Bis nach Steglitz fährt das Neue Deutschland nicht



Inwieweit ist der vom Feuilleton geborene Begriff „Berliner Republik“ eigentlich historisch gerechtfertigt? Zwar steht er unter „Tatsachen über Deutschland“ auf der Homepage des Auswärtigen Amtes, ist also quasi amtlich, aber bislang wurden Reiche und Republiken nur gezählt, wenn es eine neue Verfassung gab. Die haben wir aber nicht – die DDR ist der Bundesrepublik schließlich beigetreten. Und wird der Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin, der noch nicht einmal vollständig abgeschlossen ist, nicht überschätzt? Zumal Berlin ja seit über 100 Jahren ohnehin die Hauptstadt war, 40 Jahre lang sogar zweifach: Es war Hauptstadt der DDR, und gleichzeitig hatte die Bundesrepublik den Anspruch auf Berlin als Hauptstadt nie aufgegeben – Bonn war nur Bundeshauptstadt. Berlin-West-West wurde als "selbständige politische Einheit“ nie gelebt – das stand nur in den provisorischen Personalausweisen, die vom Polizeipräsidenten unterschrieben waren, damit die Transitstrecken benutzt werden konnten.

Manchmal chaotisch, aber doch im Diskurs

Ist vielleicht auch die Berliner Republik nur eine Kunstfigur wie das jene selbständige politische Einheit war? Ist die Berliner Republik vielleicht gar nur in den Feuilletonredaktionen zu finden? Oder sogar nur in den Kneipen und Restaurants im Regierungsviertel? Immerhin gibt es darunter eine „Ständige Vertretung“.

Der Begriff „Neues Deutschland“ wäre nach der Wiedervereinigung – und erst recht nach dem Regierungswechsel von 1998 – ja auch nicht schlecht gewesen. Auch für den Anspruch der hier gefeierten Zeitschrift. Aber der Titel „Neues Deutschland“ war und ist besetzt – überraschenderweise zur Zeit auch durch die Financial Times Deutschland mit einer Reform-Serie, die sich „Neues Deutschland“ nennt. Es ist wohl wahr: Der Name Berliner Republik passt besser. Auf jeden Fall symbolisiert das Konzept der Zeitschrift den Politikstil von Gerhard Schröder, der grundlegende Reformen diskursiv entwickelt. Manchmal chaotisch – aber doch im Diskurs. Und dazu gehören nicht nur Kommissionen, sondern auch ein ordentliches Diskussionsforum.

Kommissionen wie die von Peter Hartz und die beiden von Bert Rürup (die erste zur nachgelagerten Besteuerung und die zweite zur nachhaltigen Sozialpolitik) stehen zu Unrecht im Verdacht, dass am Parlament vorbei gekungelt wird. Offiziell berufene Kommissionen legen vielmehr Probleme und Argumente offen. Ganz anders sieht es mit exklusiven Runden aus, die zum Beispiel Stiftungen gerne so organisieren, dass gut Informierte, aber nicht zu den Runden geladene Menschen (und durchaus nicht nur die) bereits erbost von der Bertelsmann-Stiftung als Nebenregierung der Berliner Republik reden. Derartige Kungelei kann man insbesondere Rürup II nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Diese Kommission gehört geradezu ins Lehrbuch einer offenen Demokratie.

Endlich muss man nicht mehr so oft nach Bonn

Die Berliner Republik hat für einen Westberliner Wirtschaftswissenschaftler schließlich auch eine große persönliche Bedeutung. Vor allem muss man nun nicht mehr so oft nach Bonn fliegen, um seine Dienste als Politikberater anzubieten. Aber alles hat natürlich zwei Seiten: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist als Standort der Politikberatung nicht mehr so gut, wie es dies noch zu Westberliner Zeiten war: Wenn damals Politiker und Ministerialbeamten einflogen, dann war ihnen oft auch der Weg zum „Dahlemer Institut“ – wie es sich gerne nennen ließ – nicht zu weit. Ein bisschen wurde dabei damals freilich auch – wie so gerne in Westberlin – hochgestapelt: Denn das DIW gehört nur postalisch (aufgrund der eigens für die Freie Universität und das DIW verlängerten Königin-Luise-Straße) zum vornehmen Dahlem – geographisch gehört diese Ecke zu Steglitz. Und von Berlin Mitte aus bemüht sich heute so gut wie keiner mehr zu einem am Rande der Hauptstadt gelegenen Wirtschaftsforschungsinstitut hinaus – ob es nun in Steglitz oder Dahlem liegt. Deswegen ist nicht zuletzt die Zeitschrift Berliner Republik demjenigen hoch willkommen, der durch sie die Möglichkeit hat, sich aus der Steglitzer Provinz nach Berlin Mitte zu Wort zu melden.

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