Der politische Heros hat ausgedient
Roth: Die rot-grüne Bundesregierung hat der Kulturpolitik eine Bühne geschaffen - wie fühlt man sich als Staatsschauspieler?
Naumann: Ich fühle mich nicht als Staatsschauspieler, obwohl manche mich gerne so sehen würden. Ich sehe mich eher als einen Bühnentechniker, dessen Aufgabe es ist, die Hydraulik der Kultur zu pflegen, soweit das in meiner Kompetenz liegt. Wir betreiben ganz pragmatisch Politik: Wir verbessern die Podien für Kultur.
Du bist nun seit gut einem Jahr im Amt und hast Dich mit einer Vielzahl von Vorwürfen auseinander setzen müssen, nicht zuletzt auch aus den eigenen Reihen. "Man hat ihm, obwohl ein Intellektueller für dieses Amt gewünscht war, seine Intellektualität vorgehalten - Sprunghaftigkeit, Eitelkeit, Überempfindlichkeit und Spontaneität." So schrieb der Tagesspiegel.
Ich kenne die Kritik. Der Vorwurf der Sprunghaftigkeit wurde wohl seitens der Behörde erhoben, weil ich mit neuen Ideen kam. Was die Eitelkeit angeht, so kann ich mit diesem Vorwurf leben und versuche mich so weit es geht zurückzunehmen. Mit anderen Worten: Ich lerne!
Zwischenzeitlich gibt es schon erste wissenschaftliche Arbeiten über Dein Amt und Dich. Aus einer mir vorliegenden Seminararbeit möchte ich folgendes Anforderungsprofil zitieren: Ein Kulturminister des Bundes müsse im In- und Ausland anerkannt und schon in Paris gewesen sein. Er dürfe sich in Hollywood nicht verfahren, überdies müsse er dem Modell Rot-Grün nahe stehen, aber nicht auf jedem Parteifest auftauchen. Eine Bewährung als Intellektueller, Künstler und Manager sei obligatorisch. Verdienste in der deutschen Erinnerungsarbeit seien ebenso notwendig wie Erfahrungen im Aufbau Ost. Cannes und Venedig müssten ein gewohntes Pflaster sein. Schlussendlich: Gesucht wird der Intellektuelle als politischer Medienunternehmer.
Das ist ein sehr heiteres Anforderungsprofil, ich glaube jedoch nicht, dass ich danach ausgesucht wurde. Es fehlen bestimmt zwei entscheidende Merkmale: Erstens die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit einem guten Team, zweitens die Fähigkeit, Verbündete in der Fraktion zu finden. Der erste Teil ist mir - so glaube ich - ganz gut gelungen, im zweiten Punkt gab es Schwierigkeiten. Bislang war die Kulturpolitik auf Bundesebene nicht institutionalisiert, daher fehlte ein Bewusstsein für die Relevanz eines solchen Politikfeldes in der Fraktion. Wie Du selbst weißt, sind wir Kulturpolitiker immer noch die Nelke im Knopfloch der Fraktion.
In Partei und Fraktion streite ich für zwei Überzeugungen: Erstens stellt Kultur eines der am schnellsten wachsenden Wirtschaftssegmente in unserer Gesellschaft dar. Zweitens bezeichnet Kultur den Bereich, in dem die aufgrund der Globalisierung in Politik und Wirtschaft immer komplexeren Prozesse der Konsensbildung und der Selbstverständigung unserer Gesellschaft ablaufen. Wenn man das nicht versteht, droht man als Politiker an einem entscheidenden Teil der Willensbildung nicht mehr frühzeitig partizipieren zu können. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die oft zitierte Differenz zwischen Geist und Macht plötzlich auch eine politische wird. Die ehedem beschworene Legitimationskrise des Systems, die häufig nur wirtschaftlich definiert worden ist, könnte sich peu à peu in eine politisch-geistige verwandeln. Diese Krise wäre wesentlich gravierender und gefährlicher.
Einerseits bist Du direkt beim Bundeskanzler angesiedelt, andererseits warst Du zuvor kein Politiker, kommst von außen. Ich wandle jetzt einen Filmtitel von Wim Wenders um: "In enger Nähe so fern". Wenn Du etwas durchsetzen willst - auch und vor allem gegen Widerstände -, hast Du dann das Ohr des Kanzlers?
Ja. Ich werde allerdings nicht einfach zum Bundeskanzler gehen und fordern: "Das will ich aber so!" So funktioniert Politik Gott sei Dank nicht. Ich möchte drei jüngere erfolgreiche Beispiele für Kanzlerinitiativen nennen, die wir gemeinsam angestoßen haben: Die Rettungsaktion, elf Millionen Mark als Verpflichtungsermächtigung zusätzlich für die Goethe-Institute einzusetzen, verhinderte die drohende Schließung großer Institute. Der Kampf für die Buchpreisbindung war eine klassische politische Lobbyarbeit in Brüssel, die auch vom Kanzler unterstützt wurde. Die Reform des Stiftungsrechts gehört ebenfalls zu den maßgeblich vom Kanzler vorangetriebenen Projekten. Ich fühle mich also nicht allein gelassen.
Der neu eingerichtete Ausschuss für Kultur und Medien ist Dein parlamentarischer Partner. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Chemie zwischen Dir und der Ausschussvorsitzenden nicht stimmt.
Gegenüber den Parlamentariern bemerke ich mein Manko, nicht über die gleiche Vielzahl von Beziehungen und Kenntnissen im Parlament zu verfügen. Die Freundschaften und Kontakte, die sich bei den berühmten Bierabenden entwickeln, habe ich nicht - oder nur zu einem ganz geringen Teil - entwickeln können. Inzwischen konnten sich aber Beziehungen aufbauen, auch die Kollegen haben sich an mich gewöhnt.
Wie kommst Du als politischer Newcomer damit klar?
Die Anforderungen an die Regierenden haben sich offensichtlich grundlegend verändert. Die Kabinettsmitglieder sind in einem viel größeren Maße als noch vor zwanzig Jahren unterwegs. Ich habe manchmal das Gefühl, in einem endlosen Roadmovie gelandet zu sein. Das ist ebenso anstrengend wie reizvoll! Ich kenne inzwischen wahrscheinlich viel mehr von Deutschland als der Durchschnittsbürger - inklusive der sogenannten Provinz. Dort ist das politische Engagement wesentlich intensiver, als ein Hauptstädter sich das vorstellen kann. Es werden einem durch diese Art der politischen Existenz im Zug, im Dienstauto, im Flugzeug und vor allem in den Begegnungen mit dem Wähler viele der mitgebrachten Vorurteile ausgetrieben. Das tut mir gut.
Leidest Du nicht bisweilen unter der durchhierarchisierten Verwaltung, dieser unflexiblen, allmächtig erscheinenden Ministerialbürokratie?
Als ich eines Tages noch in Bonn am Rhein entlang ging auf dem Weg vom Kanzleramt zum Bundestag, fiel mir plötzlich ein: Die Ufer des großen Flusses Rhein stellen die Verwaltung dar. Der ständig fließende Strom sind die Politik und die Politiker. Die Ufer bleiben! Sie sind also von einer enormen Dauerhaftigkeit. Die Bewohner der Ufer in ihren Burgen sind die Beamtenschaft. Sie sehen auf den Fluss und wissen, es kommt immer wieder neues Wasser. Sie selber bleiben. Diese Kontinuität macht das Gute im Staat aus.
Mein Job ist es auch, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren und auf die Ziele einzuschwören. Da habe ich hervorragende Erfahrungen gemacht. Ich habe mich jedoch auch sehr über einen Brief des CDU-Abgeordneten Lammert an die CDU-Mitglieder in meiner Behörde gewundert. Dieser Abgeordnete hat eben nicht verstanden: Auch er ist Teil des großen Flusses. Der irrt, wenn er glaubt, er sei das Ufer.
Die taz hat mal geschrieben: "Wo Naumann ist, liegt Champagner in der Luft". Wann hast Du denn das letzte Glas Champagner getrunken?
Das kann ich Dir gar nicht sagen. Das sind doch alles Klischees! Meine Biografie wird durch solche Storys umgedichtet. Ich war Geschäftsführer eines mittelständigen Wirtschaftsunternehmens. Wo ich gearbeitet habe, lag mehr Schweiß in der Luft als Champagner!
Du bist durch die Achtundsechziger Bewegung geprägt. Wir Jungen beklagen häufig den politischen "closed shop", gegenwärtig sitzt eine Alterskohorte von 50- bis 55-jährigen Politikern an den Trögen der Macht. Nun zeichneten sich diese Achtundsechziger ja durch ihren kritischen Impetus gegenüber den herrschenden Verhältnissen in Staat und Gesellschaft aus. Zwischenzeitlich haben sie einen beschwerlichen Weg zurückgelegt. Man sagt, sie seien angekommen. Wo sind sie denn eigentlich angekommen?
Wo sie immer waren. Diesen Begriff der Achtundsechziger muss man endlich in Quarantäne schicken, der taugt nichts mehr. Er hatte schon seine Daseinsberechtigung verloren, als diese Bewegung auf einem berühmten SDS-Kongress in Frankfurt auseinander brach und sich im Grunde genommen auflöste.
Die Achtundsechziger Bewegung war in der Substanz eine kulturelle und nicht eine politisch-materielle Bewegung. Diese Bewegung löste sich innerhalb von zwei Jahren in die unterschiedlichsten Lager auf. Sie trieb die verschiedensten Blüten und auch furchtbare Sumpfblüten - wozu der Terrorismus gehörte. Dies alles heute unter dem Begriff der Achtundsechziger zu subsumieren, hieße die außerordentlich disparate Zusammensetzung dieser Gruppen zu vergessen.
Die Bewegung wurde zusammengehalten durch einen ursprünglichen und dann schnell in Vergessenheit geratenen Impuls des Antifaschismus - mitsamt moralischer Überheblichkeiten, verbunden mit einer schweren theoretischen Fehlleistung. Es wurde damals die Totalitarismus-Debatte abgewürgt, die aus Amerika im Werk von Hannah Arendt nach Deutschland kam. Wenn es irgendwo ein intellektuelles Defizit dieser Zeit gegeben hat, dann an diesem Punkt. Die Gulag-Maschinerie im Osten wurde ignoriert; wir waren von Vietnam allein gebannt.
Aber die so genannten Achtundsechziger haben doch ihr Image sehr professionell und sehr engagiert stilisiert. Mit diesem Image sind sie durch die Instanzen gezogen und jetzt an der Macht angekommen. Macht Macht erotisch?
Der einzige, der das hemmungslos behauptet hat, war Henry Kissinger. Gleichwohl führte er meines Wissens ein außerordentlich monogames Leben. Ich habe immer behauptet, die Macht liegt woanders. Das ist eine Erfahrung, die Gerhard Schröder gerade macht und die ich natürlich noch viel stärker mache.
Du kannst den ganzen Politikbetrieb aus einer gewissen Distanz betrachten, weil Du nicht aufgrund jahrzehntelanger Zugehörigkeit zum "Inner Circle" so damit verwoben bist, dass es für Dich keine Alternative mehr gäbe. Das macht Dich vielleicht freier als andere. Jürgen Leinemann bezeichnete Politik kürzlich als ein erbarmungsloses Geschäft, das deformiere und süchtig mache.
Für mich stimmt das so nicht. Es stimmt auch nicht für alle Politiker. Ich kenne viele führende Politiker, die nicht süchtig sind, sondern ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein haben, das sie vorwärts treibt - und nicht die Befriedigung ihres eigenen politischen Narzissmus′. Manche verlieben sich allerdings vor lauter Pflichtbewusstsein in das Pflichtbewusstsein und identifizieren sich dann damit. Ich persönlich bin nicht süchtig auf Politik. Das mag damit zu tun haben, dass ich bereits drei andere Berufe hinter mich gebracht habe. Ich muss meine eigene Identität in der politischen Arbeit nicht täglich neu erfinden.
Findest Du es nicht geil, prominent und einflussreich zu sein, aufgrund des Amtes direkten Zugang zu haben zu vielen hochinteressanten Menschen?
Mit dem Verlegen von Büchern mit Millionenauflagen und Werken, die in Deutschland Bewusstseinslagen verändert haben, war mein indirekter Einfluss wesentlich größer. Ich habe "Wenn Frauen zu sehr lieben" von Robin Norwood verlegt. Das ist von ungefähr drei Millionen deutschen Frauen gelesen worden und hat zum Teil deren Leben verändert. Oder "Die kurze Geschichte der Zeit" von Stephen Hawking, das anfänglich niemand verlegen wollte. Das Buch - mit einer Auflage von über zwei Millionen - hat das Weltbild von enorm vielen Menschen beeinflusst.
Einfluss zu nehmen auf Bewusstseinsstrukturen im ganzen Lande, ist das Vergnügen von vielen Journalisten und Verlegern. Das hatte ich alles. Ich versuchte damals in einem sehr altmodischen Sinne der Aufklärung das zu realisieren, was ich für vernünftig halte. Richtig ist heute: Ich lerne in meinem neuen Beruf eine Menge neuer interessanter, kluger Menschen kennen. Und dabei lerne ich.
Mich erschreckt die offensichtliche Einsamkeit nicht weniger Kolleginnen und Kollegen, die, so befürchte ich, außerhalb der Politik nichts mehr haben, sich völlig mit ihrer Aufgabe identifizieren und sich selbst darin auch verlieren.
Trifft das nicht für viele arbeitende Menschen zu? Für die allermeisten gibt es keine berufliche Alternative. Sie sind Teil einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft. Man wird früh in eine Biografie hinein gerückt, aus der man nicht mehr heraus kommt. Die Entfremdungserfahrungen, die Du beschreibst, sind nicht nur das Schicksal von Politikern, sondern von vielen anderen erwerbstätigen Menschen.
Eine Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs setzt jedoch Wissen, Fantasie und die Bereitschaft voraus, sich auf Neues einzulassen. Als Politiker steht man unter der Kuratel vom Terminkalender, Zeit zum Nachdenken ist ein rares Gut. Hast Du noch Zeit aufzutanken?
Im Augenblick nein. Ich habe da ganz große Probleme. Das hat auch mit der Medialisierung von Politik zu tun, mit dem Zwang überall permanent anwesend zu sein, Antworten zu geben und das Gespräch zu suchen. Das ist außerordentlich zeitaufwendig. Ich lese meine Akten während der Nacht oder auf den Dienstfahrten. In meinem Fall ist das immens gefährlich, denn ich muss mich mit den Kulturschaffenden auf einer gleichen Gesprächsebene befinden. Das ist fast unmöglich, und das bedaure ich sehr.
Björn Engholm hat als Ministerpräsident in Schleswig-Holstein versucht, seinen Kabinettsmitgliedern einen politikfreien Tag in der Woche aufzuerlegen. Doch ganz schnell ist Engholm mit seiner Mannschaft davon wieder abgerückt, weil der Politikbetrieb mit seinen Zwängen einfach zu erdrückend war.
In keinem anderen Land ist es gelungen, die Arbeitszeit so massiv zu verkürzen wie in Deutschland. Die einzigen, für die das offenkundig nicht gilt, sind die leitenden Angestellten und die Politiker. Das ist ziemlich verrückt.
Der Name dieser Zeitschrift lautet "Berliner Republik" - was assoziierst Du mit diesem umstrittenen Begriff?
Er kennzeichnet erst einmal nur den Sachverhalt, dass dieses Land wieder eine Hauptstadt hat, die sich auch selbst als solche versteht und nicht als Provisorium. Es war ja eine Kuriosität, dass die intellektuelle Szene in den sechziger und siebziger Jahren in Westdeutschland permanent das Fehlen einer Metropole beklagt hat und in dem Augenblick, in dem sie existiert, sofort einen linken Wilhelminismus vermutet: Etatismus bis hin zu einer Art Kulturzentralismus, der die Provinzen aussaugt.
Das ist alles Unsinn! In Berlin gibt es nun einmal die größte Ansammlung von Politikern, Diplomaten, Beamten und Politikinteressierten, von Kulturschaffenden und Kulturinteressierten. Zum zweiten verbinde ich mit diesem Begriff die Wiedervereinigung. Die hat ihren symbolischen Kern in dieser Stadt gehabt, hier ist die Mauer gefallen und nicht in München oder Frankfurt am Main. Die Überwindung der Teilung ist das Verdienst einer Bürgerbewegung, das war keine Entscheidung von Helmut Kohl. Drittens verbinde ich mit diesem Begriff natürlich auch eine Mahnung: In dieser Stadt hat es schwere, traumatische politische Verwerfungen gegeben. Viertens symbolisiert für mich die "Berliner Republik" die Öffnung der Europäischen Union in Richtung Osten.
Du hast lange in den USA gearbeitet und den "American Way of Life" hautnah erlebt. Man hat Dir auch schon einen einseitig amerikanischen Kulturbegriff vorgeworfen. Du wirst mit unterschiedlichen Modellen der Kulturpolitik konfrontiert: Können Frankreichs Kulturzampano Jacques Lang einerseits oder der bayerische Kulturminister Zehetmaier andererseits Vorbilder für Dich sein?
Die Vorstellung ist absurd, dass im 21. Jahrhundert in Deutschland noch eine zentralistische Kulturpolitik möglich ist. Die Rolle von Jacques Lang kommt nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Verfassungsverhältnisse für mich nicht in Frage. Seine Kulturpolitik ist in einem entscheidenden Maße geprägt durch den klassischen französischen Etatismus: kulturelle Repräsentation und glanzvolle, fantasievoll arrangierte Ereignisse, praktisch die künstlerisch-theatralische Selbstvergewisserung der Grande Nation. Das war für Frankreich angemessen.
Ich selbst habe keine amerikanische, sondern eine sehr klassische, altmodische Vorstellung von Kulturpolitik. Mein Verständnis von Kultur ist diskursiv, geprägt von Jürgen Habermas und dem Remigranten Eric Voegelin, geprägt durch die europäische, die französische Aufklärung. Kultur ist nichts anderes als ein Forum des gesellschaftlichen Selbstgespräches, in dem über die Fragen der gerechten Gesellschaft nachgedacht wird - auf alle Arten, die der Kunst zur Verfügung stehen: satirisch, kritisch, fantasievoll. Kultur ist der Raum, in dem fantasievolle Reflexionen und Innovationen über vernünftige Lebensbedingungen in einer freien Gesellschaft möglich sind.
Du hast mal gesagt: "Alle Kulturpolitik handelt direkt oder indirekt vom Erinnern". Unsere kulturpolitische Arbeit im vergangenen Jahr war geprägt von der Debatte um das Holocaust-Mahnmal. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Wie beurteilst Du unsere bisherigen gemeinsamen Bemühungen?
Wenn ich mir den Verlauf dieser Debatte anschaue, kann man schon sagen: Sie war ernsthaft, der Sache angemessen. Es gibt wohl kaum ein anderes kulturelles und politisches Milieu, in dem mit dieser Insistenz und Ernsthaftigkeit die eigene Geschichte, auch die Verbrechensgeschichte, betrachtet worden ist. Wenn Du mich nach dem Erfolg der Debatte fragst, dann ist der erst vor wenigen Wochen eingetreten: Die jüdische Gemeinde will sich aktiv an diesem Prozess des Erinnerns im Kuratorium der Stiftung beteiligen. Das ist ein völlig neues Element des deutsch-jüdischen Dialogs, das mich anrührt und zufrieden stellt. Die immer noch umstrittene Form des Hauses der Erinnerung muss nun im Kuratorium gelöst werden.
Du hast 1980 eine Habilitationsarbeit verfasst zum Thema: "Strukturwandel des Heroismus". Wessen bedarf es denn, um ein Held der Kulturpolitik zu werden?
Diese Arbeit war der Versuch einer aufgeklärten Absage an das Konzept des Heldentums. Ich habe versucht zu zeigen, wie sehr dieser Begriff des Heldentums überholt und für den demokratischen Prozess untauglich ist. Das bedeutet nicht, dass man sich im privaten und zivilen Leben nicht heldenhaft benehmen kann. Aber der politische Heros hat ausgedient. Insofern wäre ich äußerst skeptisch, wenn irgend ein Politiker versucht, sich mit den bekannten Mitteln der politischen Selbstdarstellung heroisch zu präsentieren. Vor denen muss man sich hüten.
Wie nimmst Du die junge Generation in unserem Lande wahr?
Natürlich nehme ich erst einmal Deine Aktivitäten wahr. Dein Bemühen, viele junge Kolleginnen und Kollegen hinter Deinen Mahnmalsantrag zu versammeln, war ja letztendlich erfolgreich. Bei meinen Reisen durchs Land begegnen mir viele Studentinnen und Studenten, die zwar alle alternativ gekleidet sind, aber konservativ denken und mit einer außerordentlichen Sehnsucht ausgestattet sind, aus dem normativen Nebel sowohl in der Kunst wie im praktischen Leben heraus zu kommen. Das verwirrt mich, weil ich zu einer Generation gehöre, die geglaubt hat, mit einer alternativen Kleidung sei auch eine Gesinnung verbunden. Das ist nicht mehr der Fall. Die äußerliche Unübersichtlichkeit der jungen Generation manifestiert sich darin, dass ihr gleichsam progressives, modisches Auftreten mit Ihren politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen nicht mehr in Einklang zu bringen ist.
Ich trage Anzug und Krawatte, da kann ich ja ganz beruhigt sein. Vielen Dank für das Gespräch, Michael.