Flaute im globalen Treibhaus
Am Ende war es der finale Showdown, der die Sache noch einmal rettete. Kaum jemand war mit großen Hoffnungen zur Klimakonferenz von Doha gereist, nach zwölf Tagen zäher Verhandlungen stand der Gipfel vor dem Scheitern, und als die Teilnehmer die Veranstaltung um einen Tag verlängerten, wirkte das wie ein Akt der Verzweiflung. Da griff sich der Präsident der Konferenz, Abdullah Bin Hamad al-Attija, ein Herz und seinen Hammer und erklärte die Vorlagen in Rekordtempo zur beschlossenen Sache, ohne sich um den Protest der russischen Delegation zu kümmern. Für einen Moment wirkte er wie weiland Alexander der Große, als er den Gordischen Knoten durchschlug. Und für den Moment fragte niemand nach, ob der Knoten vielleicht auch sein Gutes hatte.
Der Kater ließ freilich nicht lange auf sich warten. Bei Lichte betrachtet sind die Ergebnisse ziemlich mager, zudem abhängig von künftigen Verhandlungen und mit Blick auf den stetig wachsenden Ausstoß klimaschädlicher Emissionen an der Grenze zur Bedeutungslosigkeit. Es ist nach zwei Jahrzehnten der Klimadiplomatie schwer geworden, noch Hoffnungen auf den großen Durchbruch zu hegen. Ein wenig wirken die internationalen Klimaverhandlungen wie ein Kreis von Leuten, die sich ein Loch gegraben haben und doch erst einmal weiterschaufeln, weil ihnen halt nichts Besseres einfällt.
Relikt einer vergangenen Epoche
Es lohnt sich, nach Doha den Weg zu rekapitulieren, der in diese Sackgasse geführt hat. Ein Gutteil der Probleme liegt nämlich darin begründet, dass das aktuelle Verhandlungsregime Relikt einer vergangenen Epoche ist. Als auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 die Klimarahmenkonvention unterzeichnet wurde, sah die Welt noch anders aus. Nach dem Ende des Kalten Kriegs schien ein neues Zeitalter internationaler Zusammenarbeit anzubrechen. Ökologische Probleme hatten weltweit Konjunktur, selbst das Militär interessierte sich plötzlich für grüne Themen (wenn auch nur, um nach dem Ende des Wettrüstens eine neue Existenzberechtigung aufzubauen). Was konnte besser das Ende des Kalten Krieges symbolisieren als eine Menschheit, die sich in der Sorge um den Planeten zum gemeinsamen Handeln aufrafft?
Das klingt im Rückblick zweifellos naiv. Tatsächlich gab es jedoch mit dem Schutz der Ozonschicht einen Präzedenzfall. Im Montreal-Protokoll von 1987 hatten sich die Industrienationen der Welt auf eine Halbierung des Ausstoßes ozonschädlicher Substanzen innerhalb von zehn Jahren verständigt. Auf einer Folgekonferenz in London wurde das Ziel auf einen weltweiten Produktionsstopp bis zum Jahr 2000 hochgeschraubt. Das Abkommen gilt vollkommen zu Recht als Meilenstein der globalen Umweltpolitik.
Das Montreal-Protokoll bewies nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit eines gemeinsamen globalen Handelns, sondern zeigte auch einen modellhaften Weg zu effektiven globalen Vereinbarungen auf. Bewusst akzeptierten die Verhandlungsparteien mit dem Montreal-Protokoll zunächst eine offenkundig defizitäre Lösung, um später nachzubessern. Nur so lassen sich die Hoffnungen verstehen, die sich mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 verbanden. Eigentlich waren die Regelungen in Anbetracht des Gesamtproblems geradezu lächerlich schwach, aber als erster Schritt auf dem langen Weg zu einer globalen Lösung hatte die Übereinkunft einen ungeheuren Charme.
Tatsächlich gab es seit Kyoto eine dynamische Entwicklung, nur leider nicht in die erhoffte Richtung. Das lässt sich schon an der ausgesprochen mühseligen Ratifizierung des Kyoto-Protokolls erkennen, die sich über sieben Jahre hinzog und damit nicht weniger als die Hälfte des avisierten Geltungszeitraums in Anspruch nahm. Als sich die Verhandlungen weiter dahinschleppten und das Auslaufen des Kyoto-Protokolls näher rückte, setzten Befürworter des „Global Deals“ alles auf eine Karte: „Last Exit Copenhagen“ hieß es vor dem Klimagipfel von 2009. Nach dem spektakulären Scheitern dieser Strategie tagte man erst einmal weiter und versuchte es schließlich noch einmal. So wie die Klimakonferenz von Bali die Roadmap für den Kopenhagen-Gipfel beschloss, so verständigte man sich in Durban 2011 auf ein Folgeabkommen bis 2015. Das kann man wahlweise als Politik der Hoffnung oder Delegieren an den Nachfolger verstehen. Die Frist von vier Jahren entspricht wohl nicht ganz zufällig der Länge einer typischen Legislaturperiode.
Die Verzweiflung der Europäer
Es gibt noch zwei weitere Entwicklungen, die für die Zukunft der Klimapolitik von Bedeutung sind. Da ist zum einen die Europäisierung der globalen Klimaverhandlungen. Man kann durchaus bezweifeln, ob es überhaupt noch einen globalen Verhandlungsprozess gäbe, wenn die Europäische Union nicht immer wieder mit lebenserhaltenden Maßnahmen in Erscheinung getreten wäre. Die notorische Obstruktionshaltung der Vereinigten Staaten täuscht leicht darüber hinweg, dass auch unter den übrigen Industrienationen von Kanada bis Japan die Skepsis regiert. Nur Regierungen des globalen Südens zeigen sich noch lebhaft an künftigen Verhandlungen interessiert, und deren Motive sind offenkundig. Man kann es ihnen auch kaum verdenken, dass sie sich in Anbetracht der schwindelerregenden Summen, die für Projekte der „Klimaadaption“ in Aussicht stehen, rechtzeitig in Stellung bringen wollen.
Es hatte schon etwas von einer Verzweiflungstat, als sich die Europäische Union vor der Doha-Konferenz mit der Alliance of Small Island States verbündete, deren Vorsitz im Moment ein Land mit weniger als 10 000 Einwohnern hat. Und doch liegt in der Schlüsselstellung Europas auch eine Chance, denn damit hat es eine Art Vetorecht: kein glaubwürdiger Klimavertrag ohne Europa. Die Drohung, ein leerlaufendes Vertragsregime einfach zu verlassen, mag für gute Europäer als die unerklärten Champions ewiger multilateraler Verhandlungen ungewohnt sein. Aber wenn bis 2015 kein brauchbares Abkommen vorliegt, sollte es sich die Europäische Union gut überlegen, ob sie künftigen Verhandlungen durch ihre Teilnahme weiterhin Legitimität verleiht. Ein Scheitern der globalen Klimaverhandlungen ist nach Kopenhagen nicht mehr zwangsläufig ein Desaster. Es könnte auch eine Befreiung sein, die Raum für Neues schafft.
Dazu bedarf es jedoch der Reflexion über die zweite Entwicklung, die die Klimaszene in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat. Gemeint ist die zunehmende Entkontextualisierung des Klimaproblems. Waldwirtschaft, landwirtschaftlicher Boden, Baustile – es gibt inzwischen kaum noch einen Aspekt des modernen Lebens, der nicht in den Orbit der Klimapolitik einbezogen und als Bestandteil des ersehnten „Global Deals“ postuliert wird. Das steigert die Komplexität der Verhandlungen: Es liegt sicher auch an der beständigen Expansion der Agenda, dass Klimaverhandlungen inzwischen eine fünfstellige Zahl von Delegierten anziehen. Und das ist arrogant: Stets läuft es am Ende darauf hinaus, dass in allen möglichen Themenfeldern letztlich die Klimabilanz den Ausschlag geben müsste.
Inzwischen gibt es selbst in umweltbewegten Kreisen einen erheblichen Unmut darüber, dass die traditionelle Vielfalt ökologischer Themen von den Hegemonialansprüchen der Klimaszene überlagert wird. Hingegen ist die breite Öffentlichkeit ziemlich unbeeindruckt, wie ein Blick auf die Entwicklung des Flugverkehrs und der panzerähnlichen Automobile zeigt. Umso prekärer ist es, wenn die Klimaszene auf ihre Krise mit immer größeren Ansprüchen reagiert. Man muss sich nur einmal vorstellen, Banker oder Industrielle würden eine Denkschrift mit ähnlichem Geltungsanspruch vorlegen wie der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen mit seinem Hauptgutachten über die „Große Transformation“. Das Gutachten gälte längst als schlagender Beleg für die fatale Arroganz von Eliten, die ganzen Gesellschaften kurzerhand ein allumfassendes Reformpaket verschreiben möchten.
Wer das Hauptgutachten liest, gewinnt den Eindruck, dass es der Klimapolitik lediglich am guten Willen mangelt. Tatsächlich fehlt es wohl auch an neuen Wegen. Es ist fatal, wenn am Ende alles auf die Klimawirkung reduziert wird. An sich bietet der Klimaschutz vielfältige Anknüpfungspunkte für nicht bloß taktisch motivierte Bündnisse mit anderen Anliegen: Ressourcen, Naturschutz, Biodiversität, Katastrophenschutz und so fort. Während Klimaforscher ihre Blaupausen für 2050 entwickeln, merken die Menschen bei der Energiewende, dass auch gut gemeinte Politiken Risiken und Nebenwirkungen haben. Und sie verlangen Antworten hier und jetzt.
Die Insider und ihre Eigeninteressen
Nichts braucht die Klimapolitik derzeit mehr als ein Erfolgserlebnis. Und dies wird sich am ehesten aus thematisch und geografisch begrenzten Projekten ergeben, die mehrere Anliegen miteinander verbinden, darunter unbedingt auch nichtökologische: Eine Klimapolitik, die nicht auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit stellt, wird es im 21. Jahrhundert schwer haben. Wie verhindert man, dass gut gemeinte Subventionen zu einer Innovationsträgheit führen, deren Folgen wir in der aktuellen Krise der Solarenergie besichtigen können? Ist Klimakompensation ein vertrauenswürdiges und zukunftsweisendes Geschäft? Und kann man für die vielbeschworene Klimaadaption tatsächlich harte Kriterien finden?
Prima wäre natürlich auch eine Energiewende, der nicht schon nach einem Jahr die Luft ausgeht. Es ist ja schon merkwürdig, dass deren Krise weniger Interesse auf sich zieht als die Klimabilanz in vierzig Jahren. Es gibt wohl kaum ein stärkeres Indiz für ein grundsätzliches Problem als eine Bundesregierung, die gleich zweimal in einer Legislaturperiode mit Politikwechseln Schiffbruch erleidet. Das Umweltministerium in seiner jetzigen Form erweist sich als Anachronismus aus einer Zeit, in der ökologische Anliegen vor allem darauf hinausliefen, die Kollegen in den Ressorts für Wirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr zu bremsen. Bei der Energiewende geht es hingegen darum, umsichtig zu gestalten. Im vertrauten Ping-Pong-Spiel zwischen verhärteten Fronten kommt man da nicht weit.
Ein wenig erinnern die aktuellen Entwürfe an die Planungseuphorie der Nachkriegsjahre: visionäre Entwürfe für die Welt in dreißig Jahren, gepaart mit einer Unschlüssigkeit über die nächsten Schritte. Inzwischen wissen wir, dass diese Planungseuphorie den Interessen der Planer mehr diente als der Gesellschaft. Es ist deshalb höchste Zeit, auch in der Klimapolitik nach den Eigeninteressen und ihren Folgen zu fragen. Man nehme etwa den Emissionshandel: Was in den marktliberalen Neunzigern die Zukunft der Umweltpolitik zu verkörpern schien, präsentiert sich mehr und mehr als ineffektiver und durchaus skandalträchtiger Ansatz, der nur noch von Insidern vorangetrieben wird, die jedes Problem als Begründung für neue Stellen und Kompetenzen anführen können. Eine Klimaszene, die sich immer mehr vom Rest der Gesellschaft abkoppelt, darf sich nicht wundern, wenn neue Ansätze ihren Interessen zuwiderlaufen.
Muss sich denn jeder und alles ändern?
Die lohnenden Fragen kommen bezeichnenderweise erst dann in den Blick, wenn man sich vom utopischen Eskapismus des Zwei-Grad-Ziels und der daraus abgeleiteten Modellrechnungen einmal freimacht. Es geht ja nicht nur darum, dass sich die Klimapolitik auf diesem Weg in fernen Zeiten verliert, die sich kaum seriös vorausplanen lassen. Ein Masterplan, bei dem sich alles und jeder ändern muss, bleibt mit Blick auf die Akteure diffus. Gute Klimapolitik konzentriert sich auf einige strategische Punkte und eine begrenzte Zahl von Entscheidungsträgern. Was wäre eigentlich in Kopenhagen passiert, wenn sich der Blick auf notorische Skandale wie das unbesteuerte Flugbenzin gerichtet hätte?
Der Gordische Knoten verband übrigens Joch und Deichsel am Streitwagen des Königs von Phrygien und sorgte dafür, dass dieser nicht steuer- und antriebslos vor sich hin rollte. Vielleicht nicht die schlechteste Metapher für den aktuellen Stand der Klimapolitik.