Morgen wird es dir besser gehen

Der historische Erfolg der SPD war der Erfolg eines großen Versprechens von Aufstieg und Gerechtigkeit. Dieses Versprechen muss die Partei jetzt zeitgemäß erneuern. Gelingen wird das nur, wenn sie sich zu einer modernen Marke wandelt

Wollen Parteien auf Erfolgskurs bleiben, müssen sie sich in professionell arbeitende politische Service- und Kommunikationsagenturen verwandeln. Ihre wichtigsten Aufgaben bestehen dann darin, die Arbeit ihrer vielen Wirkungsbereiche zu markieren, Vertrauen in die Qualität ihrer politischen Problemlösungen zu schaffen und möglichst qualifiziertes und vorzeigbares Personal für politische Führungsaufgaben anzubieten. Sie generieren Erlebniswelten und Ereignisse, bilden im Umfeld lockere und projektorientierte temporäre Gemeinschaften. Sie verlieren ihre Stammwähler als solche, können sie aber gelegentlich als Wechselwähler wieder gewinnen.


Je nach Geschmack grässliche oder schöne Zukunftsmusik? Wir sind schon näher dran, als es im Alltag scheint. "Es geht nicht mehr um sozialdemokratische oder konservative Wirtschaftspolitik, sondern um moderne oder unmoderne", erklärte Gerhard Schröder im Wahlkampf 1998. Die Wahrnehmung lag jenseits gewohnter sozialdemokratischer Realitätskonstruktion, blieb aber unvollständig. Denn warum sollte das Gesagte nur für die Wirtschaftspolitik gelten? Dasselbe lässt sich durch alle Politikbereiche buchstabieren: Wir unterscheiden also moderne oder unmoderne Sozial-, Renten-, Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Familienpolitik. Diese neue Polarität hat allerdings zur Konsequenz, dass es auch keine sozialdemokratische und keine christdemokratische Politik als grundsätzliche Alternativen mehr geben kann.


Der Kampf um Mehrheiten ist folglich kein großer Kulturkampf mehr, sondern ein Wettbewerb zwischen politischen Eliten mit austauschbaren Kompetenzprofilen. Die Parteien bekommen also ähnliche Probleme wie jene Unternehmen, deren Produkte sich von den Angeboten der Konkurrenz kaum noch unterscheiden. Unternehmen müssen mit ihren Produkten in sein, einem verbreiteten Lebensgefühl entsprechen und auf dieses Lebensgefühl bezogene Vorteile stilisieren. Nur dann ergibt es einen Unterschied, ob man in Sportschuhen von Nike oder von Adidas herumläuft. Tatsächlich rennt man weder in den einen noch in den anderen schneller.

Eintauchen in die Erlebnispartei?

Der Soziologe Gerhard Schulze hat die Erlebnisgesellschaft als ein Muster beschrieben, in dem sich immer mehr Menschen als qualifizierte Konsumenten mit Erlebnisangeboten identifizieren und voneinander abgrenzen. Der Kunde taucht in die Welt einer Marke ein und fühlt sich wohl, hat ein scheinbar natürliches Wir-Gefühl, ist unter Gleichgesinnten gut drauf. Für Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände stellt sich die Frage, ob sie Teil von Erlebniswelten werden können - in Konkurrenz zu Renault und Coca Cola, zu Marken-Outlets, Einkaufs- und Urlaubs-"Paradiesen".


Die Parteien waren ja einst auf gewissermaßen natürliche Weise klar profilierte "Marken". Inzwischen driften sie aber aus den großen Erzählungen der Vergangenheit, verlieren ihr gesellschaftliches Umfeld, ihre ursprünglichen Aufgaben und Rollen im politischen Spektrum. Es bleiben noch einige "Erbinformationen" der Vergangenheit: Images, Klischees, Erwartungen, vielleicht auch einige Personen, die noch die alten Lieder singen. Doch die Traditionen zerrinnen.


Das bietet einerseits neue Möglichkeiten, schafft zugleich aber große Unsicherheiten: Politik, die ihren weltanschaulichen Hintergrund verloren hat, bietet weder selbstverständliche Ziele noch klare "natürliche" Botschaften. Die aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen sind nicht mehr mit Verweis auf sozialdemokratische Moral oder Tradition zu beantworten. Zu kaum einem Thema gibt es noch eine selbstverständliche christdemokratische Position. Damit verschwindet die alte Ordnung der politischen und politisierbaren Gefühle: Den Parteien zerfällt das emotionale Fundament, das ihre Wähler band - und damit die Basis ihrer Botschaften.


Doch ohne Koordinaten, ob alt oder neu entwickelt, erscheint jede politische Aktion ohne Zusammenhang zu anderen, verliert jede politische Rede, jede Handlung ihre gewohnte Bedeutung und ihre einstmalige symbolische Kraft. Politische Aktionen wirken daher nicht mehr selbstverständlich, sondern müssen jeweils gesondert immer wieder neu erklärt werden. Entsprechend häufig wird auch in den Medien nach deren "Sinn" gefragt. Es fehlt ihnen ein Kontext, der ihre Bedeutung definiert, der politische Erregung konfiguriert und die Konnotationen der politischen Grundbegriffe prägt.


Damit fehlt der Politik die wichtigste Grundlage der Darstellung und der Rezeption. Selbst Funktions- und Mandatsträger der SPD haben offenbar einige Mühe, die von Sozialdemokraten gemachte Politik als sozialdemokratisch zu verstehen und zu vermitteln. Das irritiert sie, lässt sich aber nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen, dass man wieder rote Fahnen schwenkt. Vielmehr braucht die SPD eine zeitgemäße Rekonstruktion ihrer Identität. CDU und CSU übrigens auch. Das wird ein interessanter Wettbewerb um neue Deutungskompetenz.


"Die neue, unverzichtbare Zielvorgabe für alle Parteiorganisationen heißt ‚Kampagnefähigkeit‘, nicht Traditionsbewusstsein, programmatische Konsequenz oder Grundsatztreue", schreibt Ulrich Sarcinelli. Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit für die Selbstdarstellung von Politikern und für die jeweils aktuellen Konfliktszenarien drängt jedoch einen wesentlichen Aspekt der Politikpräsentation in den Hintergrund: Parteien brauchen eine Corporate Identity - also eine an Werten orientierte Zukunftsvorstellung. Ohne Perspektive kein Profil, und ohne Profil wiederum kann man nicht gut werben. Damit Kommunikation erfolgreich sein kann, braucht sie das Grundvertrauen, dass die Produkte die versprochenen Qualitäten haben - wie bei einer gut geführten Marke: Persil bleibt Persil, weil es sich immer wieder ändert.

Das Rennen gewinnt, wer kohärent erscheint

Kampagnefähigkeit kann nicht aus politischer Perspektivlosigkeit erwachsen - im Gegenteil: Um die Wähler zu erreichen, brauchen die Parteien jeweils einen in sich kohärenten Gesamtzusammenhang zwischen ihren einzelnen Zielen und wechselnden Projekten, sonst schaffen sie keine emotional erfahrbaren Botschaften. Wer hier etwas tut und dort eingreift, wer dies verhandelt und jenes entscheidet und auf diese Weise Jahr um Jahr aktionsorientiert unterwegs ist, gibt noch kein in sich stimmiges Bild ab. Solch ein stimmiges Bild ist aber wesentliche Grundlage erfolgreicher Kommunikation. Nur ein gefestigtes Profil, das auch aktuelle Anforderungen und Ereignisse integriert, wird ein Leitfaden, an dem viele Bürger sich orientieren können. Der Wettbewerb zwischen den Parteien wird somit um eine neue Kohärenz ausgetragen.


Demnach lautet die Kernfrage für die SPD: Wenn sie nicht mehr als Partei des alten Sozialstaates verstanden wird, was ist sie dann? Wie präsentiert man sozialdemokratische Politik, wenn sie nicht mehr selbstverständlich links, sozial und gerecht ist? Erklärt sie sich selbst durch ihr Regierungshandeln? Genügen nicht bereits ein paar eindrucksvolle Erfolge? Offenbar nicht: Die Darstellung von Erfolgen braucht ein emotional besetztes Bezugssystem, die Bewertung steckt nicht in der Sache selbst.


In der Konsequenz muss man Parteien künftig wie eine Marke anlegen, nicht wie einen Wahlverein des 19. Jahrhunderts. "Man muss sich die Marke als Kernbedeutung des modernen Konzerns vorstellen und die Werbung nur als eines von vielen Instrumenten, um der Welt diese Kernbedeutung mitzuteilen", schreibt Naomi Klein. Die Marke ist Konstrukt, ihre Wirkung ist emotional, assoziativ und weckt Wünsche. Im Grunde steht die Marke auf vier Pfeilern, die Identität und Vertrauen schaffen können: Auf den Produkten, dem personellen Angebot (Kundendienst), der Corporate Identity und der Kommunikation. Um als Marke im Wettbewerb zu bestehen, müssen diese Dimensionen zusammenpassen. Es geht um Gebrauchswert und Image: Das Produkt muss seinen Zweck erfüllen, und der Kunde soll mit seiner Kaufentscheidung im eigenen sozialen Umfeld bestehen können.

Aus Einzelbotschaften wird kein Profil

Prozess-Management ist dabei ein wesentlicher und in der Politik häufig vernachlässigter Schlüssel, um diese vier Pfeiler erfolgreich zu errichten. Man müsste also das Wissens-, Organisations-, Personal- und Kommunikationsmanagement auf das zukünftige Profil hin neu anlegen. Bei der SPD aber erscheinen Organisation, Ziele, Konzepte, Produkte und Kommunikation nicht als konsistentes Ganzes - die einzelnen Elemente vermitteln also je unterschiedliche Botschaften. So entsteht ein schillerndes Bild.


In der Marketingliteratur ist ausführlich von Markenleitbildern und von Markenphilosophie zu lesen, wenn die Frage behandelt wird, wie man bei den Kunden den Eindruck einer spezifischen Kompetenz vermittelt. Was also ist der Identitätskern der SPD? Die emotionale Botschaft an ihre traditionellen Wähler war: Morgen wird es dir besser gehen. Mehr Wohlstand, Gerechtigkeit, Fortschritt, Erneuerung. Das waren erfolgreiche, weil kulturell gesicherte Imaginationen. In dieser Weise war auch die Bildungspolitik der siebziger Jahre angelegt - und erfolgreich.


Die Produkte müssen die Markenbotschaft tragen. Daher kann eine zukünftige SPD erst dann markenähnliche Qualitäten entwickeln, wenn sie ihr "Kerngeschäft" erneuert hat: Eine neue Arbeits- und Sozialordnung zuzüglich einer neuen Konzeption staatlichen Handelns sind unerlässlich. Weniger ist nicht genug. Eine neue SPD kann nicht klassische Sozialstaatspartei bleiben, sondern müsste sich von der Vorstellung trennen, eine Gesellschaft sei dann besonders gerecht, wenn sie einen besonders hohen Sozialetat verwaltet. Sie müsste erkennen, dass jene Gesellschaft die höchste soziale Qualität besitzt, die den geringsten Sozialetat benötigt. Wer soll denn die Systeme der sozialen Sicherung und die Arbeitsordnung im Sinne sozialdemokratischer Ziele erneuern, wenn es nicht Sozialdemokraten tun?

Das müsste doch zu machen sein

Um diese schwierige Transformation zu schaffen, müsste das Neue mit den Versprechen des Aufstiegs und der Fürsorge verbunden werden. Diese Angebote der SPD werden ihr nicht mehr naturwüchsig zugeschrieben, der alte Identitätskern, die emotionale Verbindung zu ihren Wählern muss immer wieder zeitgemäß erneuert werden: Politik für Gerechtigkeit und Aufstieg. Wir tun etwas, damit es euch künftig besser geht - sozial und gerecht, modern, vital und kompetent. Das müsste sich doch auf den heutigen Stand bringen lassen. Es gibt noch genug Bürgerinnen und Bürger, die sich vorstellen können, dass und wie es ihnen (noch) besser gehen könnte.


Die SPD muss sich also verändern, um SPD zu bleiben. Sie hat nur dann eine Zukunftschance, wenn sie über sich selbst, über ihre Geschichte und Tradition hinausgeht. Wohlgemerkt: "hinaus", nicht "hinweg". Es kommt darauf an, das ehemals natürliche Profil der an Arbeiterinteressen orientierten Oppositionspartei in ein neues Profil zu überführen, das wie eine Marke konstruiert ist und dennoch an emotionale Verbindungen anknüpft, die früher prägend waren. Erst wenn die SPD weiß, was sie heute und in den nächsten Jahren sein will, können Medien, Parteimitglieder und Wähler ihre Politik auch entsprechend verstehen lernen. Genau diese Identifizierung wäre die Basis für künftige Wahlkämpfe und böte einen Ordnungsrahmen für diszipliniertes Kommunikationsverhalten an den Mikrofonen.

Sozialdemokratie als Dachmarke

Markenbildung ist die Folge eines nachhaltigen Lernprozesses. Sie braucht Zeit und kann langfristig nur in der Reduktion auf einige markante Markenstärken erfolgreich sein. Zu empfehlen wäre eine identitätsorientierte Familienmarkenstrategie unter dem Dach der Partei. Deren Identität funktioniert als zielgruppenübergreifende Klammer. Zur Markenfamilie gehören Bundes- und Landesregierungen, Fraktionen und Oberbürgermeister mit ihren jeweils identitätsrelevanten Produkten. Die Bundesregierung ist die wichtigste Einzelmarke, ihre Aktivitäten haben also die stärksten Rückwirkungen auf die Identität der Dachmarke.


Alle Markenaktivitäten müssten in der Wahrnehmung der Wähler das markenspezifische Bild bestätigen. Alle Produkte sollten zur Profilierung und Stützung der Dachmarke beitragen. Die Dachmarke prägt auch spezifische Kompetenzerwartungen, die ihren jeweiligen Repräsentanten zugute kommen können. Das Image der Dachmarke wiederum muss sich in den Kerneigenschaften dieser Produkte spiegeln. Wenn Turnschuhvermarkter das schaffen, warum sollte es den Parteien nicht möglich sein?

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