Gott hat hohe Nebenkosten

In Deutschland werden christliche Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime und Schulen vom Staat finanziert - und damit von der Gesamtheit aller Steuerzahler. Zugleich beanspruchen die Kirchen das Sonderrecht, nur christliche Mitarbeiter zu beschäftigen. Lässt sich das legitimieren? Und wie wirkt es sich auf die Qualität der Einrichtungen aus?

In Königswinter-Rauschendorf, nahe bei Bonn, bittet Pastor Udo Maria Schiffers in sein Pfarrbüro. Er führt vorbei am Tisch der Sekretärin, die schon Feierabend hat, in ein Hinterzimmer. Ein Kopierer für den Pfarrbrief steht dort, darüber vier goldene Heiligenfiguren. Pfarrer Schiffers ist ein Mann mit ruhigem Gang, in zwei Jahren wird er 70. „Sie saß genau da“, sagt er, zeigt auf die gegenüberliegende Tischseite und meint Bernadette Knecht, die Kindergartenleiterin am Ort. Pfarrer Schiffers war ihr Vorgesetzter, er hat sie hier am Tisch entlassen, weil sie sich von ihrem Mann getrennt hatte und zu einem neuen Partner gezogen war. Ihr Fall ging bundesweit durch die Presse. Es ist eine besondere Geschichte. Nicht nur, weil Pfarrer Schiffers sich für die drastische Kündigung entschieden hat – offiziell wegen „Gefahr eines schädlichen Ärgernisses“ in der Gemeinde –, sondern weil die Eltern des Kindergartens sich danach ungewöhnlich stark für ihre Erzieherin einsetzten. So sehr, dass die Stadt Königswinter schließlich dem Pfarrer und damit der katholischen Kirche die Trägerschaft für den Kindergarten entzog, mit der Begründung, dass das schlechte Verhältnis zwischen Kindergarteneltern und Kirche nicht mehr zu kitten sei.

Wer seine Ehe bricht, der kann kein gutes Vorbild sein

Das ist das Spannungsfeld: Die Kirche, die Kinder erzieht, Kranke pflegt oder Kliniken betreibt. Der Staat, der diese Aufgaben zu einem großen Teil den Kirchen überträgt. Die Mitarbeiter, für die ein anderes Arbeitsrecht gilt als für andere Arbeitnehmer. Die Öffentlichkeit, die für dieses Arbeitsrecht im 21. Jahrhundert kaum noch Verständnis hat.

Ein halbes Jahr später möchte der Pfarrer erklären, warum er die Kündigung auch heute noch für richtig hält. „Was Bernadette Knecht getan hat, ist der objektive Tatbestand des Ehebruchs“, sagt er. „Und die Ehe ist für uns Katholiken heilig und bis zum Lebensende bindend.“ Wer seine Ehe bricht, der kann kein gutes Vorbild mehr sein, sicher keinen Kindergarten leiten, keine Personalverantwortung tragen. So sieht es Pfarrer Schiffers.

Bernadette Knecht ist eine von hunderttausenden Menschen in Deutschland, die in sozialen Einrichtungen für die Kirchen arbeiten. In Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen. Wie jeder Angestellte dort hat sie mit ihrem Arbeitsvertrag akzeptiert, dass die Einrichtung, in der sie arbeitet, sich als Teil der Kirche begreift und ihrem „Sendungsauftrag“ dient. Dass sie als katholische Mitarbeiterin deshalb auch ihr eigenes Leben im Sinne der christlichen Glaubenslehre führen wird. Wer das nicht tut, der wird entlassen. So sieht es nicht nur der Pfarrer, so sagt es das kirchliche Arbeitsrecht. Deshalb die Kündigung.

Der Hintergrund: Die Kirche versteht sich und ihre Mitarbeiter bis heute als Gemeinschaft von Gläubigen, als so genannte Dienstgemeinschaft. Sie geht davon aus, dass alle, die Teil dieser Gemeinschaft sind, das gleiche Anliegen haben, im Auftrag Gottes arbeiten und deshalb mit Streit und Uneinigkeit eher nicht zu rechnen ist. Wenn es doch Konflikte gibt, sollen diese ohne Druck von außen, innerhalb der Gemeinschaft beigelegt werden.

Aus diesem Grund halten sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche ein Streikrecht für ihre Arbeitnehmer für unangebracht. Statt eines Betriebsrates gibt es lediglich Mitarbeitervertretungen. Und die Löhne werden nicht über Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften festgesetzt, sondern dies regeln die Mitarbeiter selbst in Gremien, die zu gleichen Teilen aus den Reihen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besetzt sind. Rechtlich sind diese schwächeren Mitbestimmungsrechte unter anderem möglich, weil das Betriebsverfassungsgesetz für die Kirchen und ihre Einrichtungen nicht gilt. Die Ausnahmeregelung findet sich in den Bestimmungen selbst, in § 118, Absatz 2. Dort steht: „Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.“ Zwar gilt das Gesetz auch für Tendenzbetriebe wie Parteien oder Interessenverbände nur eingeschränkt, da die Mitarbeiter sich dort verpflichten, hinter der Linie ihres Arbeitgebers zu stehen, der ja ein bestimmtes Ansinnen verfolgt. Aber nur bei den Religionsgemeinschaften finden die Regelungen überhaupt keine Anwendung. Das bedeutet: Der Staat hat keinerlei Einfluss darauf, wie die Kirchen die Mitbestimmungsrechte ihrer Mitarbeiter regeln. Dass dies so sein soll, wurde erst 1952 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer beschlossen. Im Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik gab es diese Einschränkung nicht.

Die Gefahr des „schädlichen Ärgernisses“

Ein weiteres Gesetz, das für die Kirchen Ausnahmen macht, ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitnehmer in Deutschland vor Diskriminierung schützen soll. Dort steht, dass Religionsgemeinschaften „die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen“ das Recht haben „von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können“. Diese Ausnahme gibt den Kirchen zum einen die Möglichkeit, als Arbeitgeber die Religion ihrer Mitarbeiter zum Kriterium zu machen. Zum anderen ist dadurch legitimiert, dass auch das Verhalten der Arbeitnehmer außerhalb des Dienstes in einer kirchlichen Einrichtung zum Loyalitätsverstoß erklärt werden kann.

Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Arbeitgeber von seinen Beschäftigten eine gewisse Loyalität erwartet. Aber besonders bei der katholischen Kirche reichen die Verpflichtungen, denen die Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsvertrag zustimmen, weit ins Privatleben. Die Geschichte von Bernadette Knecht ist solch ein Beispiel. Mit ihrer neuen Beziehung hat sie gegen das sechste Gebot verstoßen: Ehebruch. Damit hat sie ihre Loyalitätspflicht verletzt. Bernadette Knecht wurde – wie Pfarrer Schiffers es sagte – gekündigt, um die Gefahr eines „schädlichen Ärgernisses“ für die christliche Gemeinschaft zu vermeiden.

Ein Pfarrer hält sich also an geltende Kirchengesetze, eine Stadt entzieht der Kirche trotzdem die Trägerschaft. Wie ist das möglich? Bernadette Knecht wurde nicht von der katholischen Kirche bezahlt, sondern vom Staat. Und der Kindergarten, um den es sich dreht, heißt zwar „Katholischer Kindergarten St. Margareta“, doch finanziert wird die Einrichtung zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Es zahlen: das Land, die Stadt, die Eltern – die Allgemeinheit. Und das ist nicht ungewöhnlich. Lange war es so, dass die Kirchen in ihren Kindergärten auch einen Großteil der Kosten selbst übernahmen. In Nordrhein-Westfalen etwa lag der Eigenanteil bis 1990 noch bei 36 Prozent. Dann argumentierten die Kirchen mit dem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen. Im Jahr 2000 zahlten sie daraufhin nur noch 20 Prozent, 2008 waren es noch 12 Prozent. Und selbst diesen Betrag hat die Stadt Königswinter, wie viele andere Kommunen auch, noch freiwillig übernommen. „Wenn die Kirchen im Durchschnitt noch fünf Prozent Eigenmittel beisteuern, muss man schon froh sein“, sagt Ursula Krickl vom Deutschen Städte- und Gemeindebund zum Thema christliche Kindergärten. Bei Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen sieht es nicht viel anders aus. Die Wohlfahrtsverbände der Kirchen, Caritas und Diakonie, werden zu 98 Prozent vom Staat finanziert, die öffentlichen Konfessionsschulen zu 100 Prozent. Evangelische und katholische Privatschulen mit bis zu 80 Prozent, wobei die fehlenden Prozente vor allem durch das zusätzliche Schulgeld der Eltern ausgeglichen werden. Die christlichen Krankenhäuser und Altenheime werden genauso öffentlich refinanziert wie die private oder kommunale Konkurrenz. Wo Kirche drauf steht, ist – finanziell – vor allem Staat drin.

Weshalb? Zum einen ist es gesetzlich gewollt, dass die öffentliche Hand ihre Aufgaben an freie Träger überträgt. Und die Kirche ist ein bewährter Partner. Zum anderen rechnet es sich für die Kommunen trotzdem noch, auch wenn die Kirchen wenig eigenes Geld beisteuern. Die Städte müssen keine eigene Verwaltung aufbauen. Die Kirchen bekommen teilweise bessere Landeszuschüsse, haben Steuervorteile oder ihnen gehört das Gebäude. Die öffentliche Hand muss also immer noch weniger zahlen, als wenn sie alles selber macht. Das Brisante an dieser Entwicklung: Auf diese Weise wächst die Zahl kirchlicher Sozialeinrichtungen Jahr um Jahr. Die christlichen Kindergärten mehren sich. Dasselbe gilt für Schulen und Altenheime. Im Jahr 1960 galt das kirchliche Arbeitsrecht nur für 260 000 Menschen in christlichen Einrichtungen, und die Hälfte der Angestellten waren Priester und Ordensleute. Heute gilt es für 1,3 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland und der Anteil an geweihtem Personal liegt bei unter 5 Prozent.

Und genau hier liegt das Problem. Denn der Staat kauft sich mit der Kirche als Träger seiner Aufgaben das besagte Sonderrecht mit ein, das in der modernen Welt an seine Grenzen stößt. Die Kirche ist eben kein freier Träger wie alle anderen, wie die Arbeiterwohlfahrt oder das Deutsche Rote Kreuz. Sie stellt Bedingungen und ihr großer Einfluss auf öffentliche soziale Einrichtungen wird mehr und mehr zum Problem, wo die Mitarbeiter ihr Leben nicht mehr so gestalten, wie die Kirche es ihnen vorgibt. Wer nicht getauft, nicht gläubig, wer neu verheiratet oder homosexuell ist, hat besonders bei der katholischen Kirche schlechte Karten. Und auch bei der evangelischen Kirche ist die christliche Konfession in der Regel Einstellungsvoraussetzung.

„Das Schlimme ist, die Freiheit zu verlieren“

André Kucza schiebt eine ältere Dame im Rollstuhl zum Röntgen. Das geht nur, weil gerade kein Notfallpatient auf seiner Station ist. Er ist Pflegedienstleiter der Zentralen Notaufnahme im Kreiskrankenhaus Stadthagen in Niedersachsen. Als er zurückkommt, sieht er durch das Fenster des Stationszimmers, das an der Auffahrt für Rettungswagen liegt, einen Krankentransport vorfahren. Er zieht an einer Kordel, die kurz vor dem Ausgang an der Decke hängt. Die Krankenhaustür öffnet sich und André Kucza geht hinaus, um dem Fahrer bei einer Rollstuhlfahrerin zu helfen, die einen festen Termin hat. Nicht nur, weil er gerade viel zu tun hat, will der Notaufnahmeleiter hier kein Gespräch über seinen Arbeitsplatz anfangen. Lieber später, lieber in Ruhe zu Hause. André Kucza kehrt ins Gebäude zurück. Über dem Eingang steht in blauer Schrift „Kreiskrankenhaus“. Das wird dort nicht mehr lange stehen, denn das Haus ist vom Landkreis an die evangelische Diakonie verkauft worden. Bald soll ein neues christliches Großklinikum entstehen.

„Noch eine Minute, dann sind wir da.“ André Kucza und seine Kollegin, Stationsschwester Sigrid Herich, wollen noch einmal auf dem Balkon seiner Dachgeschosswohnung durchatmen, bevor sie hereinkommen an den runden Esstisch. Schwester Sigrid ist direkt von ihrer Schicht gekommen. Es ist Abend geworden, draußen ist es inzwischen dunkel. Sieben Jahre arbeitete Notaufnahmeleiter André Kucza im öffentlichen Dienst im Kreiskrankenhaus. Jetzt haben er und seine Kollegen einen neuen Arbeitgeber. „Im Moment sind wir alle verängstigt“, fasst Stationsschwester Sigrid Herich die Stimmung unter den Mitarbeitern zusammen. „Viele bei uns sind konfessionslos. Deshalb haben die Kollegen Angst, dass sie ins neue Klinikum nicht mitgenommen werden. Die treten jetzt wieder in die Kirche ein. Das ist doch unglaublich.“ André Kucza ist einer dieser Kollegen. Als er hörte, wer der neue Arbeitgeber ist, ließ er sich taufen. „Das Schlimme ist, die Freiheit zu verlieren“, sagt er. „Die Angst treibt einen dahin, nicht die Überzeugung. Da frage ich mich, wie kann es so ein Konstrukt überhaupt noch geben?“ Er wisse, dass die private Lebensführung bei der evangelischen Kirche nicht so eine große Rolle spiele wie bei den Katholiken, er sei aber dennoch beunruhigt, was diesen Aspekt angeht. „Wenn ich jetzt an mein Privatleben denke, und das kann ich offen sagen: Ich weiß nicht, wie ein kirchlicher Arbeitgeber auf das Thema der Homosexualität reagiert. Wie verhält sich die evangelische Kirche dazu? Ist das ein Auswahlkriterium? Vielleicht kann ich deshalb nicht die Leitung der neuen Notaufnahme übernehmen.“

Die kirchenrechtliche Debatte ist zur Sache der Allgemeinheit geworden

André Cuzsa hat erst vor wenigen Wochen einen Mann geheiratet, der seine Ausbildung in einem katholischen Altenheim gemacht hat. „Da durfte ich nie auftauchen, nie präsent sein. Die ganze Ausbildungszeit über war ich die unbekannte ‚Freundin‘, die niemand von seinen Kollegen je getroffen hat.“ Schwester Sigrid nickt ihrem Kollegen zu. „Ich habe mir damals nicht ohne Grund eine Stelle bei einem nichtkonfessionellen Arbeitgeber gesucht, im öffentlichen Dienst. Ich fühle mich als freie Schwester und ich möchte eigentlich auch eine freie Schwester bleiben.“

Da sei wohl noch einiges an Kommunikation notwendig, sagen die beiden Geschäftsführer der Diakonie, als sie hören, was ihre neuen Mitarbeiter für Sorgen haben. Homosexualität spiele bei ihnen ganz sicher keine Rolle. Das sei nur in den katholischen Häusern ein Thema. „Aber“, sagt Geschäftsführer Michael Schwekendiek, „es stimmt schon, wir haben die Möglichkeit, dass wir Menschen, die zu einer christlichen Konfession gehören, bevorzugt einstellen dürfen. Ich muss jedoch sagen, bevorzugt heißt nicht, dass alle anderen raus sind.“ Was sagt er dazu, dass kommunale Krankenhausmitarbeiter in die Kirche eintreten, aus Sorge, ihren Job zu verlieren? Kurz überlegt der Diakonie-Chef, bevor er antwortet: „Ich bin von Haus aus Pfarrer und finde einen Kircheneintritt immer schön. Ich hoffe, dass die Mitarbeiter das nicht aus Sorge tun vor dem, was kommt und ich hoffe, dass sie auch die Chancen ergreifen können und die Chancen sehen, die sich mit einem Kircheneintritt verbinden.“

Menschen, die sich taufen lassen, um einen Job zu bekommen oder zu behalten. Bislang waren diese besonderen Bedingungen der Kirchen vor allem Teil einer arbeitsrechtlichen Diskussion: Der Fall der Kindergärtnerin Bernadette Knecht aus Königswinter etwa. Oder der Chefarzt aus Düsseldorf, der seine Stelle verliert, weil er neu heiratet – ganz gleich, wie gut seine Arbeit als Mediziner vorher war. In den letzten Wochen hat diese Debatte jedoch einen neuen Höhepunkt erreicht: In Köln wurde eine Frau Opfer einer Vergewaltigung und berichtet, dass man ihr anschließend in zwei katholischen Kliniken riet, sich anderswo behandeln zu lassen. Die Kliniken selbst dürften die „Pille danach“ nämlich nicht verordnen. Nach katholischen Grundsätzen kommt die Verwendung des Präparats, das bei einer bereits befruchteten Eizelle die Schwangerschaft verhindert, einer Abtreibung gleich – eine schwere Sünde. Spätestens mit diesem Fall ist die kirchenrechtliche Debatte zu einer Sache der Allgemeinheit geworden. Denn nun fragen sich auf einmal auch die „Kunden“ der Einrichtungen: Bekomme ich dort als Patient die gleiche Hilfe, den gleichen Schutz, den ich auch in einer öffentlichen oder privaten Klinik bekommen würde? Kann die katholische Kirche sagen: Diese Behandlung bitte nicht? Sie kann. Denn ihre verfassungsmäßigen Sonderrechte erlauben ihr in ihren Einrichtungen eine besondere Kultur und mit ihr das besondere Arbeitsrecht.

Bislang allerdings ist die Frage, was das für die Qualität dieser Häuser bedeutet, selten laut gestellt worden. Gerade in sozialen Einrichtungen ist qualifiziertes Personal knapp. Wenn man davon ausgeht, dass auch die Kirche die besten Mitarbeiter in ihren Einrichtungen beschäftigen will, stößt sie mit ihren strengen Vorgaben in der heutigen Zeit schnell an Grenzen. Wie viele Arbeitnehmer gibt es überhaupt noch, die alle moralischen Anforderungen erfüllen und auch erfüllen wollen? Wie viele Einrichtungen kann die katholische Kirche überhaupt noch mit guter Qualität betreiben, wenn sie alle wiederverheirateten, homosexuellen, nichtchristlichen Mitarbeiter entlässt oder gar nicht erst einstellt? In der Praxis muss die Kirche inzwischen Kompromisse machen. Unabhängig davon besteht aber weiter das Risiko, dass im Zweifel eine schlechter qualifizierte Kraft eingestellt wird, nur weil sie den richtigen Glauben hat.

Stefan Heße blickt als Generalvikar des größten Bistums Deutschlands, Köln, auf rund 50 000 hauptamtliche Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen. Was sagt er zu der Frage, ob nicht die Qualität leidet, wenn man sich etwa in der Personalauswahl von Ärzten auf eine Konfession festlegt, der nur noch knapp dreißig Prozent der Bevölkerung angehören. Schränkt man sich nicht ein? „Fachlich ja“, bestätigt Heße, „aber man darf die Qualifikation als Christ nicht als beiläufig abtun. Das ist für mich auch eine Qualifikation. Natürlich soll derjenige auch, zum Beispiel, ein guter Herzchirurg sein, der sein Geschäft versteht. Aber er muss eben auch in der Lage sein, mit den Patienten zu kommunizieren. Und die Art und Weise wie er eine Diagnose verkündet, die ist auch entscheidend.“ Und da sei der Glaube nicht zu unterschätzen.

Kann sich die Allgemeinheit die Sonderbedingungen der Kirche noch leisten?

Allerdings ist der Generalvikar sich der Problematik bewusst – nicht zuletzt in der Gesundheits- und Pflegebranche, die zunehmend über einen Mangel an qualifizierten Kräften klagt. „Für mich ist natürlich schon die Frage: Wie lange wird das noch gehen können? Wir haben deshalb inzwischen Firmen beauftragt, die für uns den Markt für Pflegepersonal analysieren.“ Diese hätten versichert, dass es noch genügend qualifizierte Katholiken gebe. Noch.

Wenn der Fall aus Köln nun auch auf politischer Ebene besprochen wird, muss die Frage gestellt werden, ob sich der Staat, der gute Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und Altenheime anbieten will, ob sich die Allgemeinheit, die diese Häuser finanziert, die Sonderbedingungen der Kirche noch leisten kann. Die Debatte um die Qualität ihrer Einrichtungen könnte die Kirche härter treffen als bisherige Fälle, in denen es vor allem um arbeitsrechtliche Fragen ging. Schließlich übernehmen sie zum Beispiel als Krankenhausbetreiber zentrale öffentliche Aufgaben, für die sie dieselbe Finanzierung erhalten wie nicht-kirchliche Klinikkonzerne auch, nämlich von den Krankenkassen.

Etwa zehn Milliarden Euro nehmen die beiden großen christlichen Kirchen jedes Jahr selbst an Kirchensteuern ein. Davon bezahlen sie vor allem ihre Priester und Pfarrer, die Mitarbeiter im kirchlichen und seelsorgerischen Dienst sowie die Instandhaltung der Gebäude. Weniger als 10 Prozent des eigenen Geldes fließt abseits der Seelsorge und Verkündigung in öffentliche soziale Einrichtungen. Für die restlichen über 90 Prozent kommen Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungsträger auf, sie überweisen jedes Jahr einen Milliardenbetrag an die Kirchen – vom Geld aller Steuerzahler. Und zwar in Form von Fördermitteln und Zuschüssen von staatlichen und kommunalen Stellen sowie von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie Zweckverbänden, Wohlfahrtsverbänden, Rentenversicherungsanstalten und Krankenkassen.

Die beiden Kirchen betonen in dieser Diskussion, dass es sich bei diesem Geld ja nicht um Subventionen handeln würde. Dass sie dieses Geld nicht für sich selbst bekämen, sondern für Leistungen, die der Allgemeinheit dienen. Stimmt. Doch obwohl ihre Einrichtungen eben für alle da sein sollten, gilt dort, in den Kindergärten, den Schulen, den Altenheimen das besondere kirchliche Recht. Es geht in dieser Diskussion nicht um Priester und Ordensleute. Die Kindergartenleiterin Bernadette Knecht aus Königswinter ist zwar gläubige Christin, aber keine Nonne, die ihre Arbeit und ihr Leben als Erfüllung eines christlichen Auftrags sieht. Trotzdem betrifft auch Bernadette Knecht das kirchliche Arbeitsrecht. Denn auch wenn das Ordenspersonal zusehends aus Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen entschwindet, sind die Grundlagen für die Angestellten in den christlichen Häusern damals wie heute dieselben: Jemand, der seine katholische Ehe bricht, darf nicht mehr für die katholische Kirche arbeiten.

„Immer geht es nicht so, wie Gott es gewollt hat“

Nicht weit von Königswinter entfernt geht im Wald des Siebengebirges das Paar spazieren, das in den Augen der katholischen Kirche kein Paar sein darf. Es ist nass und kalt. Aber diesen Spaziergang machen Bernadette Knecht und Josef Griese mindestens einmal in der Woche, egal wie das Wetter ist. Die beiden gehen zügig, sie kennen den Weg gut. Wenn es hier und da steinig wird, halten sie sich an der Hand. Josef Griese ist fast zwei Köpfe größer als Bernadette Knecht. An diesem Tag trägt er Gummistiefel und einen Parka, er ist gerne an der frischen Luft. Josef Griese arbeitet hier ganz in der Nähe, als Verwalter am Institut für Tierwissenschaften, Tierzucht und Tierhaltung der Uni Bonn. In der Region ist Josef Griese bekannt, denn er ist nicht nur im Kirchenvorstand, sondern auch CDU-Fraktionsvorsitzender von Königswinter.

Auf seinem Weg bleibt das Paar an einem kleinen Teich stehen. „Wir haben uns über den Kindergarten kennengelernt“, erinnert sich Josef Griese. „Bernadette ist vor fast neun Jahren dorthin gekommen, ich bin dann wenige Monate später in den Kirchenvorstand gewählt worden und hatte die Aufgabe, die Kindergärten zu verwalten.“ Lange Zeit kannten sich beide nur über den Job, sie verstanden sich gut und arbeiteten zusammen. Dann trennte sich Bernadette Knecht von ihrem Mann, zog in eine eigene Wohnung – und verliebte sich neu. Was nicht ungewöhnlich klingt, ist für das Paar kein leichter Weg gewesen.

„Ich habe mich immer an die zehn Gebote gehalten“, betont Bernadette Knecht. „Mein Leben lang. Als ich vor einigen Jahren schon einmal vor der Entscheidung stand, meinen Mann zu verlassen, habe ich ein Beichtgespräch geführt und mich entschieden, bei ihm zu bleiben. Gott hat es so gewollt, habe ich mir gesagt.“ Sie sei ein tiefgläubiger Mensch. Aber irgendwann sei die Ehe am Ende gewesen. „Immer geht es nicht so, wie Gott es gewollt hat. Es hätte für mich keinen anderen Weg gegeben.“ Nachdem Bernadette Knecht ihr Gespräch beim Pfarrer hatte, war auch Josef Griese dort. Viel möchte er zu diesem Treffen nicht sagen, nur das: Er habe danach seine Ämter in der Kirche niedergelegt. „Als ich mich von meiner ersten Frau getrennt habe, hatte ich bereits ein ähnliches Erlebnis. Auch damals hatte ich das Gefühl, in der Gemeinde als Außenstehender zu gelten. Ich habe dem Pfarrer gesagt: ‚Das passiert mir nie wieder.‘ “

Auch Konfessionslose und Muslime finanzieren die kirchlichen Einrichtungen

Damit war die Sache für Josef Griese vorbei, doch für Bernadette Knecht ging sie erst los. Denn sie sollte ihre Stelle verlieren. „Schädliche Ärgernisse müssen natürlich sofort entlassen werden“, resümiert Bernadette Knecht. „In der Zeit danach ging es mir sehr schlecht. Ich habe mein Leben reflektiert und gedacht, was für ein Mensch bin ich? Bin ich wirklich schädlich, für wen bin ich schädlich?“ Sie macht eine kurze Pause. Auch wenn inzwischen klar ist, dass sie ihre Stelle behalten kann, dass die Stadt der katholischen Kirche als Träger der Einrichtung gekündigt hat, bedrückt sie das, was passiert ist, immer noch. „Das wird mich ein Leben lang begleiten: ein schädliches Ärgernis zu sein. Als solches von der Kirche betitelt zu werden.“

Der Pfarrer am Ort, Udo Maria Schiffers ist enttäuscht, dass die katholische Kirche den Kindergarten in Königswinter aufgeben musste. Aber einen Trost gibt es: Der neue Träger, der den Kindergarten jetzt übernommen hat, gehört zur evangelischen Kirche. Die Stadtverwaltung hat sich für ihn entschieden, der Träger zahlt 2 Prozent der anfallenden Kosten selbst. „Damit wird der christliche Glaube weiter an die Kinder vermittelt“, resümiert der Pfarrer, nicht unzufrieden, die ganze Geschichte. Weil die evangelische Kirche weniger streng auf das Privatleben ihrer Mitarbeiter guckt, darf Bernadette Knecht trotz ihrer neuen Partnerschaft nun weiter im Kindergarten bleiben. Eine nicht getaufte, nicht gläubige oder muslimische Kollegin wird sie trotzdem nie haben – obwohl auch Konfessionslose und Muslime diese Einrichtung finanzieren.

Dieser Text basiert auf Eva Müllers Buch „Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt“, das im Januar im Verlag Kiepeneuer & Witsch erschienen ist. Es hat 208 Seiten und kostet 14,99 Euro.

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