Morgen wird es besser sein - wenn wir uns heute an die Arbeit machen
Eine Gesellschaft ist dann klimagerecht, wenn der Klimawandel alle Menschen in gleicher Weise betrifft. Ganz simpel heißt das: Wenn wir bis 2050 die weltweite Kohlendioxidbelastung global gemeinsam und gerecht schultern wollen, dann dürfen die Pro-Kopf-Emissionen jedes Erdenbürgers nicht mehr als zwei Tonnen Kohlendioxid pro Jahr betragen. Afrikaner dürfen demnach ihren Ausstoß verdoppeln, US-Amerikaner müssen ihn auf ein Zehntel reduzieren und wir Deutschen beginnen unsere Kohlendioxid-Diät bei etwa elf Tonnen.
Doch was so einfach klingt, ist schon auf den zweiten Blick etwas komplizierter. Denn betrachtet werden muss die gerechte Verteilung nicht nur in Bezug auf die Ursachen, also den Kohlendioxidausstoß, sondern auch auf die unterschiedlich verteilten Risiken (also Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme) und die unterschiedlich verteilten Chancen (also Wachstum durch neue Technologien, verbesserte geografische Bedingungen). Deutschland gehört dann weltweit nicht nur zu den größten Kohlendioxid-Schuldnern, sondern steht auch sonst eher auf der Habenseite: Wir sind nur mit relativ geringem Risiko von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen und haben als innovatives Technikland zugleich enorme Chancen, von einer Dekarbonisierung der Welt zu profitieren.
Die Richtung ist längst klar
Umso leichter sollte es uns eigentlich fallen, Pioniere einer klimagerechten Welt zu werden. Das Dumme ist nur, dass es so verdammt schwer ist, alte Gewohnheiten aufzugeben, egal wie sehr wir sie vom Kopf her ablehnen. Statt die Chancen für alle zu sehen, blicken manche auf ihre persönlichen Verluste und jammern in höchsten Tönen. Derzeit wird noch diskutiert, wie weltweite Klimagerechtigkeit geschaffen werden kann und welche Zielzahlen vertraglich festgeschrieben werden sollen. Doch ganz gleich, was dabei im Detail herauskommt – die Richtung ist klar: Die Gesellschaft von morgen lebt weitgehend ohne fossile Energien, möglichst energieeffizient und kommt ohne Raubbau an Natur, Umweltzerstörung und -verschmutzung aus. Die Energieversorgung spielt hier eine zentrale Rolle: Strom wird aus erneuerbaren Energien produziert. Autos, Busse und Flugzeuge bewegen sich ohne Feinstaubemissionen, Lärm oder Staus, und ohne fossile Energien. Auch Industrie und Haushalte verzichten komplett auf fossile Energien – etwa beim Heizen, Kühlen oder in der Warmwasserbereitung.
Es geht nicht um »Verzicht«
Für eine klimagerechte Welt ist ein niedriger Energieverbrauch elementar. Vor allem im Gebäudebereich können wir erheblich Energie sparen und dabei sogar durch intelligente Licht- und Klimatechnik die Wohn- und Lebensqualität erhöhen.
Auch wenn manche Unternehmen, nämlich diejenigen, die derzeit ihr Geld mit Kohle und Öl verdienen, laut klagen, kann die deutsche Industrie in einer klimagerechten Gesellschaft Wettbewerbsvorteile erzielen. Zu den Gewinnern von morgen gehört, wer frühzeitig Energie- und Ressourcenkosten einspart und neue Geschäftsmodelle aufbaut: die Entwicklung innovativer Recyclingsysteme, neuer Kunst- und Treibstoffe (ohne Öl) und moderner Antriebstechnologien werden vor allem der Chemie- und Maschinenbaubranche in Deutschland weiteren Aufwind verschaffen. Im „Land der Ingenieure“ dürfte es eigentlich nicht an Ideen und Möglichkeiten fehlen, nachhaltiges Wirtschaften in die Realität umzusetzen.
Auch die Kunden können zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen: Dabei geht es nicht um „Verzicht“, sondern um einen klimabewussten Lebensstil. Wenn man beispielsweise mit dem Fahrrad fährt, macht das Spaß und tut der Gesundheit gut. Ohne Lärm, Staub und gesundheitsschädliche Feinstaubemissionen wird zudem die Lebensqualität in den Großstädten erhöht.
Ein selbst- und klimabewusstes Deutschland kann und wird eine Blaupause für andere Industrienationen und stark wachsenden Volkswirtschaften sein. Denn sowohl verminderte Emissionen als auch die wachsende Nachhaltigkeit führen zu besseren Lebensbedingungen weltweit.
Nationen mit einem hohen Anteil fossiler Energien haben in der Regel ein großes Interesse daran, jeden Klimaschutz hinauszuzögern, um möglichst lange am Geschäftsmodell von gestern zu verdienen. Die Lobbyisten der Vergangenheit denken nicht über den aktuellen Tag hinaus. Doch ihr kurzfristiges Gewinnstreben wird auf lange Sicht teuer. Die Konflikte um immer knapper werdende Ressourcen werden wachsen. Nur eine klimagerechte Gesellschaft wird auf die Dauer friedlich sein. Anderenfalls drohen Katastrophen, Flüchtlingsströme und Kriege.
Die Kosten der Erneuerbaren sinken
Die großen Volkswirtschaften in Europa, in den Vereinigten Staaten und in China können zeigen, dass die Anstrengungen für eine klimagerechte Gesellschaft auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile mit sich bringen. Angesichts der globalen Vernetzung der Weltgemeinschaften werden immer mehr Länder von diesen Entwicklungen profitieren können. Beispiel erneuerbare Energien: Die konsequente Förderung in Deutschland und der zunehmende Wettbewerb besonders mit Asien haben deren Kosten massiv sinken lassen. So können inzwischen auch arme Menschen in Regionen ohne Zugang zum Stromnetz selbst Strom erzeugen und nutzen, etwa durch Solaranlagen. Auch das ist eine Form von klimabezogener Chancengerechtigkeit.
Die deutsche und europäische Politik hat die Aufgabe, diesen Umstieg hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung konsequent und zielstrebig voranzutreiben. Dazu gehört auch, endlich offen über die „Kostenwahrheit“ zu sprechen. Noch immer ist die Verbrennung von Kohle die günstigste Form der Energieerzeugung, weil die Umweltkosten des Kohleabbaus und die Klimakosten der Kohleverbrennung nicht mitgerechnet werden.
Der Emissionsrechtehandel stellt im Grunde ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem man eine derartige Kostenwahrheit herstellen könnte. Doch politische Einflussnahme (zu viele Zertifikate, zu niedrige Emissionsobergrenzen) hebelt den regulierenden Effekt dieses marktwirtschaftlichen Instruments aus. Deutschland hat dabei leider in der Vergangenheit als Blockierer von Reformen eine wenig klimagerechte Rolle gespielt. Zudem erlaubt der Gesetzgeber entgegen allen Regeln der Vernunft den Betrieb alter, ineffizienter Kohlekraftwerke. Deswegen gibt es hierzulande derzeit ein Stromüberangebot, das wiederum die Wirtschaftlichkeit von Gas- und Pumpspeicherkraftwerken sinken lässt – und deren ökonomisches Überleben ist für eine klimagerechte Gesellschaft besonders wichtig.
Die Politik von heute hat die große Chance, die Weichen in Richtung einer klimagerechten Gesellschaft zu stellen und dabei schon jetzt der deutschen Wirtschaft wertvolle Impulse für eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu verschaffen. Die Welt von morgen kann eine bessere sein, wenn wir heute damit beginnen, sie besser zu machen.