Die Innovation und ihre Feinde
Zwischen der deutschen Regierung, der deutschen Industrie und der EU tobt derzeit eine heftige Debatte über die Einführung von Strafzöllen auf chinesische Solarmodule in Höhe von 47 Prozent. In naivem Schulterschluss mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang beteuern Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Philipp Rösler, eine solche Form von Protektionismus sei nicht im Interesse unserer Wirtschaft. Das Pikante daran: Es war das Versagen der Innovationspolitik der Bundesregierung selbst, das diesen protektionistischen Vorstoß der EU überhaupt erst provoziert hat.
Denn die verhängnisvolle Laissez-faire-Innovationspolitik von Schwarz-Gelb hat die deutsche Solarindustrie förmlich hinweggefegt: Den Insolvenzen von Solon und Solar Millenium im Jahr 2011 folgten Scheuten Solar, Solarhybrid, Centrotherm und Odersun, ein Jahr später schließlich Q-Cells, der einstmals größte Solarmodulhersteller der Welt. Auch Bosch und Siemens zogen sich kürzlich aus dem solaren Geschäft zurück. Und selbst der letzte deutsche „Gigant“ der Branche, Solarworld, wackelt. Nach dem Niederkonkurrieren folgte der zweite Akt: Chinesische Unternehmen kauften insolvente wie intakte deutsche Solarfirmen teilweise oder vollständig auf, um sich wertvolles Know-how, Patente, Technologie und Vertriebsstrukturen zu sichern.
Innovationspolitik bedeutet, die gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen so zu koordinieren, dass Innovationen gefördert werden. Das Versagen der Regierung betrifft genau diese Koordinierung: Obwohl aufgrund der gewaltigen Insolvenz- und Ausverkaufswelle in der deutschen Solarbranche längst alle Alarmsignale auf Rot standen, wurde der offensichtliche innovationspolitische „Konstruktionsfehler“ der hiesigen Solarförderung nie korrigiert. Dieser Fehler bestand darin, dass die einseitig umwelt-politisch konzipierte Agenda zum Solarausbau in den Bereichen Wirtschaft, Forschung und Verbraucherschutz unzureichende oder falsche Anreize setzte.
Zum Beispiel war es falsch, die Förderung uneingeschränkt für chinesische Lieferanten zu öffnen, obwohl umgekehrt der chinesische Markt für deutsche Solarprodukte geschlossen ist: Da Deutschland den Solarausbau förderte wie kein anderes Land, war es nicht zuletzt unsere Nachfrage, die enorme globale Überkapazitäten schaffte. Diese trieben letztlich den extremen Preisverfall voran, an dem die deutschen Modulhersteller scheiterten. Anfang 2012 überstiegen die in Deutschland pro installierter Solaranlage (für jeweils 20 Jahre) eingegangenen Förderverpflichtungen die 100-Milliarden-Euro-Marke, doch 80 bis 90 Prozent der in Deutschland und Europa installierten Solarmodule kamen da bereits aus China. Millionen deutscher Haushalte müssen also gut betuchten Häuslebauern mit Solarzellen auf dem Dach ihren qua EEG-Umlage verteuerten Strom abkaufen. Damit bezahlen sie aber letztlich die chinesischen Firmen, die die deutsche Solarindustrie gerade niederkonkurriert haben.
Merkels Position ist folglich ebenso naiv wie zynisch. Sie ist zynisch, weil die geplante EU-Regelung nichts anderes ist als eine verspätete Korrektur der verfehlten „Innovationspolitik“ der Bundesregierung. Und sie ist naiv, weil wir uns ohnehin seit Jahren in einem Handelskrieg mit China befinden, der gekennzeichnet ist von Währungsmanipulation, erzwungenen Joint Ventures, Subventionen, der Ablehnung internationaler Industriestandards und dem schlichten Diebstahl von Technologien – um nur einige WTO-widrige Maßnahmen zu nennen. Selbst wenn einige chinesische Solarfirmen erfolgreicher bei der Verbilligung des Herstellungsprozesses waren, lagen ihre entscheidenden Wettbewerbsvorteile in der Unterbewertung des Yuan sowie in Subventionen und billigen Krediten. Um den weltweiten Markt zu dominieren, verkaufen die Chinesen ihre Produkte qua Staatshilfen faktisch unter den Herstellungskosten.
Schwarz-Gelb sah dem Desaster tatenlos zu
Vor allem aber ist der Bundesregierung vorzuwerfen, dass sie keine wirksamen Gegenmaßnahmen gegen die hiesige Entwicklung ergriffen hat. Der Zusammenbruch der deutschen Solarindustrie hätte sich nämlich durchaus verhindern lassen. Um nur drei mögliche Maßnahmen zu nennen:
Erstens hätten industrielle Joint Ventures und Public Private Partnerships gefördert werden können, um bei der Prozess- und Produktinnovation mittelfristig wieder die Nase vorn zu haben. Allein die Förderung einiger großer statt vieler kleiner Herstellungsanlagen hätte entscheidende Effizienzgewinne erzeugt.
Zweitens könnte man Subventionen und die Einspeisevergütung an den Kauf von Solarmodulen „Made in Germany“ binden. Schließlich gibt es keine Rechtfertigung dafür, dass deutsche Privathaushalte und Steuerzahler chinesische Produkte subventionieren.
Drittens hätten hohe Qualitätsstandards deutschen Solaranbietern einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft: Die enorme Verbilligung führte zu so starken Qualitätsverlusten, dass ein großer Teil der chinesischen Solarmodule Wegwerfprodukte und keine Investition für Jahrzehnte sind. Auch hätten Deutschland und die EU gemeinsam mit den USA und Japan auf Ebene der WTO gegen die illegalen Währungsmanipulationen, Subventionen und Einfuhrbeschränkungen Chinas vorgehen können.
Es ist ein schwerer Fehler, eine so entscheidende Zukunftsbranche wie die Solarindustrie zugrunde gehen zu lassen. Obwohl hierzulande 33 der angestrebten 52 Gigawatt Leistung bereits installiert sind, bietet der globale Markt mit einem erwarteten Umsatz von einer Billion Dollar über die laufende Dekade ein riesiges Potenzial. Oft wird als Gegenargument angeführt, die hiesige Solarindustrie sei nicht konkurrenzfähig und ertragreich genug, außerdem sei die Solarzelle mittlerweile zu einer wenig innovativen Massenware verkommen. Doch dieses Argument ist falsch. Es mag zum Teil für die herkömmlichen Solarmodule gelten. Aber Verfahren zur effizienteren Herstellung, neue Technologien, Zuliefersparten und Energieinfrastrukturen wie Solarparks oder eMobility sind Branchen mit hohem Umsatz- und Innovationspotenzial. Dieses Potenzial können wir nur ausschöpfen, wenn wir alle wichtigen Komponenten der solaren Wertschöpfungsketten in Deutschland behalten.
Deshalb ist auch die Behauptung, die größten Gewinne seien nicht mit der Produktion, sondern mit der Installation und Wartung von Solarmodulen zu machen, kein ernstes Argument dafür, die deutschen Produzenten aufzugeben. Das große Interesse der Asiaten am deutschen solaren Mittelstand ist der direkte Beweis seines Wertes. Auch das neoklassische Argument, Billigimporte brächten einen Vorteil für die Kunden, ist spätestens seit der Finanzkrise überholt. Vielmehr hat die Krise gezeigt, wie existenziell wichtig der Erhalt einheimischer industrieller Produktion ist. Die meisten Konsumenten sind eben auch Produzenten – und als solche auf hiesige Arbeitsplätze angewiesen.
Wie aber sollte sich die SPD zu den geplanten EU-Schutzzöllen verhalten? Einerseits könnten diese China in die Schranken weisen. Gemeinsam mit den amerikanischen Schutzzöllen wären sie durchsetzbar, ohne einen intensivierten Handelskrieg heraufzubeschwören. Sie würden chinesische Produkte nicht ausschließen, sondern nur deren Preise an die der europäischen Konkurrenz angleichen. Andererseits kommen Schutzzölle aber zu spät, denn der Großteil der deutschen Modulhersteller ist bereits insolvent. Und zweifellos stellen sie eine offene Aggression dar, ohne das eigentliche Problem zu lösen. Auch deshalb wäre es der sozialdemokratischen „Wirtschaftskompetenz“ eher abträglich, würde sich die Partei für Schutzzölle aussprechen.
Innovation und eigene industrielle Stärke
Stattdessen sollte die SPD den Fokus darauf legen, die zerstörerische „Innovationspolitik“ der Regierung Merkel/Rösler zu kritisieren. Parallel kommt es darauf an, eine eigene Strategie zur Wiederbelebung der deutschen Solarindustrie und zum Schutz von deutschem Know-how zu entwickeln. Grundsätzlich sollte das Problembewusstsein für die von China ausgehende Gefahr und die Abhängigkeit Deutschlands vom Export im Wahlkampf erhöht werden: Nur mit rot-grünen Strategien zur Förderung der Binnennachfrage (zum Beispiel durch einen Mindestlohn sowie durch Lohngleichheit für Frauen und Männer, Leiharbeiter und Festangestellte) gibt es eine bessere Zukunftsperspektive für Innovation und Ressourcensicherung. Auch die Erhöhung des – von der jetzigen Bundesregierung beschnittenen – Budgets der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist Bestandteil dieser Strategie. Ohne den freien Welthandel einzuschränken kann Rot-Grün – und nur Rot-Grün – die deutsche „Suche nach Sicherheit“ (Eckart Conze) durch eine Politik bedienen, die gleichermaßen auf Innovation und eigene industrielle Stärke setzt.
Die Zeit der geschlossenen Ideologien ist vorbei. Die neoliberale Ökonomie der Bundesregierung wird eine wettbewerbstaugliche Wirtschaftspolitik ebenso wenig hervorbringen wie der Protektionismus. Statt uns auf solche empirisch wackligen intellektuellen Krücken zu stützen, müssen wir von unseren chinesischen Meistern lernen und eine ideologiefreie und evidenzbasierte gemischte Strategie verfolgen. Dies bedeutet, dass wir das Angebot einer privilegierten Partnerschaft mit China annehmen sollten, ohne uns in Abhängigkeit zu begeben und ausnehmen zu lassen. Die deutsche Position als größter und technologisch fortschrittlichster Handelspartner Chinas, der – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und Japan – unmilitärisch und politisch neutral ist, erfordert eine bedachte Vorgehensweise.
Der chinesische Militärstratege Sunzi schrieb vor zweieinhalbtausend Jahren: „Ziehe ohne eine wirksame Strategie in den bewaffneten Kampf und Du wirst Dich selbst in der Schlacht vernichten.“ Auf genau diesem fatalen Pfad wandelt die Regierung Merkel/Rösler. Es ist an der Zeit, dies offensiv zu kritisieren und Schwarz-Gelb eine sozialdemokratische Innovationspolitik entgegenzustellen, die unser Wissenschafts- und Innovationssystem leistungsfähiger und unsere Wirtschaft weniger export-abhängig macht.