Guter Kaptalismus, schlechter Kapitalismus

Drei Autoren liefern die Blaupause für besseres Wirtschaften

Sie haben sich einiges vorgenommen. Nicht weniger als „ein Wirtschaftsmodell, das allen Menschen zugute kommt“, wollen Sebastian Dullien, Hans-Jörg Herr und Christian Kellermann in ihrem soeben erschienenen Buch Der gute Kapitalismus entwerfen. Schon der Titel macht neugierig, entzieht er sich doch der hergebrachten wirtschafts- oder sozialwissenschaftlichen Begriffswelt.  Auf gut 200 Seiten analysieren sie das „gescheiterte Globalisierungsmodell“ und skizzieren Reformen, die den Weg zum guten Kapitalismus weisen sollen. Dabei lassen sie kaum ein Politikfeld aus.


Im ersten Teil des Bandes argumentieren die Autoren, dass der Weg in die Krise keinem Naturgesetz folgte, sondern aus bewussten wirtschaftspolitischen Entscheidungen resultierte. Sie beginnen mit einer ausführlichen Analyse des Bretton-Woods-Systems mit seinen festen Wechselkursen – für die Autoren die zentrale Errungenschaft der keynesianischen Wirtschaftspolitik. Dieses System brach Anfang der siebziger Jahre zusammen, unter anderem, weil die amerikanische Zentralbank und Regierung nicht intervenierten – mit fatalen Folgen für die Weltwirtschaft.

Anschließend geht es um die Entfesselung der Finanzmärkte durch den Siegeszug neoklassischen Gedankenguts, das auf effiziente Finanzmärkte und rationale Erwartungen baut. Diese Darstellung sei allen empfohlen, die ihr Wissen über die Subprime-Krise vertiefen oder auffrischen wollen.


Aber die Autoren setzen auch eigene Akzente: So beziehen sie in der Streitfrage, ob nun zu niedrige Zinsen oder ungenügende Regulierung zur Immobilien-Krise geführt haben, eine dritte Position. Vielmehr hätten das gigantische Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten, die Deregulierung der Arbeitsmärkte sowie die extrem ungleiche Einkommensverteilung die amerikanische Notenbank dazu veranlasst, die Zinsen sehr lange sehr niedrig zu halten, um den Konsum anzukurbeln. Denn die Bezieher höherer Einkommen, die von der Regierung George W. Bush steuerlich massiv entlastet worden waren, verwendeten ihr gestiegenes Netto-Einkommen nur zu einem geringen Teil für zusätzlichen Konsum. Demnach hat die Zinspolitik der Fed also tatsächlich zur Subprime-Krise beigetragen. Ihr Handeln ist die Folge eines verfehlten – „schlechten“ – Kapitalismus. Jedoch vermochte das niedrige Zinsniveau nicht, die – auch in Deutschland zu beobachtende – Erosion der Lohnquote in Folge einer neoliberalen Deregulierungspolitik zu kompensieren.  Das Resultat war eine zu geringe Investitions- und Konsumnachfrage. In guter alter keynesianischer Tradition ist die Nachfrage der Schlüssel des von Dullien, Herr und Kellermann entworfenen guten Kapitalismus.

Für ein neues Bretton-Woods-System

Auch wenn diese Ausführungen teilweise lehrbuchartigen Charakter haben, legen die Autoren damit geschickt die Grundlage für die sehr präzisen Vorschläge des programmatischen Teils. Beispielsweise fordern die Autoren ein neues Bretton-Woods-System mit grundsätzlich festen Wechselkursen, die jedoch bei sich aufbauenden Leistungsbilanzdefiziten ausgeglichen werden können. Zudem plädieren sie für Kapitalverkehrskontrollen sowie für die Einführung eines Geldes für Zentralbanken, um die Abhängigkeit von einer Leitwährung zu mindern. Diese Vorschläge sind richtig und müssen von der Politik unbedingt aufgenommen werden, um zu einem stabileren internationalen Weltfinanzsystem zu kommen. Dennoch hätte man sich die Auseinandersetzung auch mit moderneren Theorien gewünscht, wie etwa Binswangers „Wachstumsspirale“. Ebenso wäre eine Auseinandersetzung mit dem Schulenstreit innerhalb der deutschen Ökonomie wünschenswert gewesen, wie ihn Thomas Fricke in der Berliner Republik 4/2009 thematisiert hat. Die Reformvorschläge sind allesamt hilfreich, bieten allerdings kaum Überraschungen. Hervorzuheben ist die Idee variabler Pflichten zur Hinterlegung von Eigenkapital, die mit der Größe einer Finanzinstitution steigen. So könnte das Problem systemisch relevanter Banken, die staatliche Unterstützung verlangen, gelöst werden. Allerdings hätten sich Praktiker sicher darüber gefreut, wenn die erhobenen Forderungen mit den zahlreichen bereits beschlossenen Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene abgeglichen worden wären, um dem Eindruck entgegenzuwirken, es sei seit September 2008 überhaupt nichts geschehen. Beispielsweise sind die geforderten antizyklischen Eingriffsmöglichkeiten für Zentralbanken in Deutschland mit dem Gesetz zur Reform der Banken- und Versicherungsaufsicht bereits eingeführt worden – wenn auch möglicherweise nicht in ausreichendem Umfang.

Zugestimmt werden kann den Autoren auch bei ihren Vorschlägen auf dem Gebiet der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Forderung nach Mindestlöhnen sowie nach der Stärkung der Lohnentwicklung und der Flächentarifverträge. Vorbildlich stellen sie die Handlungsnotwendigkeiten auch auf europäischer und internationaler Ebene dar. Gleiches gilt vom Grundsatz her auch für die großen Linien der steuerpolitischen Vorschläge. Dullien, Herr und Kellermann sprechen sich für ein progressives Steuersystem mit höherem Spitzensteuersatz, europäische Mindeststeuersätze, eine Finanztransaktionssteuer und eine effektive Erbschaftsteuer aus. Dennoch: Weniger wäre hier mehr gewesen. Die Autoren gehen auf zahlreiche Einzelaspekte des deutschen Steuersystems ein, wobei ihre Aussagen teilweise diskussionswürdig sind und unvollständig erscheinen. Wer das Ehegatten-Splitting abschaffen will, tut gut daran, Alternativen zu benennen. Auch die Kritik der Politik der letzten Jahre, die Bemessungsgrundlage im Bereich der Körperschaftsteuer zu verbreitern und dafür die nominalen Sätze zu senken, lediglich auf die (zwischenzeitlich wieder verbesserten) Einschränkung der Abschreibemöglichkeiten zu reduzieren, ist etwas zu kurz gegriffen.

Input für eine überfällige Debatte

Insgesamt liefert das Buch eine beeindruckend weit gefächerte Blaupause für „guten Kapitalismus“. Besonders jene Passagen, die sich mit europäischen und internationalen Zusammenhängen und Antworten auf dem Gebiet der Finanzmärkte und der Geldpolitik beschäftigen, können mit großem Gewinn gelesen werden. Ergänzt werden müsste die Vision des guten Kapitalismus allerdings noch um eine ökologische Dimension. Bis auf eine sehr kurze Diskussion darüber, welches Wachstum wir wollen, finden sich dazu keine Ausführungen. Guter Kapitalismus muss die Frage beantworten, wie wir Klimawandel, Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung und eine mögliche Wachstumsspirale stoppen. Und ob guter Kapitalismus das Bruttoinlandsprodukt nach wie vor als alleinigen Götzen akzeptiert (wie es die Autoren offensichtlich unterstellen), wäre ebenfalls eine Debatte wert. Auch in diesen Bereichen mag die Finanzkrise neue Einsichten befördern.

Es bleibt der Verdienst von Dullien, Herr und Kellermann, zur rechten Zeit einen höchst anregenden Input zu einer auch gerade für die SPD überfälligen Debatte geliefert zu haben. Sie haben die komplexen Zusammenhänge ohne Brüche unter die Vision des „guten Kapitalismus“ eingeordnet – dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. 


Sebastian Dullien, Hans-Jörg Herr und Christian Kellermann, Der gute Kapitalismus: Ein mutiges Konzept für eine Wirtschaftspolitik in und nach der Krise, Bielefeld: Transcript Verlag 2009, 242 Seiten


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