieren die höchsten Zielsetzungen für künftige Radverkehrsanteile. Sie verfügen über eine solide Basis, weil die Fortbewegung mit dem Fahrrad für die meisten Niederländer oder Dänen bereits Alltag ist. Dasselbe gilt für die Schweiz, die in den vergangenen Jahren auf der Basis eines sehr guten Angebotes im öffentlichen Verkehr immer noch bessere Bedingungen für Bahnreisende geschaffen hat.


Fuß- und Radverkehr funktionieren am besten zusammen mit einem guten Angebot an öffentlichem Verkehr und umgekehrt. Car-Sharing ergänzt dieses Trio perfekt. Das Puzzle des intelligenten Stadtverkehrs besteht aus vielen Teilen. Die meisten Städte glauben leider immer noch, ein oder zwei Teile genügten.

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