Fußball unterm Hakenkreuz

Nils Havemann ist spektakulär an der Aufgabe gescheitert, die Geschichte des DFB im Nationalsozialismus zu analysieren

Scheitern als Chance“ – das Motto des Aktionskünstlers Christoph Schlingensief könnte auch für die ersten Bemühungen des Deutschen Fußball-Bundes gelten, seine NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Länger als bei anderen Institutionen waren beim DFB Verdrängen und Beschönigen die Maximen beim Umgang mit der eigenen Geschichte. Erst ein eindringlicher Appell des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau bei der 100-Jahr-Feier des Verbandes im Jahr 2000 veranlasste den DFB, seine Rolle während des NS-Diktatur doch einmal wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Unter dem Titel Fußball unterm Hakenkreuz liegt diese Studie jetzt vor.

Der Historiker Nils Havemann belegt nach fleißiger Archivarbeit in seinem Buch, wie bereitwillig sich die DFB-Funktionäre in das NS-Regime einordneten. Kein Offizieller musste nach 1933 seine Position räumen, stattdessen überführte Präsident Felix Linnemann den Verband in die nationalsozialistische Sportorganisation, wo er bis 1945 als Leiter des „Reichsfachamtes Fußball“ amtierte. Bei der Ausgrenzung der jüdischen Fußballer machte der Deutsche Fußball-Bund von Beginn an mit. Schon im April 1933 erklärte er, dass „Angehörige der jüdischen Rasse [in] führenden Stellungen der Verbandsinstanzen und der Vereine ... nicht tragbar“ seien. Bei Bayern München musste Kurt Landauer das Präsidentenamt abgeben; Walther Bensemann, Herausgeber des Fachblattes Kicker, verlor seine Zeitschrift; den einstigen Nationalspieler Julius Hirsch drängte man aus Verein und Verband.

Wie das nationalsozialistische Regime den Fußball als Propaganda-Instrument nutzte, zeigte sich besonders im Jahr 1941, als unter Mitwirkung von Reichstrainer Sepp Herberger und Spielern wie Fritz Walter der Film Das Große Spiel gedreht wurde. Mit Disziplin, Kampfeswille und Kameradschaft sollten jene „deutschen Tugenden“ verherrlicht werden, die man jetzt weniger auf dem Fußballplatz, sondern vor allem für den Überfall auf die Sowjetunion brauchte.

Tucholsky als Vordenker der Endlösung?

Auch persönlich waren DFB-Größen in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt: Der einstige Reichstrainer Otto Nerz propagierte in Zeitungsartikeln ein „judenfreies Europa mit einem judenfreien Sport“ und Präsident Linnemann war als hoher Polizeibeamter und Leiter der Kripoleitstelle Hannover selbst Teil der Verfolgungsmaschinerie.

Alle diese Befunde schildert Havemann, der als Wissenschaftler ein unbeschriebenes Blatt ist – er scheitert aber an ihrer historischen Deutung. An einer Stelle erläutert der Autor, „lagertypische Wahrnehmungstabus“ brechen zu wollen. Wer solche Vorsätze verkündet, der steht meist selbst mit beiden Beinen fest in einem ideologischen Lager. Dies scheint auch hier der Fall zu sein.

Was soll man etwa davon halten, wenn der Autor die „Pflege des nationalen Gedankens“, die „Bekämpfung der ‚bolschewistischen Gefahr‘“ und die „Beseitigung des als ineffizient erachteten Parlamentarismus“ zur Grundeinstellung der DFB-Funktionäre zählt, diese aber im gleichem Atemzug zu völlig unpolitischen Fußball-Enthusiasten erklärt? Mit unverkennbar apologetischem Unterton werden hier Gegnerschaft zur freiheitlichen Demokratie, Antisemitismus und übersteigerter Nationalismus zum damaligen common sense deklariert.

So schreibt der Autor: „Auch wenn die primitive Gewalt der Nazis zumeist abgelehnt wurde, gab es letztlich einen weitgehenden, bis tief in die politische Linke hineinreichenden, ja selbst von scharfen NS-Gegnern wie Heinrich Mann und Kurt Tucholsky geteilten Konsens, dass es eine ‚Judenfrage‘ gebe, die gelöst werden müsse.“ Tucholsky als Vordenker der Endlösung? Es waren wohl Sätze wie diese, die einen renommierten Verlag veranlassten, die Veröffentlichung der DFB-Studie abzulehnen.

Für Havemann war das Paktieren des Deutschen Fußball-Bundes mit dem NS-Regime eine historische Zwangsläufigkeit, weshalb er die Frage ausklammert, ob man sich damals nicht auch anders hätte verhalten können. Dazu hätte er einen Blick auf den Arbeiterfußball werfen müssen, wo der Sport mit dem Engagement für die freiheitliche Demokratie verbunden war. Dessen Vereine wurden nach 1933 verboten, seine Funktionäre vielfach verhaftet. Havemann vermag nicht einmal den Namen des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB) richtig zu schreiben. Dies hält ihn freilich nicht davon ab, ohne weitere Untersuchung keck zu behaupten, dessen Mitglieder seien dem Nationalsozialismus nach 1933 ebenso begeistert auf den Leim gegangen wie die bürgerlichen Sportfunktionäre. Für Cornelius Gellert, den langjährigen Vorsitzenden des ATSB, galt das gewiss nicht: Ihn verschleppten die Nazis ins Konzentrationslager Sachsenhausen, während sein einstiger Kollege vom DFB, Felix Linnemann, zum SS-Obersturmbannführer avancierte.

Für Havemann ist jedoch klar, dass Distanz zur Diktatur und zum Unrechtsregime „nur in seltenen Fällen einen rein ethischen Hintergrund“ hatte. Widerstand kann er sich nur bei jenen vorstellen, „die in ihrem persönlichen Lebensbereich zu den Verlierern der Revolution von 1933 gehörten“. War also kein Held, sondern bloß loser, wer sich für die Demokratie einsetzte oder sich schützend vor seine verfolgten jüdischen Mitbürger stellte? Immer wieder sind es solche verunglückten Interpretationsversuche, mit denen der Autor seine umfangreiche Quellenstudie selbst entwertet.

Am Ende seiner Untersuchung zieht Havemann das Fazit, dass der Fußball stets mit den Mächtigen zu kooperieren suche und dadurch Gefahr laufe, sich später einmal dafür verantworten zu müssen. Sind die DFB-Funktionäre also allesamt notorische Opportunisten, die sich an jeden Potentaten ranschmeißen, damit der Ball rollt? Havemanns Resümee ist ein wuchtiger Schlag ins Gesicht eines Mannes wie Theo Zwanziger, unter dessen Präsidentschaft der DFB in den vergangenen Jahren engagiert für Demokratie und gegen Rassismus Stellung bezogen hat.

Havemanns Scheitern gibt dem Deutschen Fußball-Bund deshalb die Chance zu zeigen, dass er längst weiter ist, als diese Studie suggeriert. Weiter gehen muss auch die historische Aufarbeitung der Fußballgeschichte. Dabei sollte der Blick auf das Schicksal jüdischer Fußballer gerichtet und nach positiven Beispielen für Zivilcourage gesucht werden. In einer Zeit, in der Rechtsradikale gegen farbige Fußballer hetzen und versuchen, den Rassenhass zurück in die Stadien zu tragen, ist das wichtiger als je zuvor.

Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz: Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2005, 473 Seiten, 19,90 Euro

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