Der Traum vom sauberen Abgas ist ausgeträumt

Feinstaub und Stickoxide belasten vor allem die Bewohner von Städten. Schuld sind die steigende Zahl der Dieselautos und die systematische Missachtung der gesetzlichen Grenzwerte. Auf allen politischen Ebenen ist Handeln angezeigt

In vielen deutschen Städten ist die Luft nicht nur schlecht, sondern auch gesundheitsgefährdend. Die Ursachen sind vielfältig: In einigen Städten belasten nahegelegene Kohlekraftwerke die Luft, in anderen sind der dazugehörige Hafen oder der Flughafen Schuld. Allen gemeinsam ist jedoch, dass der motorisierte Straßenverkehr die Qualität der Luft erheblich beeinträchtigt – allen voran Dieselfahrzeuge.

Viele Jahre nahm die Öffentlichkeit vor allem die Feinstaubbelastung als Hauptproblem wahr. Nun rücken langsam auch die Stickoxide in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Bundespolitik hat dieses Problem weitgehend verschlafen und reagiert allenfalls mit Lippenbekenntnissen.

Problematisch ist dies, weil Feinstaub und Stickoxide zu chronischen Atemwegserkrankungen, Bronchitis und Asthma führen können. Das Umweltbundesamt geht von jährlich rund 47000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Feinstaub aus – und das allein in Deutschland. Wie hoch die Gesundheitskosten sind, die die Allgemeinheit zu tragen hat, ist schwer zu sagen, denn verlässliche Zahlen gibt es nicht – auch nicht über die Höhe der Schäden, die an der Vegetation entstehen. Nachgewiesen ist jedoch: Die hohe Stickoxidkonzentration in der Luft verschlechtert das Pflanzenwachstum, und dies hat auch Folgen für die landwirtschaftlichen Erträge. Gleichzeitig tragen Stickoxide zur Versauerung der Böden bei, Stichwort saurer Regen, was die im Erdreich wurzelnden Pflanzen schädigt. Feinstaub rangiert außerdem hinter Kohlendioxid auf Platz zwei der Stoffe, die den Klimawandel antreiben.

Würden die aktuellen gesetzlichen Grenzwerte eingehalten, könnte man die schädlichen Folgen lediglich abmildern, verschwinden würden sie nicht. Deshalb sprechen sich die Weltgesundheitsorganisation und Umweltverbände für eine Verschärfung der Grenzwerte aus.

Wenn also mittlerweile der zulässige Grenzwert für Feinstaub am Stuttgarter Neckartor an mehr als 70 Tagen im Jahr – statt wie erlaubt an 35 Tagen – überschritten wird, hat dies Folgen für Gesundheit, Umwelt und Klima. Noch beunruhigender ist allerdings, dass zudem vielerorts der gesetzliche Grenzwert für Stickstoffdioxid deutlich überschritten wird. Das Umweltbundesamt hat festgestellt, dass 2014 die Stickstoffdioxid-Jahresmittelwerte bei 60 Prozent der verkehrsnahen Messstationen überschritten wurden. An einigen innerstädtischen Messstellen fiel der gemessene Wert mehr als doppelt so hoch aus wie erlaubt. Deutsche Städte haben also ein massives Problem, das bislang nicht ausreichend angegangen wird. Dabei wurden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid, die seit 2010 gelten, schon vor 17 Jahren festgelegt.

Lange ging man davon aus, die Belastung durch Feinstaub und Stickoxide im Straßenverkehr könne mithilfe des technischen Fortschritts reduziert werden. Zumindest für den Feinstaub hat sich diese Hoffnung größtenteils erfüllt. Seit längerem werden neue Fahrzeuge bereits im Werk mit funktionierenden Partikelfiltersystemen ausgestattet. Die Nachrüstung von älteren Fahrzeugen und die Einrichtung von Umweltzonen konnten die kleinen und besonders gefährlichen Bestandteile des Feinstaubs deutlich reduzieren. Untersuchungen über die Berliner Umweltzone zeigen, dass durch die Einführung der grünen Plakette die Rußbelastung um etwa 60 Prozent gemindert werden konnte.

Das Schreckgespenst heißt Dieselmotor

Natürlich besteht auch hier noch Verbesserungsbedarf. Dies betrifft etwa Baumaschinen, Binnen- und Seeschiffe sowie dieselbetriebene Lokomotiven und Triebwagen. Aber die bisherigen Fortschritte sind deutlich spür- und messbar: Die Feinstaub- beziehungsweise Dieselrußbelastung konnte nachweislich reduziert werden. Industrie, Hausfeuerung und industrielle Landwirtschaft rücken nun immer stärker in den Fokus.

Was die Stickoxide angeht, ist für die zum Teil massiven Überschreitungen nach wie vor im Wesentlichen der Straßenverkehr verantwortlich. Die Politik muss sich nun mit den Geistern auseinandersetzen, die sie selber rief. Das Schreckgespenst heißt Dieselmotor. Jahrzehntelang wurden Dieselautos gefördert: durch weniger strenge Abgasnormen und steuerlich begünstigten Treibstoff. Die negativen Folgen bekommen wir nun immer deutlicher zu spüren. Denn auch die Kohlendioxidbelastung konnte nicht verringert werden, da die Fahrzeuge immer größer, schwerer und leistungsstärker wurden – und noch immer werden. Dieselautos legen im Schnitt mehr als doppelt so viele Kilometer in Jahr zurück wie Benziner, Tendenz steigend. Dies verstärkt die negativen Folgen. Das wohl größte Versäumnis besteht allerdings darin, dass die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch die zuständigen Bundesbehörden nicht kontrolliert wird.

Seit Jahren weisen Umwelt- und Verkehrsverbände darauf hin, dass die Dieselautos, die derzeit auf dem Markt sind, die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte im Realbetrieb – also im Straßenverkehr – nicht einhalten. In einem Schreiben an die EU-Kommission räumte die Bundesregierung vergangenes Jahr ein, dass selbst die modernsten Dieselfahrzeuge der Abgasstufe „Euro 6“ die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte im Realbetrieb nicht einhalten. Tatsächlich liegen diese bei durchschnittlich 500 Milligramm pro Kilometer; erlaubt sind 80 Milligramm. Die tatsächlichen Werte liegen also auf dem Niveau von 15 Jahre alten Autos der Abgasstufe „Euro 3“.

Der VW-Skandal ist nur die Spitze des Eisbergs

Die Hersteller haben ihre Fahrzeuge so angepasst, dass sie die gesetzlichen Grenzwerte zwar unter Laborbedingungen auf Prüfständen einhalten. Im Straßenverkehr erzielen die so genannten Abgasnachbehandlungssysteme jedoch oft nicht die gewünschte Wirkung. Illegale Manipulationen der Motorsoftware, wie sie jüngst der Volkswagenkonzern zugegeben hat, sind nur eine der möglichen Maßnahmen zur Prüfstandoptimierung. Die Umweltverbände vermuten: Beim VW-Skandal handelt es sich bloß um die Spitze des Eisbergs.

Wie konnte es zu solch gravierenden Fehlentwicklungen kommen? Die Antwort ist leider so einfach wie erschreckend: Es mangelt an Kontrolle durch die Politik. Der Skandal um die Abgasmanipulationen bei VW ist vor allem auch ein politischer Skandal. Staatliche Kontrollen wurden in den vergangenen Jahren faktisch nicht durchgeführt. Deutsche und europäische Behörden und Ministerien haben sich einfach auf die offiziellen Herstellerangaben verlassen. Nachkontrollen im Auftrag der Behörden gab es weder bei der Erteilung von Typzulassungen für neue Fahrzeugmodelle noch bei Bestandsfahrzeugen. Das Kontrolldefizit führt sogar soweit, dass bei der Abgasuntersuchung, die im Rahmen der Hauptuntersuchung stattfindet, nicht einmal mehr festgestellt werden kann, ob die verbauten Abgasnachbehandlungssysteme überhaupt noch funktionsfähig sind. Bei modernen Fahrzeugen werden die Abgase selbst nicht einmal mehr untersucht, sondern lediglich die Daten des Bordcomputers kontrolliert.

Dabei verpflichtet die EU-Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Bundesregierung dazu, die Wirksamkeit von Abgasnachbehandlungssystemen zu überprüfen und Verstöße gegen die Verordnung zu sanktionieren. Besonders beachtenswert ist ein Passus in der Verordnung, der verlangt, dass „Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht“. Die Verordnung sieht also eindeutig vor, dass Abgasnachbehandlungssysteme ihre Wirkung unter normalen Betriebsbedingungen – also im Straßenverkehr – und nicht nur auf dem Prüfstand im Labor entfalten müssen. Auch die von VW eingesetzten Abschaltvorrichtungen sind in der Verordnung explizit genannt. Doch weder überprüften die Behörden die Systeme, noch wurden Sanktionen für den Fall eines Verstoßes festgelegt.

Der EU sind die mangelnden Kontrollen und vor allem die steuerliche Begünstigung des Dieselkraftstoffs mittlerweile ein Dorn im Auge. Deshalb wurde im vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eröffnet. Brüssel fordert, die Energiesteuer für Dieselkraftstoff an die für Benzinkraftstoffe anzugleichen. Aufgrund des niedrigen Mineralölpreises gibt es aus Sicht des BUND keinen besseren Zeitpunkt für diese überfällige Maßnahme. Die Sperrung städtischer Gebiete für Dieselautos und die Förderung von Fahrzeugen, die ohne Schadstoffausstoß betrieben werden können, betrachtet die EU-Kommission ebenfalls als wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Stickoxide.

Die jahrelange Untätigkeit der Politik wird darin münden, dass die Städte sich schließlich gezwungen sehen werden, die Zahl der Autos auf ihren Straßen deutlich zu reduzieren. Der Traum einer besseren Luftqualität durch eine Marktdurchdringung von Autos mit moderner Abgasnachbehandlung, von dem nahezu alle Luftreinhaltepläne zeugen, hat sich ausgeträumt. Solange unsere Fahrzeuge die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten, werden sie keinen Beitrag zur Senkung der Stickstoffdioxid-Werte in den Städten leisten. Im Gegenteil: der steigende Anteil von Dieselautos wird die Situation weiter verschärfen.

Jetzt müssen wirksame Maßnahmen her

Um den betroffenen Kommunen ein neues und wirksames Instrument an die Hand zu geben und die Hauptverursacher des Problems zu adressieren, fordern der BUND und andere Umweltverbände die Einführung einer blauen Umweltplakette. Die Weiterentwicklung der Umweltzone könnte zu einer spürbaren Senkung der Stickstoffdioxid-Werte beitragen. Es würden dann jene Autos eine blaue Plakette erhalten, die die vorgegebenen Stickstoffoxid-Werte für Diesel der Abgasstufe „Euro 6“ auch im Straßenverkehr, und nicht nur im Labor einhalten. Benziner ab Abgasstufe „Euro 3“, GDI ausgenommen, würden ebenfalls die blaue Plakette erhalten. Benzindirekteinspritzer müssten dann den ab 2017 geltenden Standard „Euro 6b“ einhalten.

Um aber verlässliche Daten über die Abgasmengen zu erhalten, sind weitere Maßnahmen nötig. Die Politik sollte sich darauf konzentrieren, Umwelt wie Bürger zu schützen, und dafür sorgen, dass Fahrzeuge die gesetzlich vorgeschriebenen Schadstoffgrenzwerte tatsächlich einhalten. Notwendig ist daher, bei der Typzulassung neuer Fahrzeugmodelle den offiziellen Schadstoffausstoß mittels so genannter PEMS-Messungen zu erfassen. Dabei handelt es sich um eine mobile Messtechnik zur Auswertung der „Real Driving Emissions“ (RDE).

Dieses Messverfahren muss auch angewendet werden, um alle bereits zugelassenen Fahrzeugmodelle nachzuprüfen. Es wird sich zeigen, ob die Autos der angegebenen Abgasnorm entsprechen und somit eine Einfahrberechtigung in die grünen und künftig blauen Umweltzonen erhalten beziehungsweise behalten dürfen – oder ob ihnen diese Berechtigung aberkannt werden muss.


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