Die im Dunkeln sieht man nicht
Für die Vereinigten Staaten, die als Interessengruppengesellschaft par excellence gelten, ist die Regulierung des Verhältnisses zwischen Lobbyisten und politischen Akteuren nichts Neues. Erste Ansätze reichen sogar bis ins Jahr 1876 zurück. Seit 1995 existiert in den Vereinigten Staaten mit dem Lobbying Disclosure Act ein Bundesgesetz, das Interessenvertreter verpflichtet, sich in einer öffentlichen Datenbank zu registrieren " samt umfangreicher Angaben zu Kunden beziehungsweise vertretenen Interessen sowie zur Finanzierung der Lobbying-Aktivitäten. Auch Kanada kennt mit dem Lobbying Registration Act seit 1989 eine gesetzliche Verpflichtung in vergleichbarem Umfang. Falschangaben können in beiden Ländern mit empfindlichen Geldbußen und mittlerweile sogar mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren in Kanada und bis zu fünf Jahren in den USA geahndet werden. In beiden Ländern wachen eigens in den Parlamenten eingerichtete Stellen über die Einhaltung der Registrierungspflicht.
Auf europäischer Ebene wird seit Mitte der neunziger Jahre ebenfalls darüber diskutiert, wie man die Beziehungen zwischen den Organen der EU und Interessenvertretern transparenter machen kann. Bislang konnte man sich in Brüssel aber nur zu freiwilligen Registrierungsmechanismen durchringen, die aufgrund ihrer Freiwilligkeit und des Mangels an wirkungsvollen Sanktionen zu Recht vielfach kritisiert worden sind.
Lammerts Liste spielt keine Rolle
Auch in Deutschland gibt es bislang keine vergleichbaren Regelungen wie in den USA und in Kanada. Zwar führt der Bundestagspräsident eine öffentliche Liste, in die sich all jene Verbände (wohlgemerkt: nur Verbände) eintragen sollen, die Interessen gegenüber dem Deutschen Bundestag oder der Bundesregierung vertreten. Doch erstens sind die erforderlichen Angaben eher belanglos; vor allem müssen die Verbände keinerlei Angaben darüber machen, wer sie finanziert. Und zweitens ist die Registrierung faktisch freiwillig. Auch deshalb spielt "Lammerts Liste" im Parlamentsalltag keine Rolle.
Das ist bedauerlich, schließlich existiert auch hierzulande ein weit verbreitetes Unbehagen der Öffentlichkeit gegenüber Interessenvertretern, das zunehmend an der Glaubwürdigkeit der Politik nagt. Der Begriff "Lobbying" ist überwiegend negativ konnotiert, mit ihm werden vornehmlich illegitime Einflussversuche partikularer Interessenorganisationen verbunden. Kein Wunder, dass Kritik am Kontakt zwischen Interessenvertretern und Politik beziehungsweise Verwaltung populär ist.
Günter Grass weiß, was Menschen umtreibt
So hat Günter Grass bei einem Besuch in der SPD-Bundestagsfraktion zu Jahresbeginn 2008 den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung für den Glaubwürdigkeitsverlust der parlamentarischen Demokratie verantwortlich gemacht. In seinen Augen stellt der Lobbyismus die größte Gefahr für das Ansehen der Demokratie dar. Bereits im Jahre 2005 veranlasste Grass diese Sorge, auf der Titelseite der Zeit zu fordern, um den Bundestag herum müsse eine "Bannmeile für Lobbyisten" eingerichtet werden. Natürlich muss man nicht so weit gehen wie Günter Grass. Aber dennoch weist der Schriftsteller auf ein Problem hin, das viele Menschen umtreibt.
Um nicht missverstanden zu werden: Die Vertretung unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen ist ein legitimer und notwendiger Bestandteil, ja geradezu ein Wesensmerkmal der parlamentarischen Demokratie. Das Fachwissen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ist für demokratische Entscheidungsprozesse unabdingbar. Deshalb Parlament und Regierung als bloßen Spielball unterschiedlicher Interessengruppen abzuqualifizieren, greift viel zu kurz. Vielmehr gehört es zu den Aufgaben der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, sich im Vorfeld politischer Entscheidungen um vielfältige Informationen zu den möglichen Auswirkungen geplanter Gesetze zu bemühen, relevante Informationsquellen auszuwählen und diese untereinander abzuwägen. Nur so kann der Ausgleich zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Interessen geschaffen werden.
Das eigentliche Problem besteht darin, dass sich das Miteinander von Parlament, Regierung und Interessenvertretern in Deutschland weitgehend im Verborgenen abspielt - was naturgemäß Zweifel an dessen Legitimität hervorruft. Das muss aber keineswegs so bleiben. Vielmehr sollte transparent werden, auf welcher Basis sich der Prozess der parlamentarischen Meinungsbildung vollzieht. Für die allgemeine Öffentlichkeit wie auch die Adressaten der Interessenvertreter muss eindeutig nachvollziehbar sein, in wessen Namen die Lobbyisten handeln und wie sie ihre Tätigkeit finanzieren, denn dies ist für die Glaubwürdigkeit einer Interessengruppe entscheidend. Außerdem ist es wichtig, von vornherein mögliche Interessenkonflikte zu erkennen - oder sie auszuschließen. Eine klare Offenlegungspflicht stellt die demokratische Verantwortlichkeit und Nachvollziehbarkeit sicher und kann dadurch irreführenden und unzulässigen Einflussversuchen vorbeugen.
Wir brauchen einen Beauftragten
Aus all diesen Gründen sollte auch beim Deutschen Bundestag ein gesetzlich verankertes Lobbyregister eingerichtet werden. Im Entwurf für das Regierungsprogramm, das Mitte April 2009 vorgestellt wurde, hat sich die SPD diese Forderung zueigen gemacht. Entscheidend für den Erfolg eines solchen Registers wird es sein, nicht der Versuchung zu unterliegen, sämtliche Erscheinungsformen des Lobbyismus inklusive aller Kontaktversuche in größtmöglichem Detail offenlegen zu wollen. Zentraler Bestandteil sollte hingegen eine allgemeine Registrierungspflicht mit Angaben zu Auftraggebern und finanziellen Rahmenbedingungen sein. Diese Registrierungspflicht könnte sowohl für Personen als auch für Organisationen gelten, die der Vertretung von Interessen gegenüber dem Bundestag und den Bundesbehörden als eindeutig definierte Tätigkeit nachgehen. Beim Bundestag könnte die Stelle eines Beauftragten eingerichtet werden, der die Daten verwaltet und fortlaufend der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Sicher wäre ein solches Register kein Allheilmittel, das unzulässige Formen der Einflussnahme per se verhindern kann. Auch schafft ein Lobbyregister noch keinen Ausgleich von Machtungleichgewichten, beispielsweise zwischen Wirtschaftsvertretern und Repräsentanten aus Verbraucher- oder Umweltschutzverbänden. Dies ist aber auch gar nicht seine Aufgabe, denn das Auswählen und Abwägen von Informationen muss den gewählten Mandatsträgern und der Ministerialbürokratie überlassen bleiben. Ein Lobbyregister würde jedoch die Transparenz demokratischer Entscheidungsfindung erhöhen und dadurch auch eine wichtige Voraussetzung für eine wachsame Öffentlichkeit darstellen. Gerade weil Lobbying dem Blick der Öffentlichkeit weitgehend entzogen ist, sollten Interessenvertreter künftig höheren Transparenzerfordernissen unterliegen.
Für den Erfolg des Lobbyregisters wäre es wichtig, Verstöße gegen die Registrierungspflicht wirkungsvoll zu ahnden, etwa mittels empfindlicher Geldbußen für unvollständige oder wahrheitswidrige Angaben. Ergänzt werden könnte die Registrierungspflicht durch einen Verhaltenskodex, der Interessenvertreter auf die Einhaltung von Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität festlegt. Die Kontrolle und Sanktionierung dieses Kodex" könnte einem Organ der freiwilligen Selbstkontrolle überlassen werden. Ein dritter Bestandteil einer gesetzlichen Regelung schließlich könnte eine Karenzzeit für Mitglieder der Bundesregierung und für Parlamentarische Staatssekretäre sein, die der Regelung für Bundesbeamte entspricht. Wenn diese aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden, müssen sie ihrem Dienstherrn fünf Jahre lang anzeigen, wo sie arbeiten. Ist die neue Tätigkeit im gleichen Bereich angesiedelt wie die vorangegangene Aufgabe, hat der Dienstherr dies zu untersagen.
Die organisierte Vertretung von Interessen gegenüber staatlichen Institutionen ist eine Form der Mitwirkung an der politischen Willensbildung und der Gesetzgebung, die derzeit nicht durch Gesetze geregelt ist und durch Gesetze wohl auch nicht ausreichend geregelt werden kann. Dennoch sollte sich der Gesetzgeber nicht davon abhalten lassen, Interessenvertreter gesetzlichen Transparenzverpflichtungen zu unterwerfen und dadurch dem Prinzip der Öffentlichkeit parlamentarischer Prozesse umfassender Geltung zu verschaffen als bisher.