Energie und Fortschritt

Die Energiewende wird eine der zentralen Aufgaben dieses Jahrhunderts. Das regenerative Zeitalter kann wirtschaftlich und sozialverträglich gestaltet werden

Der Strukturwandel wird in den kommenden Jahren in nahezu allen Bereichen unserer Wirtschaft im Zeichen der Energiewende stehen. Der Anpassungsdruck zum sparsamen Einsatz natürlicher Ressourcen wird steigen – das gilt für energieintensive Produkte ebenso wie für die rohstoffabhängige Wertschöpfung. Hierin liegt die Chance, aus der zunehmenden Ressourcen­knappheit wirtschaftliche Potenziale für alle Gesellschafts­grup­pen zu erschließen: für den Unternehmer, der über den Einsatz  innovativer Effizienztechnologien entscheidet; für den Immobi­lienbesitzer, der sein Gebäude saniert; und für den privaten Haushalt, der sparsame Haushaltsgeräte zum Einsatz bringt.

Die Aufgabe des Staates besteht darin, die richtigen Rahmen­bedingungen und Anreize zu setzen. Orientierungspunkt ist das magische Dreieck der Energieversorgung: Versorgungssicherheit, bezahlbare Energiepreise und Umweltverträglichkeit. Der Übergang ins regenerative Zeitalter kann nur im gesellschaftlichen Konsens gelingen. Energie ist die Schlüsselfrage für die Ent­wicklungschancen und Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft. Progressive Wirtschaftspolitik bedeutet zuallererst ein klares Bekenntnis zum schrittweisen Umbau unserer Energieversor­gung hin zu Erneuerbaren Energien. Schon aufgrund der Res­sour­cen­knappheit wird früher oder später der Umstieg unausweichlich sein: Die Vorräte konventioneller Energieträger werden langfristig knapper, die Preise werden steigen – angeheizt durch den weiterhin hohen Verbrauch fossiler Energieträger in den aufstrebenden Schwellenländern. Der Klimawandel verstärkt die Notwendigkeit des Umstiegs ebenso wie der endgültige Abschied von der Atomenergie.

Die beschleunigte Umstellung auf erneuerbare Energie­versorgung wird die deutsche Wettbewerbsfähigkeit langfristig stärken. Volkswirtschaften, die diesen Umbau jetzt konsequent vorantreiben, tragen zwar kurzfristig höhere Investitionskosten, erhöhen jedoch langfristig ihre technologische Wettbewerbs­fähigkeit. Und sie bauen gleichzeitig Beschäftigung auf. Quer­schnitt­effekte sorgen dafür, dass nicht nur die Erneuerbare Ener­gien-Industrie profitiert, die längst eine volkswirtschaftliche Erfolgsgeschichte ist: Knapp 370.000 Arbeitsplätze umfasste die Branche im Jahre 2010. Die Kommunen konnten sich 2009 über eine Wertschöpfung von 6,8 Milliarden Euro durch Steuerein­nahmen, die Einsparung fossiler Brennstoffe und Arbeitsplätze freuen. Und die Exportquote der Branche bei Wasserkraft-, Windkraft- und Photovoltaik-Technologien steigt. Über 80 Pro­zent der in Deutschland gebauten Windräder werden ins Aus­land verkauft. Deutsche Zulieferer sind mit 40 Prozent der globalen Wertschöpfung die tragende Säule des weltweiten Wind­­kraftmarkts. Dabei entstehen vielfach hochqualifizierte neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig wird auch industrielle Be­schäf­tigung in klassischen Sektoren wie dem Maschinenbau, dem Handwerk, der Stahlindustrie und dem Schiffsbau gesichert. Zudem profitieren auch ländliche Räume ökonomisch vom Aus­bau der Erneu­erbaren Energien.

Bei ihrem Ausbau müssen wir Wirt­schaftlichkeit und Kos­ten­effizienz fest im Blick haben. Nur dann entstehen maximale Beschäftigungseffekte und Verteilungs­spiel­räume für soziale Abfederung. Wer bezahlbaren Klima­schutz will, sollte Strom aus erneuerbaren Energieträgern so fördern, dass die Belastung für Industrie und Haushalte minimiert und die Wertschöpfung maximiert wird. Das bedeutet auch, dass die Zukunfts­pers­pektiven einzelner Energiequellen unterschiedlich ausfallen: Der Wind­kraft wird hierzulande den Hauptanteil der Förderung Erneu­erbarer Energien leisten, weil für sie das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis besteht. Für Onshore-Wind bedarf es einer Ver­­bes­se­rung der Rahmenbedingungen durch eine erweiterte Ausweisung von Windeignungsgebieten durch die Bundes­länder. Zudem könnte die Windenergie effizienter genutzt werden, wenn die Höhenbeschränkungen für Wind­an­lagen aufgehoben würden.

Erneuerbare Energien europäisch denken

Die Einspeisung von Offshore-Wind aus Nord- und Ostsee muss vorangetrieben werden: Da die Offshore-Technologie noch weitestgehend unerprobt ist, müssen die Finanzie­rungs­bedin­gungen für Investoren verbessert werden. Ein Kreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau gehört ebenso dazu wie die zügige und effiziente Anbindung von Offshore-Windanlagen an das Netz. Bioenergie wird vor allem mit Blick auf den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung eine wichtige Rolle spielen. Außer­dem hat Bioenergie gegenüber Wind und Sonne den großen Vorteil, dass sie weniger fluktuiert und dadurch steuerbar einsatzfähig ist. Die Photovoltaik wiederum spielt eine zentrale Rolle in einem europäischen Energiekonzept, das die Ener­gieversorgung nicht mehr allein als nationale Angelegenheit begreift, sondern die Ausbaupotenziale in anderen europä­ischen Staaten erschließt und zugänglich macht, vor allem in der Mittelmeerregion.

Insgesamt müssen wir unseren Blick stärker auf Europas Potenziale richten: Sonnenstrom kann am besten da gefördert werden, wo die Sonne scheint, und Windstrom da, wo der Wind bläst. In Europa bieten sich hier noch beträchtliche Verbesse­rungs­potenziale: Bisher produziert jedes Land für sich Strom – das muss sich ändern. Wenn Sonnenstrom in der Mittel­meer­region günstiger ist als in Nordeuropa, dann sollte er von dort kommen. Ebenso müssen wir Wind primär in windstarken Regionen fördern und den Ausbau von Speichern in den Bergen Norwegens vorantreiben. In der Logik der ökonomischen Theo­rie der komparativen Vorteile sollte jedes Land in der EU seine geografisch bedingten Standortvorteile bei erneuerbaren Ener­gie­trägern in den Dienst einer europäischen Energie­ver­sorgung stellen. Deshalb gilt: Nur mit einer europaweit harmonisierten Förderung von Erneuerbaren Energien werden wir das regenerative Zeitalter in kosteneffizienter Weise erreichen.

Die Potenziale des regenerativen Zeitalters sind unbestreitbar. Dennoch muss unsere Energieversorgung mit Augenmaß und im Rahmen des Verantwortbaren umgestaltet werden. Sie darf nicht auf einem Fundament aus Illusionen und Ideologien aufbauen, sondern muss den Kriterien der Sozialver­träglich­keit, Wirt­schaftlichkeit und Versorgungssicherheit genügen. Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört die Feststellung, dass die erneuerbaren Energieträger den Einsatz konventioneller Kraft­werke kurzfristig nicht entbehrlich machen können: Wer möglichst schnell aus der Kernenergie aussteigen will, der muss andere grundlastfähige Technologien solange vorhalten, bis die Erneuer­baren zur einzigen Säule unserer Energie­ver­sorgung herangereift sind. Bisher ist nicht absehbar, wie und wann die volatile Ein­speisung aus Wind und Sonne die konventionellen grundlastfähigen Kraftwerke ersetzen könnten. Speichertechno­logien stehen heute noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Um die Wirkungsgrade von Spei­chern zu verbessern, werden noch viele Forschungs- und Pilot­projekte nötig sein. Solange aber keine effizienten Speicher­technologien verfügbar sind, ist der Abschied von der Kernkraft allein dadurch zu kompensieren, dass Kohle- und Gaskraftkraftwerken verstärkt genutzt werden. Ein sofortiger oder kurzfristiger Verzicht auf Gas- und Kohlekraft hätte ökonomisch und sozial verheerende Folgen.

Eine weitere Voraussetzung für den raschen Ausstieg aus der Kernenergie ist der Ausbau der Netzinfrastruktur. Strom aus erneuerbaren Energieträgern wird nicht dort produziert, wo er verbraucht wird. Es werden Erzeugungszentren im Norden –  beispielsweise Offshore in der Nordsee – entstehen, während die Lastzentren im industrieintensiven Süden Deutschlands liegen. Um den Strom von der Quelle zum Verbraucher zu transportieren, müssen neue Leitungen gebaut werden und innovative Übertragungstechnologien zum Einsatz kommen. Der Ausbau der Netzinfrastruktur ist in mehrfacher Hinsicht eine Herkules­auf­gabe: Die Netzbetreiber müssen beträchtliche Investitionen leisten; Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen signifikant kürzer ausfallen; die Bürger – und zwar gerade die direkt betroffenen – müssen von der Notwendigkeit des infrastrukturellen Umbaus überzeugt werden; und schließlich müssen Speicher­technologien mittels forcierter Anstrengungen in Forschung und Entwicklung zur Marktreife gelangen.

Geringverdiener dürfen nicht die Verlierer sein

Die Energiewende erfordert die Akzeptanz der Menschen und die aktive Unterstützung der Wirtschaft. Den Anpassungsdruck der Energiewende müssen viele Schultern tragen, sonst  werden ihre Kosten und Lasten ungerecht und einseitig verteilt. Bei den privaten Haushalten trifft dies für die unteren Einkom­mens­grup­pen schon heute mit voller Wucht zu: Gut verdienende Singles geben nur rund fünf Prozent ihres Einkommens für Energie aus. Bei unterdurchschnittlich verdienenden Familien­haushalten beträgt der Anteil hingegen 18 bereits Prozent. Jeder Anstieg der Strompreise trifft Geringverdiener besonders hart. Hinzu kommt, dass untere Einkommensgruppen üblicherweise nicht von der profitablen Einspeisevergütung profitieren: Welcher Durchschnittsmieter kann sich schon eine Photovol­taik-Anlage aufs Dach setzen? Unterm Strich bedeutet das: Die derzeitige Förderung der Erneuerbaren Energien kommt einer Umver­tei­lung von unten nach oben gleich.

Hier besteht also Reformbedarf: Geringverdiener dürfen nicht zu den finanziellen Verlierern der Energiewende werden. Es muss einen sozial-ökologischen Lastenausgleich geben. Dabei sind verschiedene Instrumente denkbar, etwa haushaltsbezogene Befreiungen von der Umlage des Erneuerbare-Ener­gien-Gesetzes (EEG) für einen gewissen Grundverbrauch. In den Niederlanden hat sich ein derartiges System jedoch als nicht praktikabel erwiesen. Ordnungspolitisch sauberer wäre ein Belastungsausgleich über die Einkommenssteuer. Erhöhte Freibeträge bei der Lohn- und Einkommenssteuer könnten einen Teil der EEG-Mehrbelastungen für einkommensschwache Haushalte ausgleichen. Um die untersten Einkommensklassen zu erreichen, die ohnehin keine oder kaum Steuern bezahlen, könnte man an Öko-Gutscheine denken – damit wären Gering­verdiener zu Überweisungen vom Finanzamt berechtigt. Alter­na­tiv wäre auch an einen systemimmanenten Ausgleich zu denken: Ein Effizienz-Fonds, der sich aus der Einspei­se­ver­gü­tung für die Erneuerbaren finanziert, könnte Prämien oder Klein­kredite für solche Privathaushalte vorsehen, die effizienzsteigernde Maßnahmen in ihren Haushalten vornehmen, beispielsweise indem sie effiziente Haushaltsgeräte anschaffen. Damit würde neben dem gewünschten Effekt der Sozial­verträglichkeit gleichzeitig ein Anreiz zur Energieeinsparung gesetzt.

Deutschland soll auch weiterhin als Pionier beim Ausbau der Erneuerbaren Energien voranschreiten. Das EEG bietet hierfür das richtige Instrumentarium. Aber: Je näher das regenerative Zeitalter rückt, umso offener müssen wir uns mit den Kosten der Energiewende auseinandersetzen. Nur durch sozialverträgliche und wettbewerbskonforme Lastenverteilung kön­nen wir das volkswirtschaftliche Potenzial der Energie­wende voll ausschöpfen.

Schlüsselfaktor Energieeffizienz

Für die Industrie bedeutet Ressourcenknappheit und das Gebot ökologischer Nachhaltigkeit eine enorme Anpassungslast. Hier wurde in der Vergangenheit einiges versäumt. Jahrzehntelang konzentrierten sich die Unternehmen darauf, mit weniger Men­schen mehr aus der Produktion herauszuholen. Erfolg­reich war die Strategie durchaus: Die Arbeitsproduktivität hat sich seit 1960 vervierfacht. Die Effizienz des Energie- und Roh­stoff­ein­satzes hingegen ist im selben Zeitraum nur um den Faktor 1,5 bis 2 gestiegen. Heute verursachen Energie und Roh­stoffe 40 Prozent der Kosten in der gesamten Industrie, die Löhne hingegen nur 25 Pro­zent. Die Deutsche Materialeffizienzagentur schätzt das Einspar­volumen der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands auf 100 Mil­liarden Euro pro Jahr, sofern die Material- und Roh­stoff­effizienz um 20 Prozent gesteigert wird. Energie- und Roh­stoff­effi­zienz ist deshalb nicht nur eine ökologische Frage, sondern auch eine der Wettbewerbsfähigkeit.

Beim Thema Energieeffizienz ist vor allem die energetische Gebäudesanierung wichtig. Nach Berechnungen des Institutes der deutschen Wirtschaft könnten die Kohlendioxid­emis­sionen im Gebäudebereich mit neuen Heizungen und Klima­an­lagen sowie besserer Wärmeisolierung um rund 50 Millionen Tonnen reduziert werden. Die energetische Gebäudesanierung bietet damit erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Handwerk. Sei­tens der Wohnungswirtschaft werden mehr als 200 Milliar­den Euro in den Klimaschutz investiert werden müssen. Nach Schät­zungen des Bundes könnten durch die notwendige Gebäu­de­sanierung deutschlandweit bis 2020 rund 430.000 neue Ar­beits­plätze entstehen. Um die Effizienzpotenziale auszuschöpfen, brauchen wir ein Maßnahmenbündel aus ord­nungs­rechtlichen Instrumenten, finanziellen Anreizprogrammen und Markt­instru­menten, die auf die unterschiedlichen Kundengruppen zugeschnitten sind. Erforderlich ist die schrittweise Verschärfung der Energieeinsparverordnung, die Aufstockung des CO2-Ge­bäudesanierungsprogramms und die Einführung eines qualitätsgesicherten Energieausweises für Gebäude. Und um Einspar­potenziale auch für Geringverdiener zu erschließen, sollten Kleinkreditprogramme für einkommensschwache Haushalte zur Anschaffung von hocheffizienten Haushaltsgeräten bereitgestellt werden.

Effektiver Klimaschutz steht und fällt mit einer signifikanten Kohlendioxid-Reduzierung. Für eine klimaverträgliche Gesellschaft sind die Förderung Erneuerbarer Energien und die Steigerung der Ressourceneffizienz zwei zentrale politische Instrumente. Ein weiterer wichtiger Bestandteil nachhaltiger Wirtschaftspolitik ist die „Bepreisung“ von Kohlendioxid. Dabei ist die Mengenbegrenzung mit Emissionshandel das ökologisch sinnvolle Instrument: Es ist technologieoffen und gewährleistet kosteneffiziente Anpassungsreaktionen je nachdem, auf welchem Gebiet es zu den geringsten Kosten möglich ist, die Koh­len­dioxid-Emission zu reduzieren.

Handlungsbedarf besteht deshalb bei der Weiter­ent­wick­lung des europäischen Emissionshandelssystems. Anzustreben ist ein sektorenübergreifender Kohlendioxid-Handel mit stetiger Verknappung des Angebots und Vollauktionierung. Dabei kommt es darauf an, auch für bisher nicht erfasste Emissions­quellen wie den Verkehr einen Kohlendioxid-Preis einzuführen. Die aus dem Zertifikatehandel resultierenden Auktions­gewinne könnten eingesetzt werden, um Kohlendioxid-arme Techno­logien zu entwickeln oder die Auswirkungen des Anpassungs­drucks für besonders belastete Unternehmen und Haushalte abzufedern.

Im nächsten – und wohl ehrgeizigsten – Schritt muss das System des Emissionshandels dann global eingeführt werden. Denn Klimaschutz funktioniert nur, wenn sich möglichst viele Länder verbindliche Kohlendioxid-Reduktionen zum Ziel setzen. Langfristig sollte möglichst ein globaler Emissions­han­del mit gemeinsamen Emissionsgrenzen etabliert werden. Die rasche und umfassende Einbindung der großen Hochemis­sions­länder in einen globalen Emissionshandel würde signifikante globale Emissionsminderungen möglich machen. Dieses Ziel muss prioritärer Bestandteil der deutschen und europä­ischen Außenpolitik sein. «

Dieser Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch „Damit Deutschland vorankommt: Kompass für eine progressive Wirtschafts­politik“, Berlin: Verlag vorwärts buch 2011, 161 Seiten, 10 Euro


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