Ein dreifacher Skandal

zu dem Interview mit Mely Kiyak, "Desinteresse und Verachtung sind das Problem", Berliner Republik 3+4/2013

Ich teile Mely Kiyaks Kritik, ihre Wut und ihre Enttäuschung über die schleppende Aufklärung des NSU-Skandals, die im Interview mit der Berliner Republik zum Ausdruck kommen. Gleichwohl finde ich es wichtig, dass es den Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU gegeben hat. Er hat die Fragen für die Öffentlichkeit erst hörbar gemacht, denen wir nun nachgehen müssen, um zu einer vertieften Aufklärung zu gelangen, die diesen Namen auch verdient. Dazu tragen sowohl die Untersuchungsausschüsse der Länder, als auch in einem überraschend starken Maße der Münchner Gerichtsprozess zum NSU-Terror bei. Und: Nicht zuletzt hängt es von unabhängigen Journalisten ab, ob es zu einer einigermaßen vertieften Aufklärung kommt, oder ob, wie es leider oft geschieht, gerade auch große Medien ohne zureichende Recherche ängstlich dem nachlaufen, was so verlautbart wird.

Nehmen wir eines der jüngeren Beispiele: die Aufdeckung des V-Manns „Tarif“ als Michael See im Kontext der Operation Rennsteig. Brillante Journalisten um den Hamburger Dirk Laabs haben ihn im tiefen Wald Schwedens aufgetan. So erschrocken und überrascht er war, so sehr wurde er von den Geheimdiensten daran gehindert, endlich das öffentlich zu sagen, was er in seinen Treffberichten ausführlich geschrieben hat: Wie nah er in der entscheidenden Zeit an der Kerngruppe des NSU war!

Diese im Rahmen des NSU-Komplexes zentrale Erkenntnis hat das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Woche nach Aufdeckung der NSU-Terrorgruppe bewusst und strategisch vernichtet. Das war kein Zufall und auch keine Dummheit, wie wir im Untersuchungsausschuss gehört haben! Deshalb wäre es für Michael See lebensgefährlich, auch nur einen Satz aus seinen Treffberichten zu erzählen. Diese nach wie vor funktionierende Schattenreichstruktur zentraler Geheimdienste, wie des Bundesamts für Verfassungsschutz, aber auch des BND, sind Zustände außerhalb der Berliner Republik. Ja, sie liegen sogar oberhalb derselben: Es handelt sich um Formen des permanenten Ausnahmezustands, die auf Dauer die Grundlagen unserer Republik institutionell und kulturell angreifen. Da sind sich Staatsrechtler von rechts bis links einig.

Es ist nun diese Blockade der Aufklärung – der Aufklärung der Straftaten des NSU wie des Versagens der Sicherheitspolitik –, die zu einer wachsenden Schwächung der Sicherheit in Deutschland führt, obwohl es sich dabei nach Innenminister Hans-Peter Friedrich um ein „Supergrundrecht“ handelt.

Und auch beim Vorwurf des Rassismus muss ich Frau Kiyak recht geben. Denn nachdem sich der Staat selbst geschwächt hat, indem er sich über V-Männer in unmittelbarer Nähe zum NSU-Terror gewissermaßen selbst in die Sache verstrickte und dadurch in eine Sicherheitsfalle zulasten der Sicherheit geriet, wurde zudem über zehn Jahre lang einseitig in die falsche Richtung ermittelt: im Umfeld der Opfer. Je länger die Ermittlungen andauerten, umso einseitiger wurden sie. Vorurteile wurden bedient und Rassismus gefördert – nicht nur in der Polizei, sondern auch in den Medien.

Es ist dieser dreifache Skandal aus der Selbstverstrickung durch ein unkontrolliertes Schattenreich der Geheimdienste, der Blockade der Aufklärung und dem Rassismus, der den größten Sicherheitsskandal seit 1945 ausmacht. Die Berliner Republik bleibt aufgefordert, ihn aufzudecken (und zwar durch einen Reformarchitekten, der diesen Namen verdient), die Sicherheitsarchitektur umzubauen und das Bundesamt aufzulösen, das wesentlich für die Selbstschwächung der Sicherheitsorgane verantwortlich ist.

Ich weiß, dass der gegenwärtige Innenminister dies scheut wie der Teufel das Weihwasser, und sein Staatssekretär erst recht. Aber auf Dauer lässt sich dieser Skandal nicht aussitzen – dafür werden auch während des Münchner Prozesses noch zu viele explosive Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.

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