Kommt die deutsche Immobilienblase?

Immobilienpreise und Mieten in Deutschland sind in jüngster Zeit stark gestiegen. Ganz klar: Wir erleben einen veritablen Immobilienboom - und jede spekulative Blase beginnt mit einem Boom. Aber nicht jeder Boom mündet in einer Blase

Seit dem Jahr 2007 sind die Kaufpreise für Wohnungen in deutschen Städten um 10 Prozent und die Mietpreise um 13 Prozent angestiegen. Seit 2010 wachsen die Kaufpreise besonders schnell und haben die Mieten in ihrem Wachstum überholt, so dass die Mietrendite deutlich zurückgegangen ist. Das Preiswachstum ist vor allem auch in großen Metropolen wie Berlin, München und Hamburg spürbar. In Berlin sind die Wohnungspreise zwischen 2007 und 2012 sogar um mehr als 70 Prozent gestiegen. Keine Frage: Der deutsche Immobilienmarkt wird nach mehr als einem Jahrzehnt der Stagnation lebhafter. Erleben wir in Deutschland den Beginn einer spekulativen Blase?

Von einer spekulativen Immobilienblase spricht man, wenn Wohneigentum dauerhaft und in großem Maße überbewertet ist: Der tatsächliche Kaufpreis überschreitet den fundamentalen – also den eigentlich angemessenen – Preis, weil die Käufer an einen weiteren Preisanstieg glauben und darauf spekulieren, ihr Objekt bald mit Gewinn verkaufen zu können. Spekulative Immobilienblasen sind in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten aufgetreten. Um die künftige Entwicklung des deutschen Immobilienmarktes beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf einige Blasen der jüngeren Zeit.

Es war einmal in Amerika

Beispiel USA: In den Vereinigten Staaten bildete sich zwischen 2001 und 2007 eine spekulative Blase, die schließlich platzte. Verschiedene Faktoren trugen dazu bei. Der erste Faktor waren die niedrigen Zinsen, die die amerikanische Zentralbank Fed im Jahr 2001 festgelegt hatte, um die nach dem Platzen der Börsenblase eingetretene Rezession abzumildern.

Hinzu kamen zweitens finanzielle Innovationen in Form von Verbriefungen, also Bündelungen von Kreditverträgen mit unterschiedlicher Haftungsverpflichtung in einem Pool. Dieser Pool diente als Pfand, gegen das die Wertepapiere ausgegeben und weiterverkauft wurden. Mit diesem Trick traten die Kreditinstitute ihre Rechte auf vergebene Darlehen an weitere Institutionen ab und hatten mit ihren ursprünglichen Darlehensnehmern nichts mehr zu tun. So konnten die Darlehensgeber das Risiko auf andere Marktteilnehmer abwälzen und waren deshalb bereit, grenz- und vorbehaltlos Hypothekardarlehen zu vergeben. Hingegen sieht das traditionelle Modell vor, dass die Kreditgeber die Beziehungen zu den Darlehensnehmern jahrelang unterhalten und deswegen ihre Darlehen sorgfältig betreuen, um einen Kreditausfall zu vermeiden. Bei diesem Modell ist es undenkbar, die Hypothekardarlehen an zahlungsunfähige Personen zu vergeben.

Der dritte Faktor war ein Überfluss an Ersparnissen in der Welt, deren Besitzer nach profitablen Einsätzen suchten. Von 2001 bis zu ihrem Höchststand Anfang 2007 stiegen die Immobilienpreise in den Vereinigten Staaten um mehr als 50 Prozent. Kredite wurden sogar an Personen vergeben, die zahlungsunfähig waren (Subprime-Markt). Außerdem wuchs der Anteil an Hypotheken mit variablen Zinssätzen. Die Leute dachten einfach wenig an die Zukunft: Die gegenwärtigen Zinsen waren so niedrig, dass das Risiko steigender Zinsen unterschätzt wurde. Als immer mehr Subprime-Darlehen nicht zurückgezahlt wurden, platzte im Jahr 2007 die spekulative Blase. Daraufhin stiegen die Zinsen. Plötzlich konnten viele Amerikaner ihre Kredite nicht mehr bedienen.

Als der Boom in Deutschlands Osten ausblieb

Als die Banken Gläubiger verpflichten mussten, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, wurde das Problem auf das Finanzsystem übertragen. Die Banken versuchten, die Immobilien zu verkaufen. Die Kaufpreise sanken. Im Vergleich zum Höchststand nahmen sie bis Mitte 2011 um 20 Prozent ab. Damit verloren die Banken Kapital, woraufhin die Anleger der Banken begannen, sich über deren Zahlungsfähigkeit Sorgen zu machen. Panik brach aus. Die Bankenkrise mündete in einer gesamtwirtschaftlichen Krise, die sich schnell auf andere Teile der Welt ausbreitete – zum einen, weil die Vereinigten Staaten weniger importierten; zum anderen, weil auch ausländische Banken an dem unglücklichen Immobiliengeschäft in den USA beteiligt waren.

Beispiel Deutschland vor zwanzig Jahren: Anfang der neunziger Jahre kauften Investoren viele ostdeutsche Immobilien, vor allem auch Büroimmobilien in Berlin. Denn der deutsche Staat hatte neue steuerliche Anreize für den Immobilienerwerb geschaffen. Außerdem rechneten die Investoren damit, dass Ostdeutschland – nach einer kurzen Übergangsphase – regelrecht boomen würde. Viele hofften darauf, dass Berlins neue Rolle als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands eine wirtschaftliche Dividende erbringen würde. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Der Anstieg der Immobilienpreise endete etwa 1995, zu dieser Zeit war die reale Wirtschaft in Ostdeutschland so gut wie tot. Jüngere und qualifizierte Leute zogen nach Westdeutschland um. Selbst der Aufstieg Berlins ließ auf sich warten. Das Ergebnis: Das Bundesland Berlin häufte enorme Schulden an und bundesweit stagnierte die Bauwirtschaft. Der einzige Vorteil waren die niedrige Kauf- und Mietpreise in Berlin und in gesamt Ostdeutschland.

Beispiel Spanien und Irland heute: Diese beiden Länder haben einige Besonderheiten gemeinsam, die sie von Deutschland unterscheiden. Erstens betrug der Anteil der Bauwirtschaft an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Irland fast 13 und in Spanien rund 11 Prozent. Diese Werte hatten vor dem Platzen der Blasen ihren Höhepunkt erreicht und sind seither zurückgegangen. Zweitens ist die Wohneigentumsquote – der Anteil der Menschen, die in einem eigenen Heim wohnen – in Irland (73 Prozent) und in Spanien (83 Prozent) im Vergleich zu Deutschland (53 Prozent) sehr hoch. In beiden Ländern sind die Menschen viel stärker darauf angewiesen, Wohnungen zu kaufen. Gründe dafür sind kulturelle Traditionen, aber auch die Wohnungsmarktpolitik in der Nachkriegszeit. Hypothekendarlehen mit variablem Zinssatz sind in Irland und Spanien viel üblicher als in Deutschland, wo die Darlehen mit festem Zinssatz dominieren. Zudem waren in diesen beiden Ländern Verbriefungen weit verbreitet, was die Bereitschaft der Banken steigerte, Kredite zu vergeben.

Die Immobilienblasen verliefen in beiden Ländern ähnlich und zeitlich sogar fast parallel – in Irland von 1997 bis 2006 und in Spanien von 1998 bis 2007. In Spanien lösten zwei Faktoren den Immobilienboom aus: ein Defizit an Wohnungen aufgrund des starken Bevölkerungswachstums vor allem durch Einwanderung (zwischen 1998 und 2008 kamen mehr als fünf Millionen Einwanderer nach Spanien) und niedrige Zinssätze. Durch die Einführung des Euro und die einheitliche Geldpolitik im Euroraum hatte Spanien Zugang zu billigem Kapital bekommen. Die Zinsen im Euroraum waren für spanische Verhältnisse schon sehr niedrig, hinzu kam die hohe spanische Inflation, die reale Zinssätze sogar negativ machte. Das Erwerben der Immobilien war plötzlich sehr preiswert. Die Nachfrage nach Wohnungen stieg rasch an. Die Hauptquellen der Immobiliendarlehen für Haushalte waren Sparkassen und Banken, die fast ohne Schranken immer mehr Kredite vergaben. Der Bausektor, der sowieso schon groß war, nahm rasant zu. Es wurden viel mehr Wohnungen gebaut, als man tatsächlich brauchte. Die Spanier bauten jährlich fast eine halbe Million neuer Wohnungen. Zum Vergleich: Obwohl Deutschland mehr als doppelt so viele private Haushalte hat wie Spanien, wurden bei uns im vergangenen Jahrzehnt nur etwa 200 000 neue Wohnungen pro Jahr fertiggestellt.

Deutschland bleibt ein Mieterland

Während sich die Blasen aufbauten, verdoppelten sich die Immobilienpreise in Spanien, in Irland verdreifachten sie sich. Als die Zinsen erhöht wurden, lohnten sich die Investitionen in Immobilien nicht mehr. Plötzlich konnten viele Spanier und Iren ihre Kredite nicht mehr bedienen. Immobilientransaktionen und Bautätigkeit gingen stark zurück. Auch deshalb herrscht in beiden Ländern heute eine so hohe Arbeitslosigkeit. Die Immobilienpreise sanken seit dem Höchststand im Jahr 2006 (Irland) und 2007 (Spanien) bis zum Jahr 2011 in Irland um 30 und in Spanien um 20 Prozent.

Was würde passieren, wenn sich auch in Deutschland eine spekulative Blase bildete? Eine solche Blase wächst typischerweise etwa 10 Jahre heran, bis der Höchststand der Preise erreicht wird und die Marktteilnehmer erkennen, dass kein weiterer Preisanstieg möglich ist. Dann beginnen die Preise zu fallen. In der Regel sind die Zinsen in Deutschland für 10 bis 20 Jahre fixiert. Bei der Vergabe von Hypothekenkrediten gehen die Banken relativ zurückhaltend vor. Sie verlangen einen hohen Anteil des Eigenkapitals am Kaufwert, üblicherweise etwa 30 Prozent. Es ist wahrscheinlich, dass die Zinsen in 10 Jahren wieder gestiegen sind; zwischen 1975 und 2003 lag der durchschnittliche Hypothekenzinssatz zwischen 7 und 8 Prozent. Gut möglich, dass diejenigen, die ihre Traumimmobilie am Ende des Immobilienbooms, wenn die Preise am höchsten sind, erworben haben, dann nicht mehr in der Lage sind, die höheren Zinsen zu bezahlen. Sie werden ihre Häuser und Wohnungen verkaufen müssen, was zu einem abrupten Rückgang der Kaufpreise für Immobilien führen könnte. Dies wiederum würde die Refinanzierung für alle Hausbesitzer mit Schulden erschweren, selbst wenn sie ihre Immobilien schon zu Beginn des Booms gekauft haben: Ihr Vermögen wird weniger wert sein.

Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Preise unter den heutigen Stand fallen. Auch wird die Anzahl der Betroffenen – sprich der Immobilienbesitzer mit Zahlungsproblemen vor allem in großen deutschen Metropolen – relativ gering sein, weil Deutschland weiterhin ein Mieterland bleibt. Der aktuelle Immobilienboom wird diese Tradition sogar noch verstärken, schließlich wachsen die Kaufpreise deutlich schneller als die Mietpreise. Ob der Staat den bankrotten Hausbesitzern unter die Arme greifen wird, ist angesichts klammer öffentlicher Kassen mehr als fraglich. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass einzelne, vor allem regional tätige Banken darüber in Schwierigkeiten geraten werden. Das Ausmaß dürfte aber relativ begrenzt bleiben. Die Bauwirtschaft würde – neben strauchelnden Eigentümern und einzelnen Banken – der dritte Verlierer sein, wenn die Blase platzt. Die Branche würde wohl erneut in eine langjährige Phase der Stagnation geraten. Glücklicherweise spielt das Baugewerbe in Deutschland im Unterschied zu Irland und Spanien nur eine untergeordnete Rolle für die Gesamtwirtschaft.

Warum wir dennoch hellwach bleiben müssen

Handelt es sich also auch beim gegenwärtigen Anstieg der Immobilienpreise in Deutschland um eine spekulative Blase? Klar ist: Einen Boom erleben wir tatsächlich – und jede Blase beginnt mit einem Boom. Aber nicht jeder Boom mündet in eine Blase.

Wie gesagt: Der Begriff „Blase“ bedeutet, dass die Kaufpreisdynamik eher durch spekulative Überlegungen als durch fundamentale Faktoren bestimmt ist. Der wichtigste fundamentale Faktor ist das Verhältnis zwischen der Nachfrage nach Wohnungen und dem Wohnungsangebot. Und in Deutschland steigen die Immobilienpreise überwiegend dort, wo die Nachfrage wesentlich höher ist als das Angebot. In Berlin zum Beispiel herrscht eine regelrechte Wohnungsnot. Zwischen 2005 und 2011 wuchs in Berlin die Anzahl der privaten Haushalte durchschnittlich um 14 500 pro Jahr, während sich der Bestand lediglich um 3 500 Wohnungen jährlich erweiterte. Derzeit gibt es 90 000 Privathaushalte mehr als Wohneinheiten. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Lücke schnell geschlossen wird. Allein dieser fundamentale Faktor sollte genügen, um das starke Kaufpreiswachstum in Berlin zu erklären.

Allerdings sind in Deutschland auch einige spekulative Faktoren am Werk. Die wichtigsten sind niedrige Zinsen, eine wachsende Kreditvergabe, finanzielle Innovationen und laxe Finanzierungsbedingungen. Gewiss haben die außergewöhnlich niedrigen Zinsen die Nachfrage nach deutschen Immobilien gefördert. In vielen anderen Ländern war die günstige Finanzierung einer der Auslöser der spekulativen Blasen, weil auch spekulative Nachfrage davon profitieren konnte. Dies müsste sich in einem starken Kreditwachstum widerspiegeln. Doch die Anzahl der vergebenen Hypothekarkredite an private Haushalte ist in Deutschland seit 2003 fast unverändert geblieben. Das Verhältnis zwischen dem Bestand der Hypothekarkredite an private Haushalte und dem Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2003 und 2011 sogar von 44 auf 38 Prozent gesunken. Von einer explosiven Kreditvergabe, die für Länder mit spekulativen Immobilienpreisblasen so charakteristisch war, gibt es in Deutschland also keine Spur. Hinzu kommt: In der Bundesrepublik bleiben finanzielle Innovationen wie Verbriefungen, die in den USA für die grenzenlose Vergabe der Hypothekarkredite sorgten, eher ein Randphänomen. Insgesamt agieren deutsche Banken im internationalen Vergleich ziemlich konservativ. Auch das wirkt einer spekulativen Blase entgegen.

Fazit: Zwar steigen die Preise schnell, doch dafür gibt es einen guten fundamentalen Grund – in den Metropolen fehlen schlicht Wohnungen. Obwohl die Zinsen niedrig sind, bleiben die Kreditinstitute vorsichtig. Wenn die Banken nicht durch Geiz blind werden, ist das konservative Verhalten des deutschen Bankensystems ein guter Schutz gegen spekulative Blasen. Jedoch lehrt uns die Vergangenheit, immer hellwach zu sein, was mögliche Blasenbildungen betrifft. Es gibt immer Leute, die bereit sind, aus Luft Geld zu machen, vor allem wenn die Regulierung mangelhaft ist (wie in Irland, Spanien oder in den USA), oder wenn der Staat spekulatives Verhalten nolens volens sogar fördert (wie in Deutschland vor zwanzig Jahren). Denn dann kommt es zu verschiedenen „Innovationen“, deren einziges Ziel es ist, die eigenen Gewinne zu maximieren und die Kosten auf andere zu schieben – letzten Endes auf den Steuerzahler.

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