Deutschland erlebt den Durchleuchtungsschub



Eine Stärke von Martin Schulz, so sagte mir einer seiner ehemaligen Mitarbeiter, sei jener typische rheinländische Humor, mit dem er es immer wieder schaffe, diplomatisch knifflige Situationen spielend zu lösen. Kürzlich durfte ich diese legendäre Schlagfertigkeit aus erster Hand miterleben. Als der SPD-Spitzenkandidat von einem griechischen Journalisten gefragt wurde, ob er weiterhin die Einführung von Eurobonds befürworte (also von Anleihen, die gemeinsam von den Staaten der Eurozone ausgegeben werden), antwortete er: „Das einzig Interessante an Bonds ist James.“ Gerade weil dieser Witz nun wirklich überhaupt nicht witzig ist, ist er interessant.

Der Spruch fiel in einer Pressekonferenz mit rund 60 Medienvertretern im Willy-Brandt-Haus, der ersten Begegnung zwischen Martin Schulz und der ausländischen Presse überhaupt. Das Gespräch begann auf Deutsch und in einer relativ freundlichen Atmosphäre, verkrampfte allerdings rapide, als ein Korrespondent nach dem anderen Schulz bat, doch bitte eine zitierfähige Antwort auf Englisch, Französisch oder Italienisch zu geben.

Das war für den überzeugten Europäer sprachlich eine leichtere Aufgabe als inhaltlich, denn Martin Schulz ist gerade erst dabei zu lernen, wie man in Deutschland so Politik macht, als ob niemand im Ausland zuhörte. Deutschland habe ein großes Interesse an einem stabilen Wachstum in allen Staaten der EU, sagte Schulz. „Dazu gehören Reformschritte, die in diesen Ländern notwendig sind.“ Auf die Frage, ob Griechenland Mitglied der Eurozone bleiben werde, antwortete er, dies hänge davon ab, „inwieweit die Reformschritte im Land umgesetzt werden“. Aber man sah ihm dabei an, wie fremd ihm diese Worte aus seinem eigenen Mund vorkamen.

Der verkorkste James-Bond-Witz war deshalb wohl eine Art Ablenkungsmanöver. Die Financial Times und die griechische Presse schrieben am nächsten Tag trotzdem, die deutschen Sozialdemokraten verträten neuerdings die gleiche Linie wie Wolfgang Schäuble von den Christdemokraten.

Nicht nur Martin Schulz macht gerade einen Lernprozess durch – die gesamte deutsche Politik tut es, oder sie sollte es tun. Kommentare von deutschen Politikern, die eigentlich darauf bedacht sind, die Gunst ihrer Wähler zu bewegen, hallen weiter und lauter über die Landesgrenzen hinweg als noch vor zehn Jahren. Sie bewegen Meinungen und Märkte auf der ganzen Welt.

Dass der Protektionismus neu auflebt und wir ein Revival der Abschottungspolitik erleben, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Dabei übersehen wir leicht, dass die Globalisierung trotz oder vielleicht wegen diesem Backlash unbeeindruckt weitermarschiert.

In der englischsprachigen Welt ist die Internationalisierung der einheimischen Politik schon ein älteres Phänomen. Der englisch-holländische Schriftsteller Simon Kuper beschrieb vor Kurzem, wie sich die soft power einer weit verbreiteten Sprache zu einem strategischen Nachteil gewandelt habe: „Eine englischsprachige Gesellschaft zu sein ist so, als lebte man in einem Glashaus: Es macht einen durchsichtig.“

Die deutsche Politik war für die internationale Öffentlichkeit traditionell ein opakes Feld. Aufgrund einer neuen globalen Rollenverteilung nach dem Brexit-Referendum und der Trump-Wahl und dank einer schnelleren und zugänglicheren Berichterstattung über soziale Netzwerke und digitale englischsprachige Medien, erlebt Deutschland aber einen unglaublichen Durchleuchtungsschub. Wenn Martin Schulz am Abend in der Dorfhalle von Neuburg an der Kammel die französische Agrarpolitik kommentiert, kann daraus am nächsten Morgen ein push alert auf einem Smartphone in Singapur werden.

Die deutsche Bundeskanzlerin weiß schon seit einiger Zeit, wie sehr diese neue Realität das politische Bewegungsfeld verengt. So wurde sie innerhalb eines Monats aufgrund ihrer reservierten Reaktion auf den Ausgang der US-Wahl erst zur neuen Anführerin der „freien Welt“ gekürt, dann aber für die ähnlich zurückhaltende Befürwortung eines Burkaverbots in der Weltpresse abgewatscht.

Gewählt wird ein deutscher Kanzler weiterhin von der deutschen Bevölkerung. Erwartungen an das Amt stellt aber inzwischen die ganze Welt. Da hilft beim Gang vor die Medien nur die Contenance zu wahren. Oder es helfen eben schlechte Witze: „neither shaken, nor stirred“ sozusagen.

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