Nachtleben : Lobbyarbeit zwischen Hummerschwanz und Bratwurst

Hinweise für den Besuch "Parlamentarischer Abende" im Berliner Regierungsviertel

Eigentlich der perfekte Ort: Wie viele andere Pharmafirmen lud auch diese in das Westin Grand Hotel in der Friedrichstraße ein. Das ehemalige DDR-Nobelhotel versprach von der Location und den bekannten Kochkünsten des Hauses her, die ideale Atmosphäre, um für die Anliegen des Unternehmens gegenüber der Politik zu werben. Einziger Haken: Dem leckeren Buffet stand das Thema des Abends entgegen: "Schuppenflechte und Neurodermitis". Die potentiellen Gäste stellten sich, als sie die aufwendig gestaltete Einladung in ihren Tagespostmappen fanden, vor, wie der Vorstandsvorsitzende des Arzneimittelunternehmens sein schuppiges Haupt schüttelt - und blätterten dann doch lieber nach den anderen Einladungen für den Abend.

Parlamentarische Abende sind seit je ein Instrument der Lobbyarbeit gegenüber Regierung und Parlament. Doch seit die Republik ihren Stammsitz vom Rhein an die Spree verlegt hat, scheint ein wahrer Boom dieser Art von "Unternehmenskommunikation" ausgebrochen zu sein. Immer mehr und immer kuriosere Angebote flattern in die Büros der 669 Volksvertreter und in die Amtsstuben der Ministerien. Zudem werden die entsprechenden Events auch immer aufwendiger. In der Berliner Republik muss offenbar jedes Unternehmen, jeder Verband und jede Interessensgruppe, die auf sich hält, mit viel Geld das Beste vom Besten auffahren, um nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Hier eine kleine Typologie.

Das Megaevent des potenten Großunternehmens

Hotel Adlon. Schon der Ort ist ein Grund, der Einladung zu folgen. (So oft wird man ja nicht in diesen Nobelschuppen eingeladen). Microsoft lädt. In den ersten zwei Stunden hören wir Bla-Bla-Reden, in denen 1005 mal der Anbruch des Informationszeitalters beschworen wird. Die begleitende Power-Point-Präsentation des Vorsitzenden unterstreicht die einschlägig bekannten Softwareprobleme der Firma auf ganz wunderbare Weise. Die Peinlichkeit dieser Performance scheint aber niemanden wirklich aufzuregen. Besser: die Nobelhäppchen, die von wieselflinken Kellnerinnen und Kellnern in nicht enden wollender Vielfalt den erstaunten Gästen angeboten werden.

Während der Veranstaltung beschleicht den aufmerksamen Besucher jedoch bald das Gefühl, dass an diesem Abend weder die Gäste, noch die einladende Microsoft Deutschland AG zu den Gewinnern der Veranstaltung zählen. Hauptgewinner des Abends: Die Hunzinger AG, der größte und bekannteste Organisator von Unternehmens- und Politikkontakten, der niemals vergisst sich vor allem selbst in Szene zu setzen. Der bleibende Eindruck: Bis auf das Futter hätten sich alle diesen Abend schenken sollen. Vielleicht wird die Version Parlamentarischer Abend 2.0 im nächsten Jahr besser.

Origineller sind dagegen die großen Feste, die bereits Kultstatus genießen: der Ruhrgas-Abend (in der Bar jeder Vernunft) und der Weiße Abend der Cigarettenindustrie. Hier merkt man, dass tatsächlich geschmackssichere und professionelle Organisatoren am Werk sind, die Einlader kümmern sich gezielt um die erwarteten Gäste und ihre Ansprechpartner. Die Veranstalter bleiben in guter Erinnerung und transportieren Informationen über die entsprechenden Branchen in subtiler Form.

Der gutgemeinte Infoabend

Manchmal allerding sind die Berliner Lobbyabende auch so speziell und so unterhaltsam wie ein arte-Themenabend ("Die Zukunft des norddeutschen Erdmulchs unter besonderer Berücksichtigung der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans im Spannungsverhältnis zur Flora-Fauna-Habiat-Richtlinie der Europäischen Union") oder so überladen wie ein barocker Kirchenaltar in Altötting.


Zitat aus einer Einladung: "Der Abend soll der Diskussion wichtiger Fragen dienen, zum Beispiel öffentliches Dienstrecht, Arbeitssicherheit, Wasserwirtschaft, Straßenbau, Baurecht, Umweltschutz, Baurecht (haben die tatsächlich zweimal aufgeführt), Ingenieurmangel usw." (Einladung des Bundes der technischen Beamten im Deutschen Beamtenbund). Das Futter: Belegte Brötchen oder Wurstbrote. Dazu: Wasser, Cola und Sprite. Eingeladen sind die Mitglieder des zuständigen Bundestagsausschusses. Den zehn bis zwanzig Referenten stehen dann immerhin bis zu zwei leibhaftige Bundestagsabgeordnete gegenüber, die ein ersthaft-interessiertes Gesicht zu machen versuchen.

Doch Vorsicht: solche Einladungen nicht gleich wegschmeißen! Mache dieser Veranstaltungen bieten unerwartet schlaue Menschen und lebenspraktische Hinweise, die der Politik ganz gut tun. Positiv auch: Der rührende Aufwand, mit dem zum Beispiel Non-Profit-Organisationen versuchen, ihren Anliegen Geltung zu verschaffen. Abgeordnete, gebt ihnen eine Chance! Wer sich amüsieren will, sollte allerdings lieber das ZDF einschalten.

How to get in without invitation

Was machen Sie nun, wenn Sie gerade mal nicht zum Kreis der Eingeladenen gehören? Die einfachste Variante ist, Sie kennen entweder die Pressereferentin ihres Vertrauens in der nächsten Kopfstelle eines Ministeriums oder den Abgeordneten mit einer Einladung. Diese Leute haben ja auch nicht immer Zeit und treten vielleicht die nicht namentliche Einladung an Sie ab. Möglicherweise suchen sie auch eine Begleitung und Sie eignen sich eben für diesen Abend als solche. Glück gehabt. Anderenfalls sollten Sie mutig und rechtzeitig in der Geschäftsstelle des gastgebenden Verbandes anrufen, sich am besten gleich mit dem Vorsitzenden oder der Geschäftsführung verbinden lassen und unterstreichen wie wichtig das Thema für Sie - oder besser: Sie für das Thema - dieses Abends sind.

Oder Sie gehen einfach hin, machen ein wichtiges Gesicht und drohen, wenn Ihnen der Einlass verwehrt wird, indirekt mit ihrer guten Bekanntschaft mit der Witwe des früheren Hausmeisters der Privatwohnung des Pförtners im Bundespräsidialamt ("Ich habe beim Bundespräsidenten von Ihrer Veranstaltung gehört"). Für diese Wichtig-Wichtig-Variante reicht meist aber schon die entsprechende Abendgarderobe. Dunkler Anzug, Krawatte oder Abendkleid.

Es sei denn, sie haben beschlossen, sich von den Wirtschaftsheinis als bekannter Künstler bewundern zu lassen. Kleiden Sie sich in diesem Fall so, wie sich diese Menschen einen Künstler vorstellen. In ihren grauen Anzügen wünschen die Seriösen, die oft auch noch in grauen Büros sitzen und auf dem Weg nach Hause silbergraue Autos fahren, sich mal etwas "Total-Kreativ-Buntes". In solchen Klamotten können Sie sich dann auch so benehmen, wie Sie es nach eifrigem Konsum der angebotenen Alkoholika für richtig halten. Was heißt "Sie können"? Man erwartet das von Ihnen!

Einen Überblick über die Parlamentaischen Abende in Berlin gibt der Party-Guide. Er ist ein Service des Netzwerks Berlin und wird kostenlos über die Mailing-Liste des Netzwerks regelmäßig verschickt. Aufnahme in den Netzwerk-Verteiler unter Tel.: 030 / 227-94217.

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