Die Arbeit, das Leben

EDITORIAL

"Wir leben in einer Ära", schreibt Joanne B. Ciulla in ihrem klugen Buch The Working Life, "in der unser Leben eigentlich aus angenehmen Tätigkeiten jeder Art bestehen müsste. Stattdessen stecken viele Menschen in ihren überlangen Arbeitszeiten und Schulden fest. Sie leiden an Stress und an Einsamkeit, und ihre Familien zerbröseln. Warum? Zum Teil, weil wir immer mehr haben wollen. Zum Teil, weil wir nicht begreifen, dass wir wählen können." Tatsächlich, es ist schon ziemlich seltsam. Nie zuvor und nirgends sonst ist es möglich gewesen, die materiellen Grundbedürfnisse der Menschen so vollständig zu befriedigen wie in den reichen Gesellschaften des Westens zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nie haben Maschinen den Menschen so viel Arbeit abgenommen. Im Grunde sollte es dieser Gesellschaft wirklich nicht unmöglich sein, ihre Erwerbsarbeit so zu verteilen, dass nicht die einen gar keine haben, die anderen dagegen in zu viel davon ertrinken.

Vollbeschäftigung innerhalb der nächsten zehn Jahre herzustellen, lautet das Ziel, das Hubertus Heil, Nina Hauer, Christian Lange und Christoph Matschie in ihrem Papier zur "Zukunft in Arbeit" anpeilen. Bei den Experten, die in dieser dieser Ausgabe der Berliner Republik über ihre Thesen diskutieren, ernten sie dafür Zustimmung, aber auch Kritik. Allein Erwerbsarbeit schaffe die Bedingungen für individuelle Selbstachtung, schreibt Thomas Meyer. Aber es könne doch sein, wenden Axel Bohmeyer und Friedhelm Hengsbach SJ. ein, dass es für die Lebensqualität einer Gesellschaft viel eher darauf ankomme, Erwerbsarbeit, private Beziehungsarbeit und Hobbyarbeit kreativ zu kombinieren. Allein in der Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze dürfe sich die politische Perspektive nicht erschöpfen, ergänzt Wolfgang Schroeder: "Immer mehr geht es auch um die Frage der Qualität der Arbeit." Diese Debatte ist noch längst nicht zu Ende. Vermutlich geht sie gerade erst richtig los.

Keineswegs geklärt ist auch die Frage nach Deutschlands Selbstverständnis in der Welt, das hat der Disput um den Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien gerade wieder eindrucksvoll bewiesen. Fast alles habe sich geändert in Europa und der Welt seit 1989, schreibt Eric Gujer, doch noch immer hänge Deutschland "an Grundsätzen aus einer Zeit, als Außenpolitik im gelben Pullunder und mit nichtssagenden Communiqués betrieben wurde". Darin, dass die politische Klasse der Republik den Streit über außenpolitische Grundfragen nicht öffentlich austrage, sieht Herbert Dittgen den zentralen Grund für die unzeitgemäße Beharrung. Auch diese Debatte soll deshalb in der Berliner Republik geführt werden.

Alles beschleunigt sich, auch die Berliner Republik. Unter der Adresse www.b-republik.de gibt es sie neuerdings auch elektronisch im Internet. So kommen unsere Leser noch schneller an die Gedanken unserer Autoren. Die allerdings kostet das Gedankenmachen so viel Zeit und Mühe wie zuvor.

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