Mit Intelligenz für eine gute Infrastruktur
Wer in den vergangenen Jahren die deutsche Verkehrspolitik verfolgt hat, konnte den Eindruck bekommen, sie wäre aus der Zeit gefallen. Ihr Erfolg scheint sich an der Anzahl der Spatenstiche für Ortsumgehungen festzumachen. Mit kurzfristig dem Bundesfinanzminister abgerungenen Steuermillionen schielt die Bundesregierung auf die nächsten Wahltermine. Doch für strukturelle Reformen fehlt der Mut. Dabei sind Straßen- und Schienennetze, Binnenwasserstraßen und Flughäfen ganz wesentlich dafür, dass sich Wirtschaft und Beschäftigung entwickeln können und viele Menschen in bisher ungekanntem Maße mobil sind. Verkehrswege schaffen aber auch Belastungen – und treffen damit zunehmend auf Widerstände in der Bevölkerung.
In der öffentlichen Wahrnehmung repräsentierten die SPD und die Grünen bei großen Verkehrsprojekten häufig unterschiedliche Seiten. Dabei wird übersehen, dass beide Parteien auch in dieser Frage inzwischen mehr verbindet als trennt. Deshalb wollen wir gemeinsam in einer rot-grünen Bundesregierung die überfälligen Reformen in der Verkehrspolitik angehen. Unser Ziel ist Bewegung und nicht das Verharren in alten Verhaltensmustern des letzten Jahrhunderts.
Wir stellen gemeinsam fest, dass der weitaus größte Teil der Verkehrsinfrastruktur fertiggestellt ist. Galt manchen bislang der Aus- und Neubau als Hauptaufgabe, so müssen wir in den kommenden Jahren viel mehr Mittel für den Erhalt der Infrastruktur bereitstellen. Der Substanzverfall hat schon jetzt spürbare Folgen. Wenn Brücken für LKWs im Ballungsraum Köln gesperrt werden müssen, kosten die Umwege nicht nur der Wirtschaft Zeit und Geld, sie führen auch zu mehr Staus und belasten die Umwelt. Deshalb muss Verkehrspolitik den Anspruch haben, dem Verkehrswachstum nicht einfach hinterher zu bauen, sondern durch effiziente Organisation und eine integrierte Verkehrs- und Siedlungspolitik die bestehende Infrastruktur besser zu nutzen, um die notwendige Mobilität zu sichern.
Als völlige Fehlentwicklung hat sich erwiesen, dass die Bundesregierung verstärkt verkehrsträgerspezifisch denkt. Wir müssen dringend an einer Reintegration der Verkehrsträger arbeiten. Schiene, Straße und Wasserstraße sind zusammen zu denken und vor allem zusammen zu planen. Wir wollen deshalb die Bundesverkehrswegeplanung so umbauen, dass das verlässliche Funktionieren des Verkehrsnetzes als Ganzes im Vordergrund steht. Unser Ziel bleibt ein Bundesmobilitätsplan.
Wir wenden uns dagegen, die Verkehrsträger Straße und Schiene gegeneinander auszuspielen. Die Straße wird auch in Zukunft ihre Bedeutung behalten. Wir wollen sie jedoch einbinden in neue Mobilitäts- und Logistikkonzepte mit dem Ziel einer Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger. Das ist keine ideologische Frage, sondern hat auch ganz praktische Gründe: Auf vielbefahrenen Autobahnen kann nicht noch eine achte oder neunte Spur gebaut werden. Stattdessen braucht es attraktive Angebote zum Umsteigen beziehungsweise zum Verladen auf die Schiene.
Mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist in den kommenden Jahren nur mit massiven Investitionen in die Infrastruktur zu erreichen. Diese Investitionen sollten sich künftig an einem integralen Taktfahrplan ausrichten, mit bundesweit funktionierenden, aufeinander abgestimmten Anschlüssen. Gleichzeitig wollen wir die Kapazität für den Schienengüterverkehr bis 2030 und kurzfristig die Lärmschutzmittel verdoppeln.
Der Ruf nach mehr Geld ist keine Politik
Der Ruf nach mehr Geld allein genügt nicht. Aktuell läuft leider ein großer Verschiebebahnhof, der niemandem nützt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat es zugelassen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Verkehrssektor seit 2010 rund fünf Milliarden Euro entzogen hat. Das Aufstocken der Mittel des Bundes für die Verkehrsinvestitionen um 600 Millionen Euro in diesem Jahr bleibt im Vergleich dazu ein Tropfen auf den heißen Stein und ist dem Wahlkampf geschuldet. Die so genannten Infrastrukturbeschleunigungsprogramme wirken wie punktuelle Strohfeuer. Sie setzen zudem falsche Prioritäten. Weder Länder noch die Bauwirtschaft haben auf diese Weise Sicherheit für ihre Investitionsplanungen.
Wir wollen sicherstellen, dass 80 Prozent der für den Neu- und Ausbau vorgesehenen Bundesmittel in Projekte fließen, an denen ein wesentliches nationales Interesse besteht. Dabei müssen die Engpässe in den Verkehrsknoten ein besonderer Schwerpunkt sein. Für uns ist es selbstverständlich, dass solche Projekte keine weit reichenden Eingriffe in die Umwelt hervorrufen dürfen und vorher Alternativen zu untersuchen sind. Außerdem erwarten wir, dass sie ehrlich durchgerechnet sind.
Wir sind bereit zu einer offenen Diskussion über die künftige Finanzierung unserer Infrastruktur, wie sie von der Daehre-Kommission angestoßen worden ist. Dabei setzen wir auf eine verstärkte Nutzerfinanzierung zunächst durch eine Ausweitung der LKW-Maut auf alle Bundesstraßen, später auch auf das gesamte Straßennetz. Zudem sind wir uns – unabhängig von Strukturfragen bei der Bahn – einig, dass wir institutionell sicherstellen werden, dass Trasseneinnahmen und Stationsentgelte vollständig in die Schieneninfrastruktur zurückfließen.
Eine gemeinsame rot-grüne Infrastrukturpolitik wird sich also nicht auf ein „Weiter so“ mit kleinen Änderungen beschränken. Wir wollen klare Prioritäten bei Planung und Finanzierung. Daher müssen wir mit der bisherigen Verkehrspolitik der nicht einlösbaren Versprechen brechen und nüchtern neue Wege gehen.
Widerstände wird es angesichts begrenzter Mittel fraglos geben. Besonders vor Ort, wo sich die Verantwortlichen mit unerfüllbaren Listen an Verkehrsprojekten überbieten. Hier ist keinem ein Vorwurf zu machen. Je mehr Bedarf man anmeldet, so die bisherige Logik, desto größer ist die Chance, dass auch viel gebaut wird. Das führt dazu, dass die Verkehrswegeplanung gerade im Bereich Straße ins Absurde gerät. Deshalb war es gut, dass das rot-grüne Nordrhein-Westfalen und das grün-rote Baden-Württemberg Schluss gemacht haben mit Wünsch-Dir-Was-Listen und nur noch das als Priorität benennen, was auch finanziert werden kann. Wir wollen für die Verkehrswegeplanung gemeinsam mit den Bundesländern objektivierbare Kriterien dafür festlegen, welche Projekte sinnvoll und notwendig sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen von Anfang an verbindlich mit einbezogen werden. So geplante Projekte, deren Notwendigkeit allgemein anerkannt ist, müssen dann zügig in die Tat umgesetzt werden.
Die Aufgaben für die Verkehrspolitik sind groß. Ein eigenständiges Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist heute notwendiger denn je. Verkehrspolitik ist mehr als eine Unterabteilung der Wirtschafts- oder Umweltpolitik. Zu oft hat sich die Infrastrukturpolitik als Feld erwiesen, bei dem der Mut zu großen Lösungen fehlte. Nie galt dies mehr als für die heutige Bundesregierung. Wir wollen gemeinsam Reformen angehen – mit einer klugen Infrastrukturpolitik, die Mobilität für alle schafft.
Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien in der „Frankfurter Rundschau“.