Die Ehrlichen sollen nicht die Dummen sein
Um im Kampf gegen Steuerhinterziehung erfolgreich zu sein und ein gerechtes Steuersystem zu schaffen, müssen wir das Bewusstsein der Menschen dafür schärfen, dass Steuern nicht um ihrer selbst willen erhoben werden. Die Leistungen, die wir vom Staat erwarten, haben ihren Preis. Wer fällige Steuern nicht bezahlt, aus welchen Gründen auch immer, lässt die Gemeinschaft allein bei der Finanzierung von Straßen, Schulen, öffentlicher Sicherheit – und des sozialen Zusammenhalts. Leistungen nur zu fordern, ohne zu sagen, wer die Rechnung bezahlen soll, das bringt uns nicht weiter.
Gerechtigkeit heißt vor allem, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Ein Steuersystem ist aber nur dann gerecht, wenn es dafür Sorge trägt, dass die Steuern, die das Gesetz vorsieht, auch wirklich abgeführt werden. Die ehrlichen Steuerzahler dürfen am Ende nicht die Dummen sein, weil sie für diejenigen mit bezahlen, die sich aus dem Staub machen. Deshalb ist die nordrhein-westfälische Landesregierung in dieser Frage so hartnäckig.
Aufgabenkritik und die ständige Überprüfung der Verwaltungseffizienz müssen selbstverständlich sein. Daran halten wir uns auch. Allein damit werden wir die Haushalte aber nicht konsolidieren und gleichzeitig die öffentlichen Aufgaben auf Dauer erfüllen können. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass für die staatliche Aufgabenerfüllung ausreichende Steuereinnahmen zur Verfügung stehen. Kritiker kontern gern mit dem Hinweis, es gebe doch Rekordsteuereinnahmen. Das klingt plausibel, trägt aber nicht zum Haushaltsausgleich bei. In den vergangenen 20 Jahren hatten wir zwölfmal Rekordeinnahmen. Bei einer wachsenden Wirtschaft ist das normal, es ist allerdings auch mit höheren Kosten und steigenden Preisen verbunden. Nicht normal waren die 8 Jahre ohne Rekord, in denen der Anteil der Verschuldung an der Wirtschaftsleistung dramatisch gestiegen ist. Ein dauerhafter Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben braucht außer einer zumindest normalen Konjunktur ferner eine Niveauabsenkung bei den Ausgaben und ein höheres Niveau der Einnahmen. Dabei stellt sich die Frage der Lastenverteilung. Die Entscheidung, wer die Steuern bezahlen soll, die ein leistungsfähiger Staat braucht, hat viel damit zu tun, welches Bild wir von Gerechtigkeit und gerechter Lastenverteilung haben.
Das Steuergerechtigkeitsprinzip gebietet, jeden Steuerbürger nach Maßgabe seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu belasten. Ein gerechtes Steuersystem muss verhindern, dass die Kluft zwischen Reich und Arm immer größer wird. Diese Kluft führt zu gesellschaftlicher Instabilität, die am Ende allen schadet. Alle Untersuchungen zur Vermögensverteilung in Deutschland zeigen die gleiche Tendenz: Die Konzentration des Vermögens bei den reichen und reichsten Bürgern nimmt ständig zu, während die Ärmsten immer ärmer werden und auch die staatliche Armut wächst. Drastisch vor Augen führen einem das die Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dem DIW zufolge besitzen die reichsten 10 Prozent der deutschen Bevölkerung mehr als 60 Prozent des privaten Gesamtvermögens. Auf das reichste Prozent entfällt ein Anteil von rund 20 Prozent des Gesamtvermögens. Dagegen verfügen die unteren 50 Prozent der Bevölkerung nur über rund 1 Prozent des Gesamtvermögens.
Die Empörung über Steuerhinterziehung wächst
Diese Tendenz wird durch unser Steuerrecht begünstigt oder sogar verstärkt. Die Steuersätze bei den Ertragssteuern wurden in der Vergangenheit drastisch gesenkt, die Vermögenssteuer wird seit 1997 nicht mehr erhoben, die Erbschaftssteuer führt eher zu zufälligen Ergebnissen und ist verfassungsrechtlich umstritten. Im internationalen Vergleich belastet Deutschland Vermögen unterdurchschnittlich. Für das Jahr 2010 ergibt sich laut OECD-Statistik für Deutschland ein Anteil am Gesamtsteueraufkommen von rund 0,8 Prozent; der Durchschnitt der OECD-Staaten lag bei 1,9 Prozent (in den USA: 3,2 Prozent). Das gilt in besonderem Maß für die Wirkung des Ehegattensplittings. Von den rund 20 Milliarden Euro Steuerminderung durch das Splitting profitieren zu versteuernde Einkommen über 50.000 Euro im Jahr (das sind über 60.000 Euro brutto) mit rund 9 Milliarden. Fast die Hälfte der Vergünstigung entfällt damit auf das obere Fünftel der Einkommensskala. Und das, obwohl die Hälfte derer, die das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen, gar keine Kinder hat und heute jedes dritte Neugeborene nicht in eine Ehe hineingeboren wird.
Die notwendige Richtung ist damit klar: Die Finanz- und Steuerpolitik muss dazu beitragen, dass diese Vermögensungleichheit nicht weiter zunimmt und die Lasten gerechter verteilt werden. Deswegen setzen wir uns für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes ein – und für einen Umbau des Ehegattensplittings, das bis heute am Rollenbild der Familie festhält, wie es in den fünfziger Jahren existierte.
Selbst das gerechteste Steuersystem nützt allerdings nichts, wenn Steuern hinterzogen oder die geltenden Steuergesetze umgangen werden. Dies sind keine neuen Phänomene. Aber offenbar gibt es Zeiten, in denen der Betrug am Staat den Ehrlichen oder denen, die sich nicht entziehen können, besonders zuwider ist. Solche Zeiten haben wir im Moment. Während Umfragen zufolge 2001 noch 47 Prozent Steuerhinterziehung für ein Kavaliersdelikt hielten, stufen sie heute fast 90 Prozent als kriminell ein. 70 Prozent der Bürger unterstützen unseren Kurs, Steuer-CDs zu kaufen, weil sie es so sehen wie wir: Mit Steuerhinterziehung verhält es sich nicht anders als mit anderen schweren Straftaten, bei denen man ebenfalls Daten aus der jeweiligen Szene nutzt und Informanten bezahlt, wenn die Missetäter nun einmal nur so zu erwischen sind.
Die Bereitschaft der Steuerehrlichen, für diejenigen aufzukommen, die sich ihrer Mitverantwortung für die Qualität staatlicher Infrastrukturen und der Bildungssysteme oder für den Zusammenhalt einer Gesellschaft entziehen, scheint vorbei zu sein – und das ist auch gut so. Deshalb muss die Politik unmissverständlich klar machen, dass Steuergesetze keine Regeln sind, die jeder nach Herzenslust oder eigenem Gutdünken auslegen darf. Es kann nicht sein, dass Einzelne selbst entscheiden, wie viel und wofür sie Steuern zahlen. Diese Form der Selbstgerechtigkeit folgt dem Motto: „Ich nehme Leistungen in Anspruch, bezahle aber nur so viel, wie ich es für angemessen halte.“ Dergleichen würde in keinem privaten Vertragsverhältnis geduldet. Man stelle sich einmal vor, dass ich künftig für eine Tüte Haribo einfach 20 Prozent weniger auf den Ladentisch lege, weil ich die nach meiner Meinung unsinnigen Werbeausgaben für Herrn Gottschalk nicht mitfinanzieren will. Thomas Gottschalk meinte aber bei „Günther Jauch“, mit genau diesem Argument seinen Freund Uli Hoeneß verteidigen zu müssen. Dieser habe eben selbst entscheiden wollen, wofür er Geld geben wolle, weil er die Verwendung durch die gewählten Volksvertreter für nicht adäquat gehalten habe. Wie in einem solchen System des Selbstentscheidens noch Justizvollzugsanstalten oder die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern finanziert werden sollten, dürfte ohne Antwort bleiben. Wer wollte sich dafür schon als edler Spender feiern lassen?
Hinzu kommen die Googles, die Starbucks und die IKEAs dieser Welt, die zwar nicht offen betrügen, aber dafür mit ausgefeilten Tricks die Steuergesetze weltweit gegeneinander ausspielen. Nicht selten unter Beteiligung von Staaten, die ganz bewusst Lücken schaffen, um selbst zu profitieren. Auch damit muss Schluss sein. Der Europäischen Kommission zufolge entgehen den EU-Mitgliedsstaaten auf diese Weise Jahr für Jahr eine Billion Euro. Wenn wir diese Summe auf die Einwohneranteile von Deutschland oder Nordrhein-Westfalen herunterbrechen, sind das 160 Milliarden bundesweit oder 36 Milliarden Euro für NRW. Weder wir in Deutschland noch unsere europäischen Partner müssten für den Standard, den wir heute haben, mit Schulden leben, wenn zumindest ein Teil dieser gigantischen Summe in die Staatskassen fließen würde.
Über die Maßnahmen für ein gerechteres Steuersystem hinaus wird die SPD weiter konsequent gegen Steuerhinterziehung vorgehen und bisher legale Steuerschlupflöcher schließen. Der „Königsweg“ zur Vermeidung von Steuerhinterziehung ist der automatische Informationsaustausch zwischen den Finanzverwaltungen. Mit Nachdruck muss daran gearbeitet werden, Staaten, die bislang nicht an einem automatischen Informationsaustausch teilnehmen, zum Abschluss entsprechender Verträge zu bewegen. Deswegen war es so wichtig, mit unserer Mehrheit im Bundesrat das ungerechte und zugleich ökonomisch unsinnige Abkommen mit der Schweiz zu verhindern. Ohne dieses Abkommen sähen sich andere Länder jetzt nicht in der Pflicht, einem automatischen Informationsaustausch zuzustimmen. Und was hört man dazu aus der Schweiz? Auch dort ist man wieder bereit, über ein neues Abkommen zu verhandeln, weil das Wunschabkommen aus Schweizer Sicht nicht zustande gekommen ist und der ungeregelte Zustand Steuerbetrügern und helfenden Banken mehr Unbehagen bereitet als uns.
Was die Bundesregierung verhindert hat
Bis wir auf internationaler Ebene zu einem wirksamen automatischen Informationsaustausch kommen, bleibt der Ankauf von Daten-CDs aus Ländern wie der Schweiz unverzichtbar. Dies muss jeder anerkennen, dem es mit der Verfolgung von Steuerhinterziehung ernst ist. Dass unsere Bemühungen hier immer noch notwendig sind, zeigen schon die Zahlen: Im Zusammenhang mit dem Erwerb von Steuer-CDs kamen allein in Nordrhein-Westfalen Mehreinnahmen von über 670 Millionen Euro zusammen. Ohne die Sorge, sie könnten auffliegen, kommen die Steuerbetrüger leider nicht auf uns zu.
Wie bei einem flächendeckenden automatischen Informationsaustausch ist auch in Bezug auf die Schließung von legalen Schlupflöchern europäisch abgestimmtes Handeln die Voraussetzung für den Erfolg. Bislang sind die Bemühungen der SPD-geführten Länder, Steuerschlupflöcher zu schließen, leider oft an der Bundesregierung gescheitert. Aus diesem Grund konnte noch immer kein wirksames Gesetz gegen Gesellschaften verabschiedet werden, die ausschließlich dazu dienen, Erbschaftssteuern zu umgehen. Dort wird eine SPD-geführte Bundesregierung ansetzen, aber auch bei der Verlängerung des Verjährungsbeginns oder der Beibehaltung von Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen. Es hat nichts mit Bürokratieabbau zu tun, wenn Firmen Unterlagen eher vernichten dürfen, die heute überwiegend auf Datenträgern gespeichert sind. Die Vernichtung von Beweismaterial ist aufwändiger als die Aufbewahrung, aber wenn selbst die Bundesregierung sagt, dass mit der Verkürzung Steuernachzahlungsansprüche von jährlich einer Milliarde Euro wegfallen, wird die Absicht des Vorstoßes deutlich.
Wo einvernehmliches europäisches Handeln am Widerstand Einzelner scheitert, die ihre Geschäftsmodelle zulasten anderer Gemeinwesen aufgebaut haben, muss es erlaubt sein, im Alleingang oder in der Zusammenarbeit von Staatengruppen „Firewalls“ einzuziehen. Denkbar wären zum Beispiel Mindeststeuersätze oder die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Überweisungen an verbundene Unternehmen in Steueroasen.
Ich bin optimistisch, dass wir sowohl beim Kampf gegen die Steuerhinterziehung als auch im Hinblick auf Steuerschlupflöcher in den nächsten Jahren weiter vorankommen werden. Das Scheitern des Schweizer Abkommens und der Erwerb von Steuer-CDs haben eine Dynamik entstehen lassen, die es nun zu nutzen gilt. Allerdings müssen wir aufpassen wie die Luchse und unsere gesunde Skepsis bewahren. Bei jedem Zugeständnis ist immer auch schon wieder die Suche nach Hintertürchen erkennbar. Die derzeitige Bundesregierung hat mehrfach bewiesen, dass sie diesen Versuchen nicht mit der notwendigen Hartnäckigkeit begegnet. Auch deshalb ist ein grundlegender Politik- und Regierungswechsel nach der Bundestagswahl so wichtig.