It’s the Networks, Stupid!
Parteien sind Orte von und mit Menschen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit ist für viele einer der Beweggründe zum Parteieintritt. Wenn junge Frauen aber zum ersten Mal eine Sitzung ihres Ortsvereins besuchen, finden sie sich oft als einzige unter Männern wieder, die in der Regel zwanzig Jahre älter sind und im Anschluss an die Sitzung gerne zwei bis drei Bier trinken. Gleichgesinnte mit ähnlicher Lebenswirklichkeit? Vorbilder für die eigene innerparteiliche Entwicklung? Fehlanzeige.
44 Prozent der Frauen wählten 2013 die Union
31,5 Prozent der SPD-Mitglieder sind Frauen. Ihr Anteil dürfte erst einmal nicht steigen, da auch nur 32 Prozent der neuen Mitglieder weiblich sind. Nicht nur der SPD fällt es schwer, Frauen zu gewinnen und zu fördern. In allen Parteien sind sie unterrepräsentiert. Unter Mandatsträgern und Funktionären ist ihr Anteil sogar noch geringer, sofern es keine entsprechende Quotenregelung gibt. Das Beispiel der Grünen zeigt: „Nur“ 38 Prozent der Mitglieder sind Frauen, aufgrund der durchgehenden Quotierung von 50 Prozent bei Listenaufstellungen und Ämterbesetzungen werden sie dennoch überdurchschnittlich gut eingebunden. Die CDU wiederum hat sich mit einer Handvoll prominenter Politikerinnen einen weiblichen Anstrich gegeben, der darüber hinwegtäuscht, dass Frauen tatsächlich nur ein Viertel der Parteimitglieder ausmachen.
Zur Bundestagswahl 2013 hatten alle Parteien Frauen als Zielgruppe auserkoren. Die SPD versuchte mit programmatischen Angeboten besonders bei jungen berufstätigen Frauen zu punkten. Dennoch haben Frauen zu 44 Prozent die Unionsparteien gewählt und damit maßgeblich zum Wahlerfolg von Angela Merkel beigetragen. Nur 25 Prozent wählten die SPD.
Die Gründe für die geringe Beteiligung von Frauen in Parteien sind seit Jahren Gegenstand nahezu mystischer Betrachtungen. Denn trotz der hohen strategischen Relevanz des Themas bleibt die Politikwissenschaft bis heute umfassende empirische Untersuchungen zu den parteipolitischen Motivationen von Frauen schuldig. Lediglich die Kommunalpolitik bildet eine Ausnahme: Dank der 2014 von Helga Lukoschat und Jana Belschner veröffentlichten Studie Frauen führen Kommunen liegen nun erste Erkenntnisse vor, warum nur 9,2 Prozent der deutschen Rathäuser mit Frauen besetzt sind.
Auch Frauen netzwerken – aber anders
Die Parteien wissen nur allzu gut, dass sie Frauen tendenziell weniger ansprechen als Männer – und versuchen, Abhilfe zu schaffen. So hat die SPD zur Parteireform 2011 festgestellt, dass eine Partei, die den Regeln einer Männerpartei folgt, keine Volkspartei sein kann. Eine offene Diskussionskultur, spannendere Beteiligungsformen, weniger Zeitverschwendung sowie eine verbesserte Vereinbarkeit der politischen Arbeit mit Familie und Beruf wurden damals in Aussicht gestellt. Substanzielle Veränderungen sind bislang jedoch kaum erkennbar. Daher lohnt es, sich dem Thema aus einer bisher wenig diskutierten Perspektive zu nähern.
Die Zahlen sollten bekannt sein: Mehr als 50 Prozent der Studierenden sind mittlerweile weiblich. Frauen sind durchschnittlich formell höher qualifiziert als Männer, im unteren und mittleren Management einiger Unternehmen ist der Frauenanteil nahezu ausgeglichen. In puncto Führungspositionen stoßen Frauen jedoch auch heute noch an die sprichwörtliche gläserne Decke. Eine der Hauptbarrieren: Frauen haben keinen Zugang zu einflussreichen Netzwerken.
Netzwerke erfüllen wichtige Funktionen: Sie schaffen Solidarität, stärken eine gemeinsame Wertegrundlage und erzeugen auf Basis ähnlicher Verhaltensmuster und gemeinsamer Erlebnisse Vertrauen unter ihren Mitgliedern. Sie ermöglichen den privilegierten Zugang zu Informationen und erlauben den informellen Austausch über Hierarchieebenen hinweg. Davon profitieren besonders jüngere Mitglieder eines Netzwerks. Auch bei Stellenbesetzungen spielen sie eine wichtige Rolle – die Rekrutierung eines Netzwerkmitgliedes ist im Vergleich zu einer unbekannten Person eine „sichere Bank“ – man kennt und vertraut sich. Doch was nach innen Loyalität und gesteigerte Zufriedenheit schafft, wirkt nach außen abgrenzend: Die Vorteile der Netzwerkmitglieder durch Wissen und soziales Kapital sind von Nichtmitgliedern nur schwer aufzuholen.
Heute wissen wir: Auch Frauen netzwerken – jedoch anders als Männer. Durch persönlichere Verbindungen auf Basis von Sympathie entstehen langfristig intimere und stabilere Beziehungen. Was auf den ersten Blick als Vorteil erscheint, erschwert in der Praxis ein strategisches Netzwerkverhalten. Aufgrund der freundschaftlichen Verbindung fühlt sich frau bei Empfehlungen stärker verpflichtet, dass die empfohlene Person erfolgreich ist und befürchtet, dass ihr Einsatz für diesen Menschen negativ auf sie zurückfallen könnte. Frauen vermeiden gezielte Anfragen zum eigenen Vorteil, wenn sie keine Gegenleistung zu bieten haben – und greifen weniger auf lockere Kontakte zurück.
Aber warum sollte ein „männlicheres“ Netzwerkverhalten für sie nicht auch zum Erfolg führen? Für Frauen ist dies aus zwei Gründen von Nachteil: Erstens wird ein aktives und offensives Netzwerkverhalten von Frauen aufseiten beider Geschlechter als unsympathisch und eigennützig wahrgenommen. Männer haben dieses Problem nicht, wie eine viel diskutierte Fallstudie der Columbia Business School zeigt. Zweitens gilt das Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern“: Menschen schließen sich mit denjenigen zusammen, die ihnen hinsichtlich Wertekodex, Habitus und sozialem Status möglichst ähnlich sind („soziale Homophilie“). Allein aus diesem Grund haben es Frauen schwerer, ein gleichwertiges Mitglied von männlich geprägten, traditionellen Netzwerken zu werden. Da Männer auch heute den überwiegenden Teil der Führungspositionen besetzen, bieten jedoch genau diese Netzwerke einen ungleich höherwertigen Zugang zu Macht und Informationen als Frauennetzwerke. Selbst wenn Frauen sich untereinander vernetzen, versprechen ihre im Vergleich jüngeren Netzwerke nicht denselben Nutzen. Ergebnis: Die aktuelle Machtverteilung wird reproduziert, die „old boys networks“ bleiben unangetastet.
Warum »von Frauen für Frauen« keine Lösung ist
Im politischen Kontext mag der Hinweis auf die Bedeutung von Netzwerken trivial sein, denn Politik ist netzwerken: Kein Organisieren von Mehrheiten gelingt ohne Absprachen unter Vertrauten, keine politische Initiative klappt, wenn nicht vorab in informellen Gesprächen Unterstützung gesichert wird. Loyalität und Vertrauen sind die politischen Währungen schlechthin. Es ist ganz natürlich, dass sich Untergruppen bilden, deren Mitglieder sich gegenseitig unterstützen, zumal im politischen Kontext die Stärke des eigenen Netzwerkes und das persönliche Ansehen über das Vorankommen eines Menschen entscheiden.
Alle Netzwerkfragen sind also Machtfragen. Die Machtorganisation wiederum hängt an den überwiegend männlichen Partei- und Fraktionschefs, Unterbezirksvorsitzenden, Landesgruppenchefs und Funktionären des Parteimittelbaus. Wenn Frauen der Zugang zu Entscheidungsträgern oder ein schlagkräftiges Netzwerk fehlt, könnte man auf den ersten Blick meinen, sie seien selbst schuld an ihrer Lage. Dass das nicht stimmt, zeigen die Studien zum weiblichen Netzwerkverhalten.
Was heißt das nun für die Frauenförderung in Parteien? Wenn der mangelnde Zugang von Frauen zu informellen Netzwerken eines der entscheidenden Hemmnisse für ihre Karrieren ist, müssen Parteien unter diesem Gesichtspunkt existierende Förderangebote für Frauen und ihre Parteikultur auf den Prüfstand stellen. Daraus kann sich zum einen die Erkenntnis ergeben, dass jede Maßnahme zur Förderung von Frauen, die Netzwerkaspekte außen vor lässt, bestenfalls eingeschränkt erfolgreich sein wird. Außerdem sind Arbeitsgemeinschaften von und für Frauen zwar begrüßenswert, werden aber keine erfolgreichen Politikerinnen hervorbringen, wenn Frauen unter sich bleiben und keinen Zugang zu gemischten Netzwerken erhalten.
Ein Schlüssel dafür, Frauen Karrierewege in Parteien zu eröffnen und ihnen Lust auf Parteiengagement zu machen, kann in der Formalisierung der impliziten Funktionen von Netzwerken liegen. So hätten Frauen (und auch Netzwerk-unaffine Männer) zumindest einen gleichberechtigteren Zugang zu den Vorteilen, die informelle Netzwerke ihren Mitgliedern bieten. Mögliche Ansätze wären Mentoring-Programme, die sich explizit nicht von Frauen an Frauen richten, sondern gemischte Netzwerke ermöglichen. Ebenso würde eine innovativere Gestaltung von Nominierungsprozessen (beispielsweise mittels rotierender Vorschlagsrechte) Nachfolgefragen und Vorabsprachen zumindest teilweise aus Kungelrunden (und damit Netzwerken) herausholen.
Parteien müssen vorleben, was sie fordern
Jenseits explizit gleichstellungspolitischer Maßnahmen liegt jedoch das Potenzial für innerparteiliche Modernisierungsprozesse, mit denen die Netzwerkmöglichkeiten von Frauen gleichsam nebenbei verbessert werden: So sind die ortsgebundene Parteimitgliedschaft und das Präsenzprinzip in Zeiten zunehmender beruflicher und privater Mobilität einfach nicht mehr zeitgemäß. Mit der Hinwendung zu flexibleren (auch virtuellen) Mitmachangeboten wäre vor allem dem – hier weitgehend ausgesparten – Kernthema Vereinbarkeit von Engagement, Familie und Beruf gedient. Könnten Parteimitglieder sich dort einbringen, wo sie sich wohlfühlen und gute Anschlussmöglichkeiten zum Netzwerk finden, würden besonders jene davon profitieren, die sich in der typischen Ortsvereinssitzung bisher wenig repräsentiert fühlen. Dass durch diese Maßnahmen auch ein gewisser Wettbewerb um Mitglieder unter Parteigliederungen entstünde, wäre ein gewollter Nebeneffekt: Ortsvereine, die sich neuen Mitmachangeboten bisher versperren, würden aufgrund ihrer formell sinkenden Mitgliederzahl spüren, dass sie kein attraktives Umfeld für Parteiengagement mehr bieten.
Parteien für Frauen attraktiver zu gestalten, ist längst nicht mehr allein ein gleichstellungspolitisches Gebot. Parteien müssen ein strategisches Interesse daran haben, mehr Frauen in ihre Organisationen zu holen und als zukünftige Mandatsträgerinnen aufzubauen. Zum einen entscheiden sich Menschen bei Wahlen verstärkt auf Basis ihrer Identifikation mit Personen. Für Frauen bietet die SPD bislang jedoch nur wenige weibliche Orientierungsfiguren. Zum anderen wird es langfristig nicht genügen, Frauen als Wählerinnen programmatische Gleichstellungs- und Förderungsangebote zu machen. Wenn eine Partei in ihrer Breite nicht habituell das vorlebt, was sie politisch fordert, wird sie als Organisation langfristig unglaubwürdig. Wähler spüren das – und Wählerinnen erst recht.«
Dieser Artikel stützt sich auf Diskussionen in der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Legitimation und Selbstwirksamkeit. Zukunftsimpulse für die Parteiendemokratie“, einem überparteilichen Gemeinschaftsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Progressiven Zentrums.