Europas neue Wirtschaftsregierung
Die Bundesregierung plant einen neuen europäischen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“. Er soll die Voraussetzung dafür sein, dass Deutschland eine grundsätzliche Lösung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone weiter unterstützt. Dem Plan zufolge würden zusätzliche Konvergenzkriterien für Lohnstückkosten, Verschuldung und Investitionen eingeführt. Zudem müssten sich die Euro-Länder zu einer Reihe weiterer Maßnahmen verpflichten: Bildungsabschlüsse sollen gegenseitig anerkannt, die Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer soll vereinheitlicht, das Renteneintrittsalter an die Demografie angepasst und eine Schuldenbremse in den nationalen Verfassungen verankert werden.
Sollte der Pakt in dieser oder ähnlicher Form verabschiedet werden, dann ist er im besten Fall wirkungslos. Im schlimmsten Fall aber führt er zum Auseinanderbrechen der Eurozone. Zweifellos schafft er mehr Probleme, als er löst. Er ist ein „Maastricht 2.0“, eine Neuauflage der Fehlentscheidung vom Anfang der neunziger Jahre, als Deutschland den anderen Ländern der Eurozone den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufzwang – und im Gegenzug die D-Mark aufgab. Wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt ergibt auch der geplante neue Pakt ökonomisch keinen Sinn. Und er ist politisch fatal, weil er den Euro-Staaten Maßnahmen diktiert, die sie weder erfüllen können noch erfüllen wollen.
Deutschland nimmt in der Eurozone eine einmalige ökonomische Position ein. Unsere Wirtschaft ist gekennzeichnet durch wettbewerbsfähige Unternehmen, die von starken und kooperativen Betriebsräten, einer speziellen Steuerpolitik, passgenauen Ausbildungssystemen und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen flankiert werden. All diese Politikfelder sind auf die Perfektionierung unseres spezifischen Produktionsmodells ausgerichtet und machen deutsche Produkte weltmarktfähig. Die massiven Kostensenkungen der vergangenen 15 Jahre – mittels Outsourcing, Zeitarbeit, Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten und massiver Lohnkürzungen im Dienstleistungssektor durch Kombilöhne – ermöglichten den Unternehmen der verarbeitenden Industrie ein phänomenales Comeback auf hart umkämpften Weltmärkten.
Die meisten Länder der Eurozone besitzen diese institutionellen Voraussetzungen nicht. Und selbst wenn sie ihre Lohnstückkosten auf das deutsche Niveau senken könnten – es wäre doch nur ein Anlass für weitere betriebliche Programme der Kostenreduzierung in Deutschland, um die neuen Wettbewerber zu unterbieten. In diesem Rennen können vielleicht Österreich oder die Niederlande gerade noch mithalten. Alle anderen Länder, besonders die „PIIGS“-Staaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, die schon heute über Gebühr finanzpolitisch belastet sind, würden so an den Rand des Ruins getrieben. Die Ungleichgewichte würden nicht beseitigt, sondern verschärft.
Zugleich nähme der Pakt den Ländern jede Flexibilität im Umgang mit ihrer misslichen Lage. Es ist ja schon umstritten, ob die Schuldenbremse ein geeignetes Instrument für den Umgang mit der deutschen Verschuldung ist. Eine erzwungene Schuldenbremse in anderen Ländern der Eurozone wäre sowohl ökonomisch wie politisch eine Form der Disziplinierung, die geradezu nach Rebellion gegen die deutschen Fesseln ruft.
Um die Eurozone zu schützen, wird es zu weiteren Integrationsschritten kommen müssen. Keine Frage, Reformmaßnahmen in einer Wirtschafts- und Währungsunion sollten aufeinander abgestimmt, eklatante Fehlentwicklungen berichtigt werden. Jedoch muss aus politischen und wirtschaftlichen Gründen jedes Land die Möglichkeit haben, seinen eigenen Weg zu finden. Die Eurozone kann nur überleben, wenn zum Erreichen gemeinsamer Ziele flexible Maßnahmen möglich sind. Jedes Land hat eigene nationale Mechanismen, um seinen Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Was den Deutschen das Instrument der Kurzarbeit ist, ist den Iren die Unternehmenssteuer. Die Bundesregierung darf die Stärke der deutschen Industrie nicht dazu nutzen, andere Länder zur Aufgabe ihrer jeweiligen Wettbewerbsvorteile und damit weiter in die Knie zu zwingen.