Der Progressive von Pankow
Lars Zimmermann ist glücklich über seinen Wahlkampf: „Es war ein einzigartig positives Erlebnis. Ich konnte jedem einzelnen Termin etwas abgewinnen.“ Und mit dem Ergebnis zufrieden sein kann er auch. Der CDU-Kandidat für Pankow holte rund 6,5 Punkte mehr als sein Vorgänger 2009. Er erhielt 23,9 Prozent der Stimmen, 0,4 Punkte mehr als die CDU Zweitstimmen erzielte. Damit landete er hinter Stefan Liebich von der Linkspartei (28,3 Prozent) auf dem zweiten Platz. SPD-Kandidat Klaus Mindrup verbuchte 21 Prozent der Erststimmen – 6,4 Punkte weniger als Wolfgang Thierse 2009 (und 20,1 Punkte weniger als Thierse 2005).
Wir treffen uns im Wohnzimmer, einer ehemaligen Eckkneipe am Helmholtzplatz im Prenzlauer Berg. Eine Kneipe existierte hier schon vor mehr als 100 Jahren, das Wohnzimmer gibt es seit 15 Jahren. „Damals waren wir die ersten, die versuchten, den Wohlfühlcharakter eines Wohnzimmers zu verwirklichen – heute ist das ja nichts Besonderes mehr“, erklärt mir die Wirtin. „Es soll gemütlich sein, mit unterschiedlichen Ecken.“ Deshalb ist das Interieur bunt zusammengewürfelt. Der Tresen und der Eingangsbereich stammen noch aus DDR-Zeiten. In vier Räumen – einer davon ist ein Raucherraum – stehen Tische, Hocker, Schulbänke oder Sofas. Das Publikum ist genauso bunt wie die Einrichtung. Die meisten Gäste sind zwischen 25 und 40 Jahre alt.
Lars Zimmermann, Jahrgang 1974, ist erst vor vier Jahren in die CDU eingetreten. Er kommt aus Schwerte am Rande des Ruhrgebiets, beschreibt seine Familie als „politisch vielfältig“, arbeitete von 2003 bis 2005 im Planungsstab von Außenminister Joschka Fischer und gründete später die Stiftung Neue Verantwortung. Über private Kontakte kam er in die Pankower CDU. „Ein progressiver, liberaler Kreisverband“, wie er sagt. Das lag ihm.
„Ich hab’ mich gefragt, wer mich hier wählen soll“, so Zimmermann. Aber für ihn ähnelt Pankow entfernt dem Ruhrgebiet: „Es gibt hier viele Brüche.“ Familien, Ältere, Alleinerziehende, Zugereiste und Alteingesessene, Bewohner von Neu- und Altbauten – in Pankow komme alles zusammen. Und so bewarb er sich und wurde per Mitgliederentscheid zum Kandidaten gekürt.
Anschließend begann ein einjähriger Wahlkampf. „Rausgehen und Zuhören“ – unter diesem Motto organisierte er eine Wahlkreistour. „Man konnte mich anrufen und buchen – dann kam ich vorbei, nach Hause, zum Stammtisch oder ins Startup-Unternehmen.“ Manch eine Position habe er erst durch die Gespräche und das Zuhören entwickelt. Der Zuspruch, den er dabei erfuhr, habe ihn immer wieder aufs Neue motiviert. „Besonders toll fand ich, wenn Menschen, die eigentlich nicht wählen gehen wollten, nach einem Gespräch sagten: ‚Jetzt geh’ ich wählen‘ “.
Zur Entwicklung seiner Kampagne versammelte er ein Kreativteam von Parteimitgliedern und Außenstehenden um sich. Ein Krimiautor bastelte mit an seinem Claim „Bis hierhin. Und weiter“. „Wir hatten 40 Claim-Vorschläge und 60 Fotos – mit und ohne Krawatte“, sagt er. Daraufhin habe er sich in verschiedenen Stadtteilen auf die Straße gestellt und die Fotos getestet. Die Reaktionen auf seine Plakate waren dreigeteilt: „Toll, interessant und fürchterlich. Aber die Neugier war geweckt. Und das war das Ziel.“
Wir sind schnell beim „Du“ – und holen uns noch eine Flasche Berliner Pilsener am Tresen (0,5 Liter für 2,70 Euro). Dann erzählt Lars, wie er auf dem Sofa des Wohnzimmers eine Wahlkampfveranstaltung mit Peter Altmaier bestritt. „Es war rappelvoll. 80 Leute. Die standen bis dort vorne am Tresen.“ Neben dem Umweltminister unterstützte ihn ein Staatssekretär und eine stellvertretende DGB-Vorsitzende.
Zwei- bis dreimal in der Woche kommt Lars Zimmermann ins Wohnzimmer. „Der Laden liegt zentral, die Besitzer sind nett, der Kuchen ist gut. Und Du kommst mit den Leuten ins Gespräch.“ Und genau das ist eines seiner Hauptanliegen: „Die Menschen sind viel weiter, als alle Funktionäre denken. Die Leute unterscheiden zwischen Person und Partei.“ Und sie vertrauten auf einen „Politikstil der Öffnung“. Es müsse wieder mehr Politik in die Politik gebracht werden: „Wir haben eine Verpflichtung zu streiten.“ Ihm nimmt man das ab.
Lars Zimmermann sieht sich als Teil des „progressiven Flügels in der CDU“. Bewusst grenzte er sich von der Beschlusslage der CDU ab, etwa wenn er sich beim Thema NSA für eine moderne Datenschutzpolitik aussprach oder in der Gleichstellungspolitik nicht auf das Bundesverfassungsgericht warten wollte, sondern die Gleichstellung aller Partnerschaften forderte. Und in der Frage des Betreuungsgeldes gelte für ihn „in dubio pro Freiheit“.
Aber musste er dann nicht den Wahlkampf der CDU als erschütternd inhaltsleer empfinden? Zimmermann: „Ich fand unseren Wahlkampf parteistrategisch gut. Die Leute wollten Angela Merkel haben, auch Anhänger der Sozis. Ich bin zwar jemand, der die Debatte liebt – das geht aber nicht auf Plakaten.“ Was den Wahlkampf der SPD betrifft, fand er es schwierig, dass „Kandidat und Programm nicht zusammenpassten“. Und dass Peer Steinbrück so früh nominiert worden sei. In der Vergangenheit habe die SPD immer dann ihre Wahlkämpfe gewonnen, wenn sie auf Modernisierung und Fortschritt setzte und Wähler der Mitte ansprach. „Die Kampagne 2013 war ein reiner Verteilungswahlkampf.“
Das Verhältnis zu seinen Konkurrenten beschreibt er als kollegial und respektvoll. „Ich fand es lustig, dass ich fast der Einzige war, der die Gewerkschaften unterstützt hat, wenn es um die neue Arbeitswelt, die Mindestlohndebatte oder die Stärkung der Tarifpolitik ging.“ Auch sei er der einzige Pankower Kandidat gewesen, der Gerhard Schröders Reformen verteidigte: „Hut ab vor Schröder und Müntefering.“ Lars Zimmermann lobt die SPD, obwohl sie ihm „zu systemisch“ ist. Für eine schwarz-rote Regierung sieht er die Schwerpunkte Zukunft des Euro, Energiewende und Föderalismusreform. „Außerdem müssten wir an die Hebesätze im Steuerrecht ran, damit die Länder Cluster bilden können.“
Schwarz-Grün? Für Lars Zimmermann wäre das eine gute Idee. „Die beiden Parteien ergänzen sich, etwa beim Staatsbürgerschaftsrecht, in der Familien- oder in der Energiepolitik.“ Dann kommen wir auf den „Veggie-Day“ zu sprechen. Dieser Vorschlag habe „Retro-Charakter“. Seine Mutter habe schon früher zu ihm gesagt, er solle nicht so viel Fleisch essen. „Und ich komme vom Land. Wir hatten Fleisch in Hülle und Fülle.“ Er habe mehr Grüne in seinem Bekanntenkreis, sei aber dennoch in der CDU, weil in der Partei ein Aufbruch stattgefunden habe. „Das hat viel mit der Bundeskanzlerin zu tun.“
Inzwischen ist es 23 Uhr. Im Wohnzimmer läuft leise Punkmusik. Der Laden ist voll. Ich habe den Eindruck, dass jetzt an jedem zweiten Tisch Englisch gesprochen wird. Die – übrigens rein vegetarische – Karte wird nicht mehr in Anspruch genommen. Dafür geht der eine oder andere Longdrink über den Tresen. Kann sich Lars Zimmermann vorstellen, erneut zu kandidieren? „Ja. Aber das ist die Entscheidung der Partei.“