Im Osten selbstbewusst
Wahrscheinlich werden sowohl CDU/CSU als auch die PDS/Linkspartei versuchen, aus diesen Jahrestagen parteipolitisches Kapital zu schlagen. Bei der Union darf man davon ausgehen, dass die Vorbereitungen für die „Kohl-Festspiele“ (eng an seiner Seite dürfte die jetzige CDU-Vorsitzende zu sehen sein) schon laufen. Reklamiert werden soll der Anspruch, die Einheit sei in allererster Linie ein Verdienst der CDU gewesen und liege auch heute noch bei der CDU in den besten Händen.
Das Bestreben der mittlerweile mehrfach umbenannten SED-Nachfolger dürfte hingegen eher darin bestehen, die Zustände, die zum völligen ökonomischen, politischen und moralischen Zusammenbruch des DDR-Regimes führten, so gut es geht zu beschönigen und das Bild einer „feindlichen Übernahme“ der Menschen in Ostdeutschland durch das westdeutsche Kapital zu zeichnen. Auf der einen Seite die heimelige DDR, auf der anderen der „Anschluss“ an eine kalte, ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichtete BRD.
Solche Versuche mögen durchsichtig sein. Sie bleiben gleichwohl gefährlich, weil sie die Vielschichtigkeit der historischen Prozesse auf je eine scheinbar „einfache Wahrheit“ reduzieren wollen. Und diese lässt sich erfahrungsgemäß besser „verkaufen“, als die vielen tatsächlichen Facetten und Widersprüche der Deutschen Einheit und ihres Zustandekommens.
Blüht der Osten oder wird er abgehängt?
Für uns Sozialdemokraten wird es in den anstehenden Debatten darauf ankommen, den Vereinfachungen und Verfälschungen zu widerstehen. Wir standen und wir stehen für die Deutsche Einheit – von Kurt Schumacher über Willy Brandt und Johannes Rau bis hin zu den Begründern der SDP in Schwante. Uns braucht niemand zu belehren. Und gerade deshalb müssen wir den Mut haben, auch die Widersprüchlichkeiten auf dem Weg zur Einheit mit zu benennen. Die Debatte um Ostdeutschland und die Deutsche Einheit wird übrigens bei weitem nicht nur eine Debatte der ostdeutschen Sozialdemokratie sein. Sie ist ein Thema der gesamten SPD.
Neben diversen, eher parteipolitisch als historisch induzierten Interpretationen ist mit Blick auf die bevorstehenden Jahrestage in der öffentlichen Debatte noch eine zweite Ebene zu erwarten. Die jeweiligen Gedenkfeiern werden – so viel lässt sich sicher prognostizieren – auch dazu genutzt werden, um die zuletzt eher am Rande laufende Debatte über die Lage in Ostdeutschland stärker ins öffentliche Bewusstsein zu heben und im anstehenden Wahljahr prononciert über Erfolg und Misserfolg der aktuellen Politik in und für Ostdeutschland zu diskutieren. Die SPD sollte sich deshalb bereits jetzt auf die entsprechenden Debatten einstellen. Dazu bedarf es einer realistischen Betrachtung von Erfolgen, aber auch von Fehlern und künftigen Aufgaben bei der Entwicklung der neuen Bundesländer.
Die politische Auseinandersetzung beginnt schon bei der Bestandsaufnahme. Dem regierungsamtlichen Kohlschen Diktum von den „blühenden Landschaften“ folgte unter umgekehrten Vorzeichen schon bald die Klage über das angeblich auf Dauer (wenn nicht gar für immer) abgehängte Ostdeutschland; die geglückte Einheit mutierte an etlichen Stammtischen zur gescheiterten. Eine klare, nüchterne Sichtweise, die nicht jeden kleinen Erfolg glorifiziert und zugleich nicht jeden Rückschlag als Untergang beschreit, hat bis heute wenig Raum. Solch nüchterne Klarheit benötigen wir aber, wenn wir erkennen wollen, wie wir die vielfältigen Herausforderungen am besten meistern können.
Einen Solidarpakt III wird es nicht geben
Die größte dieser Aufgaben ist noch immer der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und besonders die Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Die Arbeitsmärkte in den ostdeutschen Ländern sind noch weit von einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage entfernt. Strukturelle Probleme herrschen vor, und vor allem Jugendliche, ältere Arbeitnehmer und Menschen mit geringen Qualifikationen treffen beim Zugang in ein selbstbestimmtes Arbeitsleben auf erhebliche Barrieren. Ausreichende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung können wir nur mit einer wachsenden Wirtschaft erreichen. Wir setzen deshalb auf gezielte Wirtschaftsförderung, wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik und auch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Diese sind derzeit noch zwingend erforderlich, denn mit ihnen wird ein jährlicher Nachfrageschub von einer halben Million Vollarbeitsplätzen gesichert.
Zur Bestandsaufnahme gehört auch der Blick auf die finanziellen Rahmenbedingungen. Die finanziellen Mittel aus dem Solidarpakt stehen nicht ewig zur Verfügung. Im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt II aus, schon ab 2009 schmilzt der zur Verfügung stehende Betrag jedes Jahr deutlich ab. Die Verlängerung der Investitionszulage konnten wir Sozialdemokraten entgegen den Forderungen von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) noch bis 2013 erreichen, wenn auch mit verringerten Mitteln. Eine weitere Verlängerung erscheint ebenso unrealistisch wie ein Solidarpakt III. Politische Entscheidungen über den Einsatz öffentlicher Mittel müssen vor diesem Hintergrund stärker denn je nicht nur gegenwärtige, sondern auch absehbare zukünftige Herausforderungen in den Blick nehmen.
Wie war eigentlich die DDR?
Für eine gelingende Deutsche Einheit sind aber nicht nur ökonomische, sondern auch gesellschaftspolitische Fortschritte wichtig. Wie steht es knapp 18 Jahre nach der friedlichen Vereinigung beider deutscher Staaten um die Akzeptanz von Demokratie, Parlamentarismus, Rechtsstaat?
Alarmieren muss uns, wenn aktuelle Studien wie die der Freien Universität Berlin zeigen, dass heute vor allem in Ostdeutschland ein großer Teil der Jugendlichen die DDR nicht als Diktatur und die Stasi nur als „normalen“ Geheimdienst wie jeden anderen betrachtet. Hier wird zu überlegen sein, welchen Beitrag die Schulen zu einer besseren Aufklärung über die DDR leisten können und müssen. Das allein wird jedoch nicht ausreichen.
Bei den Jugendlichen mag man geltend machen, dass sie die DDR aus eigener Anschauung gar nicht mehr erlebt und gekannt haben. Viel bedenklicher ist, dass die Älteren ihr doch zweifellos vorhandenes Wissen über die Diktatur offensichtlich nicht mehr beziehungsweise kaum noch weitergeben. Es erscheint ihnen entweder nicht mehr wichtig, oder sie verklären die DDR gegenüber ihrer heutigen Lebenssituation.
Rund 20 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR bedarf es also offensichtlich einer breiten öffentlichen Debatte über die DDR, über ihren menschenverachtenden Herrschaftsapparat, über die Toten an Mauer und Stacheldraht sowie die alltäglichen perfiden Bespitzelungen und „Zersetzungsmaßnahmen“ gegenüber friedlichen Menschen, die sich der SED-Diktatur nicht unterordnen wollten. Um unserer demokratischen und freiheitlichen Grundwerte willen sollten wir während aller Debatten um Jahrestage darauf achten, dass dieser Aspekt im allgemeinen Getöse nicht verloren geht.
Bei der Beschreibung von Rahmenbedingungen sozialdemokratischer Politik in und für Ostdeutschland muss auch ein Blick auf die Ost-SPD geworfen werden. Die Ausgangssituation ist vielschichtig. Wir haben im Osten erfolgreiche Ministerpräsidenten, populäre Bürgermeister und Landräte. Andererseits ist die SPD in etlichen Landstrichen Ostdeutschlands organisatorisch und personell nicht so stark verankert, wie es wünschenswert wäre. Insgesamt hat die ostdeutsche SPD deutlich weniger Mitglieder als die CDU und die Linkspartei. Das hat allerdings weniger mit deren vermeintlich größerer Attraktivität zu tun, als vielmehr damit, dass die Sozialdemokratie im Unterschied zur SED/PDS und den Blockflöten im DDR-Parteiensystem nicht vorkam.
CDU und PDS hatten es einfacher
Im Gegensatz zu CDU und Linkspartei entstammt die ostdeutsche SPD eben nicht der Nationalen Front der DDR. Sie hat daher bis heute mit den Folgen des Umstandes zu kämpfen, dass sie nicht auf eine ähnliche, aus DDR-Zeiten gern mitgenommene Infrastruktur zurückgreifen konnte. Die SDP der DDR wurde am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, von Gegnerinnen und Gegnern des Regimes gegründet, die sich ihre Infrastruktur in der Illegalität selbst schaffen mussten. Obwohl also die organisatorischen und finanziellen Bedingungen schwieriger sind als bei Union und PDS/Linkspartei, haben wir bewiesen, dass wir Wahlen gewinnen können. Neben etlichen Landtags- und Kommunalwahlen im Osten zeigen besonders die Ergebnisse bei Bundestagswahlen, dass die SPD die Menschen in Ostdeutschland überzeugen kann, sofern sie all ihre Kräfte mobilisiert. Darauf lässt sich für 2009 aufbauen.
Politik für Mitte und Mehrheit
Das gilt gerade auch angesichts der aktuellen politischen Konstellation, in der sich die SPD zwischen CDU und Linkspartei befindet. Manche zeitgenössischen Beobachter erwecken den Eindruck, als befände sich die SPD damit in einer geradezu lebensbedrohlichen Lage, nämlich immer in Gefahr, zwischen den Rechten und den Linken zerrieben zu werden. Dass die SPD zwischen diesen beiden Polen steht, ist richtig, allerdings kann man daraus auch eine ganz andere Schlussfolgerung ziehen: Wir stehen in der Mitte, zwischen dem Populismus der Linkspartei und der immer stärker neoliberal eingefärbten Klientelpolitik der CDU. Dass man dabei Angriffen von zwei Seiten ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Sache. Aber wir machen eine Politik für die Mehrheit, eine Politik, die den Menschen zugute kommt.
Auf die Erfolge dieser Politik in Ostdeutschland müssen wir aufmerksam machen. Es war die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die den Solidarpakt II verwirklicht hat. Sozialdemokraten setzen sich konsequent für arbeitsmarktpolitische Instrumente wie den Kommunal-Kombi zugunsten Langzeitarbeitsloser ein. Und es war ebenfalls die SPD, die in der Bundesregierung gegen den Widerstand von CDU und CSU die Verlängerung der wichtigen Investitionszulage durchgesetzt hat. In den Ländern und Kommunen zeigen Sozialdemokraten, dass sie erfolgreiche Politik für die richtigen Investitionen in Forschung und Bildung, Wirtschaft und Arbeit durchsetzen. Sozialdemokraten kämpfen für einen in Ost und West einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn.
Demgegenüber steht ein „Konzept“ der Linken (hier sind Anführungszeichen wirklich angebracht), bei dem sich der Finanzbedarf nach Schätzungen der SPD-Bundestagsfraktion auf mehr als 150 Milliarden Euro im Jahr belaufen würde. Geld spielt bei der Linkspartei offensichtlich keine Rolle. Zudem sind viele ihrer Forderungen bei näherer Betrachtung alles andere als gerecht. Hinzu kommt die Weigerung der Linkspartei, sich ernsthaft mit der eigenen Vergangenheit und der Geschichte der DDR-Diktatur auseinanderzusetzen. Es war nicht alles schlecht, tönt die Linkspartei, und die heutigen Probleme seien doch eigentlich viel größer und schlimmer als die damaligen. Dass das Abspielen dieser Melodie das Vertrauen in die Demokratie schwächt, nimmt die Linkspartei gerne in Kauf.
Nicht immer leicht zu erklären, aber richtig
Bei der CDU mögen die Forderungen vordergründig realistischer sein, soziale Gerechtigkeit spielt hingegen kaum eine Rolle. Wenn sich die politische Kernforderung der Union letztlich in einem „Sonderwirtschaftsgebiet Ost“ erschöpft, wenn der Erfolg des „Aufbau Ost“ vor allem im Abbau von Arbeitnehmerrechten wie etwa dem Kündigungsschutz gesucht wird, dann kommt das einer gesellschafts- und sozialpolitischen Kapitulation der Merkel-Partei gleich.
Die SPD verfolgt eine Politik aus der Mitte der Gesellschaft für die große Mehrheit der Gesellschaft; eine Politik, die Probleme nicht leugnet, sondern pragmatisch lösen will; eine Politik, die Chancengleichheit und gerechte Teilhabe zum Ziel hat. Eine solche Politik, die beharrlich an Verbesserungen arbeitet, ohne allen alles zu versprechen, ist nicht immer einfach zu erklären. Aber sie ist der einzige Weg. Und sie ist unser Weg, den Aufbau Ost gerecht und erfolgreich zu gestalten. Wir haben allen Grund zum Selbstbewusstsein.