Schlechtes Buch, gut zum Nachdenken
Ist das die Geschichte des Sozialstaats Deutschland? Das wäre ein schwer verständlicher Vorgang von geschichtlicher Skurrilität, aber derzeit sieht es ein wenig danach aus. Kein Wunder also, dass das Verhältnis der Generationen Konjunktur hat. Ob schaudernde Blicke in die Zukunft einer alternden Gesellschaft geworfen oder wütende Anklagen gegen den heutigen Reformstau ausgesprochen werden - die Stimmen, die sich dem Verhältnis von Jung und Alt widmen, mehren sich. Auch Bernd W. Klöckner gehört dazu. Laut Autorenangabe Diplom-Betriebswirt und anerkannter Experte für Altersvorsorge und Vermögensaufbau, Autor von Büchern wie "Gewinnen mit Aktien", "Reich ohne Risiko" oder auch "Die Magie des Erfolges". Auch ein Buch über private Altersvorsorge hat er schon geschrieben. Warum nicht.
Wer unbefangen an das Buch herangeht, findet eine Vielzahl von Stellen zum Unterstreichen, Stellen, über die es sich zu reden lohnt, die einfach richtig beobachtet sind: Wir haben uns über Jahre ein schlechtes Management geleistet. Politische Ansätze versanden in einem Politikbetrieb, der zunehmend Kopfschütteln hervorruft. Wer das Konzept der Ökosteuer heute nicht versteht, muss kein Ignorant sein. Auch wenn Klöckner polemisch die gesetzliche Rentenversicherung attackiert, steht er nicht ganz falsch da: Die heute noch bestehenden Informationsdefizite und das Verwirrspiel um die Renteninformationen der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) geben ihm sogar im Nachhinein noch Recht.
Vielleicht muss man Altersvorsorge deshalb einmal wie Klöckner mit dem Taschenrechner in der Hand durchrechnen und aufzeigen, wieviel Geld wirklich nötig ist, um einen Ruhestand auskömmlich zu finanzieren. Vielleicht sollte man auch einmal aufzeigen, zu welchen Manipulationen die gesetzliche Rentenversicherung benutzt worden ist - siehe: "Das Drama der Schwankungsreserve". Wenn ein Leser sich nach der Lektüre eines solchen Buches hinsetzt und seine eigene Vorsorge durchrechnet, dann ist das kein geringer Verdienst in einem Land, in dem viele im Jahr 2001 fragten, welche Behörde ihnen denn sagt, wo sie die Riester-Rente erwerben können.
Überhaupt: Die private Vorsorge. Klöckner widmet ihr am Ende seines Buches breiten Raum und gibt sogar ganz praktisch gemeinte Hinweise, die dem polemischen Zweck allerdings eher zuwiderlaufen. Aber es ist keine Frage, dass der Autor sie befürwortet. Das ist viel zu einem Zeitpunkt, wo die ersten Schlaumeier bereits auf die Grenzen der Kapitaldeckung hinweisen, obwohl diese bei weitem noch nicht erreicht sind.
Schon hört man Stimmen, die kritisieren, dass die Kapitalmarktkrise der letzten Jahre deutlich zeige, dass auch Kapitaldeckung ihre Tücken hat. Und immer meint man, ein leises Händereiben im Hintergrund zu vernehmen. Etwas dem Markt zu überlassen und damit zuzulassen, dass andere damit Geld verdienen - mit dem hehren Gut der Altersvorsorge! - diesem Gedanken haftet immer noch etwas leicht Schmuddeliges an. Unbeschadet der Tatsache, dass mit privater Vorsorge auch die Effizienzsteigerung des Marktes genutzt wird. Der Autor gehört nicht zu diesen Überschlauen, sondern er setzt auf private Altersvorsorge und gibt konkrete Hinweise.
Eine neue Ausrufezeichen-Taste für den Autor
Antithese: Auf dieses Buch hat die Welt wirklich nicht gewartet, um das Problem der alternden Gesellschaft verstehen zu können. Um es deutlich zu sagen: Es ist ein ärgerliches Buch geworden. Nicht in dem produktiven Sinn, dass man sich an ihm gedanklich reiben kann. Sondern eines, bei dem man sich wundert, wie es den Weg zum fertigen Buch schaffen konnte. Nach wenigen Seiten will der anfangs aufgeschlossene Leser dem Autor eine neue Ausrufezeichen-Taste schicken, da die alte bei der Arbeit an diesem Manuskript arg gelitten haben muss. Ausrufungszeichen und Versalien sind auch sonst der Stil des Buches - bis hin zum Musterschriftsatz, mit welcher der Leser mal eben eine Verfassungsbeschwerde starten kann.
Dann ist man auf Seite 188 und hat eine abenteuerliche Reise durch die Situation der Sozialsysteme mitgemacht, sich eine Kritik der Renteninformationen der BfA angehört (das ist in Klöckners Stil "Augenwischerei"), Unmengen von Tabellen mit Zinseszinsberechnungen für Vorsorgevermögen zu sehen und einige vertraut anmutende Thesen über die Bezahlung der Politiker zu hören bekommen.
Politiker und Aussiedler als Buhmänner
Diese inhaltliche Achterbahnfahrt wird nicht bekömmlicher dadurch, dass sie auch noch äußerst mäßig redigiert wurde. Das ist nicht nur an den eingestreuten Stilblüten zu erkennen, sondern auch an dem Aufbau, der eigentlich keiner ist. Viel zu spät wirft der Autor einen sehr kurzen Blick auf die Ansätze, mit denen andere Länder ihre Sozialsysteme zumindest zeitweise stabilisiert haben. Auf zwei Seiten folgen zusammengedrängt die Reformvorschläge des Autors, die allerdings den Bezug zur vorhergehenden Analyse nicht immer erkennen lassen.
Man liest ein Sammelsurium von im Einzelfall durchaus richtigen Anmerkungen und merkt irgendwann, dass eine wesentliche Kernfrage nicht gestellt wurde: "Welche Gerechtigkeit strebt der Autor eigentlich an?" Gerechte Chancen für die nachfolgenden Generationen? Verteilungsgerechtigkeit?
Klöckners Vorschlag: Keiner Generation soll es besser oder schlechter gehen als den anderen. Ein Mathematiker merkte kürzlich in einer Diskussion von Kapitaldeckungs- und Umlageverfahren sehr nüchtern an, dass beide Verfahren nur generationengerecht sind, wenn die Wertschöpfung der Volkswirtschaft unverändert und das Verhältnis von Rentnern und Aktiven stabil bleibt. Schwierig, schwierig.
Das Buch ist aber im Zustand der Dauerempörung geschrieben: Alte, Politiker, Beamte und am Rande auch Aus- und Übersiedler werden als Buhmänner präsentiert. Klöckner hat ja Recht, wenn er feststellt, dass wir ein Gerechtigkeitsproblem haben. Die leider ausgebliebene Analyse hätte aber vielleicht ergeben, dass dies eben nicht allein auf demografische Umbrüche zurückzuführen ist. Sondern dass reale Probleme wie ein verwarztes Steuerrecht, eine veraltete Familienpolitik, ein Bildungssystem, das Ungleichheit konserviert, auch unabhängig davon bestanden, aber durch die prekäre Kassenlage richtig virulent geworden sind.
Die Frage nach der Gerechtigkeit ist heute alles andere als abstrakt, sie ist sogar sehr konkret geworden und die Krise der staatlichen Versorgungssysteme verschärft den kritischen Blick. Dies wirft auch die Frage auf, wieviel Sozialpolitik über die beitragsfinanzierten Sozialsysteme geleistet werden kann, und was originäre Staatsaufgabe und daher steuerfinanziert zu sein hat. Wo dies alles stehen könnte, findet man bei Klöckner Renditeberechnungen für die Renten früherer und künftiger Rentenempfänger, das Versorgungskapital von Politikern und ähnliches.
Es bleibt bei preiswerten Pointen
Diese vom Autor markierten Fronten stehen nicht so richtig. Zwar mögen die Attacken gegen die öffentliche Verschwendung im Kern stimmen; innerhalb des Leitmotivs "Alt gegen Jung" funktionieren sie aber nur noch sehr eingeschränkt - nämlich wenn man annimmt, dass Politiker, Beamte und andere grundsätzlich alt und alle Beitragszahler jung sind. Was ja so auch nicht richtig sein kann. So bleibt es bei preiswerten Pointen. Bezeichnend ist, dass die Transferleistungen von den Älteren zu den Jungen nicht erwähnt werden. Es gibt sie, sie sind inzwischen auch gut erforscht. Sie stellen zwar keine Lösung des Problems Generationengerechtigkeit dar, aber hätten das Bild zumindest komplettiert. Doch vielleicht war das gar nicht beabsichtigt.
Bleibt noch anzumerken, dass die Ausdrucksweise oft arg zu wünschen übrig lässt, dass die Auslassungen des Autors über die "Rentenlüge" einen stark verschwörungstheoretischen Beigeschmack haben und dass Klöckner über weite Strecken in Kerben haut, die andere bereits bestens vorgearbeitet haben, etwa Hans Herbert von Arnim, der Erfinder des Politikkritik-Betriebes in Deutschland. Insgesamt eine Lektüre, die einen den Respekt vor wahrhaftigen Buchautoren verlieren lässt.
Probleme zu Nägeln, Hämmer zu Rechnern
Synthese: Es gibt eine angelsächsische Weisheit, die besagt, dass alle Probleme zu Nägeln werden, wenn man nur einen Hammer zur Hand hat. Klöckners Hammer ist der Taschenrechner. Er kann gut rechnen, das trainiert er, und so werden alle Probleme zu Rechenbeispielen. Berechnungen der Rendite, Berechnungen von Versorgungskapital, Berechnungen der Abgabenbelastung. Das ist alles sehr einleuchtend und vermutlich richtig kalkuliert. Der Band enthält eine große Zahl treffender Feststellungen und plausibler Überlegungen. Allein: Reicht das, um ein gutes Buch zu schreiben? Je länger man liest, desto stärker wird das Gefühl, dass das eigentliche Problem kein Rechenbeispiel ist. Es ist eben ein politisches - eine Frage von Weichenstellungen, Versäumnissen, und Systemzwängen.
Trotz der vielen Zitate aus Sonntagsreden merkt man an dieser Stelle: Es ist das Buch eines Außenseiters, der die Entstehung von Entscheidungen im politischen Raum nicht nachvollziehen will oder kann. Im Gegenteil. Klöckner stellt seinen Kapiteln kleine Zitate voran: Humboldt und Cicero zum Beispiel. Oder Seume: "Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit". Sie markieren, ebenso wie die polemischen Abschnitte über die Politikerbesoldung, eine Einstellung großer Distanz zum herkömmlichen Politikbetrieb. Dieser Autor gehört nicht zum Establishment oder zu den professoralen Experten, die politiknah und immer mit einem leicht schielenden Blick auf Umsetzbarkeit beraten.
Mit geballter Faust ist nicht gut schreiben
Von dieser Ebene ist der Autor (auch im positiven Sinn) weit entfernt. Der in diesem Buch ständig zu Tage tretende Bürohumor ("Was haben die Politiker und Kolumbus gemeinsam?") zeigt es: Dies ist die Sicht einer großen Masse von Bürgern und eben Beitragszahlern. Nicht besser, nicht konsistenter. Sie hat zweifellos etwas populistisches. Aber muss man dieses Totschlagsargument gleich einsetzen? Oder umgekehrt: Ist Populistisches gleich falsch, nur weil es dem Politiksystem fernsteht, das in diesem Buch zu Recht als selbstreferenziell bezeichnet wird? Ist es nicht schon mehr als genug, wenn die Fakten und die darauf aufbauenden Prognosen für die Zukunft der Sozialsysteme stimmen?
Wenn Bürger mit der Politik unzufrieden sind, dann reicht als Antwort nicht der heute weit verbreitete publizistische Stoßseufzer, der lautet "Alles ist so kompliziert". (In einer Zeit, in der es als normales Gesetzgebungsverfahren angesehen wird, wenn ein Vorhaben im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat landet, stimmt dieses Lamento zwar und das ist schon abseitig genug). Man versteht den Autor sicherlich nicht falsch, wenn man resümiert: Erwartet wird, dass endlich das Naheliegende getan wird, auch wenn es nach herkömmlichem politischem Muster schwierig ist. Und den politischen Selbstversorgern sollte ins Stammbuch geschrieben werden, dass nicht alles als legitim akzeptiert wird, was legal ist.
Leider hat Klöckner das so nicht geschrieben. Er hat sich in vielen Themen verdribbelt. Er hat halbe Gedankengänge und ganze Widersprüche eingebaut, zu viel überflüssige Polemik und wenig Distanz. Doch mit geballter Faust lässt sich meist nur schlecht schreiben. Und so bleibt nur der "Subtext" dieses Buches: Ein weiteres Anzeichen der gewaltigen Distanz zwischen Wählern und Gewählten. Und die Einsicht, dass sich selbst über ein schlechtes Buch gut nachdenken lässt.
Bernd W. Klöckner, Die gierige Generation, Frankfurt a.M.: Eichborn 2003, 239 Seiten, 11,50 Euro