Mehr Mosi für die Republik?
Ein Premierenabend in der Komischen Oper Berlin. Kurz vor Beginn der Vorstellung, eine Minute vor acht, fährt ein Rolls Royce vor, aus ihm steigen der Friseur Udo Walz und seine Haushälterin Regina Albrig. Hund Oskar springt hinterher. Für sie ist die Königsloge reserviert. Als die Gäste das Trio sehen, stehen sie auf und applaudieren – freilich gilt der Beifall nicht dem Dirigenten, der sich zur selben Zeit ans Pult schleicht, sondern Walz und seiner Begleitung, als sie über dem Parkett ihre Plätze einnehmen.
Was in Berlin unvorstellbar wäre, bildete in München blumige Realität. Rudolph Moshammer besuchte regelmäßig die Premieren im Deutschen Theater. Zu Lebzeiten noch schreitet er, so berichtet Thomas Grasberger in seinem Buch Gebrauchsanweisung für München, “nahezu majestätisch auf seinen Platz und grüßt winkend, während das übrige Publikum Beifall klatscht, für ihn und seinen Schoßhund Daisy. Man sollte das Klatschen nicht überbewerten. Wahrscheinlich sind insgeheim alle heilfroh, dass sie nicht den Sitzplatz direkt hinter der Pop-Diva erwischt haben, weil es im Windschatten der ausladenden Steckfrisur mit der Premiere schnell vorbei wäre.”
Für ein furioses Finale dieses Spiels, oder genauer: Schauspiels, sorgte Moshammers Ermordung am 14. Januar. Das Privatfernsehen übertrug seine Beerdigung live. Vor Ort standen die Münchener dicht gedrängt, als der Leichenzug die Maximilianstraße entlang fuhr und kurz vor dem Laden Carneval des Venise anhielt. So wurde Moshammer zum Ende seines Lebens zweifach Opfer: einmal das seines Mörders, zusätzlich das einer exaltierten Medienneugier – ein Spektakel, das er freilich auch genossen hätte. Zwölf Jahre zuvor hatte er die Beerdigung seiner Mutter ähnlich pompös inszeniert.
Moshammer liebte den Schein. Von der Wirklichkeit hielt er nicht viel. Das zeigte schon sein Äußeres: die schwarze Tolle war ein Implantat, das er sich in Kalifornien hatte einpflanzen lassen. Sein Alter hielt er verborgen, meist machte er sich fünf Jahre jünger. Ganz verschlossen blieb sein Sexualleben. Jeder ahnte, oder besser: wusste zwar, dass Moshammer schwul war, denn er bediente gängige Tuntenklischees: in der einen Hand die Frau Mama, in der anderen das Pinscherhündchen Daisy. Aber erst seine Ermordung brachte ein grausames Zwangsouting.
Mit Mosi leuchtete München noch greller
Selbst seine offizielle Rolle bestand aus einer Fassade. Er selbst nannte sich einen Modeschöpfer. Doch war er das wirklich? Früher in den sechziger und siebziger Jahren hatte er noch Erfolg. Arnold Schwarzenegger und José Carreras zählten zu seinen Kunden, doch später kauften nicht mehr Prominente bei ihm ein, sondern Touristen aus Dülmen oder Cottbus. Niemand würde seinen Namen in einem Atemzug mit Joop oder Lagerfeld nennen. Der Modezar Mooshammer war längst aus der Mode. König der Schickeria lautete sein wahrer Beruf. Er setzte dem schönen Schein an der Isar die Krone auf. München leuchtet schon lange – doch mit Moshammer war dieser Glanz, wenn schon nicht heller, so doch greller.
Mehr Schein als Sein – das begann bereits mit der Gründung Münchens, wie Claudius Seidl, früher Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung und nun als Wahl-Berliner in derselben Funktion bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, festgestellt hat: “Diese Stadt, die sich für alt ausgibt, ist tausend Jahre jünger als die umliegenden Orte, ein Parvenü neben Augsburg, Salzburg, Regensburg – und dass aus ihr doch etwas wurde, verdankt sie nur dem Größenwahn. Heinrich der Löwe, ein Zugereister aus Niedersachsen, der vorübergehend auch in Bayern herrschte, ließ isarabwärts eine Brücke niederbrennen und baute da, wo noch kein München war, eine neue auf. Die Wittelsbacher, die später hier regiert haben, hatten einen Hang zu höheren Ämtern; deshalb verkleideten sie die kleine Residenzstadt des kleinen Landes Bayern als Rom, Versailles, zumindest als Wien.”
Lug und Trug auf Schritt und Tritt
Das Kleid einer Stadt erkennt man in seinen Bauten – und für München ist es typisch, dass es sich dabei fast durchweg um Kopien handelt. Die Propyläen folgen einem antiken Vorbild, das Rathaus ahmt flämische Architektur nach, St. Kajetan eine römische Kirche. Daneben steht die Feldherrnhalle, ein Nachbau der Florentiner loggia dei lanzi, und die Residenz der Wittelsbacher imitiert den Palazzo Pitti, einen Schlossbau, ebenfalls in Florenz. Lug und Trug auf Schritt und Tritt – mit den Fassaden verhält es sich nicht anders als mit Moshammers Haaren.
Ganz anders als in Berlin. Hier zählt das Original – und vielleicht ist das schon ein erster Hinweis darauf, wie schwer es Moshammer an der Spree gehabt hätte. Brandenburger Tor und Gendarmenmarkt geben einzigartige Architektur wieder. Selbst die scheußlichen Bauten aus der Kaiserzeit sind auf eigenem Mist gewachsen, so der pompöse Dom, der zwar als protestantisches Gegenstück zum römischen Petersdom gedacht war, aber in seinem Stil beispiellos hässlich ist. Michelangelo, der Baumeister des Vatikan, müsste sich einen Vergleich mit dem Kuppelbau an der Spree jedenfalls nicht gefallen lassen.
Berlin gibt sich ungeschminkt. Moshammers verstellter Umgang mit seiner Homosexualität wäre hier, in einer Stadt, in der geschätzt 170.000 Schwule leben, und deren Regierender Bürgermeister seine sexuelle Identität zum Markenzeichen gemacht hat, bestenfalls mitleidig belächelt worden. Gewiss, auch Berlin kennt das Spiel mit dem Schein. Steht nicht das neue Kanzleramt exemplarisch für mangelnde Wahrheitsliebe? Oder ist das wieder vereinigte Deutschland wirklich so stark wie die Regierungszentrale groß ist? “Der Schwindel scheint hier größer als anderswo, und er wird mit mehr Ernst betrieben”, schrieb Bert Brecht nach seiner Ankunft in Berlin 1920.
Ein anderer Dichter, Heiner Müller, machte eine andere Erfahrung, als er zum ersten Mal in die Stadt kam: “Ich war aus Sachsen gewöhnt, wenn man ein Mädchen sieht, quatscht man die an. Das habe ich am Bahnhof Friedrichstraße genauso gemacht. Ich habe eine angequatscht, die mir gefiel, und sie sagte: Mein Herr, sie sind auf dem falschen Dampfer. Das war für mich Berlin.” Da ist sie schon wieder, diese gewisse Ehrlichkeit, die mit “Schnauze” vorgetragen wird. Von ihr ist es nicht weit zur preußischen Tugend des “Mehr Sein als Schein”. Marlene Dietrich hat es so besungen: “Ein richtiger Berliner, der macht sich nie was vor”.
Und die Berliner hatten ein Idol
Sucht man in Berlin nach Stars, die diese Haltung verkörpern und vielleicht als Vergleichsobjekt zu Moshammer dienen könnten, so stößt man auf Harald Juhnke. Heute lebt er demenzkrank in einer Klinik und zeigt sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Zuvor, als er noch gesund war, gab sich der Sänger stets so wie er war. Keine Sauforgie, kein Seitensprung, kein Techtelmechtel mit einem Teenager blieb im Geheimen. Noch heute berichtet die Boulevardpresse voller Sorge über jede Lungenentzündung des alten Herrn. Dieses Interesse zeigt zugleich: Die Berliner lieben ihren Juhnke. Bei Molle und Korn in der Weddinger Eckkneipe, so könnte man sich Juhnke ohne Probleme vorstellen. Moshammer hingegen, mit Maßkrug und Weißwurst irgendwo in der Gaststätte eines Münchner Außenbezirks – das gibt kein gutes Bild. Er ging meist in sein eigenes Restaurant, die “Hundskugel”, Münchens ältestes Brauhaus, das er vor Jahren gekauft hatte. Oder er blieb im noblen Vorort Grünwald.
Fabrikschlote und ruppige Arbeiter
Ein König wie Moshammer mischt sich nicht unters Volk. Die Münchener stört das kaum; sie sind im Herzen Untertanen der Wittelsbacher geblieben, und dabei denken sie vor allem an einen Herrscher: den mythenbeladenen Märchenkönig Ludwig, das Vorbild für “Kini Mosi”. In der Allerheiligenhofkirche der Residenz fand dann auch die Trauerfeier für Moshammer statt. Wie steht es im Vergleich mit Harald Juhnke als Alten Fritz oder gar als Wilhelm “Zwo”? Aus der preußischen Geschichte sind vor allem die ernsten Monarchen in Erinnerung geblieben, die zudem viele Kriegstote auf dem Gewissen haben. Zwar diente Berlin über vier Jahrhunderte den Hohenzollern als Regierungssitz, aber diese Vergangenheit bildet im kollektiven Gedächtnis eher ein Nebenkapitel. Außerdem haben Fabrikschlote mehr als Schloss und Hof die Stadt geprägt, als sie im Zeitalter der Industrialisierung zur Wirtschaftsmetropole wuchs. Von 932.000 Einwohnern im Jahr 1871 stieg die Bevölkerung auf 3,7 Millionen im Jahr 1910. Damals zog nicht der Kaiser die Massen aus der Ferne an, sondern Siemens und AEG, Borsig und die Textilfabrik Mannheimer. Diese Industriegeschichte formte ruppige Arbeiter und in Folge weite Teile der Stadt. “Berlin, du deutsche, deutsche Frau,/ich bin dein Hochzeitsfreier/Ach, Deine Hände sind so rau/Von Kälte und von Feuer”, klagte Wolf Biermann.
Schlechte Lage, schlechte Laune
Diesen proletarischen Charme hat Juhnke mit seinem Auftreten wiedergegeben. Aber nicht nur das: Er stand auch für die Erfolglosigkeit der Stadt. Der früher umworbene Schauspieler und Sänger ist an seiner Alkoholabhängigkeit gescheitert. In dieser Hinfälligkeit passt er wiederum zum kranken Berlin, einer Metropole ohne Geld, ohne Arbeitsplätze und ohne die einst so wichtige Industrie. Die Stadt nennt sich zwar Kapitale, ist aber nur kulturell und politisch führend, nicht wirtschaftlich.
Rudolph Moshammer hingegen starb als reicher Mann in einer erfolgreichen Stadt. Im Bezirk Freising, nördlich Münchens, gibt es im deutschlandweiten Vergleich die wenigsten Arbeitslosen. Dort boomt der Flughafen Erding. Schönefeld hingegen gibt es nur auf dem Papier der Planungsunterlagen. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Gute Lage, gute Laune, schlechte Lage, schlechte Laune. Berlin steht für Defätismus, wie Erich Kästner schon 1931 in seinem Roman Fabian schrieb: “Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang.” Bis heute herrscht Melancholie vor – und vielleicht gehört es zu den negativen Begleiterscheinungen des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin, dass diese Stimmung mittlerweile auf das Land ausstrahlt und die mentale Krise der Republik mit verursacht hat. Mies gelaunt – so hätte man sich Rudolph Moshammer nicht vorstellen können. Und wenn, er hätte es nie gezeigt. Vielleicht wäre deshalb die heimliche Hauptstadt doch die bessere? Ein bisschen mehr München täte der Berliner Republik gut.