Ein Sozialdemokrat als Krisengewinner

Der PvdA-Vorsitzende und Finanzminister Wouter Bos war bereits abgeschrieben. Dann erfand er sich als Krisenmanager neu

Die Finanzkrise hat die Niederlande zunächst nur indirekt erreicht. Lange Zeit gingen unsere Politiker davon aus, dass die Krise größtenteils an uns vorbei ziehen und nur begrenzten Einfluss auf die niederländische Wirtschaft und den niederländischen Finanzsektor haben würde. Die alarmierenden Berichte, die seit Herbst 2007 aus den Vereinigten Staaten kamen, erschienen als ein Beweis dafür, dass die Amerikaner ihre Finanzmärkte unzureichend reglementiert hatten und man dort über seinen finanziellen Möglichkeiten lebte. Natürlich würde die Bankenkrise auch auf unserer Seite des Ozeans Folgen haben, aber durch den gesunden Finanzsektor, die bessere Bankenaufsicht und eine Bevölkerung, die anders als in den Vereinigten Staaten weniger konsumiert als verdient – also spart – würde der Schaden begrenzt bleiben. Aufmerksam sein, aber keine Panik aufkommen lassen, das strahlte Wouter Bos, der sozialdemokratische Finanzminister und Vorsitzende der Partij van de Arbeid, im Dezember 2007 aus. Eine Haltung, die die niederländische Regierung auch 2008 lange Zeit hatte.

Lange Zeit ging alles gut ...

Die niederländische Regierung, eine Koalition aus Christdemokraten (CDA), Sozialdemokraten (PvdA) und einer kleinen christlichen Partei (CU) hatte gute Gründe, gelassen und voller Vertrauen auf die sich entwickelnde Krise zu reagieren. Denn noch nie zuvor befand sich die niederländische Wirtschaft in einem so guten Zustand. Die Arbeitslosenquote war mit 3,5 Prozent bereits sehr niedrig, sank aber noch immer, und das Wirtschaftswachstum betrug fast 3 Prozent. Prognosen sagten zwar voraus, dass sich das Wachstum möglicherweise etwas abflachen würde, aber selbst dann wäre es immer noch ausreichend gewesen. Der Haushaltsplan 2009, der im Jahr 2008 aufgestellt wurde, strahlte vor allem Vertrauen aus – obwohl die Welt um die Niederlande herum schon gehörig in Flammen stand. Der Haushalt wies einen Überschuss auf und die Staatsschulden waren so niedrig wie nie zuvor.


Kurzum, sowohl die Wirtschaft als auch der Staatshaushalt befanden sich in einer mehr als stabilen Lage und waren gut für die kommenden Widrigkeiten gewappnet. Bos’ Strategie, um die Niederlande durch die Krise zu lotsen, bestand aus einer Kombination von schärferen und besseren Regeln für die finanziellen Märkte und Vertrauen in die niederländische Wirtschaft. Die liberale Opposition, die jede Gelegenheit nutzte, um für einen umfassenden Rettungsplan zu plädieren, wurde beschuldigt, negative Stimmung zu verbreiten und die Krise damit zu verschärfen.

... doch dann kam das Islandtief

Wann immer es um Banken ging, war vor allem der Verkauf der großen niederländischen Bank ABN-Amro an drei ausländische Banken (Fortis, Royal Bank of Scotland und Santander) das Thema, das die öffentliche Meinung am meisten beschäftigte. Wouter Bos und Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende wurden dafür kritisiert, sich nicht aktiv für eine niederländische Fusion eingesetzt zu haben.


Die Zurückhaltung der niederländischen Regierung schlug nach dem Sommer 2008 ins Gegenteil um. Erstaunlicherweise waren es Probleme ausländischer Banken, die Finanzminister Bos zu einer aktiven Politik zwangen. Die isländische Bank Icesave hatte auf dem niederländischen Markt viele Kunden mit hohen Zinsen geworben. Insgesamt hatten niederländische Sparer 1,5 Milliarden Euro bei Icesave hinterlegt. Als Icesave aufgrund von Problemen der Mutterbank Landsbanki nicht mehr in der Lage war, den Sparern ihre Einlagen zurückzugeben, musste die niederländische Regierung eingreifen. Mithilfe einer staatlichen Garantie für Sparguthaben bis zu einer Höhe von 100.000 Euro und einer kraftvollen Politik in Richtung Island konnte Wouter Bos sich als Krisenmanager profilieren, der die niederländischen Sparer nicht im Stich ließ.


Inzwischen hatte er bereits ein Bündel an Maßnahmen vorbereitet, das verhindern sollte, dass der Kapitalsektor selbst in Schwierigkeiten geraten würde. Mithilfe einer Kapitalspritze in Höhe von 20 Milliarden Euro und einer staatlichen Garantie von 200 Milliarden wollte Bos die Bereitschaft der Banken vergrößern, Kredite zu vergeben und einander weiterhin Geld zu leihen. Auch mit diesem Paket bewies Bos, ein fähiger Krisenmanager zu sein, obwohl die Banken bisher kaum von diesem Angebot Gebrauch gemacht haben.

Wie Wouter Bos zum Helden wurde

Bos wuchs schnell in seine neue Rolle hinein. Sein Image als Krisenmanager festigte sich endgültig während der Krise der belgischen Fortis, die den niederländischen Teil von ABN-Amro gekauft hatte: Mit großem Eifer hatte der Finanzminister nach Gesprächen mit der belgischen Regierung und Fortis den niederländischen Zweig für 16,8 Milliarden Euro zurückgekauft und die Bank verstaatlicht. Da Ministerpräsident Balkenende sich bei allen Rettungsaktionen relativ im Abseits hielt, was übrigens zu seinem allgemeinen politischen Stil passt, konnte Wouter Bos zum Helden der Finanzkrise avancieren.


Das Vertrauen in Bos nahm in kurzer Zeit ebenso schnell zu wie dessen Selbstbewusstsein. Noch in der ersten Jahreshälfte 2008 hatten Meinungsumfragen immer wieder gezeigt, dass die meisten Niederländer wenig Vertrauen in Bos als Parteivorsitzenden der PvdA und auch als Vizepremier hatten. In denselben Umfragen ging es mit der PvdA dramatisch abwärts. Der Tiefpunkt wurde im August und September erreicht, als prognostiziert wurde, dass die PvdA mehr als die Hälfte ihrer Sitze im Parlament verlieren würde, wenn es zu Wahlen käme, und somit nur noch mit 15 der 150 niederländischen Parlamentsmandate rechnen konnte (zurzeit verfügt die PvdA über 33). Damit war die PvdA zumindest virtuell kleiner als die Sozialistische Partei (SP, vergleichbar mit der deutschen Linkspartei), die in denselben Umfragen auf potenzielle 20 Sitze kam. In einigen Umfragen drohten die Sozialdemokraten sogar, vom zweiten auf den fünften Platz zu rutschen und den Status als Volkspartei endgültig zu verlieren. Bos schien als Parteivorsitzender nur zu überleben, weil es keine glaubwürdige Alternative für ihn gab.


Seit Ende September, als Bos immer häufiger als Krisenmanager auftrat, nahm das Vertrauen in ihn als Vertreter der Regierung schnell zu. Bei seinen zahlreichen Fernsehauftritten strahlte Bos die Freude aus, die ihm seine neue Rolle machte. Der zuvor angeschlagene und schon fast abgeschriebene Parteivorsitzende wurde im Dezember sogar zum Politiker des Jahres ausgerufen, während innerhalb der christdemokratischen Partei mittlerweile die Verärgerung über die zu geringe Sichtbarkeit von Ministerpräsident Balkenende zunahm.


Auffallend ist die Tatsache, dass die SP nicht von der Finanzkrise profitieren konnte. Im Gegenteil: Seit September 2008 verlor die SP in den Umfragen an Wählergunst. Die SP verhielt sich in der Finanzkrise auffallend still, obwohl man hätte erwarten können, dass sie das Bedürfnis verspüren würde, deutlich zu machen, dass sie mit ihren jahrelangen Verweisen auf das wahre Gesicht des Kapitalismus Recht gehabt habe. Anscheinend haben die Wähler in Krisenzeiten wenig Bedarf an Politikern, die ihnen erklären, dass sie schon immer Recht hatten. Stattdessen wollen sie einen Staat, der seinen Bürger effektiven Schutz bietet. Möglicherweise hat die SP das gespürt.

Plötzlich war die PvdA wieder obenauf

Der Wunsch nach einem stärkeren Staat, der sich für das Gemeinwohl einsetzen und Märkte regulieren kann, passt am besten zu den Sozialdemokraten. Sie haben sich schon immer für einen stärkeren Staat und die Begrenzung und Zügelung der freien Marktwirtschaft eingesetzt. Vor diesem Hintergrund konnten Bos’ Maßnahmen den Wählern nicht nur als effektives Krisenmanagement verkauft werden, sondern auch als echte sozialdemokratische Politik. Davon hat die PvdA stark profitiert. Seit Oktober ist die Partei wieder auf dem Weg nach oben. Im Januar 2009 ist die Partei wieder auf gleicher Höhe mit den Christdemokraten: Beide erhalten in den Umfragen 30 der 150 Sitze im Parlament.


Die Entwicklungen des vergangenen Jahres zeigen, wie volatil das Stimmverhalten des niederländischen Elektorates ist. Durch die Krise hat das Vertrauen in die Politik wieder zugenommen. Bis heute wird die Rückkehr des Staates gefeiert. Markt und Politik sind scheinbar kommunizierende Röhren. Die Sozialdemokratie ist aus politischer Sicht der große Gewinner der Finanzkrise. Nicht nur weil ihr Parteivorsitzender als amtierender Finanzminister eine politische Hauptrolle besetzte. Der Ruf nach Zügelung und Begrenzung des freien Marktes passt auch am Besten zu sozialdemokratischen Grundsätzen, vor allem, da die Christdemokraten in den vergangenen Jahren immer mehr in die Richtung einer vollständigen Freigabe des Marktes gerückt waren. Der niederländische Wähler ist gegenüber der Allmacht des Marktes jedoch immer misstrauisch geblieben. Die Einführung von Marktmechanismen bei öffentlichen Dienstleistern hat nie zu viel Enthusiasmus geführt. Gas, Wasser, Elektrizität, Öffentlicher Verkehr, Flughäfen aber auch das Gesundheitswesen und die Schulen und Universitäten sieht der Bürger gerne in den Händen der Politik. Die Soziale Marktwirtschaft und der stakeholder value sind wieder Themen, über die viel gesprochen wird. Kurz gesagt, alle klassischen sozialdemokratischen Themen stehen wieder auf der politischen Agenda.

Die Leute wollen Sicherheit und Pragmatismus

Die extremistischen Parteien hingegen profitieren nicht von der Krise. Die rechten Parteien konzentrieren sich weiterhin auf die Themen Integration und Sicherheit. Die linken Parteien gewinnen allerdings auch nicht. Der Wähler entscheidet sich in Krisenzeiten lieber für Sicherheit und Pragmatismus als für radikale Programme.


Bos und die niederländische Regierung hatten es leicht, eine Politik zu betreiben, die das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen konnte. Die Ausgangsposition war ideal. In Zeiten hoher Wachstumsquoten, niedriger Arbeitslosigkeit, eines Finanzüberschusses und einer niedrigen Staatsverschuldung spürt der Bürger finanziellen Gegenwind nicht so stark. Darüber hinaus ist es in so einer Situation wesentlich einfacher, ein umfangreiches Unterstützungs- und Überlebenspaket zu schnüren, ohne damit den Staatshaushalt in Gefahr zu bringen. Aus diesen Gründen konnte die Politik die Krise zu einem großen Teil als Bedrohung von Außen betrachten, gegen die der Staat die Gesellschaft effektiv zu schützen versucht.

Die Achterbahnfahrt geht weiter

Selbst seit die Finanzkrise die gesamte Wirtschaft erreicht hat, bleiben die Folgen für viele Menschen in erster Linie abstrakt. Aufgrund von früheren Maßnahmen steigt das reelle Einkommen der meisten Menschen im Jahr 2009 beträchtlich. Dass es mit der Leichtsinnigkeit des Marktes ein Ende hat und alle wieder sparsamer sein müssen, wird in den calvinistischen Niederlanden sogar wohlwollend betrachtet. Es kann aber durchaus sein, dass das Pendel wieder umschlägt, wenn die Folgen der Krise tatsächlich fühlbar werden und Den Haag nicht imstande ist, diese abzuwenden.


Denn bis jetzt unternimmt die Regierung nicht viel gegen die aufziehende Krise, auch da die Kaufkraft der Privathaushalte zurzeit nicht das größte Problem ist. Zu Beginn dieses Jahres hat die Regierung ein kleines Paket in Höhe von 1,5 Millionen Euro an staatlichen Garantien für große Firmen beschlossen. In der Zwischenzeit können die Niederlande als Trittbrettfahrer vom umfangreichen deutschen Förderpakt mit profitieren. Ob das ausreichen wird, bleibt zu bezweifeln. Sobald die Krise spürbar wird, kann die PvdA wieder genauso schnell an Wählergunst verlieren, wie sie diese gewonnen hatte. Die ersten Anzeichen dafür sind bereits spürbar. Die niederländische Politik gleicht noch immer einer Achterbahn.

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