Die Unionsfamilie im Enkelkampf

Verblüffende Parallelen: Vor 15 Jahren übernahmen Brandts Enkel die Macht in der SPD. Ganz wie damals rangelt heute der Nachwuchs um die Pole Position - bei der Konkurrenz. Keiner hat dabei so große Chancen wie Roland Koch

In diesem Jahr feiert die Bundesrepublik ihren 54. Geburtstag. Die Pensionierung der Gründungskinder der Republik, jener späten 1940er-Generation also, die um 1968 ihre Sturm- und Drangphase erlebte, rückt unaufhaltsam näher. Der biologische Zenit ist überschritten, letzte Mittlebenskrisen werden schleichend durch Altersweisheit oder -starrsinn ersetzt. Es ist die Zeit gekommen, da man den Kindern allmählich das Feld überlassen muss und sich auf Enkel zu freuen beginnt.


Denn Enkelkinder bringen Vorteile: Zunächst fallen ebenso mühselige wie notwendige Disziplinierungsaufgaben nicht mehr in die eigene Verantwortung. Dafür lässt sich bei den frischen Stammhaltern nachholen, was beim ersten Versuch der Wertevermittlung misslang. Es ist die letzte Chance, der Familie mit Hilfe der - leicht bestechlichen - jungen Verbündeten einen bleibenden, die Generationen überdauernden Stempel aufzudrücken. Leidtragende dieses Schulterschlusses sind die in die Zange genommenen Eltern, die an zwei Fronten sich selbst und die Gesamtgestaltung des Familienbetriebes verteidigen müssen, für welchen sie qua Alter die Verantwortung innehaben. Je dominanter und schillernder der Großvater, desto schwerer fällt es dem Vater den vakant gewordenen Platz adäquat auszufüllen und den Sohn davon abzuhalten, früh ererbtes Terrain einzunehmen.


Auch Parteien ähneln diesem Muster. Wie Familien sind sie zur ständigen Reproduktion gezwungen. Wie Familien müssen sie das Übernommene um je Neues ergänzen. Und wie in Familien gibt es in Parteien generationenüberspringende Allianzen. Der Wunsch der Alten, einen bleibenden Eintrag in Familienchronik oder Parteigeschichte zu hinterlassen, trifft auf die Bereitschaft der Jungen, sich in der Auseinandersetzung mit den momentan mächtigen Mittelalten unterstützen zu lassen. Allerdings unterscheiden sich parteipolitische und biologische Fortpflanzung in einem wichtigen Punkt: Meist nämlich ist erst das finale Scheitern der dominanten Generation Auslöser für eine Blutauffrischung. Charismatische, langlebige Parteipatrone verpassen in der Regel den geeigneten Zeitpunkt zum Emeritieren. Ihr zur Machtkonzentration notwendiges Geltungsbewusstsein macht sie unfähig, rechtzeitig geeignete Nachfolger aufzubauen. Überaltert und abgewählt hinterlassen sie der Partei außer der Erinnerung an bessere Tage vor allem verbrannte Erde. Sofern Epigonen oder Kronprinzen vorhanden sind, müssen diese nun erst einmal Kärrnerarbeit verrichten und können sich dabei nur selten aus dem übermächtigen Schatten des Vorgängers befreien. Eine undankbare No-win-Situation: Auf die Enkel von Barzel, Vogel oder Schäuble wird man vergeblich warten.

Das Verfallsdatum der SPD-Enkel rückt näher

Anders lag einst der Fall Willy Brandt, der eine ganze Schar von Enkeln hervorbrachte. Doch es war abzusehen, dass nur einer von diesen das Erbe antreten würde. Brandts Interpretation der eigenen Partei wirkte über seinen Tod hinaus - für die SPD, aber auch für die allgemeine Chronologisierung bundesrepublikanischer Parteien. Gerade rund 30 Jahre Altersunterschied lagen zwischen ihm und den erkorenen Enkeln. Der Zeitraum, in dem eine parteipolitische Generation die innerparteiliche Hegemonie besitzt, variiert in Abhängigkeit von ihrem Erfolg. Im Schnitt scheint die Phase aber auf 15 Jahre beschränkt zu sein. Etwa diese Zeitspanne ist vergangen, seit die Enkel Brandts die Führerschaft in der SPD übernommen haben.


Und nun, da das Verfallsdatum des letzten verbliebenen Enkels näher rückt, trifft die Partei das altbekannte Nachwuchsproblem. Wie die SPD von morgen aussieht und wer sie verkörpern soll, ist unklar. Die Partei wird kaum durch 1950 bis 1960 geborene Spitzenpolitiker vertreten. Man muss schon etwas suchen, um mit Edelgard Bulmahn, Olaf Scholz, Klaus Wowereit oder Matthias Platzeck wenigstens eine Hand voll wichtige Amtsträger dieser Jahrgänge zu finden. Was der künftigen SPD-Elite damit fehlen wird, ist die prägende Erfahrung eines kollektiven Aufstiegs durch die Instanzen von Partei und Gesellschaft. Es ist keine sich selbst antreibende und zugleich stützende Gruppe zu erkennen, die gemeinsam oder gegeneinander nach oben kommen wird. Die nächste SPD-Führung wird die interimistische Nachlassverwaltung Schröders besorgen.

Das große Jahrzehnt der Jungen Union

Nicht so bei der CDU. Sie muss sich bei der Besetzung politischer Spitzenämter in den nächsten 15 Jahren keine Sorgen machen. In ihren Reihen befinden sich mehr machterfahrene und -orientierte Politiker der Jahrgänge 1955 bis 1960 als in jeder anderen deutschen Partei. Nur die Grünen können mit Renate Künast, Fritz Kuhn, Claudia Roth und Jürgen Trittin, die allesamt Jahrgang 1954 oder 1955 sind, eine ähnlich stattliche Repräsentanzdichte dieser Altersgruppe aufweisen. Diese grünen Politiker verkörpern jene Protestbewegung aus der Mitte der siebziger Jahre, welche die Partei überhaupt erst hervorbrachte; sie sind die Gründungsjugend der Grünen.


Die Siebziger waren aber vor allem auch das große Jahrzehnt der Jungen Union sowie der damals neu gegründeten Schüler-Union. Die CDU-Jugendorganisationen konnten ihre Mitgliederzahl trotz erstmaliger bundespolitischer Oppositionszeit fast verdreifachen und so zum größten politischen Jugendverband jenes Jahrzehnts avancieren. Jetzt, 30 Jahre später, kann die CDU die späten Früchte dieser Blütezeit ernten. Die Schüler von damals, die die bürgerliche Antwort auf 1968 möglich machten, bescheren der Partei heute gute Perspektiven. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die stärkste JU-Generation, die es je gab, die Macht der Mutterpartei komplett an sich reißen wird. Schon jetzt erlebt die CDU die schleichende Machtübernahme ihres ehemaligen Jugendcorps.


Die Siege von Roland Koch und Christian Wulff am 2. Februar waren die bislang größten Triumphe zweier maßgeblicher Vertreter dieser Parteigeneration. Andere westdeutsche CDU-Wahlgewinner wie Peter Müller und Ole von Beust, aber auch Friedrich Merz und Christoph Böhr weisen kongruente Lebens- und Karriereetappen auf: Als Kohl an die Macht kam, waren sie alle Mitte zwanzig, ausgebildete Juristen, meist frisch vermählt, und stellten die Führungselite des CDU-Jugendverbandes. Und so stringent gingen die Karrieren dann auch weiter: Rasch wurden sie, nachdem landespolitische Väter in Vorgängerregierungen oder nach Wahlschlappen verschlissen waren, 1993 oder 1994 Fraktionsvorsitzende und bald schon auf - zunächst aussichtslose - Kandidatenposten gehievt.

Zu diesem Zeitpunkt, im Spätherbst der Ära Kohl, machten sie erstmals unter dem Titel "Junge Wilde" geschlossen auf sich aufmerksam. Ihre große Stunde schlug dann ausgerechnet beim erneuten CDU-Machtverlust 1998. Mit dem Regierungswechsel rückten sie nicht nur ins Präsidium der Bundespartei ein. Ihnen standen nun auch nicht mehr überlebensgroße Kontrahenten wie Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Joseph Fischer gegenüber. Als die CDU neue Landesspitzen finden musste, hatten sich die "Oppositionsführerlein" (Joseph Fischer) bereits eingearbeitet und profiliert. Und schon wenige Protestwahlen gegen Rot-Grün später mauserten sich die Jungen bereits zum tonangebenden Parteiestablishment sowie zu scharfen Widersachern der politischen Konkurrenz.

Mit Loyalität darf Angela Merkel nicht rechnen

Vieles dabei erinnert an den "Tanz der SPD-Enkel" (Franz Walter) vor 15 Jahren, aber auch an die Unionsjahre unter Barzel vor 30 Jahren: Nach dem Machtverlust auf Bundesebene arbeitet sich eine vom eigenen, antizyklischen Erfolg beflügelte Schar junger Landesfürsten mehr oder weniger unverhohlen am eigenen Parteichef ab und kann so auf nationaler Ebene Reputation erlangen. Eine schwache Parteispitze ist geradezu die notwendige Bedingung dafür, dass die angry young men vom Lande sich erfolgreich von dieser absetzen, Kreatives einbringen, als Nachwuchshoffnungen gelten können.


Daraus ergibt sich das machtpolitische Defizit der aktuellen Parteichefin der CDU. Es besteht darin, dass sie genau diesem jungen Männerbündnis keine vergleichbaren, kontinuierlich gewachsenen Loyalitäten entgegenstellen kann. Obgleich in der Wahl von Angela Merkel und Hildegard Müller an die Spitze von CDU und JU und dem gemeinsamen Machtzentrum "Girlscamp" ein Kontrast zur klüngelhaft patriarchischen Parteigestaltung zu erkennen ist, wirkt Merkel isoliert. Auch dass sie die bundespolitisch wenig ambitionierte Ost-Parteiprominenz nicht klar hinter sich fraktionieren kann, weist auf eine für Parteifamilien nicht ungefährliche Unverbindlichkeit hin. Und: Der hausmachtslosen Merkel fehlt der Segen des Partei-Großvaters, mit dem sie einst stellvertretend für die Union gebrochen hatte. Zwar war das eine notwendige emanzipatorische Leistung, es verbaut der 1954 Geborenen allerdings die Möglichkeit, sich in die historische Traditionslinie Kohls zu stellen.


Tatsächlich weist die gegenwärtige Konstellation der CDU verblüffende Parallelen zur Enkelära der SPD auf. Zwar gab Helmut Kohl den etwa 30 Jahre jüngeren Hoffnungsträgern keinen expliziten, kollektiv-großväterlichen Geleitschutz à la Brandt. Wohl aber betrachtete er den Nachwuchs insgesamt mit Wohlgefallen. Kohls zwei CDU-Generationen mit in den Abgrund reißendes Ende tat ein Übriges: Es kam den Jungen zupass, denn da sie im Grunde alles andere als wild oder gar rebellisch waren, hätten sie sich vermutlich noch lange der herrschenden Parteiriege untergeordnet. Das Autoritäts- und Machtvakuum, das sich 1998 in der CDU auftat, ließ kaum einen anderen Ausweg zu als den Jugend-Stil, da selbst die politischen Väter zu sehr in das abgewirtschaftete System involviert waren, als dass sie glaubhaft und energievoll einen Neubeginn hätten verkörpern können.

Gesucht wird der potenteste Erbe Kohls

Und jetzt gilt es! Ab sofort stehen die ehemals jungen Wilden unter Beweispflicht. Sie haben mit teils historischen Siegen der SPD langjährige Hochburgen entrissen. Sie können in ihrer Sattelphase via Bundesrat Blockade oder Konstruktivismus üben. Sie können gemeinsam, gleichsam als reflexiv-generationeller Gegenentwurf, den sprunghaften Achtundsechziger-Ministern Paroli bieten. Sie können den Kampf der siebziger Jahre auf höchster Ebene vereint fortführen. Aber durchsetzen wird sich am Ende nur einer. Spätestens wenn die nächste bundespolitische Ämterdiskussion konkreter wird, beginnt die Auslese. Noch sortiert sich die CDU. Wie offen die Diadochen kämpfen werden, ist unklar, und vorschnell vorpreschen wird keiner. Doch eines ist gewiss: Gesucht wird ein Leitwolf, ein stilprägender Exponent der Anwalt- und Erbengeneration. Gesucht wird der potenteste Erbe Kohls.


Manches deutet darauf hin, dass dies Roland Koch sein wird. Das Anforderungsprofil scheint er zu erfüllen. Koch ist der Reißbrettkandidat der jungen Wilden, er passt am exaktesten ins Schema. Er war schon immer der Schnellsterfolgreichste, der Bestvernetzteste, der Spießbürgerlichste. Der Sohn des ersten hessischen Justizministers Karl-Heinz Koch beginnt 14-jährig politische Ämter zu bekleiden. Er gründet einen eigenen JU-Ortsverband, ist satte fünf Jahre lang Schulsprecher und mit 21 Jahren jüngster Kreisvorsitzender Deutschlands. Da er die Heimat nie verlässt, wird ihm diese zur wichtigsten machtpolitischen Ressource. Fasziniert und sozialisiert vom vorstädtischen, katholischen Parteimilieu verbringt Koch seine Jugend in Gremien und wird, da rhetorisch und taktisch versiert, protegiert. Dabei begleiten ihn JU-Freunde bis an die Spitze nach Wiesbaden. Koch versteht es, von vorgefundenen Strukturen zu profitieren und sie auch gleich zu internalisieren. Der zweifache Familienvater, der regelmäßig mit Ministern und Koalitionspartnern in den Skiurlaub fährt, bastelt seine Karriere im vorpolitischen Raum. Er privatisiert Politisches und politisiert Privates gleichermaßen.

Mit Rekordkrediten in die Lega Süs

Dies und die endlich gestillte Sehnsucht der hessischen CDU nach Regierungsmacht, haben ihm geholfen, die bislang schwerste Prüfung zu bestehen. Bis zu Kochs erstem Wahlsieg kümmerte die Union im "roten Hessen" im Ghetto der Opposition. Doch in den wenigen versprengten Hochburgen entstanden Netzwerke, die in tiefem Misstrauen zum ewig sozialdemokratischen Staat eigene, inoffizielle Wege der Finanz- und Ämtervergabe fanden. Als der bürgerliche Machthüter in der Spendenkrise der CDU unwiderredlich mit diesen Clan- und Klüngelstrukturen konfrontiert wurde, profitierte er von der geschlossenen Unterstützung seines ertappten Landesverbandes und der (dafür heftig kritisierten) FDP. Dass der von FAZ bis taz schon tot gesagte Koch diese Probe letztlich bestand, machte ihn zum Anwärter auf den CDU-Familienthron. Er führte der in dieser Phase zutiefst labilen CDU eine repräsentative öffentliche Methode der Selbsterhaltung vor. Latent reuevoll, vor allem aber mit ungebrochen-trotzigem Selbstbewusstsein verteidigte Koch sich und das Erbe von Kohl, Kanther und Koch (senior). Eine stellvertretende Katharsis-light, die der Frage, wie mit der Parteivergangenheit umzugehen sei, zunächst die Tonart vorgab - und dergleichen Introspektion bald insgesamt von der Agenda strich.


Auch im Verletzen bisheriger Tabus bei Wahlkämpfen oder SPD-Attacken eröffnete erst Kochs Vorpreschen Nachahmern den Raum. Koch statuierte mit seiner Unterschriftenkampagne das Exempel. "Kinder statt Inder" und "Leitkultur" folgten. So wirkte Koch für die Bundespartei nicht nur meinungsbildend, sondern zusehends auch in Machtfragen unumgehbar. Noch bevor er 2002 als heimlicher Kanzlerkandidatenmacher Stoibers fungieren konnte, handelte man ihn bereits als Kandidat für 2006. Dass Koch bei Wählern weder sonderlich beliebt ist, noch als glaubwürdig gilt, reicht seinen Gegnern nicht zur Mobilisierung. Wie erfolgreich er als Ministerpräsident tatsächlich regiert, spielt kaum eine Rolle, solange er es gut suggerieren kann. So verkaufte er den unter seiner Ägide real kaum vorhandenen und im Übrigen mit Rekordkrediten finanzierten Aufschwung als gelungene Angliederung Hessens an Deutschlands erfolgreiche Lega Süd. Der Wahltermin kam ihm dabei gelegen: Sein Sieg gegen Eichel war die erste Antwort der gestürzten Union auf den Machtwechsel von 1998. Mit der schwarzen Annektierung des roten Stammlands hatte die CDU ihr geopolitisches Musterprojekt, eine Gegenprojektionsfläche zu dem in der Krise versinkenden Gesamtstaat.

Symbolische und leibhaftige Familien

Allianzen schmieden, Macht konservieren, gewinnbringende Performance, Unempfindsamkeit bei Verteidigung und Angriff - vielleicht würde Koch all das schon reichen, um sich im Wettkampf mit den anderen durchzusetzen. Aber was den Mann zum wahren Enkel prädestiniert, der selbst als es nicht mehr opportun schien, noch damit kokettierte, "Kohlianer" zu sein, ist recht eigentlich erst seine tiefe Eingewobenheit in die Parteifamilie. Bei Koch wird die Verquickung von Familien- und Parteibündnissen unübersichtlich; hier gehen symbolische und leibhaftige Familien ineinander über. So spielerisch wie Kinder, die in Familienbetrieben aufwachsen und dabei alle Angestellten zwar ein bisschen nerven, aber unheimlich viel vom Laden mitbekommen, erlernte das Einzelkind Roland den Beruf des Vaters. Oft ist die zweite Firmengeneration sogar erfolgreicher, da der Juniorchef irgendwann endlich antiquierte, erfolgshemmende Gründungsaltlasten über Bord werfen kann.

Enthemmte Erben, infantile Politik

Wie Vater Karl-Heinz wurde Roland CDU-Mitglied, Eschborner, Politiker, Jurist, Vater politisch interessierter Söhne, Landtagsabgeordneter und Kabinettsmitglied. Statt Orientierung stiftender Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Lebensstilen setzte er auf die Fortführung geerbter Tradition. Koch trat in die Fußstapfen seines Vaters - und da der Weg schon so schön vorgezeichnet war, machte er gleich noch ein paar Schritte weiter. Dass er erfolgreicher als der Vater und jeder andere hessische CDU-Politiker wurde, zeigt, dass die gekonnte Adaption des vorgefundenen Konservativen als ideale Ressource dienen kann.


Auch andere Töchter und Söhne vornehmlich konservativer Politiker stürmen die Parlamente. Im bayerischen und niedersächsischen Kabinett sitzen Kinder früherer Ministerpräsidenten, auch die Eltern anderer Junger Wilder waren Abgeordnete. Der derzeit mächtigste Politiker der Welt ist in erster Linie ebenfalls Politikersohn. Auffällig ist, dass die Väter größtenteils ernster, präsidialer, honoriger auftraten als die nacheifernden, vom Erfolg verwöhnten Kinder, die mit einem anderen, privateren, unmittelbareren Zugang zu ihrem Beruf kamen. Verändert sich die Qualität von Politik, wenn ihre Akteure als undistanzierte Statthalter, als enthemmte Erben, die das Scheitern der Väter korrigieren wollen, früh Verantwortung übernehmen? Ohne sich den Luxus einer reflektierenden, autonomen Meinungsbildung zu gönnen? Kochs Trommeln im Bundesrat, Merzens verletzte Eitelkeit, George W. Bushs Kriegsrhetorik - die Politik des frühen 21. Jahrhunderts trägt infantile Züge.

Alles läuft auf Koch hinaus - oder doch nicht?

Die psychologische Binse, derzufolge ein Mensch umso erfolgreicher sein könne, je selbstbewusster er auftrete und je weniger er an sich und der Welt zweifle, scheint hier zuzutreffen. Koch besitzt das Bayern-München-Gen. Ihm ist ein tiefer, instinktiver Glauben an sich selbst gegeben. Selbstvertrauen, das ihm Authentizität und Arroganz verleiht, das Zauderer beeindruckt, mitzieht, allgemein imponiert, Neid hervorruft. Sich selbst in Frage zu stellen ist für den nackten Erfolg nur Ballast. Gegen Bökel gnadenlos unterfordert, sehnt Koch sich nach höheren Aufgaben und vermittelt den Eindruck, er könne sich - wie der F.C. Bayern - höchstens noch selber schlagen. Scheitern? Woran denn? Gewiss, sprachlich "vergaloppiert" sich Koch schon dann und wann, aber Macht, die er einmal ergriffen hat, lässt er nicht mehr los. Alles läuft auf Koch hinaus.


Oder vielleicht doch nicht? Die historische Erfahrung zeigt, dass bislang noch niemand in der deutschen Kanzlerkandidatendemokratie ganz nach oben kam, der nicht zuvor lehrreiche Wunden erlitten und konditioniertes Niederlagendenken gelernt hatte. Koch wäre der erste, dem ein so glatter Durchmarsch gelänge. Übrigens: Ein anderer, ebenfalls früh mächtiger Sohn scheiterte in dem Moment, da er die Machenschaften seiner Familie, vor allem aber sich selbst erstmalig voll bewusst erkannte - und, von der eigenen Hybris erschreckt, erblindete. Zunächst war die mangelnde Reflexion Auslöser für Ödipus′ einmaligen Aufstieg, später bereitete sie ihm den vernichtenden Fall.

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