Europa unter Druck
Die aktuelle Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise fordert die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union heraus, ihre Handlungsfähigkeit in wirtschaftspolitischen Belangen unter Beweis zu stellen. Eine gemeinsame Finanzmarktregelung und eine wirksame Form der koordinierten Wirtschaftspolitik haben verschiedene Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit immer wieder abgelehnt. Die weltweite Krise offenbart nun, dass diese Verweigerungshaltung in einem so stark integrierten Wirtschaftsraum wie der EU geradezu fahrlässig war. Im Dezember 2008 haben sich die Staats- und Regierungschefs gemeinsam mit ihren Finanzministern bemüht, die Versäumnisse der Vergangenheit mit einem mehr oder weniger koordinierten Paket wirtschaftspolitischer Impulse gut zu machen. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich nationaler Maßnahmen; der Verflechtungsgrad und damit die Wechselwirkungen derartiger Maßnahmen in der EU wurden weitgehend ignoriert. Zugleich bleiben die EU-Mitglieder bei ihrer Verweigerungshaltung, wenn es um die andere Seite der Medaille geht: die sozialen Sicherheitsnetze, die bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise eine zentrale Rolle spielen werden. Es wäre viel gewonnen, wenn – als Lehre der Krise – auch in Bezug auf die Sozialsysteme in der EU mehr europapolitisches Bewusstsein erwüchse.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat seit Anfang des Jahres 2008 in einer Reihe von Urteilen zentrale Aspekte des nationalen Arbeitsrechts in einem bisher unbekanntem Ausmaß ausgehebelt: In den Fällen „Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und „Luxemburg“ wurden nationale Regelungen zur Sicherung von Streikrecht, Tariftreue und Mindestlohn zugunsten der Freiheit von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt für unzulässig erklärt. Auch vor dem Hintergrund dieser Urteile hat die Forderung nach einem sozialen Europa und die Frage nach dem richtigen Weg dorthin erneut an Bedeutung gewonnen.
Verfestigte Unterschiede in der Sozialpolitik
Ein Blick ins Geschichtsbuch verdeutlicht, dass die Asymmetrie zwischen marktliberalisierender und marktregulierender Politik im europäischen Integrationsprozess von Beginn an angelegt war. Nachdem der erste Anlauf zu einer politischen Union im Jahr 1954 an der Ratifizierung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte, setzten die Verfechter der europäischen Idee zunächst auf die weniger kontroverse Integration der Märkte. Dem so genannten neofunktionalistischen Ansatz folgend erwarteten sie, dass dieser Schritt aufgrund der zwingenden Sachzusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik unweigerlich gemeinsame steuer- und sozialpolitische Mindeststandards oder gar weitergehende Harmonisierungsmaßnahmen nach sich ziehen würde.
In Wirklichkeit aber verfestigten sich im Laufe der Zeit nationale Strukturmerkmale, besonders im Bereich der Sozialpolitik. Die Ausgestaltung der mitgliedsstaatlichen Sozialsysteme in den sechziger und siebziger Jahren entwickelte sich zu einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis für die Erfüllung der neofunktionalistischen Erwartungen. Gleichzeitig erhöhten die aufeinander folgenden Erweiterungsrunden die Vielfalt nationaler Regelungsmuster in der EU. Über die Jahre schritt die Liberalisierung der Märkte somit ungehindert voran, derweil sich die nationalen Sozialsysteme an ihrer Unvereinbarkeit rieben.
Im Ergebnis erstrecken sich sozialpolitische Initiativen auf europäischer Ebene im Regelfall lediglich auf gemeinsame Absichtsbekundungen oder rechtlich unverbindliche Vereinbarungen im Rahmen der „Offenen Methode der Koordinierung“. Die Liberalisierung des Binnenmarktes mit ihrer soliden Rechtsgrundlage im europäischen Vertragswerk wird hingegen mittels Verordnungen und Richtlinien verwirklicht, die einem lediglich qualifizierten Mehrheitserfordernis, nicht jedoch dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen. Die entstehende Asymmetrie zwischen „hartem“ Wirtschaftsrecht und „weichem“ Sozialrecht droht das europäische Gesellschaftsmodell aus seiner Balance zu bringen.
Dabei bleibt der neofunktionalistische Ansatz richtig und relevant. Gerade mit Hinblick auf die Währungsunion wird sich erst in der aktuellen Krise zeigen, wie die asymmetrische Integration aus gemeinsamer Geldpolitik und getrennter, jedoch zugleich stark eingeschränkter Finanzpolitik wirken wird. Die Wirtschaftskrise wird sich auf die Mitgliedsstaaten unterschiedlich auswirken. Ohne Währungsunion könnten die daraus folgenden Produktivitätsunterschiede durch Wechselkursanpassungen ausgeglichen werden. In einem Bundesstaat wiederum würden die entstehenden Unterschiede mittels zentraler wohlfahrtsstaatlicher Ausgleichszahlungen ausgeglichen werden. In der Währungsunion bestehen diese Möglichkeiten nicht. Infolge der Beschränkung der öffentlichen Defizite in der Währungsunion könnten die Euro-Länder die Krise eigentlich nicht einmal durch eine höhere Verschuldung abfedern.
Die sozialdemokratische Selbsttäuschung
Der europäischen Sozialdemokratie kann diese Entwicklung nicht gleichgültig sein. Die Schaffung eines europäischen Sozialmodells ist ein konstitutives Element ihrer Programmatik. Die Asymmetrie zwischen Marktliberalisierung und fehlender Sozialstaatlichkeit auf europäischer Ebene kommentiert der Kölner Politologe Fritz W. Scharpf allerdings mit der Feststellung, die sozialdemokratische Begeisterung für das europäische Sozialmodell beruhe auf einer Selbsttäuschung. Zumindest lasse sich auf europäischer Ebene nicht fortsetzen, was einmal auf nationaler Ebene begonnen wurde. Zu verschieden seien die nationalstaatlichen Modelle des Sozialstaats, als dass sich eine Einigung auf ein einheitliches europäisches Sozialmodell erwarten lasse.
Dennoch ist die soziale Komponente in den Augen der Bürgerinnen und Bürger Europas zweifellos ein elementarer Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells, das wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Auch wenn zwischen den mitgliedsstaatlichen Sozialsystemen Unterschiede existieren, sind die sozialen Gerechtigkeitsvorstellungen der Europäer sehr ähnlich. In einer EU-weiten Umfrage im Auftrag der EU-Kommission aus dem Frühjahr 2008 gaben 82 Prozent der Befragten an, dass sie für die Zukunft eine stärkere Diskrepanz zwischen Arm und Reich erwarten. Die gleiche Umfrage ergab, dass 87 Prozent der Menschen in Europa eine Politik befürworten, die diese Ungleichheit bekämpft. Da dem gemeinsamen Markt in Europa keine glaubhafte soziale Komponente zur Seite steht, stößt das europäische Integrationsprojekt zunehmend auf Misstrauen.
Das Misstrauen der potenziellen Verlierer
Nicht zuletzt in den gescheiterten Referenden über den Verfassungsvertrag in Frankreich, den Niederlanden und über den Vertrag von Lissabon in Irland kam dieses Misstrauen zum Ausdruck. Zwar lassen sich die ablehnenden Mehrheiten zu den Verträgen sicher nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Aber in allen drei Ländern war die Angst, zu den „Verlierern“ des Integrationsprozesses zu gehören, ein wesentlicher Grund für die Ablehnung der Vertragsreform. Die mangelnde Berücksichtigung sozialpolitischer Belange und die zu befürchtende Dominanz des Marktes auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger waren wichtige Argumente der letztlich erfolgreichen Gegner in allen drei Ländern.
Um wieder zu überzeugen, muss die EU der wirtschaftlichen Integration eine stärkere Sozialkomponente zur Seite stellen. Die Angst, zu den „Verlierern“ des Integrationsprozesses zu gehören, muss mittels des Versprechens genommen werden, dass der Verlust nationaler Regelungen durch den Gewinn europäischen Schutzes ausgeglichen wird.
Die Urteile des EuGH lösten nicht nur in den Gewerkschaften und in der Sozialdemokratie heftigen Widerspruch aus. Unter den Kritikern befand sich auch der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, der dem EuGH vorwarf, mit diesen Urteilen seine Rolle überzogen zu haben und sich Kompetenzen anzumaßen, über die er nicht verfüge – oder zumindest nicht verfügen sollte. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kritisierte das Europäische Gericht für seine Kompetenzüberschreitung. Der deutsche EuGH-Richter Thomas von Danwitz erwiderte darauf, der Gerichtshof wende lediglich bestehendes Recht an, die Kritik sei deshalb nicht berechtigt. Wenn andere Regelungen erwünscht seien, dann müssten eben die entsprechenden Richtlinien geändert werden.
Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist auch nicht neu. Davon zeugen die zahlreichen Fortschritte bei der sozialpolitischen Flankierung des Binnenmarktes – dank des Einsatzes der Sozialdemokratie. Zu nennen sind etwa die Einführung sozialpolitischer Aktionsprogramme im Jahr 1974, gemeinsame Regeln zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, die Aufnahme des Sozialen Dialogs in die Einheitliche Europäische Akte im Jahr 1987, EU-weite Mindeststandards zur Arbeitszeit, die Schaffung europäischer Betriebsräte, die Bezugnahme auf die Europäische Sozialcharta im Amsterdamer Vertrag 1999 oder die Verabschiedung der Europäischen Sozialagenda im Jahr 2000.
Fritz Scharpf öffnet die Büchse der Pandora
All dies hat den grundlegenden Vorrang des Marktes im Gemeinschaftsrecht jedoch nicht eingrenzen können. Denn für eine Verankerung sozialer Grundsätze in das Primärrecht, das einstimmig beschlossen und ratifiziert werden muss, fehlte stets die Übereinstimmung der Mitgliedsstaaten. Gleiches gilt in zentralen Bereichen der sozialen Gesetzgebung für das Sekundärrecht.
Fritz W. Scharpf schlägt als Reaktion auf die jüngsten Urteile des EuGH einen anderen Weg vor: Mitgliedsstaaten, die ein Urteil des EuGH durch die politische Willensbildung in Europa nicht gedeckt sehen, sollten die Umsetzung dieses Urteils von einem qualifizierten Mehrheitsvotum des Ministerrats abhängig machen. Dabei weiß Scharpf, dass er mit seinem Vorschlag die Büchse der Pandora öffnet. Die Gültigkeit eines Gerichtsurteils von einem politischen Votum abhängig zu machen, würde den Rechtsgehorsam und damit ein wichtiges Element des Rechtsstaates in Frage stellen. Eine verschärfte Verfassungskrise könnte die Folge sein.
Es geht um die Frage der Legitimität
Dennoch: Mit seinem Vorschlag legt Scharpf den Finger in die richtige Wunde. Zu Recht stellt er die Frage nach der politischen Legitimität in den Mittelpunkt. Jedoch ist fraglich, inwiefern eine offene Verweigerung des Rechtsgehorsams durch einen oder mehrere Mitgliedsstaaten die richtige Antwort darauf sein kann. Besser wäre es, verbindliche soziale Rechtsgrundlagen in den europäischen Verträgen und entsprechende Handlungsmöglichkeiten im Sekundärrecht zu schaffen. Der Vertrag von Lissabon hätte hier zumindest geringfügigen Fortschritt gebracht, da er erstmals soziale Grundrechte in das Primärrecht einführt. Sein Inkrafttreten ist indes noch ungewiss.
Doch im Prozess der europäischen Integration hat sich von Anfang an gezeigt, dass es von der grundsätzlichen Befürwortung zur politischen Verwirklichung ein langer Weg sein kann. Eine primärrechtliche Korrektur der asymmetrischen Entwicklung zwischen Marktliberalisierung und mangelnder sozialer Flankierung erscheint auf absehbare Zeit so gut wie unvorstellbar. Nach der nunmehr drei Jahre währenden Verfassungskrise besteht selbst bei eingefleischten Pro-Europäern kaum noch die Bereitschaft, über erneute Vertragsverhandlungen nachzudenken. Zudem wäre nach wie vor eine Zustimmung aller Regierungen zu einer stärkeren sozialen Ausrichtung äußerst ungewiss.
Umso wichtiger ist der Kampf für mehr soziale Rechte im Sekundärrecht. Erfolgreiche Beispiele aus jüngster Zeit sind die Neufassung der europäischen Betriebsräterichtlinie, die vor kurzem beschlossene Leiharbeitrichtlinie und die Arbeitszeitrichtlinie. Ein soziales Sekundärrecht erfordert allerdings, dass wir darin auch wirklich soziale Inhalte verankern können. Eine Betriebsratsrichtlinie, die den europäischen Betriebsrat zu einer Alibiveranstaltung reduziert, entspräche nicht unserem Verständnis von Mitbestimmung. Wir brauchen deshalb Mehrheiten sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat – also in den Regierungen der Mitgliedsstaaten.
Gleichzeitig gewinnt der transnationale Dialog an Bedeutung. Wo gemeinsame Regelungen geschaffen werden sollen, da muss auch über gemeinsame Interessen und Werte diskutiert werden. Zwischen den alten und neuen Mitgliedsstaaten existieren teilweise sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was sozial ist und was nicht. Diese Unterschiede können nur im Dialog überwunden werden.
Im optimalen Fall gehen alle 27 gemeinsam
Deutlich gestärkt werden sollten zudem die bisherigen Formen der mitgliedsstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich der Sozialpolitik. Die „Offene Methode der Koordinierung“ sollte durch die Einführung verbindlicher Zielvorgaben für Sozialausgaben sowie durch Sanktionierungsmöglichkeiten weiterentwickelt werden. Zudem sollte ein „Sozialmonitoring“ eingeführt werden, das geplante Initiativen und Gesetzgebungsvorhaben der EU vor dem Hintergrund sozialer und ökologischer Standards bewertet. Ferner müssen die nationalen Steuerpolitiken stärker koordiniert, wenn nicht gar harmonisiert werden, um die Finanzierungsbasis von Sozialleistungen zu sichern.
Im optimalen Fall sollten diese Schritte von allen 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam getan werden. Unterschiedliche Interessen einzelner Länder werden einem einheitlichen Vorgehen aber wohl immer wieder entgegenstehen. In diesem Fall muss auch über das Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit“ einzelner Mitgliedsstaaten nachgedacht werden, das bereits heute im europäischen Vertragswerk verankert ist. Der Euro, die Reisefreiheit im Schengen-Raum und die jüngst vereinbarte Verbesserung der Zusammenarbeit im Scheidungsrecht sind erfolgreiche Beispiele hierfür. Dabei zeigt sich, dass die Vorteile der verstärkten Zusammenarbeit mit der Zeit häufig eine Sogwirkung auf andere Mitgliedsstaaten ausübt, die später beitreten können. Es geht nicht darum, einzelne Mitgliedsstaaten auszugrenzen, sondern anderen Ländern eine intensivere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Die prinzipielle Offenheit für alle Mitgliedstaaten ist dabei eine Voraussetzung. Klar ist, dass die Option „Weiter so!“ für uns nicht akzeptabel sein kann. Das liberale Binnenmarktprojekt kann ohne die Verankerung gleichrangiger Sozialstandards nur auf Kosten des Wohlfahrtstaates gehen.
Die infolge der Finanzmarktkrise entbrannte Diskussion über neue Formen der engeren wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU eröffnet in diesem Zusammenhang interessante Perspektiven. Dabei reicht es nicht, dass die Staats- und Regierungschefs sich auf einen Maßnahmenkatalog einigen, wie sie dies nun getan haben. Die Beliebigkeit und die mangelnde Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten, die sich im Dezember 2008 offenbart haben, können vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verflechtung nur überraschen.
Für stärkere Formalisierung der Koordinierung
Auch müssen wir über eine stärker formalisierte Form der Koordinierung nachdenken, bei der automatische Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung und Unterstützung eine wesentliche Rolle spielen könnten. Einen gewagten Entwurf bietet die Idee einer Arbeitsversicherung für die EU oder einen Teil ihrer Mitgliedsländer, den Sebastian Dullien in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik jüngst vorgelegt hat. Der Vorschlag orientiert sich an dem Modell der amerikanischen Arbeitslosenversicherung und sieht eine Kombination aus europäischer Grundversorgung und nationaler Zusatzversicherung vor. So bliebe einerseits das nationalstaatliche Niveau der Arbeitslosenversicherung erhalten, zugleich würde durch die gemeinsame Finanzierung der europäischen Komponente ein automatischer Ausgleich zwischen Staaten mit hohem Bedarf – also hoher Arbeitslosigkeit – und Staaten mit hohen Beitragszahlungen – also niedriger Arbeitslosigkeit – geschaffen. Von solchen diskussionswürdigen Vorschlägen sollte es mehr geben, um die Zusammenarbeit im Bereich der Sozialpolitik wirkungsvoll voranzutreiben.
Das Vertrauen ist erschüttert
Die Akzeptanz der europäischen Integration beruhte in den Augen der Menschen in Europa bislang auf dem Nutzen, den ihnen dieses Projekt gebracht hat – entweder abstrakt als Projekt des friedlichen Zusammenlebens oder konkret durch die gemeinsame Währung, den gemeinsamen Markt und die Freizügigkeit innerhalb Europas Grenzen. Zugleich beruhte ihr Vertrauen auf der Erwartung, dass die nationalen Sozialsysteme vom Zusammenwachsen Europas entweder nicht betroffen sind oder ihr Pendant auf europäischer Ebene finden. Spätestens die jüngsten Urteile des EuGH haben dieses Vertrauen erschüttert. Zudem bestätigen sie die Grundannahme der Funktionalisten, dass im europäischen Integrationsprozess kein Politikbereich ausgespart bleibt.
Es ist die Aufgabe der europäischen Sozialdemokratie, dafür zu sorgen, dass die Integration auch im sozialen Bereich den richtigen Weg einschlägt. Der gemeinsame Markt muss durch glaubwürdige, konkrete Schritte hin zu einer gemeinsamen Sozialpolitik ergänzt werden. Wir müssen dies durch unseren politischen Einsatz tun. Stärker als bislang sollten wir uns der Frage widmen, auf welchem Wegen wir dieses Ziel erreichen wollen, wenn die bisherige Integrationsmethode dies nicht mehr leisten kann. Stellen wir uns dieser Diskussion nicht, wird europäische Sozialpolitik von anderen auf ihre Weise gestaltet – wie die Urteile des EuGH zeigen.