Die Latzhose war notwendig
Mit dem Bekenntnis, Feministin zu sein, löse ich in der Regel keine Jubelstürme aus. Das mag daher kommen, dass eine Feministin von vielen mit einer Latzhose tragenden, freudlosen, sexualitätsverweigernden Frau gleichgesetzt wird – einer Spaßverderberin eben. Übersehen wird dabei meist, dass Feministinnen und Feministen genau so vielfältig waren und sind, wie die Fronten, an denen sie kämpfen. Wer sie über einen Kamm schert, wird weder der Vergangenheit noch der Gegenwart gerecht. Was Feministinnen und Feministen verbindet, ist ihr Kampf für eine Gesellschaft, die Menschen nicht über ihr Geschlecht definiert, sondern in der jede und jeder das Recht hat, den eigenen Lebensentwurf selbstbestimmt zu verfolgen – und auch die Chance bekommt, diesen Entwurf zu verwirklichen. Dies war und ist das Ziel all jener Menschen, die sich dem Feminismus verpflichtet fühlen – ob in Latzhose, als kinderlose Vorstandsvorsitzende oder als Ehemann; ein Ziel, dem eigentlich niemand widersprechen kann, ohne sich heimlich einzugestehen, dass er vom Status quo profitiert. Die verschiedenen Varianten des Feminismus’ unterscheiden sich allein darin, wie dieses Ziel erreicht werden soll.
Die drei Wellen der Emanzipation
Die Emanzipation der Frau ist eine der wichtigsten sozialen Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts und lässt sich – der Vielfalt der Akteurinnen und Akteure zum Trotz – historisch in drei Wellen einteilen. Auf diese möchte ich hier kurz eingehen, um deutlich zu machen, wie wichtig, richtig und konsequent die Frauenbewegung war und heute noch ist.
Das geistige Fundament der Frauenbewegung in der westlichen Gesellschaft war die Aufklärung – ein Prozess, der mit der Industrialisierung und der Emanzipation des Bürgertums einsetzte. In Frankreich begann sich die Frauenrechtsbewegung 1789 mit der Französischen Revolution zu organisieren; die Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten entstand im Zuge der Sklavenbefreiung. In Deutschland trug vor allem die Revolution von 1848 zum Emanzipationsstreben von Frauen bei. Die erste Organisation von Frauenrechtlerinnen gründete sich im Oktober 1865, als die Schriftstellerin Louise Otto-Peters zu einer Versammlung in Leipzig aufrief; das Ergebnis war die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) – fast ausschließlich eine Vereinigung der Mittel- und Oberschicht. Zum Ende des 19. Jahrhunderts organisierten sich auch die Frauen des Proletariats stärker, blieben aber eng mit der Arbeiterbewegung verbunden.
Die mit der Revolution neu errungenen Rechte, die nur für Männer galten, forderten Frauen von Anfang an auch für sich. Die Mehrheit der Aktivistinnen ging zwar von einer natürlichen Ungleichheit der Geschlechter aus (Differenzfeminismus), verband damit aber keinerlei natürlichen Herrschaftsanspruch des Mannes. Neben gleichen staatsbürgerlichen Rechten forderten sie deshalb das Recht auf Bildung, Erwerbsarbeit sowie das Recht auf freie Berufswahl auch für sich ein.
Hier Gemüt und Emotion, da Verstand und Vernunft
Die Frauenbewegung entstand parallel zu einer sich immer stärker herausbildenden Kultur der qualitativen Unterscheidung von Männlichkeit und Weiblichkeit – die auch heute noch virulent ist. In der bis dahin maßgeblich agrarisch geprägten Gesellschaft waren Ehen im Wesentlichen Zweckgemeinschaften. Die Familie bedeutete eine Produktionseinheit, in der jedes Mitglied auf die Mitarbeit des anderen angewiesen war. Erst die Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ermöglichten neue Formen der familiären Organisation. Frauen wohlhabender Männer waren nicht mehr gezwungen zu arbeiten. Stattdessen wurde ihre Rolle als Ehefrau und Mutter stilisiert. Als Sphäre der Frau galten nun Gemüt und Emotion, als Sphäre des Mannes Vernunft und Verstand.
Die starke Hierarchisierung der Geschlechter ist das Produkt der aufkommenden Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit anhand des Geschlechts. Frauen zu bilden hieß allein, sie auf die Aufgaben vorzubereiten, die sie im bürgerlichen Haushalt erfüllen sollten. Die weiblichen Kinder der Arbeiterschaft hatten ohnehin nicht viel zu verlieren, schließlich war die Ausbildung des Proletariats kaum der Rede wert. Einzig der Beruf der Lehrerin stand bürgerlichen Frauen offen – allerdings nur, wenn sie unverheiratet waren. Für Unverheiratete existierten keine Alternativen, in der Regel waren sie auf das Wohlwollen eines verwandten Mannes angewiesen. Karitatives Engagement war für diese Frauen die einzige Möglichkeit, um gesellschaftlich zu gestalten – auch dies war nur ein Luxus der Oberschicht.
Das Proletariat blieb von der hierarchischen Geschlechtertrennung nicht unberührt: Frauen waren für den Haushalt zuständig und gleichzeitig zunehmend in den Industrien beschäftigt. Die Geschichte der so genannten Doppelbelastung nimmt spätestens hier ihren Anfang. Die Frauenrechtlerinnnen der Arbeiterklasse mussten also an zwei Fronten kämpfen: im Kampf um die Befreiung der Frau und im Klassenkampf an der Seite einer misogynen Arbeiterbewegung.
Der Erste Weltkrieg als Emanzipationsmotor
Die Aktivität des bürgerlichen ADF und anderer Frauenvereine stieß ebenfalls auf Widerstand in den eigenen Reihen. Sie wurde durch explizite Verbote immer wieder eingeschränkt – zum Beispiel durch das Verbot für Frauen, politische Zeitungen zu leiten. Frauen einen Zugang zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen war das Anliegen vieler Vereine – nicht nur zum Wohle der Frauen der Mittelschicht, sondern auch im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung wurde zum Kernelement der Frauenemanzipationsbewegung – durchaus im Interesse der Wirtschaft, um der billigeren Arbeitskraft willen. Einige wenige Berufe wurden schrittweise zum Ende des 19. Jahrhunderts für Frauen geöffnet. Aber erst der Erste Weltkrieg brachte einen wirklichen Fortschritt: Nachdem sie ihre in den Krieg gezogenen Männer erst einmal ersetzt hatten, wollten Frauen ihre Posten schlichtweg nicht mehr aufgeben. Und schließlich wurde für die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung von 1919 das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt.
Rund 50 Jahre nachdem sich die ersten Frauen organisiert hatten, um für dieses Recht einzutreten, durften Frauen in Deutschland also erstmals wählen und gewählt werden. Und es sollte noch einmal 64 Jahre dauern, bis erneut – wie 1919 – 9,6 Prozent Frauen ins Parlament gewählt wurden. Denn die konservative Politik der Weimarer Republik brachte keine weiteren Fortschritte zur politischen Emanzipation der Frau. Dennoch bildete sich in den Großstädten allmählich eine Kultur der „modernen Frau“ heraus, die es Frauen ermöglichte, privat wie öffentlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Vollständig zum Erliegen kam die Frauenbewegung gezwungenermaßen in den Jahren des Nationalsozialismus. Erst nach dem Krieg entstanden im Zuge der Bürgerrechts- und Anti-Vietnamkriegs-Bewegung die ersten Impulse einer neuen Frauenbewegung, die in Westeuropa und speziell im Nachkriegsdeutschland auf ein sehr konservatives Frauenbild traf. Diese so genannte Zweite Welle war im Gegensatz zur Ersten Welle vom Gleichheitsgedanken bestimmt. Dennoch setzte sich allmählich der Differenzfeminismus wieder durch, die Abgrenzung der Geschlechter wurde erneut forciert – nicht nur von radikalen Feministinnen. Auch wenn es in Artikel 3 des Grundgesetzes seit Mai 1949 heißt „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, mussten noch viele Rechte erkämpft werden – besonders in der Ehe. Bis 1958 hatte der Ehemann das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kinder. Erst 1977 durfte die Ehefrau ihre berufliche Situation selbst bestimmen. Noch bis 1962 war es Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes nicht gestattet, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Selbst wenn der Ehemann seiner Frau erlaubte zu arbeiten, besaß er das Recht, ihren Lohn zu verwalten. Noch Ende des 20. Jahrhunderts galten Vergewaltigungen innerhalb der Ehe als Schande allein für die Frau, und erst seit 1997 ist Vergewaltigung innerhalb einer Ehe überhaupt strafbar!
Abschied von der Opferrolle
Neben der Forderung, Artikel 3 des Grundgesetzes zu verwirklichen, setzte sich die neue Frauenbewegung für die Selbstbestimmung der Frau ein: über den eigenen Körper, die eigene Sexualität, das eigene Leben, die eigene Sprache. Im Zentrum der Auseinandersetzung standen neben dem Abtreibungsparagraphen und der Straffreiheit der Abtreibung die psychologische Befreiung vom Mann sowie die Bildung einer weiblichen Gegenkultur, die das Selbstbewusstsein der Frauen seither prägt. Träger dieser zweiten Bewegung waren autonome Organisationen, in der Regel kämpften Frauen für Frauen. In diese Zeit gehört auch das Bild der Feministin in Latzhose, die sich gegen die Männer abgrenzt und eine aktive Frauenpolitik fordert. Diese Extreme waren notwendig, um Veränderung zu erreichen, denn Fortschritt braucht Utopien. Aber auch die Latzhosen-Frau war nur ein Teil der gesamten Bewegung. Diese war weitaus bunter, als die Geschichtsbücher sie abbilden.
Seit den neunziger Jahren wird die Frauenbewegung von einer stark institutionalisierten Frauenpolitik auf der einen und durch zahlreiche unabhängige Frauenprojekte auf der anderen Seite geprägt. Diese „Dritte Welle“ der Frauenbewegung hat sich von der Opferrolle verabschiedet, ist vielfältig und höchst heterogen. Das Kollektivsubjekt Frau hat sich ausdifferenziert, neben dem Geschlecht wurden neue Diskriminierungsmerkmale ausgemacht – etwa Hautfarbe oder Sexualität. Die Kategorie „Gender“ hat sich durchgesetzt und steht für einen Geschlechterbegriff, der soziale, kulturelle, politische und biologische Komponenten umfasst, die historisch kontingent sind und stetig neu definiert werden können. Im Anschluss an die dekonstruktivistischen Arbeiten Judith Butlers steht das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit immer mehr in der Kritik. Niemals zuvor war die thematische Vielfalt größer, niemals waren die Aktionen, Projekte, Texte, Protagonistinnen und Protagonisten so vielfältig.
Doch bei aller Ausdifferenzierung steht der Feminismus heute für den gemeinsamen Willen zur Veränderung und den Widerstand gegen Marginalisierung, Ausbeutung, Gewalt und Hierarchisierung – egal welchen Geschlechts. Im Vordergrund steht immer der Anspruch, geschlechtsbezogene Ungerechtigkeiten zu beseitigen – in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Frauenbewegung mag vielleicht nicht mehr so sichtbar sein wie früher, weil es das Kollektivsubjekt Frau – zum Glück! – nicht mehr gibt. Trotzdem gehen die Kämpfe weiter. Solange wir etwa bei der Bezeichnung „Geschäftsführer“ nicht automatisch auch eine Frau vor Augen haben, so lange werde ich als Feministin die wenn auch komplizierte Schreibweise „GeschäftsführerIn“ benutzen – damit vor dem inneren Auge zumindest kurz eine weibliche Person erscheint.
A Luta continua
Das zeigt: Die soziale Bewegung muss weitergehen, weil das bis heute Erreichte keine Selbstverständlichkeit ist, sondern das Ergebnis eines Kampfes starker Frauen um gleichberechtigte Teilhabe für die Mehrheit der Bevölkerung. Ein Kampf mit einer langen und bunten Geschichte – einer Geschichte mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.«