Wie viel Zukunft hat Schwarz-Grün?
Doch auch die Meisterstrategen im Lager der Union und der Grünen haben mindestens subkutan ein Faible für schwarz-grüne Winkelzüge. Das ist ebenfalls gut nachvollziehbar. Denn das Spiel mit den vielen koalitionspolitischen Bällen ist zweifellos das Salz in der Suppe eines lebendigen Parlamentarismus, gehört zu den unabdingbaren Fähigkeiten eines beweglichen Politikers, der eben von Fall zu Fall Freund und Feind gleichermaßen durch überraschende Rochaden verblüffen muss.
Indes dürfen Politiker die koalitionspolitischen Wendigkeiten nie zu weit treiben. Das Publikum schätzt es mehrheitlich nicht, wenn allein taktische Motive die politischen Allianzen bewirken. Und deshalb müssen auch die harten und kühlen Strategen des Partnerwechsels hin und wieder, dabei ganz contre coeur, mit „Werten“, „gemeinsamen Grundüberzeugungen“, „programmatischen Annäherungen“ operieren. Eben so lief das von Anfang an auch in allen schwarz-grünen Debatten. Immer wieder seit nunmehr 16 Jahren war von den Protagonisten einer Kooperation der christlichen Union mit der ökologischen Partei von den wertkonservativen Schnittstellen zwischen den beiden Lagern die Rede.
Grünen gehe es ebenso wie Christdemokraten um die Bewahrung der Schöpfung, um Subsidiarität, um Dezentralität, um die Selbstverantwortung des Individuums, um solide Finanzen, eine intakte Heimat, gesunde Umwelt. Die SPD dagegen sei viel mehr auf das Kollektiv fixiert, auf Staat und Bürokratie, auf hybride Eingriffe in die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des einzelnen Menschen. Diesen Refrain singen seit Jahren die intellektuellen Stichwortgeber des Schwarz-Grünen in der Zeit und zuweilen auch in der FAZ. Ein paar Takte der Melodie stammen auch von Oswald Metzger und Heiner Geißler. Und wenn es ihnen in das machtpolitische Kalkül passt, summen auch einige Landesfürsten der Union zwischen Saarbrücken und Düsseldorf, Erfurt und Hamburg den eingängigen Gassenhauer mit.
Generationenkampf und Ideologiekonflikt
Doch echte Schubkraft für reale schwarz-grüne Bündnisse löste der Kanon von den erhabenen Grundwerten und Philosophien bislang noch nie aus. Der Ausgangsort für schwarz-grüne Annäherungen lag in den letzten eineinhalb Jahren regelmäßig woanders. Auf der einen Seite traten Grüne und CDU überall dort miteinander in Kontakt, wo der Generationenkampf und Ideologiekonflikt der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht ganz so rigide ausgetragen wurde, wo also ein schneidiges deutschnationales Bürgertum ebenso fehlte wie eine militant neomarxistische Jugendsubkultur. Man kann auch sagen: Grüne und Christdemokraten hatten es dort sehr viel leichter miteinander, wo die gemeinsame bürgerliche Lebens- und Erfahrungswelt nicht rigoros kulturkämpferisch zerschnitten war. In Baden-Württemberg zumal begegneten sich Christdemokraten und Grüne früher, häufiger und unverkrampfter als in anderen Regionen der Republik.
Die Montangesellschaft ist untergegangen
Ein starker Motor für eine schwarz-grüne Zusammenkunft war auf der anderen Seite besonders in den 1990er Jahren eine über die Jahrzehnte verfestigte Dominanz der SPD in traditionellen Kernlandschaften der altindustriellen Arbeitswelt. In Zechengebieten mit einer starken IG Bergbau und einer monopolartigen kommunalen Hegemonie sozialdemokratischer Stadtregenten wurden Grüne und Christdemokraten durch die Erfahrung gemeinsamen Leidens zusammengeschweißt. Als die vielerorts verfilzte und in Arroganz erstarrte SPD bei Kommunalwahlen in einigen nordrhein-westfälischen Kommunen ihre Mehrheit verlor, traten schwarz-grüne Bündnisse ziemlich problemlos an deren Stelle.
Nun ist diese Quelle schwarz-grüner Zusammenführung gewiss versiegt. Die altindustrielle Montangesellschaft ist untergegangen. Absolute Mehrheiten und die Arroganz der Macht – das ist es derzeit nicht, was den Sozialdemokraten Kummer bereitet, was die Grünen abschrecken und in die Arme der CDU treiben wird.
Wichtiger geworden ist dagegen die Gemeinsamkeit der bürgerlichen Lebenswelt. Die emotionalisierten innerbürgerlichen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre, die Generationen gespalten und gegeneinander aufgebracht hatten, sind weitgehend beigelegt. Die unversöhnlich antisozialistischen Frontmänner der alten CDU sind nicht mehr da.
Und die Grünen sind einfach älter, arrivierter, mittiger geworden. Aus Studenten der Soziologie und Latzhosenträgern, Bauplatzbesetzern und Häuserkämpfern sind mittelalte Studiendirektoren und Eltern pubertierender Kindern geworden, Liebhaber edler Weine und teurer Urlaubsreisen, die zur Entspannung Mozart und Schubert ebenso hören wie Dylan und die Doors.
Insofern aber unterscheiden sie sich alltagskulturell von gleichaltrigen Christdemokraten kaum noch. Im bürgerlichen Habitus und Stilempfinden sind sie einander vielleicht sogar ähnlicher als Grüne und Sozialdemokraten, die die Unsicherheit sozialer Aufsteiger vielfach nicht ablegen können, oft zu dröhnend, zu nassforsch, zu parvenuhaft auftreten. So jedenfalls wird es gerne ein wenig süffisant unter jüngeren Abgeordneten der Grünen kolportiert.
Daher muss dann bei den in das bürgerliche Herkunftsmilieu zurückgekehrten Grünen, zumindest der Generation nach Fischer und Trittin, wohl nur noch der Handlungsdruck der Arithmetik und der schwer widerstehliche Lockruf einer zweiten machtpolitischen Option hinzukommen, damit bald irgendwo in Deutschland eine schwarz-grüne Koalition gebildet wird. Denn von der Arithmetik des Wahlausgangs und der Chance der Machterweiterung geht selbstredend der größte koalitionsbildende Antrieb aus.
Die Union war auch in den neunziger Jahren immer dann offen für schwarz-grüne Planspiele, als die FDP aus den Landtagen flog und als Koalitionspartner ausfiel. Und die Grünen empfanden es nach 1998 als machtpolitische Beschränkung, allein mit der SPD verknüpft zu sein. Denn das schnürte ihren Spielraum gegenüber dem Kanzler der vielen Optionen zumindest in den ersten vier Jahren der gemeinsamen Regierungszeit bedeutend ein.
Das Beispiel der FDP mahnt zur Vorsicht
Es wird die Grünen spätestens dann zu neuen Ufern treiben, wenn es für Regierungskoalitionen mit der SPD schon arithmetisch nicht mehr reicht – aber vielleicht eben auch nicht für ein Kabinett von Schwarzen und Gelben. Die Grünen werden in einer solchen Konstellation nicht fatalistisch und passiv der Bildung einer Großen Koalition zuschauen. Sie werden, ganz ähnlich wie die FDP in den frühen achtziger Jahren, ihr Heil und ihren Einfluss in einer neuen politischen Partnerschaft suchen – und suchen müssen.
Andererseits: Das historische Beispiel der FDP mahnt die Grünen zugleich zur Behutsamkeit. Allzu wendig und begründungslos dürfen kleine Parteien Koalitionswechsel nicht vollziehen. Sie gelten dann als prinzipienlos, opportunistisch, machtversessen – was bei den Wählern nach wie vor als Stigma gilt. Der FDP haben die Regierungswechsel von 1969 und 1982 deshalb schwer zu schaffen gemacht. Sie verloren beide Male große Teile ihrer Wähler, Mitglieder und Funktionäre, 1982 zudem noch den Kern ihrer Nachwuchsgeneration. In einer gewissen Weise hat sich die FDP vom Koalitionswechsel zur CDU vor über zwanzig Jahren bis heute nicht recht erholt, da ihr die zukünftige liberale Elite von den Fahnen lief.
Man mag einwenden, dass die Jahre 1969 und 1982 noch ideologisch geprägt waren, dass die Parteien damals noch stärker in zementierten politischen Lagern hockten. Schwarz-Grün aber könnte von der Auflösung der klassischen Weltanschauungen und Milieus profitieren, da ein Koalitionswechsel nicht mehr als unverzeihlicher Verrat gelten mag.
Doch ganz so sicher ist das nicht. Nach wie vor definiert sich der größere Teil selbst der soziologisch verbürgerlichten Grünen-Anhängerschaft als „links“; die meisten von ihnen siedeln sich im Grenzbereich zwischen Sozialdemokratie und Bündnisgrünen an. Ein Viertel der heutigen Grünen-Wähler würde gar zu einer neuen Partei links von der SPD konvertieren. Und auch CDU-Strategen haben die Sorge, dass eine Allianz mit den Grünen die Kampagnenfähigkeit ihres Aktivistenkerns gleichsam entwaffnet.
Arbeiter halten von den Grünen nicht viel
Die Deaktivierung der früheren Multiplikatoren gilt seit dem Niedergang der SPD, der mit dieser Sprachlosigkeit der früheren innerparteilichen Agitatoren zu tun hat, als Menetekel in der Union. Parteien brauchen für die politische Kampagne zumindest Reste von historisch gewachsenen und dadurch konstanten Identitäten. Identitäten aber leben vom Gegenüber, vom Anderen, von dem man sich abgrenzt. Nehmen die Christdemokraten ihrer Kernklientel das Gegenüber, dann schwächen sie die eigene Mobilisierungskraft im Wahlkampf.
Überdies: In keiner sozialen Schicht sind die Grünen so unbeliebt wie bei den Arbeitern. Eben daher hat Rot-Grün die Sozialdemokraten entproletarisiert, die Union zugleich flächendeckend zur Partei der Arbeiterschaft gemacht. Schwarz-Grün würde den Christdemokraten die neu zugelaufenen Wählergruppen aus den unteren Schichten rasch wieder entziehen.
Stehen am Ende die Grünen als Verlierer da?
Kurz, ein rot-grünes Projekt gibt es in Deutschland nicht mehr. Ein schwarz-grünes Projekt hingegen gehörte nie zum Ehrgeiz derjenigen, die eine Allianz von CDU und Grünen anstrebten und anstreben. Deren Credo ist vielmehr: Eine solche Regierung macht man, aber man spricht zuvor nicht laut darüber.
Nun wird Rot-Grün 2006 gewiss nicht an einem Überfluss von Entwurf und Konzeption scheitern. Rot-Grün geriet in die Krise, als ein Generationen- und Kulturprojekt abgeschlossen war und dieser Konstellation danach jede Idee von sich selbst fehlte. Es ist daher nicht ganz einsichtig, warum schwarz-grüner Pragmatismus zu mehr Richtung, Zielstrebigkeit und Konsistenz führen sollte als der beinharte, oft instinktsichere machtpolitische Situationismus von Schröder-Fischer. Doch müssen die Grünen wohl zielungenau sein, wenn sie sowohl rote wie schwarze Koalitionen anstreben. Darin liegt die Chance der doppelten Option, der künftigen Machterweiterung; darin lauert aber auch die keineswegs geringe Gefahr, an Kontur, Substanz und erkennbarem Profil zu verlieren.
Im Sommer 2004 scheinen die Grünen in der politischen Landschaft Deutschlands die großen Gewinner zu sein. Ganz auszuschließen ist aber nicht, dass sie am Ende als die eigentlichen Verlierer dastehen, weil sie der Zuwachs an Wählerstimmen überfordert und politisch zur Indifferenz, ja: zur Entkernung ihrer selbst verführt hat.