Der globale Aufstieg der Autoritären
V ielen Beobachtern ist in den vergangenen Monaten der Autoritarismus der Kampagne von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump aufgefallen. Da waren die Versuche, Protestierer mundtot zu machen und die Presse zu unterdrücken. Da wurden gewaltsame Auseinandersetzungen geschürt. Und da wurde die eigene Verantwortung für all dies verleugnet. Nicht nur die Harvard-Politologin Pippa Norris hat darauf hingewiesen, dass das Phänomen Trump Bestandteil eines größeren Musters in der westlichen Welt ist, zu dem auch radikale Populisten wie Marine Le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden gehören.
In Deutschland hat in jüngster Zeit die AfD bei drei Landtagswahlen Erfolge gefeiert und konnte dabei auf einer Welle der Ausländerfeindschaft im Land reiten. Ebenso heftig agitiert in Polen die alleinregierende Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegen Flüchtlinge, während sie zugleich die rechtsstaatliche Gewaltenteilung aushebelt.
Tatsächlich ist der Autoritarismus fast überall auf dem Vormarsch. Ob Recep Tayyip Erdoğan, Shinzõ Abe, Narendra Modi, Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin oder sogar Aung San Suu Kyi: Vorwürfe gegen Mächtige aufgrund grober Übergriffe, der Missachtung von Opposition und Medien sowie politischer Kraftmeierei werden in vielen Ländern erhoben. Dabei spielen jeweils hausgemachte Faktoren zweifellos eine wichtige Rolle. Sie können aber nicht erklären, warum das Phänomen des Autoritarismus auf globaler Ebene so stark zuzunehmen scheint.
Unternehmen von unvorstellbarer Reichweite
Ich glaube, dass drei miteinander verbundene Faktoren den autoritären Moment erklären, den wir weltweit erleben: Zum einen ist da die Globalisierung der Wirtschaft einschließlich der Entstehung gigantischer multinationaler Unternehmen, die global als nichtstaatliche Akteure agieren. Zum anderen verzeichnen wir eine Globalisierung des Konfliktgeschehens, wie sie sich im Long War on Terror unseres Zeitalters niederschlägt. Und schließlich haben wir es auch mit der Globalisierung von Krisen auf den Gebieten der Gesundheit und Umwelt zu tun.
Jahrzehnte zurückgehende Trends, die allerdings erst in den neunziger Jahren wirklich zusammenliefen, haben eine Globalökonomie geschaffen, in der die einzelnen Länder stärker miteinander verbunden und voneinander abhängig sind als jemals zuvor. Unternehmen auf der ganzen Welt sind um die Wette gerannt, um sich anzupassen – zunächst nur, damit sie die wachsende Konkurrenz überhaupt überleben. Wo sie damit erfolgreich waren, haben sie versucht, die Vorteile der neuen Umgebung auszunutzen. Die Neufassung von Handelsregeln in den siebziger und achtziger Jahren sowie neuartige Möglichkeiten der Steuervermeidung haben dazu beigetragen, dass weitläufige multinationale Unternehmenseinheiten mit vielfältig aufgeteilten Produktionsketten entstanden sind. Aufgrund ihrer unvorstellbaren Reichweite und Macht haben sich diese Einheiten als zunehmend unkontrolliert und unkontrollierbar erwiesen. Keine Regierung, nicht einmal die der Vereinigten Staaten, ist in der Lage, wirkliche Aufsicht über sie zu führen.
Bedrohungen und Sorgen ohne Grenzen
Die wuchernden Systeme des globalen Korporatismus versetzen Menschen überall auf der Welt zunehmend in Angst. Sie nehmen wahr, dass sie die Kontrolle über ihre private Existenz und ihr Gemeinschaftsleben verlieren. Es genügt heute einfach nicht mehr, in der Schule ordentlich zu lernen und im Beruf hart zu arbeiten, um sich eine gute Zukunft zu sichern.
Der „Lange Krieg“ verstärkt diese Unsicherheiten zusätzlich, indem er der Sorge der Menschen um ihr ökonomisches Wohlergehen die Sorge um ihre persönliche Sicherheit hinzufügt. Zukunftsplanung scheint immer schwieriger, weil mehr und mehr Energie in die Kämpfe des alltäglichen Lebens gesteckt werden muss. Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit wie Ebola und Zika, gekoppelt mit furchterregenden Wetterbedingungen, verstärken den Eindruck, dass uns unkontrollierbare Kräfte jederzeit zerstören könnten.
Diese Bedrohungen überschreiten Grenzen und durchqueren die Welt mühelos von einem Teil der Welt zum nächsten. Sowohl Drohnen als auch Terroristen können jeden aufs Korn nehmen und überall zuschlagen.
Die Generation des Zweiten Weltkriegs bewältigte Krisen dieser Größenordnung und verständigte sich zur Verhinderung künftiger Katastrophen auf einen gewissen Mindestkonsens. Sowohl in der Innenpolitik als auch im internationalen Kontext sollte es Strukturen zur Sicherung grundlegender Menschenrechte geben. Zu diesen Strukturen gehören Gesetze, Gerichte und Verträge, Regeln zur Zivilisierung der Großmachtpolitik und zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt sowie auch die fortschreitende Demokratisierung von Herrschaftsverhältnissen.
Natürlich besaß jede dieser Lösungen ihre Schwächen, natürlich wies die Nachkriegsordnung vielfältige Mängel auf. Trotzdem gaben diese Lösungen den Menschen Hoffnung und vermittelten ein Gefühl grundlegender Sicherheit. Unglücklicherweise haben Jahrzehnte der Fahrlässigkeit und der aggressiven Verachtung diese Infrastruktur so sehr geschwächt, dass die Vereinten Nationen und ihre Systeme heute im besten Fall als unfähig und wirkungslos, im schlimmsten Fall sogar als vollständig korrupt gelten.
Dies alles zusammen löst bei den Menschen die Angst aus, ihre besten Zeiten könnten hinter ihnen liegen. Sie spüren den deutlichen Verlust: den Verlust der Souveränität ihrer Nation und ihrer Gemeinschaften, auch den Verlust ihrer individuellen Souveränität. Überall scheinen diese Ängste in den historisch gesehen einflussreichsten Mittelschichtmilieus am tiefsten zu sitzen.
Diese Mehrheitsgruppen spüren, wie ihr Einfluss und ihre Reichweite abnehmen. Sie fürchten, dass ihre Zukunftsperspektiven immer fraglicher werden könnten. Und an genau dieser Stelle springen die Populisten auf die Bühne. Sie versprechen, die Dinge mit brutaler Effizienz und eiserner Faust wieder in Ordnung zu bringen. Ihr Kampfgeist wirkt ermutigend: Hier kommen die tapferen Ritter, die jeden Angriff abwehren und alle inneren oder äußeren Feinde in die Flucht schlagen werden!
Figuren wie Trump sind nur Symptome
Dieser letzte Punkt sollte uns am meisten beängstigen. Die hier skizzierten Probleme sind systemisch, global und amorph. Sie sind lösbar, aber weder leicht noch sofort. Es ist viel einfacher, jemanden zum Sündenbock zu erklären. Deshalb gelten Fremdenhass und Chauvinismus heute wieder als akzeptabel. Trump hetzt gegen Muslime und Mexikaner, Putin nimmt die Ukrainer ins Visier, Erdoğan wiegelt gegen die Kurden auf … die Liste lässt sich fortsetzen. Der Weg von diesen Praktiken zur Brandmarkung jeglicher Abweichler als „Feinde des Staates“ ist ein erschreckend kurzer.
Was wir erleben hat transnationale Dimensionen. Deshalb wäre es ein Fehler, das Problem jeweils nur an Donald Trump oder einem bestimmten anderen autoritären Anführer festzumachen. Der oben umrissene Zusammenfluss von Kräften hat perfekte Bedingungen dafür geschaffen, Autoritarismus als nützlich, hilfreich und sogar notwendig erscheinen zu lassen. Einzelne Akteure planen opportunistisch ihre je eigenen Schachzüge: Manche haben die Macht ergriffen, andere klammern sich an sie, wieder andere streben sie noch an. Doch in der Summe füttern Trump und Figuren seines Schlages die Dämonen immer noch weiter. In diesem Sinne ist es gleichgültig, ob Trump die amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnt oder verliert. Er wird in jedem Fall mitgeholfen haben, die klar konturierte Internationale des Autoritarismus zu stärken. Und das sollte uns allen zu denken geben.
Aus dem Englischen von Tobias Dürr
Dieser Text basiert auf einem Beitrag, der zunächst auf qz.com erschienen ist.