Legt die Wahlen zusammen!

Seit 1979 ist die Wahlbeteiligung an den Europawahlen in Deutschland ständig gesunken. Das zehrt an der Legitimität des Europäischen Parlaments. Deshalb sollte die Europawahl des Jahres 2009 am selben Tag wie die Bundestagswahl stattfinden

Die Zustimmung zur Europäischen Union innerhalb der deutschen Bevölkerung liegt um fast 50 Prozent höher als die Beteiligung bei den Wahlen zum EU-Parlament. Rund 60 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass die europäische Integration vorankommt – aber bei der Europawahl 2004 betrug die Wahlbeteiligung nur 43 Prozent.

 

Zum Vergleich: An Landtagswahlen nehmen meistens zwischen 50 und 60 Prozent der Wahlberechtigten teil, bei Bundestagswahlen liegt die Wahlbeteiligung üblicherweise um die 80 Prozent. Die Teilnahme an Wahlen ist Ausdruck der gefühlten Bedeutung des Vorgangs. Sie hängt zugleich ab vom Verständnis der Wähler für die Aufgaben der Gewählten.

 

Seit Jahren bemühen sich Politiker aller Parteien um eine größere Wahlbeteiligung an den Europawahlen – ohne Erfolg. Der bislang größte Versuch, die Rolle des Europäischen Parlaments zu stärken und dieses erlebbarer zu machen, ist der Verfassungsvertrag, der dem Europäischen Parlament zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten einräumen würde. Doch selbst wenn zumindest der Kern der Verfassung rechtzeitig in Kraft träte, würden bei der Europawahl im Juni 2009 vermutlich nur halb so viele Menschen wählen gehen wie bei der Bundestagswahl, die im September oder Oktober 2009 ansteht. Die Parteien werden für den Europawahlkampf weniger Geld zur Verfügung stellen als für den Bundestagswahlkampf – zugleich aber betonen, wie bedeutend (oder, je nachdem, unbedeutend) das Europawahlergebnis für die Bundestagswahl sei.

 

Nicht nur aus Sicht der Europapolitiker spricht daher viel dafür, die Bundestagswahl 2009 um drei Monate auf den Tag der Europawahl am 10. oder 17. Juni 2009 vorzuverlegen. Kein Missverständnis: Ich habe die derzeitige Große Koalition gewollt und meine, dass sie wesentlich besser ist als ihr öffentlicher Ruf. Ihre erfolgreiche Arbeit will ich bis ins Jahr 2009 fortsetzen. Gerade deshalb werbe ich als Europapolitiker für eine Zusammenlegung der Wahlen.

 

Was spricht dafür? Ab Herbst 2008 werden ohnehin kaum noch politische Entscheidungen getroffen werden. Es dürfte eine fast einjährige Übergangszeit mit integriertem Wahlkampf eintreten. In der von beiden beteiligten Parteien ungeliebten Großen Koalition wird Agonie einsetzen, die weder der Wahlbereitschaft noch der Zustimmung zu beiden Regierungsparteien oder den Oppositionsparteien zuträglich ist. Da die Bundestagswahl laut Grundgesetz frühestens 46 Monate nach Beginn der Wahlperiode stattfinden darf, müsste sich der Bundestag selbst auflösen. Der Vorschlag sollte im Januar 2009 den Koalitionsfraktionen unterbreitet und dann offen mit den Oppositionsparteien diskutiert werden.

Höhere Wahlbeteiligung, größere Legitimität

 

Die Folge wäre eine deutlich höhere Wahlbeteiligung bei den Europawahlen und damit – zumindest aus deutscher Sicht – eine gesteigerte Legitimität des Europäischen Parlaments. Weil nur ein Wahlkampf mit nationalen und europäischen Inhalten geführt würde, hätten die Parteien zugleich weniger Ausgaben und mehr Einnahmen, die sich ja nach den abgegebenen Stimmen richten. Gleichzeitig würden die öffentlichen Kassen geschont. Der 17. Deutsche Bundestag könnte dann noch vor der Sommerpause im Juli 2009 zusammentreten und eine neue Regierung wählen, die für die Herbstsitzungen einen Haushalt vorlegt – und nach sechs bis neun Monaten politischen Stillstands neuen Schwung bringt. Denn es ist evident, dass angesichts einer bis dahin eventuell schon wieder abflauenden Konjunktur in Europa gerade von Deutschland sehr viel abhängt.

 

Indem die Bundestagswahl um drei Monate vorverlegt würde, wären also mindestens fünf Monate gewonnen – Monate, in denen politisch gestaltet werden könnte. Schließlich träte der neue Bundestag, würde wie derzeit vorgesehen im Oktober gewählt, erst im November 2009 zusammen. Ganz abgesehen davon, dass schon heute viele Beobachter bezweifeln, ob die Große Koalition überhaupt noch weitere 28 Monate arbeitsfähig sein wird.

Selbstauflösung und längere Wahlperiode

 

Nach der Ankündigung von Neuwahlen im Jahr 2005 wurde intensiv darüber diskutiert, die Möglichkeit zur Selbstauflösung des Parlaments grundgesetzlich zu verankern. Damals gab es viele Stimmen, die nach 56 Jahren stabiler parlamentarischer Demokratie die strikte Ablehnung eines Selbstauflösungsrechts, die auf die negativen Erfahrungen in der Weimarer Republik zurückgeht, für nicht mehr zeitgemäß hielten. Außerdem wäre in diesem Zusammenhang die Frage zu diskutieren, ob für den Bundestag nicht eine längere Wahlperiode eingeführt werden sollte, wie sie sich auf der europäischen Ebene, in vielen Landesparlamenten sowie in den nationalen Parlamenten anderer Länder bewährt hat. Die Politikwissenschaft bestärkt uns darin überwiegend. So könnten aus aktuellem Anlass zwei wichtige Neuerungen eine verfassungsändernde Mehrheit finden.

 

Die Entscheidung für eine Verfassungsänderung müsste spätestens Anfang 2009 fallen. Da die Opposition sich diesem Angebot nur schwer entziehen könnte, der Bundespräsident dagegen nichts einzuwenden haben dürfte und die Bevölkerung eine solche Entscheidung begrüßen würde, steht ihr nichts im Wege. Die Fraktionsspitzen der Großen Koalition sollten in Absprache mit ihren Parteien und der Regierung einen solchen Vorschlag machen.

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