Energie und Fortschritt
Die Aufgabe des Staates besteht darin, die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize zu setzen. Orientierungspunkt ist das magische Dreieck der Energieversorgung: Versorgungssicherheit, bezahlbare Energiepreise und Umweltverträglichkeit. Der Übergang ins regenerative Zeitalter kann nur im gesellschaftlichen Konsens gelingen. Energie ist die Schlüsselfrage für die Entwicklungschancen und Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft. Progressive Wirtschaftspolitik bedeutet zuallererst ein klares Bekenntnis zum schrittweisen Umbau unserer Energieversorgung hin zu Erneuerbaren Energien. Schon aufgrund der Ressourcenknappheit wird früher oder später der Umstieg unausweichlich sein: Die Vorräte konventioneller Energieträger werden langfristig knapper, die Preise werden steigen – angeheizt durch den weiterhin hohen Verbrauch fossiler Energieträger in den aufstrebenden Schwellenländern. Der Klimawandel verstärkt die Notwendigkeit des Umstiegs ebenso wie der endgültige Abschied von der Atomenergie.
Die beschleunigte Umstellung auf erneuerbare Energieversorgung wird die deutsche Wettbewerbsfähigkeit langfristig stärken. Volkswirtschaften, die diesen Umbau jetzt konsequent vorantreiben, tragen zwar kurzfristig höhere Investitionskosten, erhöhen jedoch langfristig ihre technologische Wettbewerbsfähigkeit. Und sie bauen gleichzeitig Beschäftigung auf. Querschnitteffekte sorgen dafür, dass nicht nur die Erneuerbare Energien-Industrie profitiert, die längst eine volkswirtschaftliche Erfolgsgeschichte ist: Knapp 370.000 Arbeitsplätze umfasste die Branche im Jahre 2010. Die Kommunen konnten sich 2009 über eine Wertschöpfung von 6,8 Milliarden Euro durch Steuereinnahmen, die Einsparung fossiler Brennstoffe und Arbeitsplätze freuen. Und die Exportquote der Branche bei Wasserkraft-, Windkraft- und Photovoltaik-Technologien steigt. Über 80 Prozent der in Deutschland gebauten Windräder werden ins Ausland verkauft. Deutsche Zulieferer sind mit 40 Prozent der globalen Wertschöpfung die tragende Säule des weltweiten Windkraftmarkts. Dabei entstehen vielfach hochqualifizierte neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig wird auch industrielle Beschäftigung in klassischen Sektoren wie dem Maschinenbau, dem Handwerk, der Stahlindustrie und dem Schiffsbau gesichert. Zudem profitieren auch ländliche Räume ökonomisch vom Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Bei ihrem Ausbau müssen wir Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz fest im Blick haben. Nur dann entstehen maximale Beschäftigungseffekte und Verteilungsspielräume für soziale Abfederung. Wer bezahlbaren Klimaschutz will, sollte Strom aus erneuerbaren Energieträgern so fördern, dass die Belastung für Industrie und Haushalte minimiert und die Wertschöpfung maximiert wird. Das bedeutet auch, dass die Zukunftsperspektiven einzelner Energiequellen unterschiedlich ausfallen: Der Windkraft wird hierzulande den Hauptanteil der Förderung Erneuerbarer Energien leisten, weil für sie das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis besteht. Für Onshore-Wind bedarf es einer Verbesserung der Rahmenbedingungen durch eine erweiterte Ausweisung von Windeignungsgebieten durch die Bundesländer. Zudem könnte die Windenergie effizienter genutzt werden, wenn die Höhenbeschränkungen für Windanlagen aufgehoben würden.
Erneuerbare Energien europäisch denken
Die Einspeisung von Offshore-Wind aus Nord- und Ostsee muss vorangetrieben werden: Da die Offshore-Technologie noch weitestgehend unerprobt ist, müssen die Finanzierungsbedingungen für Investoren verbessert werden. Ein Kreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau gehört ebenso dazu wie die zügige und effiziente Anbindung von Offshore-Windanlagen an das Netz. Bioenergie wird vor allem mit Blick auf den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung eine wichtige Rolle spielen. Außerdem hat Bioenergie gegenüber Wind und Sonne den großen Vorteil, dass sie weniger fluktuiert und dadurch steuerbar einsatzfähig ist. Die Photovoltaik wiederum spielt eine zentrale Rolle in einem europäischen Energiekonzept, das die Energieversorgung nicht mehr allein als nationale Angelegenheit begreift, sondern die Ausbaupotenziale in anderen europäischen Staaten erschließt und zugänglich macht, vor allem in der Mittelmeerregion.
Insgesamt müssen wir unseren Blick stärker auf Europas Potenziale richten: Sonnenstrom kann am besten da gefördert werden, wo die Sonne scheint, und Windstrom da, wo der Wind bläst. In Europa bieten sich hier noch beträchtliche Verbesserungspotenziale: Bisher produziert jedes Land für sich Strom – das muss sich ändern. Wenn Sonnenstrom in der Mittelmeerregion günstiger ist als in Nordeuropa, dann sollte er von dort kommen. Ebenso müssen wir Wind primär in windstarken Regionen fördern und den Ausbau von Speichern in den Bergen Norwegens vorantreiben. In der Logik der ökonomischen Theorie der komparativen Vorteile sollte jedes Land in der EU seine geografisch bedingten Standortvorteile bei erneuerbaren Energieträgern in den Dienst einer europäischen Energieversorgung stellen. Deshalb gilt: Nur mit einer europaweit harmonisierten Förderung von Erneuerbaren Energien werden wir das regenerative Zeitalter in kosteneffizienter Weise erreichen.
Die Potenziale des regenerativen Zeitalters sind unbestreitbar. Dennoch muss unsere Energieversorgung mit Augenmaß und im Rahmen des Verantwortbaren umgestaltet werden. Sie darf nicht auf einem Fundament aus Illusionen und Ideologien aufbauen, sondern muss den Kriterien der Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit genügen. Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört die Feststellung, dass die erneuerbaren Energieträger den Einsatz konventioneller Kraftwerke kurzfristig nicht entbehrlich machen können: Wer möglichst schnell aus der Kernenergie aussteigen will, der muss andere grundlastfähige Technologien solange vorhalten, bis die Erneuerbaren zur einzigen Säule unserer Energieversorgung herangereift sind. Bisher ist nicht absehbar, wie und wann die volatile Einspeisung aus Wind und Sonne die konventionellen grundlastfähigen Kraftwerke ersetzen könnten. Speichertechnologien stehen heute noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Um die Wirkungsgrade von Speichern zu verbessern, werden noch viele Forschungs- und Pilotprojekte nötig sein. Solange aber keine effizienten Speichertechnologien verfügbar sind, ist der Abschied von der Kernkraft allein dadurch zu kompensieren, dass Kohle- und Gaskraftkraftwerken verstärkt genutzt werden. Ein sofortiger oder kurzfristiger Verzicht auf Gas- und Kohlekraft hätte ökonomisch und sozial verheerende Folgen.
Eine weitere Voraussetzung für den raschen Ausstieg aus der Kernenergie ist der Ausbau der Netzinfrastruktur. Strom aus erneuerbaren Energieträgern wird nicht dort produziert, wo er verbraucht wird. Es werden Erzeugungszentren im Norden – beispielsweise Offshore in der Nordsee – entstehen, während die Lastzentren im industrieintensiven Süden Deutschlands liegen. Um den Strom von der Quelle zum Verbraucher zu transportieren, müssen neue Leitungen gebaut werden und innovative Übertragungstechnologien zum Einsatz kommen. Der Ausbau der Netzinfrastruktur ist in mehrfacher Hinsicht eine Herkulesaufgabe: Die Netzbetreiber müssen beträchtliche Investitionen leisten; Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen signifikant kürzer ausfallen; die Bürger – und zwar gerade die direkt betroffenen – müssen von der Notwendigkeit des infrastrukturellen Umbaus überzeugt werden; und schließlich müssen Speichertechnologien mittels forcierter Anstrengungen in Forschung und Entwicklung zur Marktreife gelangen.
Geringverdiener dürfen nicht die Verlierer sein
Die Energiewende erfordert die Akzeptanz der Menschen und die aktive Unterstützung der Wirtschaft. Den Anpassungsdruck der Energiewende müssen viele Schultern tragen, sonst werden ihre Kosten und Lasten ungerecht und einseitig verteilt. Bei den privaten Haushalten trifft dies für die unteren Einkommensgruppen schon heute mit voller Wucht zu: Gut verdienende Singles geben nur rund fünf Prozent ihres Einkommens für Energie aus. Bei unterdurchschnittlich verdienenden Familienhaushalten beträgt der Anteil hingegen 18 bereits Prozent. Jeder Anstieg der Strompreise trifft Geringverdiener besonders hart. Hinzu kommt, dass untere Einkommensgruppen üblicherweise nicht von der profitablen Einspeisevergütung profitieren: Welcher Durchschnittsmieter kann sich schon eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach setzen? Unterm Strich bedeutet das: Die derzeitige Förderung der Erneuerbaren Energien kommt einer Umverteilung von unten nach oben gleich.
Hier besteht also Reformbedarf: Geringverdiener dürfen nicht zu den finanziellen Verlierern der Energiewende werden. Es muss einen sozial-ökologischen Lastenausgleich geben. Dabei sind verschiedene Instrumente denkbar, etwa haushaltsbezogene Befreiungen von der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für einen gewissen Grundverbrauch. In den Niederlanden hat sich ein derartiges System jedoch als nicht praktikabel erwiesen. Ordnungspolitisch sauberer wäre ein Belastungsausgleich über die Einkommenssteuer. Erhöhte Freibeträge bei der Lohn- und Einkommenssteuer könnten einen Teil der EEG-Mehrbelastungen für einkommensschwache Haushalte ausgleichen. Um die untersten Einkommensklassen zu erreichen, die ohnehin keine oder kaum Steuern bezahlen, könnte man an Öko-Gutscheine denken – damit wären Geringverdiener zu Überweisungen vom Finanzamt berechtigt. Alternativ wäre auch an einen systemimmanenten Ausgleich zu denken: Ein Effizienz-Fonds, der sich aus der Einspeisevergütung für die Erneuerbaren finanziert, könnte Prämien oder Kleinkredite für solche Privathaushalte vorsehen, die effizienzsteigernde Maßnahmen in ihren Haushalten vornehmen, beispielsweise indem sie effiziente Haushaltsgeräte anschaffen. Damit würde neben dem gewünschten Effekt der Sozialverträglichkeit gleichzeitig ein Anreiz zur Energieeinsparung gesetzt.
Deutschland soll auch weiterhin als Pionier beim Ausbau der Erneuerbaren Energien voranschreiten. Das EEG bietet hierfür das richtige Instrumentarium. Aber: Je näher das regenerative Zeitalter rückt, umso offener müssen wir uns mit den Kosten der Energiewende auseinandersetzen. Nur durch sozialverträgliche und wettbewerbskonforme Lastenverteilung können wir das volkswirtschaftliche Potenzial der Energiewende voll ausschöpfen.
Schlüsselfaktor Energieeffizienz
Für die Industrie bedeutet Ressourcenknappheit und das Gebot ökologischer Nachhaltigkeit eine enorme Anpassungslast. Hier wurde in der Vergangenheit einiges versäumt. Jahrzehntelang konzentrierten sich die Unternehmen darauf, mit weniger Menschen mehr aus der Produktion herauszuholen. Erfolgreich war die Strategie durchaus: Die Arbeitsproduktivität hat sich seit 1960 vervierfacht. Die Effizienz des Energie- und Rohstoffeinsatzes hingegen ist im selben Zeitraum nur um den Faktor 1,5 bis 2 gestiegen. Heute verursachen Energie und Rohstoffe 40 Prozent der Kosten in der gesamten Industrie, die Löhne hingegen nur 25 Prozent. Die Deutsche Materialeffizienzagentur schätzt das Einsparvolumen der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands auf 100 Milliarden Euro pro Jahr, sofern die Material- und Rohstoffeffizienz um 20 Prozent gesteigert wird. Energie- und Rohstoffeffizienz ist deshalb nicht nur eine ökologische Frage, sondern auch eine der Wettbewerbsfähigkeit.
Beim Thema Energieeffizienz ist vor allem die energetische Gebäudesanierung wichtig. Nach Berechnungen des Institutes der deutschen Wirtschaft könnten die Kohlendioxidemissionen im Gebäudebereich mit neuen Heizungen und Klimaanlagen sowie besserer Wärmeisolierung um rund 50 Millionen Tonnen reduziert werden. Die energetische Gebäudesanierung bietet damit erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Handwerk. Seitens der Wohnungswirtschaft werden mehr als 200 Milliarden Euro in den Klimaschutz investiert werden müssen. Nach Schätzungen des Bundes könnten durch die notwendige Gebäudesanierung deutschlandweit bis 2020 rund 430.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Um die Effizienzpotenziale auszuschöpfen, brauchen wir ein Maßnahmenbündel aus ordnungsrechtlichen Instrumenten, finanziellen Anreizprogrammen und Marktinstrumenten, die auf die unterschiedlichen Kundengruppen zugeschnitten sind. Erforderlich ist die schrittweise Verschärfung der Energieeinsparverordnung, die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms und die Einführung eines qualitätsgesicherten Energieausweises für Gebäude. Und um Einsparpotenziale auch für Geringverdiener zu erschließen, sollten Kleinkreditprogramme für einkommensschwache Haushalte zur Anschaffung von hocheffizienten Haushaltsgeräten bereitgestellt werden.
Effektiver Klimaschutz steht und fällt mit einer signifikanten Kohlendioxid-Reduzierung. Für eine klimaverträgliche Gesellschaft sind die Förderung Erneuerbarer Energien und die Steigerung der Ressourceneffizienz zwei zentrale politische Instrumente. Ein weiterer wichtiger Bestandteil nachhaltiger Wirtschaftspolitik ist die „Bepreisung“ von Kohlendioxid. Dabei ist die Mengenbegrenzung mit Emissionshandel das ökologisch sinnvolle Instrument: Es ist technologieoffen und gewährleistet kosteneffiziente Anpassungsreaktionen je nachdem, auf welchem Gebiet es zu den geringsten Kosten möglich ist, die Kohlendioxid-Emission zu reduzieren.
Handlungsbedarf besteht deshalb bei der Weiterentwicklung des europäischen Emissionshandelssystems. Anzustreben ist ein sektorenübergreifender Kohlendioxid-Handel mit stetiger Verknappung des Angebots und Vollauktionierung. Dabei kommt es darauf an, auch für bisher nicht erfasste Emissionsquellen wie den Verkehr einen Kohlendioxid-Preis einzuführen. Die aus dem Zertifikatehandel resultierenden Auktionsgewinne könnten eingesetzt werden, um Kohlendioxid-arme Technologien zu entwickeln oder die Auswirkungen des Anpassungsdrucks für besonders belastete Unternehmen und Haushalte abzufedern.
Im nächsten – und wohl ehrgeizigsten – Schritt muss das System des Emissionshandels dann global eingeführt werden. Denn Klimaschutz funktioniert nur, wenn sich möglichst viele Länder verbindliche Kohlendioxid-Reduktionen zum Ziel setzen. Langfristig sollte möglichst ein globaler Emissionshandel mit gemeinsamen Emissionsgrenzen etabliert werden. Die rasche und umfassende Einbindung der großen Hochemissionsländer in einen globalen Emissionshandel würde signifikante globale Emissionsminderungen möglich machen. Dieses Ziel muss prioritärer Bestandteil der deutschen und europäischen Außenpolitik sein. «
Dieser Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch „Damit Deutschland vorankommt: Kompass für eine progressive Wirtschaftspolitik“, Berlin: Verlag vorwärts buch 2011, 161 Seiten, 10 Euro