Der Eckrentner sagt leise Servus

Es geht nicht mehr um Barbourjacken: Der Streit um die Generationengerechtigkeit wird mit immer mehr Gift und Galle ausgetragen. Immerhin, der Krawall lenkt den Blick auf die Zukunft - und auf den größeren Umbau, der noch kommen muss

"Gerecht ist, wenn alle Pommes gleich lang sind"
Tobias, 5 Jahre alt, laut Werbung einer Rechtsschutzversicherung


Schillernde Begriffe machen die Runde. Da ist das Wort "Generationengerechtigkeit", verbunden mit den "Generationenbilanzen". Diese werden von Volkswirtschaftlern erstellt und bilden auf einzelne Jahrgänge bezogen die Teilhabe an den Segnungen des Sozialstaats ab. Und da ist das Wort "Golden Generation" für diejenigen, die dort und anderswo besonders gut abschneiden - die zwischen 1930 und 1945 geborenen Jahrgänge, die bereits im Ruhestand sind oder es demnächst sein werden.


Wie es scheint, haben wir ein Problem. Es handelt von Gerechtigkeit und vom Verhältnis zwischen Jung und Alt. Und es wird in den letzten Monaten verstärkt zur Sprache gebracht. Ging es bei den bisherigen Generationen-Spielereien mehr um Spaß und Musik, um Barbourjacken, 1968 oder die Mode bizarrer Frisuren, so stehen sich heute harte ökonomische Fronten gegenüber: Ausgangspunkt ist wieder einmal die Krise der Sozialversicherungssysteme, deren Leiden durch die wirtschaftliche Krise heftig verschärft wird. Da stehen die Älteren im Verdacht, um es mit den Worten der Financial Times zu sagen, mittels des Umlagesystems eine gigantische "Kettenbriefabzocke" installiert zu haben. Sünden der Vergangenheit werden jetzt mit Macht und Wut erneut aufgegriffen: Es geht um eine Sozialversicherung, die nicht demographiesicher konstruiert wurde, als der Korrekturbedarf noch überschaubar gewesen wäre. Eine Sozialversicherung, die nicht mit einer sinkenden Erwerbsbevölkerung zurecht kommt. Eine Sozialversicherung, die einen Großteil der Vereinigungskosten (und anderer gesamtgesellschaftlicher Aufgaben) aufgebürdet bekommen hat. Eine Sozialversicherung, die zur Finanzierung einer Frühverrentung herhalten musste, mit der sie sich selbst die Beitragsstabilität unterminierte, um das Problem Arbeitslosigkeit zumindest zeitweise scheinbar schmerzlos zu dämpfen.

Wie die Sandwichgeneration entstanden ist

Der subjektiv empfundene Leidensdruck erwächst auch aus einer Einsicht, die neuerdings öfter zu lesen ist. Dass "Generationenvertrag" eben nicht nur bedeutet: "Die Jungen zahlen für die Alten". Sondern auch: "Die Jungen ziehen die nächste Generation auf". Aus ist′s mit dem Erwerb von Ansprüchen qua Rentenbeitragszahlung: Wo keiner was erwirtschaftet, wird auch keine Rente bezahlt. So entstand der Begriff von der Sandwichgeneration - die geburtenstarken Jahrgänge eingeklemmt zwischen den happy many der Goldenen Generation und den Kohorten der Schrumpfjahrgänge. So sehen es zumindest einige wie etwa jüngst der Stern-Autor Wüllenweber in einer Polemik. Nur sie können die Umstellung auf eine wieder nachhaltige soziale Sicherung leisten.


Die Zerwürfnisse sind vielfältig. Sollen Singles jetzt einen Kinderabschlag erleiden, wie Hans-Werner Sinn, Direktor des Münchner ifo-Instituts kürzlich forderte? Sollen Familien vielleicht bei Wahlen Stimmen für ihre minderjährigen Kinder abgeben dürfen? Diese und andere Marginalien zur Lage der Nation kann man unter www.single-dasein.de nachlesen - mit den Kommentaren der Singles dazu. Da wächst kein Konsens.


Die Frage, was gerecht ist, wird wohl in der nächsten Zeit mit noch mehr Dampf ausgefochten werden. Akademisch rückblickend wird angemerkt, dass die schrumpfende Zahl der Beitragszahler in hohem Maß für die Bezahlung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben herangezogen wurde. Gerecht? "Ihr gegen uns", ruft der Stern-Artikel der Goldenen Generation entgegen. Nun auch Beitragszahler gegen alle anderen ...


Ist es gerecht, dass die Rentenversicherung für frühere Rentnerjahrgänge eine Investition mit erfreulichen Renditen war, für heutige Beitragszahler jedoch nur eine Negativrendite in Aussicht steht? Das berechnen Wirtschaftsforschungsinstitute, und in den Medien, Wirtschafts- und Publikumsmedien wird es dankbar aufgegriffen. Falsch gedacht, lautet die Antwort vieler Volkswirtschaftler: Die gesetzliche Rente ist eben kein System privater Vorsorge, sondern nur ein Mechanismus der kollektiven Elternversorgung. Die Beiträge könnten keine Renditen abwerfen, da sie ohnehin sofort für die Renten der jetzigen Ruheständler verwendet werden. Logisch zutreffend, aber die Gerechtigkeit dieses Zustandes werden noch viele in Frage stellen.

Wenn Oma dem Enkel das Studium finanziert

Es geht ans Eingemachte und die Goldene Generation bekommt einiges zu hören. Der erwähnte Stern-Artikel - laut Eigenauskunft "eine zornige Abrechnung" - operiert mit dem "Trainingslager auf Mallorca", mit "Kreuzfahrtschiffen" und Seniorenpässen für den billigen Schwimmbadbesuch. Das reale Wachstum der Haushaltseinkommen der heute 65- bis 69-Jährigen wird erwähnt und das Risiko, ein Fall für die Sozialhilfe zu werden - bei Kindern etwa dreimal so hoch wie bei Rentnern, so der Stern. Vieles ist da zumindest zutreffend beobachtet worden - und wird jetzt mit viel Galle und etwas Gift vorgetragen.


In diesen gemischten Chor mischen sich besänftigende Stimmen: Der private Transfer von Alt zu Jung funktioniere und das sogar effizienter und bedarfsgerechter als der staatliche: Oma und Opa finanzieren das Studium der Enkel, bezahlen den Urlaub ihrer Lieben oder tilgen die Schulden für das Häuschen. Im warmen Licht des privaten Generationsvertrages sieht man dort "Sandwicher", die ihre alten Eltern pflegen und ihre erwachsenen, gleichwohl arbeitslosen Kinder noch - oder schon wieder - unter ihre Fittiche nehmen. Dass das so ist, wurde auch empirisch belegt. Ein Rezept gegen den Krawall der Generationen ist es allemal: Statt eines Streits mit den Alten, die finanziell am Drücker sind, lieber Leisetreterei bis zur Testamentseröffnung im Sinne der privaten Solidarität. Und doch kann das nur die halbe Wahrheit sein. Denn wer hilft denen, bei denen auch die Eltern nicht die Kohle fürs Häuschen erübrigen können? Private Solidarität als Verlängerung bestehender Ungleichheit - ob damit die Zukunft der sozialen Sicherung beschrieben ist?

"Konsens" klingt wie "Konkursverschleppung"

Kein Zweifel, der Streit um die Sozialversicherungssysteme hat eine ausgesprochen bizarre Note angenommen. Viele der Argumente, die heute im Umlauf sind, sind nur halb durchdacht, dafür aber mit umso mehr Emotionalität aufgeladen - kein Wunder, wenn es um Gerechtigkeit geht. Da ist als Fußnote anzumerken, dass den Beteiligten der älteren Generation, sofern man sie denn den Achtundsechzigern zurechnen kann, derzeit auch politisch der Prozess gemacht wird: Schön, wenn man denjenigen, mit denen man derzeit materiell über Kreuz ist, auch politisch die Loserkarte zuschieben kann. Auch der ideologische Überbau für einen prima Streit wäre also im Angebot.


So schwer es ist, in diesen Meinungsäußerungen Lösungsansätze zu entdecken: Die Konflikte sind real, weil sie von den Beteiligten so empfunden werden. Ob es ratsam ist, sie im Sinne eines Konsens weg zu moderieren? Das Wort Konsens findet derzeit keinen echten Anklang: Es klingt ein wenig wie Konkursverschleppung. So sind die Hinweise allenfalls interessant, aber nicht hilfreich, dass dieses bundesdeutsche Modell von Konsens und Kompromiss in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich war. Ob sich mit diesem rückwärtsgewandten Argument die Gemüter noch beruhigen lassen?

Die großen Legenden sterben langsam

Langfristig werden sich diese kuriosen Streitereien produktiv bemerkbar machen. Das zeigen schon die Erfahrungen mit der Riester-Rente, diesem ersten Kind der kapitalgedeckten Altersvorsorge: So sehr sie auch in der Öffentlichkeit zerrissen wurde - das Wissen um ihre Bedeutung und die Notwendigkeit der Vorsorge, das belegen viele Umfragen, hat in der Zeit seit der Rentenreform von 2001 zugenommen. Ärger schärft den Blick. Deshalb werden sicherlich auch noch einige Illusionen zum Platzen gebracht, Legenden des Sozialstaats zum Abtreten bewegt werden. Der Mythos von der lebensstandardsichernden gesetzlichen Rente verabschiedet sich leise. Die Kohl-Regierung wird auch im Rückblick noch die Überlastung der Sozialkassen mit den Kosten der Wiedervereinigung auf die Kranzschleife geschrieben bekommen. Der "Eckrentner", dieser friedfertige Bürger von ehedem, der sich bei aller Durchschnittlichkeit nur so selten sehen ließ, er ist bereits von uns gegangen. Wird irgendwann auch das oft bemühte negative Leitbild des armen Mütterleins, das an der Armutsgrenze dahinlebt, einer realistischeren Einschätzung weichen?


Vielleicht ist diese Streitfront mit ihrer mehrfach gestaffelten schiefen Schlachtordnung nützlich, auch wenn die Fragen nach der Gerechtigkeit hinterher noch immer nicht beantwortet werden können. Denn immerhin: Der Krawall lenkt den Blick auf die Zukunft. Und macht damit bereit für den größeren Umbau, der noch kommen wird.

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