Der Mann ist von gestern
Wochenlang haben sich jüngst Politiker von Union und SPD über das Elterngeld gestritten. Dabei taten sich die CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus und Georg Mildbradt sowie CSU-Generalsekretär Markus Söder mit Äußerungen aus der Klamottenkiste konservativen Denkens hervor. Sie bezeichneten die bezahlte Elternzeit für Männer als „Wickel-Volontariat“, zogen damit den Vorschlag ihrer eigenen Ministerin ins Lächerliche und machten sich zugleich über alle Männer lustig, die eine staatlich anerkannte Auszeit gern nehmen würden.
Leider hat sich kein Mann über den Altherrenverein empört. Nicht eine einzige männliche Stimme war zu hören, die den Äußerungen der Konservativen widersprochen hätte – obwohl es bei der Diskussion über das Elterngeld nicht zuletzt um die Anerkennung und Förderung des männlichen Engagements in der Familie geht, und obwohl das „Wickel-Volontariat“ zum ersten Mal die Rolle des Mannes als aktiver Vater gesellschaftlich zu festigen verspricht.
Sicher, schon seit 2001 lässt sich die Elternzeit auf beide Partner verteilen. Tatsächlich ist diese Möglichkeit bisher jedoch mehr Theorie als Praxis. Auch nach fast einem Jahrhundert weiblicher Emanzipation bleibt die Rolle des Mannes in unserer Gesellschaft auf die des Brotverdieners beschränkt. Der Vater, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert ist höchstens eine Notlösung, etwa im Fall von Arbeitslosigkeit.
Mit der Elternzeit werden die Weichen für die spätere Rollenverteilung gestellt. In der deutschen Praxis heißt das: Die Rolle der Frau bleibt fast ebenso unverändert wie die des Mannes, nur dass sie neben den Kindern heute häufig noch berufstätig ist. Dieses Modell der Emanzipation ist für die Frau von verheerender Wirkung, wie Susanne Gaschke jüngst in ihrem Buch Die Emanzipationsfalle anschaulich illustriert hat: Die Frau darf, soll und kann heute alles – machen, sagen und denken –, was sie will. Doch wer viel darf und wer dafür lange gekämpft hat, der muss die errungenen Möglichkeiten letztlich auch nutzen, sonst war ja alles umsonst. Die Möglichkeit einer Karriere wird zum Anspruch, zur Erwartung an die Frau, die sich heute zwischen dem Wunsch nach Kindern, Familie und Stabilität einerseits und den Anforderungen von Vollzeitbeschäftigung und kompetitivem Arbeitsmarkt andererseits zerreißen muss. Anspruchsvolle, langfristige und risikoreiche Projekte wie die Mutterschaft bleiben dabei auf der Strecke. Wundern sollte uns das nicht.
Echte Veränderungen nur gemeinsam
Warum besteht die archaische Rollenverteilung fort? Der Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Emanzipationsdebatte sich bisher fast ausschließlich auf die Rolle der Frau konzentriert hat. Dabei ist anscheinend übersehen worden, dass in einer Partnerschaft wahre Veränderungen nur gemeinsam erreicht werden können. Die Rollenverteilung in einer Familie spielt sich unweigerlich in einem Dreieck zwischen Vater, Mutter und Kindern ab, egal ob zusammen lebend oder getrennt. Die Gleichberechtigung der Frau ist deswegen auch erst dann wirklich möglich, wenn der Mann seine Rolle ebenfalls überdenkt. So wie es ihm die Frau vorgemacht hat.
Die Männer verharren jedoch nicht allein deshalb in ihren hergebrachten Rollen, weil sie in die Emanzipationsdebatte mangelhaft einbezogen wurden. Viel wichtiger ist das mangelnde Interesse der Männer an einer Veränderung. Es fanden sich deshalb keine Männer, die sich über den Begriff des „Wickel-Volontariates“ empört hätten, weil sie Windeln, schreiende Kinder und Babybrei tatsächlich wenig attraktiv finden. Ganz zu schweigen von den beruflichen Auswirkungen einer Auszeit, dem Einkommensverlust und den Kommentaren der Kollegen.
Dabei müssen Frauen dieselben Nachteile erleiden – bis auf den Spott. Ein Bericht der britischen Regierung ergab, dass die fortbestehenden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen zu einem großen Teil mit den mutterschaftsbedingten Auszeiten und der häufig folgenden Teilzeitkarriere zusammenhängen.1 Mit einem finanziellen Anreiz für Männer, die Elternzeit zu nehmen, lassen sich zumindest der Einkommensverlust und die hämischen Bemerkungen der Kollegen in Grenzen halten. Immerhin können Männer in Elternzeit argumentieren, sie wollten sich das Geld nicht durch die Lappen gehen lassen. Hingegen bleiben die negativen Auswirkungen der Elternzeit für den Karriereverlauf bei Mann und Frau bestehen, ebenso der Einkommensverlust und die Vorurteile gegen den Baby-Alltag zu Hause, die auch in vorgeblich progressiven Kreisen weit verbreitet sind. Das Elterngeld dürfte deswegen tatsächlich kaum mehr als ein Minimum erwirken – „Wickel-Volontariat“ eben.
Eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter wird es erst geben, wenn Männer ihre vollständige Beteiligung an der Elternschaft von sich aus reklamieren. Wir Männer müssen gute Väter sein wollen. Dafür müssen weitere finanzielle, aber auch gesellschaftliche Anreize geschaffen werden. Die britische „Women and Work“-Kommission zum Beispiel schlägt Steueranreize vor, die nach der Geburt für Frauen den Wechsel von Teilzeit zu Vollzeit attraktiver machen, und für Männer den Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit. Zugleich müssen Männern die Bedeutung und der Wert der Vaterschaft bewusster gemacht werden. Und: Sie selbst müssen sich darüber bewusst werden. Anreize zur Teilzeit und ein gesellschaftlicher Dialog können dabei helfen.
Eine solche Emanzipation des Mannes würde womöglich nicht nur zu einer höheren Geburtenrate führen. Sie ist von gesellschaftlicher Bedeutung im weiteren Sinne. Bei der Dreifachbelastung der Frau durch Karriere, Kinder und Haushalt bleibt eben mehr auf der Strecke als nur der Nachwuchs. Die „Professionalisierung“ der Familien führt zu Defiziten, die der Staat nur schwer auffangen kann: bei der Vermittlung von Werten, in den Partnerschaften, den sozialen Netzwerken und beim Ehrenamt. Die Tragweite dieser „weichen“ Faktoren ist wissenschaftlich nur wenig erforscht. Kaum umstritten ist, dass sie sowohl wirtschaftliche, als auch gesellschaftliche Auswirkungen haben. Es wird darum gehen, den unbestreitbaren Wandel der gesellschaftlichen Werteordnung zu registrieren und darauf mit passenden Konzepten zu reagieren.
Die weichen Faktoren fallen unter den Tisch
Eine Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger entwirft eine Reihe von Konzepten, denen eine ökonomische Betrachtung der Familie zugrunde liegt.2 Das „Unternehmen Familie“ ist hier eine Wirtschaftseinheit mit einem bestimmten Arbeitskräfteangebot und einem gewissen finanziellen Nachfragevolumen. Das verfügbare Zeitbudget für jedes erwachsene Mitglied des „Unternehmens Familie“ kann auf unterschiedliche Aufgaben verteilt werden. Die Empfehlungen der Strategieberater: Die Familien sollten haushaltsnahe Tätigkeiten, Eigenarbeit (Kochen, Nähen etc.) und Kinderbetreuung so weit wie möglich auf Dienstleister übertragen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – an erster Stelle natürlich für die Frau – zu verbessern.
Die sozialen, „weichen“ Faktoren fallen bei Roland Berger vollkommen unter den Tisch. Dabei zeigt eine Umfrage der Zeitschrift Eltern aus dem Januar 2005, dass die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen und finanzielle Anreize für die Familienplanung überhaupt nicht entscheidend sind. Volle 44 Prozent der befragten Kinderlosen gaben stattdessen an, keinen geeigneten Partner zu haben. 40 Prozent nannten finanzielle und berufliche Unsicherheit. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten spielen nur bei 9 Prozent der Kinderlosen eine Rolle.3 Hier kommt eine erschreckende Bindungsangst zum Ausdruck, die kaum überraschen kann in einer Gesellschaft, die vom Jungesellentum geprägt ist und in der die Karriere gesellschaftlich mehr zählt als alles andere.
Vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart
Gerade für Frauen mit Karriereabsichten stellt sich die Frage, ob der Partner im Zweifelsfall auch bereit wäre, die Rolle des Hausmanns zu übernehmen. Die Wirklichkeit kennt natürlich Beispiele von Männern, die eine solche Rolle übernehmen, die sich am Haushalt beteiligen und die Kinder erziehen. Tatsächlich bleibt dies aber die Ausnahme. Die breite Masse der Männer verharrt in einer seit Mitte des 19. Jahrhunderts unveränderten Rolle.
Es ist deswegen an der Zeit, dass Männer ihren aktiven Beitrag zur Familie nicht mehr nur als theoretische Möglichkeit betrachten, sondern als Teil ihrer Rolle in Partnerschaft und Gesellschaft. Es ist Zeit für die Emanzipation des Mannes. Dabei geht es um weitaus mehr als nur um „Familie“ und „Kinderbetreuung“. Es geht um ein verändertes Selbstverständnis der Männer und um eine neue Rolle für den Mann in unserer Gesellschaft. Die Emanzipation des Mannes muss sowohl gesellschaftlich als auch individuell angegangen werden.
Anmerkungen
1
„Shaping a fairer future“, Bericht der „Women and Work Commission“ der
britischen Regierung unter Vorsitz von Baronin Prosser, vorgelegt im
Februar 2006.
2 „Unternehmen Familie“, Studie von Roland Berger Strategy Consultants im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, 2005.
3 „Mehr Kinder, Mehr Leben“, Gemeinsame Umfrage der ELTERN Gruppe und des Forschungsinstituts forsa, Januar 2005.