Koch und Kellner
In Werbefilmen zeigt die digitale Revolution gerne lachende Kinder, die „Selfies“ schießen, oder Familien, die fröhlich auf dem Tablet durchs Fotoalbum wischen. Die Internetwirtschaft präsentiert sich als Produzent nützlicher Dinge, die das Leben erleichtern. Als wäre sie nur eine selbstlose Wunschmaschine, die dem Kundengeschmack folgt und unser Leben verbessert. Und ganz nebenbei wird die Welt dabei zu einem better place. Die Sozialdemokratie neigt dazu, sich von diesem Erlösungssound verführen zu lassen, weil sie sich seit jeher dem Fortschritt verschrieben hat: Bloß nicht die Digitalisierung verschlafen oder Innovationen in Zweifel ziehen!
Am radikalsten sind die Netzoptimisten. Im Prophetenton beschwören sie die globale Cyberwelt der Zukunft. Jene, die Bedenken haben, behandeln sie wie Häretiker, die das „Netz“ nicht verstehen und alten Denkmustern verhaftet sind. Doch was hätte die SPD davon, im Chor der digitalen Enthusiasten mitzusingen? Glaubt sie wirklich an den kalifornischen Aufguss alter Sozialutopien? Fraglich ist auch, wie lange die Begeisterung der Bevölkerung anhalten wird. Viele technische Errungenschaften wie das Fernsehen oder das Flugzeug haben ihre einstige Faszination längst verloren. Ihr damaliger revolutionärer Geist wirkt heute lächerlich.
Kein Stein soll auf dem anderen bleiben
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass die digitale Kommunikation, die immer mehr Lebensbereiche durchdringt, gewaltige Probleme hervorbringen wird? Das Silicon Valley sagt es doch selbst: Diese Revolution soll keinen Stein auf dem anderen lassen. Ganze Branchen sollen „schöpferisch zerstört“ werden, alte Geschäftsmodelle dem Fortschritt weichen. Um auf diese Herausforderung angemessen reagieren zu können, bedarf es eines kühlen Kopfes. Beim Entwerfen smarter Zukunftswelten sind die amerikanischen Internetkonzerne nicht zu übertreffen. Den Beifall der deutschen Politik nehmen sie gern mit, aber reinreden lassen sie sich nicht.
Mittlerweile sind wir in der Lage, die Folgen dieser Entwicklung abzuschätzen. Vieles steht im Widerspruch zu den Werten der sozialen Marktwirtschaft: Die Tendenz der digitalen Wirtschaft, alles überwachen, messen und steuern zu wollen, um Prozesse effizienter zu gestalten, untergräbt grundlegende Arbeitnehmerrechte. Wer heute nicht genug leistet, den sortiert der Algorithmus aus. Bei IBM erfasst das Programm „Liquid“ alle Mitarbeiter in einer globalen Datenbank und bewertet ihre Leistung. Wer unterdurchschnittliche Arbeitsergebnisse abliefert, droht von der Festanstellung zum freien Mitarbeiter degradiert zu werden.
Der nächste Schritt, wie ihn etwa die Plattform „oDesk“ bereits praktiziert, besteht darin, Arbeitsleistungen auszuschreiben, auf die sich jeder bewerben kann. In Sekundenschnelle berechnet ein Algorithmus den besten Preis – für den Auftraggeber. Das hat zur Folge, dass das Einkommen und die Arbeitszeit nicht mehr das Ergebnis von Tarifverhandlungen, sondern von Echtzeit-Algorithmen sind. Der Einzelne steht der Preissetzungsmacht der Konzerne allein gegenüber, denn der Markt hat immer Recht. Die kalifornische Zukunftsvision besteht nun darin, dass alle DAX-Konzerne ihre Mitarbeiter auf solchen Plattformen versammeln und sie so zu Echtzeit-Tagelöhnern machen. Erfinde dich neu, verändere dich! Solche pfingstlichen Botschaften könnten den Beginn der modernen Sklaverei markieren. Fordert der Algorithmus, dass um zwei Uhr morgens für drei Stunden gearbeitet wird, muss dem Folge geleistet werden, sonst schließt einen das System als unzuverlässig aus.
Für tausende Klickarbeiter gilt das deutsche Arbeitsrecht nicht. Zwar handelt es sich um eine digitale Nische, die aber auf unsere zukünftigen Arbeitsbedingungen großen Einfluss hat. Während die Netzutopisten die Probleme beschönigen und von neuen kreativen Möglichkeiten schwärmen, wird sich die Politik mit den prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigen müssen. Auf welche Seite schlägt sich die Sozialdemokratie? Auf die des „innovativen“ Silicon Valley, auf dessen Geschäftsmodelle wir bislang nicht einwirken können, weil sich die aggressiven Global Player nicht um deutsches Recht scheren? Oder auf die Seite der Arbeitnehmer? In diesem Fall wird es nicht reichen, den Sozialstaat als Reparaturbetrieb digitaler Ausbeutungsmodelle anzudienen.
Die Ohnmacht der Internetnutzer
Beistand hat auch der Konsument nötig, denn die dunkle Seite der smarten Konsumwelt ist die knallharte Aushebelung des Verbraucherschutzes. Die Manipulation beginnt damit, dass Google seine Suchergebnisse nicht, wie behauptet, nach objektiven Kriterien auflistet, sondern je nach dem, was profitabel für den Konzern ist. Verbraucherrechte beschränken sich bei Google und Facebook auf das Anklicken der AGBs. Deren durchschnittliche Lesedauer liegt bei unter einer Sekunde, was viel über die Konsumentensouveränität im Internet aussagt. Big Data soll es künftig ermöglichen, das Onlineverhalten der Kunden frühzeitig zu decodieren, um mehr Geschäft zu generieren. Oder um es mit Google-Chef Eric Schmidt zu sagen: „Wir werden wissen, was der Kunde will, bevor er es selbst weiß.“ Die ganze Ohnmacht des Internetnutzers wird daran deutlich, dass niemand auch nur einen Cent für die Nutzung seiner Daten erhält, mit denen die Internetkonzerne Milliarden verdienen.
Um die Profite und Wachstumsperspektiven der Internetwirtschaft braucht sich die deutsche Politik nicht zu kümmern. Das kann der Hochgeschwindigkeitskapitalismus selbst viel besser. In der digitalen Wirtschaft sind die Internetkonzerne der Koch und die Politik ist der Kellner. Eilfertig verspricht die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung, weitere zwei Milliarden Euro Steuergelder in den Breitbandausbau zu stecken. Die Begründung, es handele sich um ein Gebot der öffentlichen Daseinsvorsorge, klingt sozial und innovationsfreundlich, ist aber doch nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Den Großteil des Downloadvolumens fressen Videos, davon ein Drittel Pornofilme. 20 Prozent entfallen allein auf Youtube (Google), 15 Prozent auf soziale Netzwerke wie Facebook.
Die Dinosaurier der Internetwirtschaft verbrauchen den Großteil der Kapazitäten, ohne auch nur einen Cent dafür zu bezahlen. Hinzu kommt: Für die üppigen Milliardengewinne entrichten Google, Apple und Amazon in Deutschland unverschämt wenig Steuern. Wo sich der Ausbau der Netze für den Koch nicht lohnt, bessert der Kellner brav nach: Die Datenautobahn muss immer schneller werden, auch wenn darauf überwiegend amerikanische Konzerne das große Geschäft einfahren.
Im Kern geht es um Monopolisierung
In der digitalen Wirtschaft werden die Karten neu gemischt. Die bisherigen Stärken der deutschen Wirtschaft gelten dort nur bedingt. Während die Internetgiganten ihr Netz auslegen und immer neue Branchen ins Visier nehmen, macht die deutsche Politik den Eindruck, als ob sie die Logik der Netzwerkökonomie noch gar nicht verstanden hat. Der Chef-Ökonom von Google, Hal Varian, hat schon Ende der neunziger Jahre den Kern der digitalen Wirtschaft als Monopolisierung beschrieben. Google oder Facebook fahren exorbitante Gewinne ein, weil sie faktisch keine Konkurrenten haben. Sie agieren wie Versorger und müssten wie solche eigentlich kartellrechtlich behandelt werden. Der einflussreiche Silicon Valley-Investor Peter Thiel macht gar keinen Hehl daraus, dass das Ziel aller seiner Firmenbeteiligungen ein global umspannendes Monopol ist. So definieren also die big shots aus dem Silicon Valley die Gefechtslage.
Wie heißt Mittelstand auf kalifornisch?
Plattformregulierung ist die Wirtschaftspolitik der Zukunft. Die Stärke der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand. In einer kalifornischen Winner-takes-all-Ökonomie kommt das Wort Mittelstand aber nicht vor. Deshalb muss Deutschland die Werte der sozialen Marktwirtschaft – den Arbeits- und Verbraucherschutz – in der Netzökonomie energisch verteidigen. Entwicklungen, die uns nichts bringen, sollten wir nicht auch noch beschleunigen. Das mag der Politik den einen oder anderen Shitstorm einbringen. Aber es wäre gut für das Land.