Neue Generation, neue Mitte - neue SPD?
Vorab ein Geständnis: Ich bin nur mit großer Skepsis, ja einer Menge Unlust zu dieser Diskussionsveranstaltung gefahren. Das hat natürlich und ganz zuerst damit zu tun, dass jeder externe Termin immer eine zusätzliche Belastung bedeutet, die man gern von Hals haben möchte. Aber das ist es nicht nur. Auch der Begriff "Generation Berlin" hat mich abgeschreckt. Da steckt mir zu viel Feuilleton drin. Ich komme aus Jerxen-Orbke, einem lippischen Dorf mit rund 1000 Einwohnern. Alles, was größer ist, ist mir sowieso fremd. Und im übrigen bin ich ganz davon überzeugt, gerade auch aus historischer Perspektive, dass es politisch immer auf die Mentalitäten, Stimmungen, Einstellungen außerhalb der urbanen Zentren ankommt. Provinz und Mittelstädte entscheiden darüber, wie Deutschland regiert wird, nicht Berlin. Schließlich bereitet mir auch mein eigenes Referatsthema ziemliches Unbehagen. "Generation", "neue Mitte" - das alles sind soziologische Kategorien; als Politikwissenschaftler bin ich da nicht sonderlich fit. Und wenn man dann auch noch nach einem so außergewöhnlich klugen Soziologen wie Herrn Bude zu Worte kommt, kann man eigentlich nur eine ziemlich klägliche Figur abgeben.
Eigentlich habe ich nun genug herumlamentiert. Doch da war noch eins, was mir nicht gefiel: der Anspruch der Veranstalter hier, der sogenannten Youngsters, eine neue Generation zu begründen, die Generation also, die auf 1968 folgt. Nun ist der Begriff "Generation", wie man weiß, mittlerweile in der Publizistik, aber auch in der Soziologie und Geschichtswissenschaft so eine Art Modewort, weniger pejorativ: ein interpretatorischer Schlüsselbegriff zur Sortierung politischer Einstellungen und Gruppenbildungen geworden. Wie immer, wenn etwas zu häufig gebraucht wird, hat man am Ende einen Verlust an Konturenschärfe und Erklärungskraft zu beklagen. Jedenfalls macht es schon Sinn, mit dem Topos "Generation" schonend und präzise umzugehen. Und als Traditionalist aus der Provinz würde ich auch hier konservativ verfahren und bei der alten Mannheimschen Deutung bleiben. Gleiche Jahrgänge bilden noch lange keine Generation. Dazu müssen ganz offenkundig erst einschneidende politische oder gesellschaftliche Schlüsselerlebnisse in den prägenden Jahren der Sozialisation hinzukommen, die eine Kohorte gemeinsam wahrgenommen hat. Und wenn diese Kohorte diese Schlüsselerfahrung kollektiv verarbeitet, dafür einen ganz spezifischen kulturellen und habituellen Ausdruck findet, wenn sich das alles noch zu besonderen Handlungsmustern verdichtet, zu Konflikten und Aktionen steigert, die den Gegensatz zum Establishment einer älteren Generation sehr handfest und nachdrücklich erfahrbar machen, dann - und nur dann - wird sie zu einer "Generation".
Generationen haben alle ihren besonderen Mythos, die Erinnerung an die großen Kämpfe gegen das juste milieu, an die Orte des großen gemeinschaftlichen Kults (der "Hohe Meißner" des Wandervogels, das "Weimar" der arbeitenden Jugend, das "Woodstock" der Pop- und 68er Kohorte). Generationen haben nicht selten ihre Märtyrer, in jedem Fall haben sie ihre eigenen Rituale und eine eigene Metaphorik. Und in aller Regel haben sie, zumindest aus der post-festum-Perspektive, legendäre Führungsgestalten, die die ganze Kultur des Generationskonflikts aufnehmen und charismatisch ausdrücken.
Nichts davon scheint mir auf die heutigen und hier in Teilen ja anwesenden SPD-Youngster zuzutreffen. Das große zusammenschweißende Schlüsselerlebnis hat es bislang nicht gegeben, das soll erst nachgeholt werden, eben durch die - um es ein wenig bösartig zu formulieren - Gemeinsamkeit der Abgeordnetenbüros in Berlin. Das ist zumindest historisch neu, dass eine Generation sich schon einmal präventiv, prophylaktisch bildet, in kluger Antizipation des integrativen Erfahrungsschubs. Bei der sozialdemokratischen Vorgängergeneration war das noch anders, verlief das klassischer. Die kannten sich alle schon lange, aus unzähligen gemeinsam ausgetragenen Konflikten, auch durch eine Vielzahl von Demonstrationen und Kundgebungen, besonders auch aus dem Vollzug von jahrelangen Intrigen, Rivalitäten und Gehässigkeiten. Als die "Enkel" Anfang der 80er Jahre in den Bundestag kamen, da kannte jeder den anderen jedenfalls ganz genau. Wenn ich es recht sehe, dann sind sich die Youngster der späten neunziger Jahre größtenteils im Fraktionsaal der SPD erstmals begegnet. Das muss kein Nachteil gegenüber der nachgerade neurotisierenden Dauerbegegnung der Vorgänger sein. Aber es weist eben nicht auf die kollektive Gemeinsamkeit einer Generation hin.
Und so kann man das ja weiter durchdeklinieren: Es fehlt der großen Generationenkampf, es fehlen die Schlachten, die den Mythos einer Generation ausmachen. Es fehlt so etwas wie ein Ritus, ein eigenes Programm, eine eigene Sprache, ein eigener Flair. Die Vorgänger waren einfach schon quantitativ zu groß, in Gesellschaft und Politik zu breit, zu dominant, zu mächtig. Und dann kann man noch all die üblichen Erklärungen für das Fehlen einer neuen Genrationenkultur hier aufführen, weil Jugend seit den 80er Jahren fragmentiert ist, in unzählige Subkulturen zerfällt, Identitäten sich durch die marktförmige Verwertung in ganz kurzer Zeit schon verschleißen, dadurch ist alles kurzlebig, tribalistisch, ohne Dauer. Und durch den Mangel an Zahl und Gewicht war da wenig zu machen, um eine Gegengeneration hinzubekommen. So sind dann also die Youngster wahrscheinlich oft genug still leidend, wie ich vermute, im Windschatten der 68er aufgewachsen, als deren fleißige und sicher sehr sachkundige Referenten, Mitarbeiter, Hilfskräfte. Ein vorwärtsdrängender Leitwolf, der seine Kohorte auf die Barrikaden führt, kann da nicht recht heranwachsen. Und jetzt fehlt schon fast der Gegner, um noch einmal formierend zu wirken. Die 68er sind mittlerweile müde und glauben selbst nicht mehr an das, was sie lange vertreten haben. So fehlt jetzt das Feindbild, das jugendliche Kohorten brauchen, um zur Generation zu wachsen.
In den achtziger und frühen neunziger Jahren hätte es nahegelegen, wäre es vielleicht auch wünschenswert gewesen, wenn eine neue sozialdemokratische Generation den politischen mainstream der "Enkel" herausgefordert hätte. Aber da kam nichts. Die Jusos blieben die ewige Kopie des Siebziger-Jahre-Verbandes. Und so wurden alle Korrekturen der Politik, die die SPD in den letzten Jahren erlebt hat, von den Enkeln selbst noch vorgenommen. Die Enkel haben all das, wofür sie über 20 Jahre in irgendwelchen Hinterzimmern und auf Bezirks- und Landesparteitagen agitiert und intrigiert haben, über den Haufen geworden, als sie dann endlich in den Kabinetten saßen. Da hat kein Youngster mitgewirkt. Am deutlichsten sah man das ja jetzt im März auf dem Bonner Parteitag, der Schröder zum Vorsitzenden wählte und auf dem es um den Kampfeinsatz in Jugoslawien ging. Da stritten ganz überwiegend die gleichen Leute wie schon 1979 oder 1982 über die Nachrüstung. Nur waren sie inzwischen in zwei unterschiedlichen Lagern.
Nun hat mir der Leiter dieser Diskussion aber vorher auch gesagt, ich solle nicht ganz so defätistisch argumentieren. Es handle sich schließlich um eine neue Gruppe, gewissermaßen ein zartes Pflänzchen in der Sozialdemokratie, das man nicht gleich durch rüde und unbarmherzige Attacken zertreten solle. Damit hat er natürlich Recht. Und daher habe ich mir auch überlegt, worin eigentlich auch ein Vorzug liegen mag, eben nicht "Generation" in diesem klassischen Sinn zu sein. Außerdem ist es sowieso so, dass Generationen in dieser eher mythologisierten Deutung nicht allzu häufig aufgetaucht sind im modernen Deutschland. Und davor gab es sie eh nicht. Man erinnert sich an "Sturm und Drang", an das "junge Deutschland", vor allem natürlich an den "Wandervogel", auch an die "Bündische Jugend", natürlich an die 68er. Das war es dann schon eigentlich. All diese großen, oft genug literarisch verklärten Generationen hatten eine Menge Fehler: Es gab stets unzählige Spaltungen und erbitterte Gruppenkämpfe. Immer wieder rutschten sie in exaltierte Dogmatismen und Sektierereien ab. Ihre Anführer waren häufig genug bizarre, weltfremde und konfuse Sonderlinge. Vor allem: All diese Generationen waren in erster Linie Träger von Kulturbewegungen, sie waren außerordentlich unpolitisch. Mir jedenfalls fällt kein bedeutender Politiker der Weimarer Republik ein, der aus dem Wandervogel hervorgegangen wäre. Welcher der herausragender Politiker der frühen Bundesrepublik war in den bürgerlich-autonomen Bünden der zwanziger und dreißiger Jahre sozialisiert worden? Ja und weiter: Welcher prominente 68er hat politisch schon etwas Bemerkenswertes zustande gebracht? Auch da fällt mir so recht keiner ein.
Aber, so wird mancher hier sich zumindest leise gefragt und eingewandt haben, sind nicht die 68er jetzt an der Macht, eben die "Enkel", über die ich selbst schon einiges gesagt und sie dabei immer mit 68 identifiziert habe. Das habe ich tatsächlich gemacht, aus - allerdings nicht entschuldbarer - Bequemlichkeit, eben weil diese Assoziation so geläufig ist und daher nicht lange begründet werden muss. Aber ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es stimmt. Ich glaube nicht, dass die Schröders, Lafontaines, Klimmts, früher Engholms, oder wie immer sie auch heißen, 68er sind. Die ganzen Leute aus der führenden Juso-Riege der siebziger Jahre waren keine 68er. Sie sind überwiegend längst vor 1968, in der ersten Hälfte der sechziger Jahre in die SPD eingetreten, politisch geformt worden. Die gegenwärtigen Anführer der SPD sind doch fast durchweg Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre geboren worden. Da waren sie 1968 fast schon dreißig Jahre. Da war man, gerade in dieser Zeit, schon ein ziemlich fertiger Mensch, da war die Identitätsbildung längst abgelaufen. Die entscheidenden Jugendjahre hat die aktuelle SPD-Elite in den späten fünfziger Jahren erlebt. Damals gab es ja auch eine Jugendkultur, die allerdings nicht so berühmt wurde wie 1968, weil sie sich nicht im Bildungsbürgertum abspielte, sondern mehr in der Unterschicht, besonders stark übrigens in Arbeiterfamilien, in denen der Vater durch den Krieg nicht mehr da war. Solche Schichten haben nicht viele literarische Produktionen hervorgebracht und hinterlassen. Daher scheinen sie unbedeutender als diese bildungsbürgerlichen Proteste. Aber das täuscht. Wie auch immer: Die Kultur der Jugendlichen der späten fünfziger Jahre, also als sich unsere "SPD-Enkel" biografisch orientierten, war halbstark.
Es war die Zeit der Halbstarkenproteste, der Halbstarkenmusik, des Halbstarkenhabitus. Man war schnodderig, lässig, provokativ, furchtbar großmäulig. Man fuhr mit dem Moped die Straße rauf, die Straße runter. Und ich weiß nicht: Aber das ist es, was mir - und wie ich gerade lese: auch Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung - zur Politik der gegenwärtigen Regierung in den ersten Monaten nach dem September 1998 gleichsam reflexartig einfällt. Sie war halbstark. Straße rauf, Straße runter. Große Klappe, schnodderig. Nichts ist wirklich ernst.
Das sind doch keine 68er, das sind eher schon Halbstarke. Übrigens ist die ganze bundesdeutsche Elite voll davon, auch in der Wirtschaft, auch in den Chefredaktionen. Zumindest vom Alter her alles Halbstarke. Das ist das Problem unserer Gesellschaft. Hier haben überall Halbstarke das Sagen.
Nun haben kluge Historiker von Jugendkulturen festgestellt, dass Halbstarkenproteste und der 68er Aufstand Proteste in einer Generation waren, ausgetragen nur von unterschiedlichen sozialen Gruppen darin. Eins einte sie aber doch: die Lust an der Provokation an sich und das Anti-Institutionelle. Um noch einen Schritt weiterzugehen: All das hat nach meiner Überzeugung auch den Neoliberalismus gefördert, hat ihm zumindest ein bisschen den Weg bereitetet in seinem Eifer, alle institutionellen Begrenzungen, Regeln und Steuerungsmöglichkeiten des Marktes zu desavouieren. Und um soviel vorzugreifen: Insofern wäre für mich eine Aufgabe der Youngster, die Bedeutung von Regeln, Normen, Institutionen für ernsthafte - und eben nicht nur provokative, nonchalante oder mediale - Politik wieder stärker zu betonen.
Ist das aber nun "Neue Mitte"? Irgendwie muss ich ja jetzt zu diesem Punkt kommen, der der zweite in meinem Vortragstitel ist. Es hat sich herumgesprochen, dass es sehr schwierig ist mit der "Neuen Mitte". Der Begriff ist nirgendwo scharf definiert. Jeder kann sich etwas anderes darunter vorstellen. Es war ein geschickter Kampagnebegriff im Wahljahr 1998. Aber soziologisch ist das alles diffus.
Doch möchte ich schon ein bisschen mit ihm operieren. Etwas Realität hellt er durchaus auf. Ich gebe dagegen nicht sehr viel auf die Begriffsdeutung, die in der Presse geläufig ist, vor allem auch beim Kanzler selbst, im Wahlkampf bei Jost Stollmann, vor Monaten noch in den Interviews von Bodo Hombach. Ich glaube nicht, dass wir eine beachtliche Mitte der Gesellschaft haben, die sich darauf unbändig freut, demnächst ein Unternehmen zu gründen, den Wohnort immer mal wieder flexibel umzulegen, allzeit Risiken einzugehen, unabhängig von sozialstaatlichen Sicherungsgarantien und Infrastrukturen zu leben. Das lese ich zwar auch jetzt seit Jahren Tag für Tag in Leitartikeln. Ich habe auch keinen Zweifel, dass die dynamische Dauermobilität ein bisschen die Realität unserer Interpretationseliten in den Medien (mit wahrscheinlich sehr unangenehmen Folgen für ihre Partnerschaften) spiegelt. Aber mit der Lebenswirklicheit der politisch ausschlaggebenden Mitte dieser Republik hat das wenig zu tun. Um da noch mal mein präferiertes Beispiel zu gebrauchen: Die einen rochieren zwischen Paris, Brüssel und dem "ungeheurer spannenden, lebendigen Berlin", die anderen aber sitzen in diesen heißen Sommertagen in ihren Gärten oder vor ihren Vereinshäusern, grillen vergnügt preiswerte Würstchen. Und sie werden diese Sesshaftigkeit grimmig verteidigen - gegen alle Politiker, die den Deutungseliten auf dem Leim gehen und ebenfalls radikale Flexibilitätsarien singen. Das war erst der Westerwelle, der das zu spüren bekam, dann 1996 Schäuble und seine "jungen Wilden". Und jetzt kriegen die Unterzeichner von Blair-Schröder-Papieren den Gegenwind aus der Mitte der Gesellschaft zu spüren. Mag sein, dass sich tatsächlich irgendwo im Nachwuchsbereich eine ganz neue Mitte mit all den Qualitäten entwickelt, die Ideologen der pausenlosen Modernisierung tagein, tagaus propagieren. Das mag eine Partei - vielleicht - knapp über die Fünf-Prozent-Hürde bringen, mehr nicht. Und ob dann diese ganzen jungen Neumitterer auch noch mit, sagen wir, 40 Jahren immer noch euphorisch an immer neuen Biografiefragmenten basteln, lustvoll im raschen Turnus Wohnort und Arbeitsplatz wechseln, das wollen wir erstmal abwarten. Anthropologisch spricht sehr wenig dafür. Gesellschaftlich und politisch wäre mit einem solchen Typus übrigens wenig anzufangen.
Ich verwende "Neue Mitte" anders. Ich habe einen eher demographischen Zugang, komme darüber aber auch zu unserem Thema, zur Generation. In der Altersstruktur der Gesellschaft sind diejenigen "Mitte", die etwa zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Das ist jetzt aber nicht nur einen formale oder quantitative Definition, es hat auch eine politisch-qualitative Dimension. Denn natürlich ist das eine Schlüsselgruppe der Gesellschaft. Es ist gewissermaßen die Kernschicht. Es sind die Erwerbstätigen, die produzieren und Dienste leisten, es sind die Eltern, die erziehen und Werte tradieren. Es ist insofern in vielerlei Hinsicht die Altersgruppe, die die Reformen, die Regierungen für wünschenswert halten, mitvollziehen müssen. Wenn sie das nicht macht, scheitert eine Regierung. Und an dieser Gruppe ist auch die CDU-Regierung ab 1996, spätestens, gescheitert. Die CDU hat die Mitte nicht mehr bekommen, im Unterschied zu vielen Jahrzehnten der Bundesrepublik. Insofern hat sich in der Mitte wirklich etwas geändert, und das ist die qualitative Seite der Altersgruppe, von der ich hier rede. Denn in dieser Gruppe hat der Jargon von Helmut Kohl nicht mehr angeschlagen. Hier hat die Warnung vor Terroristenanwälten wie Schily oder früheren Straßenkämpfern wie Fischer im Bundestagswahlkampf ′98 keine Punkte mehr gebracht. Denn die Sozialisation der 30 bis 50-jährigen lief ja nicht mehr in der Ära Adenauer, also in den Zeiten der alten Mitte, für die Kohl stets genau den Ton traf, sondern zu Zeiten vor allem der sozialliberalen Koalition, irgendwann zwischen den späten sechziger und Mitte der achtziger Jahre. Diese Generation kann sich über frühere Straßenkämpfer nicht empören, da sie auf unzähligen Partys doch zumindest beim Rhythmus von "Street fighting man" selbst wild herumgetanzt hat. Insofern war das in der Tat eine neue Mitte, die kulturell nicht mehr so funkte, wie Kohl das noch für ganz selbstverständlich gehalten hatte, da ja deutsche Mitte und CDU tatsächlich lange miteinander verschmolzen schienen. Diese 30 bis 50-jährigen des Jahres 1998 sind nun insoweit nicht nur Jahrgänge sondern auch Generation, als sie doch stark geprägt waren durch den sozialliberalen Aufbruch, durch Willy Brandt, aber auch durch die verschieden Bewegungen und Demonstrationen der siebziger und achtziger Jahre bis hin - und dann war Schluss - zu dem gewiss etwas merkwürdigen Boykott der Volkszählung 1987. In dieser "neuen Mitte" des Jahres 1998 hat sich die Mehrheit für die jetzigen Regierungsparteien bereits 1983 deutlich, stabil und konstant abgezeichnet und vorbereitet. Es hat in dieser Kohorte oder von mir aus auch Generation, seither eine klare Mehrheit für Rot-Grün gegeben.
Und selbst in diesen Tagen, wo es so schlimm deprimierend für Sozialdemokraten und Grüne aussieht, gibt es allein in dieser Altersgruppe weiterhin eine Majorität für SPD und Grüne. Allein hier liegt die SPD noch vor der CDU. Das ist nun eigentlich ein hoffnungserweckendes Zeichen. Eine Regierung, die in der Kernschicht der Gesellschaft trotz allen Verdrusses immer noch eine Mehrheit besitzt, in der es jedenfalls für die Opposition keine Mehrheit gibt, muss nicht scheitern.
Doch was will eigentlich diese neue, sozialliberal geprägte Mitte? Noch stärker eingegrenzt: was will eigentlich der politisch interessierte und grundsätzlich auch zur Aktivität bereite Kern dieser Alterskohorte? Das alles wissen wir nicht genau. Und das ist ein missliches Defizit, wie ich finde. Mehr noch: Ich finde es geradezu kurios, wie wenig es auch die Elite der SPD interessiert, was die Kerngruppe ihrer Kernschicht politisch, mental, kulturell bewegt. Wir haben Unmengen an empirischen Material über Einstellungen und Träume der Kids und Jugendlichen. Wir verfügen inzwischen auch über beachtliche Information über das Treiben der sogenannten "jungen Alten", also derjenigen, die so zwischen 60 und 70 Jahre sind. Aber es ist uns ziemlich gleichgültig, was die Erwerbs- und Elterngeneration der Gesellschaft denkt, schätzt, anstrebt, ablehnt.
Nun sind das ohne Zweifel hoch belastete Jahrgänge. Keine andere Altersgruppe hat gegenwärtig mehr Bürden zu tragen als sie. Sie haben die Ausbildungskosten der Kinder am Hals (soweit sie Kinder haben), oft ist die berufliche Position prekär oder im Wandel, vielfach müssen die Schulden für das Eigenheim abgestottert werden; mittlerweile gibt es viele, die Eigenvorsorge für das Alter betreiben; und gar nicht wenige haben sich neben all dem noch um pflegebedürftige Eltern zu kümmern. Soziologen sagen daher auch, dass diese Altersgruppe am stärksten sozialintegriert ist, jedenfalls nicht zu Experimenten neigt. Diese Altersgruppe ist daher im Moment ziemlich erschöpft. Eben das war, wie ich überzeugt bin, eine Voraussetzung für den Wahlsieg von Rot-Grün 1998. Darin liegt aber auch eine Krux. Die SPD jedenfalls hatte es mit dieser Altersgruppe zuvor lange nicht leicht. In ihrer jugendlichen Zeit waren die aktivistischen Angehörigen dieser Altersgruppe politisch bekanntlich reichlich exaltiert. Die aufgeregte soziale Bewegtheit dieser Gruppe hat einige Bundestagswahlen lang genug Wähler abgeschreckt, und der CDU das Spiel leicht gemacht. Seit einigen Jahren aber ist das vorbei. Die sozialliberale, radikaldemokratische Altersgruppe ist eben in die mittleren Jahre gekommen, mental, beruflich, materiell in die Mitte gerückt. Kaum einer von den alten Kämpfern vor Brokdorf oder in Grohnde würde heute noch an kalten Winternächten mit Bussen zum Demonstrationsort fahren und sich mit Polizisten herumprügeln. Dafür ist man zu vernünftig, natürlich auch zu erkältungsanfällig, zu ischiasgeplagt. Die SPD konnte deswegen 1998 ihren "angepassten" Mitte-Wahlkampf machen, weil die Protestjahrgänge von früher heute selbst in dieser Mitte angekommen und ziemlich ruhebedürftig sind.
Doch wichtig ist: Diese Kohorte ist zwar lebensförmig konservativer geworden, aber politisch doch noch stärker als jede andere auf Distanz zur CDU, in grundsätzlicher Nähe zu Rot-Grün. Nur: Was heißt das genau? Wie wichtig ist ihnen noch das Rote und Grüne. Wie übersetzen sie das? Für was würde sich diese Altersgruppe noch politisch schlagen? Denn diese Gruppe ist ja ohne Zweifel diejenige, die über die meisten Aktions- und Kampagneerfahrungen verfügt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aber als erschöpfte Generation hat sie, zur Zeit jedenfalls, eine Auszeit genommen. Übrigens: Wenn die Soziologen und Altersforscher recht haben, dann kommt eine neue Experimentier- und Aktivierungszeit wieder dann, wenn man aus dem Beruf ausscheidet, also zu einem "jungen Alten" wird, materiell gut versorgt ist, nicht mehr allzuviele Lasten zu tragen hat. Das mag hier manchen noch sehr jungen Youngster beruhigen. Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 2026 einen furiosen Wahlkampf für die sozial-ökologische Republik erleben, mit Millionen von rüstigen Jungrentnern, die dann ihr ganzes Know-how jahrelanger Demo-Erfahrungen aus den spätsiebziger Jahren in die Kampagne werfen. Es wird einen glanzvollen Sieg für Rot-Grün geben.
Doch geht es mir sehr ernsthaft und ganz altmodisch um die Frage der Aktivierungs- und Kampagnefähigkeit. Das gilt ja seit einiger Zeit wirklich als anachronistisch, merkwürdigerweise gerade bei den führenden Menschen von Grünen und Sozialdemokraten, denen ganz offenkundig einige der skurrilen Kampagnen der eigenen Vergangenheit peinlich sind. Und daher kompensiert man über, distanziert sich ganz von dem "romantischen Schnickschnack" und setzt auf Medienperformance und Medienpartei. Ich bin da, wie gesagt, ziemlich altmodisch. Es mag sein - ganz gewiss bin ich aber auch nicht -, dass die Mitgliederpartei auf lange Dauer in der Tat wenig Zukunft hat. Doch bin ich mir ganz sicher, dass diejenige der beiden Großparteien in Deutschland das Spiel verlieren wird, die als erste - weil sie besonders modern sein möchte - die Mitgliederpartei lässig vernachlässigt oder gar aufgibt, um ganz als Medien- oder Dienstleistungs- oder Fraktionspartei zu agieren. Ich beschäftige mich ja sehr viel mit der FDP. Im Grunde ist das die Partei, wie sie eigentlich sein müsste, wenn man all das glaubt, was die Mehrheit der kommentierenden Journalisten, aber auch der Politologen schreiben. Diese Partei ist längst keine Mitgliederpartei mehr, sie hat keinen bürokratischen Funktionärsapparat, sie ist offen für Seiteneinsteiger, sie ist sehr flexibel und beweglich, da gibt es keine langen und zermürbenden Ochsentouren, sie hat einen Generalsekretär, der ein glänzender Kommunikator im Umgang mit Medienvertretern ist. Sie hat übrigens auch die Verjüngung im Parteivorstand vor einigen Monaten eindrucksvoll hinbekommen. Und sie hat ein wirtschafts- und steuerpolitisches Programm, dessen Botschaft sich ganz und gar deckt mit den Leitartikeln dieser Republik. Sie müsste eigentlich wirklich Avantgarde sein, Partei der großen Gruppe der Aufsteiger, der rational-choice-Wähler. Aber sie ist es nicht, wie wir alle wissen. Sie ist ziemlich fertig, am Boden. Ihr Mangel an Parteiförmigkeit, an Milieu, Kernwählerschaft und Kampagnefähigkeit hat diese Partei zerstört.
Als bemerkenswert und ganz traditional kampagnefähig hat sich dagegen die CDU erwiesen, die mit Tapeziertischen und Unterschriftenlisten, also den Uraltmethoden politischer Öffentlichkeit, die bürgerlichen Milieus aktiviert und zu den Urnen getrieben hat. Bei einigen der Youngsters hieß es ja in Interviews, die sie in letzter Zeit führten, dass sie nicht mehr wissen, was rechts und links heute noch bedeuten soll. CDU/CSU und ihre Milieus wissen das noch ganz genau, wer zu ihnen gehört, wen sie nicht dabei haben wollen, wen sie hart und unnachgiebig bekämpfen. Mich hat das selbst überrascht, wie dieser emotionale Anti-Rot-Grün-Affekt noch da ist, obwohl doch Rote und Grüne inzwischen ganz harmlose Menschen geworden sind.
Um aber nicht zu sehr abzuschweifen: Ich finde jedenfalls diesen Aspekt der Kampagnefähigkeit weiterhin wichtig. Auch andere Begriffe, die ganz furchtbar verstaubt klingen, weil nach siebziger Jahren, leuchten mir heute wieder mehr ein. Teilhabe etwa oder auch Partizipation. Und wir sind da immer noch eng bei meiner "Neuen Mitte", also den sozialliberal geprägten 30 bis 50 jährigen. Gerade unter ihnen gibt es eine sehr starke Gruppe, die die Werteforscher von der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer als "aktive Realisten" bezeichnen. Das sind Menschen, die gewissermaßen die alten Pflichtwerte wie Disziplin, Verläßlichkeit und Fleiß mit den neuen postmaterialistischen Selbstentfaltungswerten kombinieren. Der Wertehaushalt dieser Menschen ist auch in Krisenzeiten sehr resistent. Sie gelten als wetterfest und enttäuschungssicher, wenn, ja wenn man sie mitmachen lässt, wenn sie ihre beträchtlichen Kompetenzen in den politischen Entscheidungsprozess hineinführen können. Das scheint mir die Basis schlechthin für einen schwierigen Reformprozess zu sein, wie er jetzt und in den nächsten Jahren ansteht in Deutschland. Das ist eigentlich keine schlechte Voraussetzung. Schließlich verfügen die Parteien nicht mehr über die traditionsgestifteten Loyalitätspolster der klassischen Milieus. Also bleibt nur Integration und Verlässlichkeit durch Mitwirkung. Aber ich habe nicht den Eindruck, als wenn die jetzige Regierung, als wenn Sozialdemokraten und Grüne das erkannt hätten und nutzen würden.
Wenn sie das aber nicht machen, bekommen wir es mit einem zweiten Typus zu tun, der gesellschaftlich seit den achtziger Jahren immer mehr wächst. Das sind die sogenannten hedonistischen Materialisten, im Fachjargon unserer Werteforscher auch Hedomats genannt. Das sind Leute, denen es vor allem darauf ankommt, schnell eine Menge Geld zu verdienen und es für den Konsum auszugeben. Interesse an den öffentliche Angelegenheiten haben sie nicht. An gesellschaftlicher Partizipation liegt diesem Typus nichts. Statt dessen gibt es so eine Art hybrider Konsumentenhaltung. Es wird gern und viel genörgelt; gefällt einem das angebotene Programm nicht, dann wird weggezappt.
Medienpolitiker fördern diesen Typus noch. Aber eben deshalb kriegen sie komplizierte Politik nicht mehr hin. Denn wie gesagt, sie werden bei den ersten Schwierigkeiten und unpopulären Entscheidungen weggezappt. Alles käme also darauf an, die Potentiale der "aktiven Realisten" zu mobilisieren, Partizpationsmöglichkeiten bereitzustellen, auch wieder einmal auf Kampagnen, die die eigenen Bataillone zusammenschmieden und den Gegner spalten, zu setzen. Insofern bin ich auch hier auf erneut wieder ganz altmodische Weise der Meinung, dass die Partei, die als erste eine Parteireform hinbekommt, nach den kläglich gescheiterten, nie ernsthaft unternommenen Versuchen der frühen 90er Jahre, das Rennen machen wird.
Nun ist das ja, wie ich natürlich weiß, nicht auf Kommando zu machen mit den Kampagnen. Zumal gegenwärtig die sozialdemokratischen Aktiven ganz verunsichert sind, die Welt nicht mehr recht verstehen, die Sicherheit darüber verloren haben, was richtig und was falsch ist. Darin sehe ich wirklich das Verhängnisvolle an der Spin-Doctor-Sprache aus England, dass sie die Fußtruppen und Multiplikatoren der Sozialdemokratie gewissermaßen kulturell, sprachlich, symbolisch enteignet haben. Aber wenn die Parteisoldaten ziemlich rat- und orientierungslos erscheinen, dann macht das keinen sehr überzeugenden Eindruck auf Wähler, und dann gibt′s Niederlagen. Auch hier wieder meine altmodische Sicht: Die Träger der Partei unterhalb der Eliten müssen schon von den Kernbotschaften überzeugt sein, nur dann spannen sie ihre Kommunikationsnetze aus, die die Kernwählerschaften erreichen. Und erst die Aktivierung der Kernwähler beeindruckt auch die Wechselwähler. Umgekehrt geht es nicht: Wer erst die Wechselwähler im Auge hat, die Kernschichten aber demobilisiert, der hat am Ende bei beiden Gruppen Probleme und wird verlieren.
Insofern scheint mir jetzt tatsächlich so etwas wie eine breite programmatische Diskussion notwendig. Natürlich weiß ich, dass solche Programmdebatten die Wähler nicht interessieren. Aber es geht in der Tat um die neue geistige Orientierung der Basis und des Mittelbaus, auch der Parteieliten, denn die haben ebenfalls Probleme anzugeben, wohin es gehen soll. Eine richtungs- und sprachlose Partei indessen wirkt abschreckend auf Wähler. Insofern scheint mir heute vieles anders als bei den programmatischen Diskursen der siebziger und achtziger Jahre. Damals haben die jahrelangen Kommissionsarbeiten am Ende in zähem Kompromissdeutsch Entwicklungen nur sanktioniert, die sich in der Partei längst Bahn gebrochen hatten. Das ergab dann als Produkt wirklich lediglich all die langweiligen und unseligen
Konvolute, die oft genug abgeschliffene Allgemeinplätze zu allen politischen und gesellschaftlichen Teilbereichen enthielten. Das kann man sich in der Tat sparen. Man kann es jetzt auch nicht mehr so machen, dass man all die seit langen Zeiten bewährten Grundwertekardinäle dieser Partei, die Herren Meyer, Strasser, Thierse, Albers oder auch Eppler, wieder für drei oder vier Jahre in Klausur schickt, wo sie dann am Ende ausgewogene Sätze zu ökologischer Nachhaltigkeit und den demokratischen Sozialismus abliefern. Ich glaube wirklich, dass jetzt diese Debatte - wieder sehr altmodisch - in der ganzen Breite der Partei stattfinden muss - und erstmals auch seit Jahren kann. In den Siebzigern und Achtzigern gab′s einen richtigen Widerwillen gegen das "theoretische Gequatsche" in der SPD. Aber dieses theoretische Gequatsche hat jetzt seit über zehn Jahren gar nicht mehr stattgefunden. Und jetzt gibt es schon ein erkennbares Verlangen danach, die Richtmarken wieder neu zu bestimmen, darüber zu diskutieren, was denn eigentlich "soziale Gerechtigkeit" bedeuten kann, wie viel Staat Sozialdemokraten anzustreben haben, wie eine Gesellschaft in, sagen wir, zehn Jahren aussehen soll, für die aktive Sozialdemokraten eine Menge Freizeit opfern, damit das dann so kommt. Ich habe den Eindruck, dass es auch für die sozialdemokratischen Anführer nicht schlecht ist, wenn sie einmal genauer erfahren, was der normative Treibstoff und was die Zielprojektion der Mitglieder ist, deren Elan in Wahlkampfzeiten immer noch darüber mitentscheidet, ob es Mehrheiten gibt oder nicht. Im übrigen nötigt eine solche programmatische Reflexion die sozialdemokratischen Eliten selbst auch dazu, über die Maßstäbe des eigenen Tuns nachzudenken. Es reicht dann nicht mehr, einfach nur Schwamm für alle fluiden Stimmungen der Gesellschaft zu sein.
Nun gebe ich natürlich zu, dass die Gesellschaft nicht gerade darauf wartet, wie die Sozialdemokraten ihre Orientierungskrise lösen. Das könnte dann auch wieder den üblichen Spott in der Medienwelt auslösen. Doch kann man in solchen Programmdebatten auch zweigleisig verfahren. Und das würde ich vorschlagen. Sieht man sich die Geschichte der Programmdiskussionen in den bundesdeutschen Parteien der letzten drei Jahrzehnte an, dann war die öffentliche Wirkung solcher Programmarbeiten am größten, die sich auf gesellschafts- und wirtschaftspolitische Kernfragen konzentriert und den ganzen anderen Kram weggelassen haben. Das gilt für die Freiburger Thesen der FDP von 1971 und auch für die Mannheimer Erklärung der CDU von 1975. Wichtig war zudem, dass die Debatten dazu nur einige Monate dauerten, in relativ kleinen Kreisen abliefen und dass das ganze am Ende semantisch zu knappen Kernbotschaften zusammengefasst wurde ("Liberale wollen die Reform des Kapitalismus" hieß es 1971, "Neue soziale Frage" lautete die Biedenkopf-Parole von 1975). Mit anderen Worten: Sozialdemokraten müssen für das, was jetzt wirtschafts- und sozialpolitisch ansteht, ganz rasch in einem kleinen Zirkel reflexionsfähiger Praktiker Handlungskonzepte mittlerer Reichweite entwerfen, die in einer Sprache verfasst sind, die nicht die des Gegners ist und auch nicht von irgendwelchen Spin doctors blutleer vorformuliert wurde. Daneben aber sollte es in der Tat die große programmatische Debatte geben über das, was eigentlich das Sozialdemokratische künftig noch bedeutet. Das ist für den Binnenraum gedacht, von mir aus auch: für die Traditionstruppen oder die "Seele der Partei". Das alles kam man ästhetisierend wunderbar verachten. Aber auch hier sage ich, nun zum letzten Mal: Die Partei die ihre Traditionsreserven als erste aufgibt, wird den Machtkampf in der Republik verlieren.
Ich merke jetzt selbst, dass ich den Youngsters, um die es hier ja geht, ungeheuer viel Traditionsballast aufladen möchte. Parteireform, Programmdebatte, Erneuerung der Kampagnefähigkeit, Partizipation, Remobilisierung der sozialliberalen Protestkohorte unter dem Vorzeichen eines aktiven Realismus, eine neue Werte- und Institutionenethik. Das ist alles schon sehr konservativ. Aber besser als halbstarkes 68ertum ist es allemal. Und modern, modern sind wir doch sowieso schon alle ganz furchtbar.
* Dem Text liegt das Manuskript eines Vortrages zugrunde, den Franz Walter am 14. September 1999 auf einer Diskussionsveranstaltung der Jungen Gruppe (Youngsters) der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema "Generation Berlin" im Willy-Brandt-Haus gehalten hat.