Diversität als Erfolgsfaktor

Hierzulande herrscht die »German Business Angst«: Manager beugen sich bis tief in die Nacht über Akten, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat die deutsche Kultur der Anwesenheit geprägt. Es geht auch vielfältiger - und mit besseren Ergebnissen

Dafür hatte er die Lacher auf seiner Seite: Auf der Auftaktveranstaltung des Dialogprozesses „Arbeiten 4.0“ des Bundes­ministeriums für Arbeit und Soziales bemerkte der Publizist Tim Cole: „Da diskutiert ihr Deutschen über Gleichberechtigung und Frauenquote – und was habt ihr an der Spitze? Eine Kanzlerin!“ Man könnte kontern, dass auch in den Vereinigten Staaten mit Hillary Clinton eine Frau in den Startlöchern für den Präsidentschaftswahlkampf steht. Doch ob damit in den USA nach affirmative action und jahrzehntelangem Ringen – von der Rassentrennung ganz zu schweigen – wirklich alles für die Geschlechterfairness getan ist? Das ist zu bezweifeln, egal ob man ins Silicon Valley oder in die Südstaaten blickt.

Immerhin: Im März dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent in den Aufsichtsräten deutscher mitbestimmungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen beschlossen. Doch diese Entscheidung hat vor allem Symbolcharakter, denn die Quote betrifft nur knapp mehr als 100 Unternehmen. Gewiss kann sie eine „Türöffnerfunktion“ haben, sie ersetzt aber nicht den Kulturwandel in der Fläche. Medial eher wenig beleuchtet liegt der wirkliche Zündstoff des neuen Gesetzes in der vorgeschriebenen Selbstverpflichtung von weit mehr als 3 000 Unternehmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmt sind, zu einer „flexiblen Frauenquote“ im Vorstand oder der Geschäftsführung und auf zwei Führungsebenen darunter. Diese zweite Regelung könnte für eine echte Veränderung in erfolgsversprechender Größenordnung sorgen – und Unternehmen zwingen, sich von unten bis oben mit den Themen Chancenfairness und Diversität auseinanderzusetzen.

Maskuline Frauenpolitik? Das funktioniert nicht

Der Beschluss des Bundestags ist aber schon einmal der vielzitierte Fuß in der Tür. Jetzt sind die Unternehmen gefordert. Aber mit einer von der Lebenswirklichkeit abgekoppelten, rein mechanistischen Frauenförderung – man könnte auch sagen mit einer maskulinen Frauenpolitik – wird die deutsche Wirtschaft die Herausforderungen des Kultur- und Wertewandels in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung nicht meistern können. Vonnöten ist ein weitreichender Kulturwandel, der aus einem tiefen Verständnis für die Qualität von Arbeit, für Gerechtigkeit und Fairness resultiert. Auf diesem Feld ist Deutschland immer noch ein Entwicklungsland.

Präsenzkultur und Teilzeitfalle

Mitte der neunziger Jahre war ich auf einem internationalen Diversity-Kongress und damals der einzige Deutsche unter Hunderten von Teilnehmern, die das Thema Diversität in ihren Unternehmen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Heute wären es vielleicht fünf Prozent der Teilnehmer. Ein Grund für die deutsche „High Tech – Low Touch“-Attitüde ist die industriegeschichtlich bedingte Arbeitskultur der vollständigen Hingabe und persönlichen Anwesenheit – eine loyalitätsbasierte Präsenzkultur. Ein zweiter Grund ist die Dominanz und Präzision des Maschinen- und Anlagebaus, mit der Folge, dass auch in der sozialen Sphäre der Mensch als ingenieursmäßig konstruiertes und „zu bedienendes“ Wesen angesehen wird. Eine dritte Ursache ist die Perfektion der Produktionsprozesse, die den Menschen schon früh als Objekt der Mensch-Maschine-Interaktion normierten. Schließlich sind auch archaische geschlechterspezifische Rollenstereotypen von Bedeutung, die im Faschismus heroisch überhöht und intergenerativ ohne allzu große Brüche bis heute sozial „vererbt“ werden.

Noch immer existiert in vielen deutschen Unternehmen eine Kultur der Anwesenheit mit starren Arbeitszeiten, die das Familien- und Privatleben erschweren. Meistens müssen die Frauen diese Situation ausbaden, so langsam jedoch auch die Männer.

Noch immer haben wir hierzulande eine Teilzeitfalle, in die alle jene tappen, die sich für eine gewisse Zeit ihres Lebens der Familiengründung widmen. Auch hier sind es zumeist die ­Frauen, die für eine Weile aus dem Berufsleben ausscheiden – und die später auf Widerstände gegen einen individuell passenden Wiedereintritt treffen. Ein temporärer Wechsel in das Modell der Teilzeit ist heute in vielen Unternehmen gleich­bedeutend mit einer Stagnation der Karriere – bestenfalls. Führungspositionen oder gar Karrieren in Teilzeit sind nach wie vor absolute Ausnahmen.

Insofern sind gesetzliche Normierungen und tarifpolitische oder betriebliche Vereinbarungen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Solche ordnungspolitischen Maßnahmen bedingen einen echten Kulturwandel – also Vorbilder, eine nachhaltige Umsetzung, die Reflexion von Rollenstereotypen und Kommunikationsmustern bis hin zu partnerschaftlichem Aushandeln auf Augenhöhe, und dies auf allen Unternehmensebenen. Die Politik vergisst meist, dass nicht ein Gesetz, sondern die gelebte Alltagskultur die Wahrnehmung von Betroffenen, von Wählern und Bürgern bestimmt. Der „Augenblick der Wahrheit“ für die berufliche Geschlechterfairness bleibt deshalb die betriebliche Kultur. Und die wird ganz maßgeblich von Führungskräften, Personalprofis und Betriebs­räten gestaltet. Sie verliert die Politik meist aus den Augen, dabei bilden deren Kompetenz und Motivation das Nadelöhr. Dass hier viel zu wenig Überzeugungs-, Qualifizierungs- und Kulturarbeit geleistet wird, wird sich rächen.

Ein Blick in die europäische Nachbarschaft zeigt, dass es auch anders geht – und dass sich besonders der Weg Skandina­viens lohnt. Einer jährlichen Untersuchung von Eurostat zufolge leben heute beispielsweise in Schweden Frauen und Männer mehr als 13 Jahre länger beschwerdefrei als in Deutschland. Das ist zu großen Teilen der schwedischen Arbeitskultur zu verdanken, die bereits seit den siebziger Jahren mit einer Trias aus guter Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeiten und umfang­reichen Sozialleistungen nicht nur die berufliche Gleichstellung von Männern und Frauen fördert, sondern damit zugleich auch für eine bessere Gesundheit der Schweden sorgt.

Was in Schweden geht, sollte auch hier klappen

Kulturell wird der Mensch in Schweden nicht als Verschleiß- und nicht nur als Produktionsfaktor gesehen: Das Thema Geschlechterfairness wurde früh eingebettet in eine echte Reform der Arbeitskultur. Ein frühzeitiger Ausbau von Kindergärten und Ganztagsschulen und eine konsequente Abschaffung von Ehegattinnensubventionen durch Steuern oder Witwenrenten flankierten diese Reformen, die innerhalb von zwanzig Jahren mehr als eine Million Arbeits­plätze in Pflege, Schule, Kindergärten und öffentlichem Dienst schafften. Aus unbezahlter „Hausfrauenarbeit“ wurde steuer- und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Auch hier schaffte erst der Gesetzgeber den notwendigen Rahmen und füllte damit – wie in Deutschland – das Handlungsvakuum der Unternehmen. Mit der Frauenquote von 30 Prozent hat Familienministerin Manuela Schwesig nun den Startschuss gegeben, der – hoffentlich – sowohl den Kreislauf der homosozialen Reproduktion und der industriell-normierten Arbeitskultur unterbrechen, als auch weitere Reformen aus­lösen wird. Was in Schweden geht, sollte auch in Deutschland möglich sein. Auch hierzulande muss über eine Reform des Ehegattensplittings, das Recht auf eine 32-Stunden-Stelle während der Familiengründung, ja generell über eine auf Augenhöhe ­verhandelte Wahlarbeitszeit nachgedacht werden.

Neben der normierten Behandlung des Menschen als Objekt beobachte ich mit Sorge ein zweites Phänomen geschlossener Systeme: die erwähnte homosoziale Reproduktion. Im Management lassen Männer Männer aufsteigen, die so sind wie sie – weil sie ihre selbstwahrgenommene Güte nur durch Förderung von Ähnlichkeit unterstützt und „vererbt“ sehen. Dieses sich selbst stabilisierende System wird flankiert erstens durch Positionsbeschreibungen und Stellenprofile, bei denen Fach- statt Sozialkompetenz dominiert, zweitens durch maskulin ­orientierte Kompetenzprofile und drittens durch entsprechende Auswahlverfahren. Habituell wird ein System des „richtigen Stallgeruchs“ gepflegt und überwiegend nur derjenige ge- und befördert, der sich auf dem „Parkett“ der Chefetage adäquat bewegen kann.

Dass sich in einer solchen Monokultur die dringend überfälligen Veränderungen der Arbeitswelt nicht entwickeln können, dürfte klar sein. Umso wichtiger ist es, dass mit der freiwilligen flexiblen Frauenquote an dieser Stelle eine neue Kräfteverteilung eingefordert wird. Dies bedeutet aber eine komplette Revision existierender Muster der Rekrutierung, des Talentmanagements und der Karrierepolitik. Die althergebrachten Karrierepfade müssen entsorgt werden; statt stromlinienförmige, rundgelutschte Eliteabsolventen brauchen wir ebenso Karrierepfade für Menschen mit anderen, auch unrunden und unkonventionellen Biografien, speziell für Menschen in mittleren und älteren Berufsjahren. Denn manchmal, so sagte der deutsche Dichter Gotthold Ephraim Lessing, wissen Jahre mehr als Bücher. Und Innovation ist kein Primat der Jungen.

Doch das reicht nicht. Chancenfairness muss es gesellschaftlich wie unternehmenssoziologisch für alle Dimensionen von Diversität geben wie Nationalität, kultureller Hintergrund, ­soziale Herkunft, sexuelle Orientierung und viele weitere. Das ist übrigens nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch ökonomisch von Vorteil. Wer Kunden im eigenen Land und international zufriedenstellen will, braucht eine Mitarbeiterstruktur, die diese nationale wie globale Welt mit ihren Ansprüchen, Wünschen und Forderungen widerspiegelt. Wer ­Innovationen schaffen will, der braucht interdisziplinäre Teams, in denen Reibung, Austausch und gegenseitige Inspiration möglich sind.

Doch warum scheuen deutsche Unternehmen diesen Kulturwandel? Es hat nicht nur mit dem protestantisch-preußischen Arbeitsethos zu tun – während amerikanische Manager um 17 Uhr auf den Golfplatz verschwinden, sitzen deutsche Führungskräfte häufig noch um 22 Uhr im Büro. Nein, es ist vor allem eine typisch deutsche Angst der zuständigen Manager und verantwortlichen Unternehmer, sozusagen „German Business Angst“. Zum einen entziehen sich Mitarbeiter, die Souveränität über ihre Arbeitszeit, ihren Arbeitsstil und -ort haben, einer direkten Kontrolle. Sie sind eben nicht mehr nur abhängig Beschäftigte, sondern sie entziehen sich auch archa­ischen Mustern des Leistungsmanagements via Sitzfleisch. Doch noch immer denken viele Unternehmer in alten Schablonen wie „Ich bin der Herr im Hause und lasse mir nicht in die Suppe spucken“. Der patriarchalische Mittelstand scheut den Kontrollverlust und ist überzeugt davon, dass Leistung nur durch physische Präsenz erbracht wird.

Graswurzelbewegungen müssen kooperieren

Zum anderen sind viele angestellte Manager verunsichert, wie dieser Kulturwandel operativ abgebildet werden soll. Anstatt wie gewohnt eine Arbeitsgaleere mit einem emsigen Heer von Ruderern nach vorne zu bewegen, soll der bürokratische Apparat plötzlich der Komplexität der Berufs- und Lebensbiografien seiner Mitarbeiter mit unbürokratischer, individualisierbarer Variantenvielfalt begegnen. Doch diese Angst ist meiner Erfahrung nach unbegründet. Als Personalvorstand der Telekom habe ich gelernt: anything goes! Die meisten Dinge lassen sich bei guter Rahmensetzung individuell und per Vereinbarung wesentlich einfacher regeln als man denkt. Das betrifft auch multioptionale, finanziell erschwingliche Teilzeit- und Auszeitmodelle, wie wir sie zu meiner Zeit eingeführt haben. Die Firma Trumpf macht es noch breitflächiger vor: mit einem groß angelegten Wahlarbeitszeitmodell, das sowohl den Mitarbeitern als auch dem Unternehmen trotzdem Planungssicherheit für Jahre ermöglicht. Der vermeintliche Kontrollverlust wird mehr als ausgeglichen durch einen Gewinn an Motivation, Engagement und eben auch Produktivität der Mitarbeiter. Nicht zuletzt gibt es bei all diesen Themen gerade für kleine und mittlere Unternehmen spezielle Hilfsangebote und Fördermöglichkeiten – zum Beispiel bei der Initiative Neue Qualität der Arbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Für diese grundlegenden Reformen der Arbeitswelt müssen auch und gerade die Graswurzelbewegungen mehr zusammenarbeiten. Es erstaunt, wie schlecht es um deren Koalitionsfähigkeit bestellt ist. Warum gibt es kein Bündnis der Aktionsplattform „Spitzenfrauen“ mit dem Landfrauenverband und dem Verband deutscher Unternehmerinnen? Und warum gibt es keine Koalition der Frauenbewegung mit anderen, um Menschenrechte und Chancenfairness ringenden Vereinigungen? Wie heißt es so schön: Fünf Finger kann man brechen, eine Faust nicht. Große soziale Reformen lassen sich eben nur in der Triade von politischem Mandat, Skalierung der Wirtschaft und zivilgesellschaftlichem Koalitionsdruck anpacken. Ohne die Wirtschaft keine kritische Masse. Ohne zivilgesellschaftliche Koalition keine Hefe im Teig. Ohne politisches Mandat keine Nachhaltigkeit.

Schwesigs Quotengesetz ist nur der Anfang

Wir brauchen in diesem Land – offenbar – mehr öffentlichen Druck, damit wir eine an internationalen Standards ausgerichtete Personalpolitik etablieren können. Die Erosion der Position und Kompetenz deutscher Personalarbeit in Betrieben und Verwaltungen ist besorgniserregend. Ebenfalls unerlässlich sind mehr Transparenz und Vergleiche der Unternehmen. Unternehmen müssen im Scheinwerferlicht stehen, damit sie ein an den Erwartungen des Umfelds orientiertes, wirklich nachhaltiges – und nicht nur ein zögerliches, vorgeschobenes – commitment eingehen. Das Quotengesetz hat eine zögerliche Aufbruchsstimmung geschaffen. Jetzt sind die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft aufgefordert, diese Transformation in der Arbeitswelt zu verwirklichen.«

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