Nicht Spekulation ist das Problem, sondern Knappheit
So mancher Investor freut sich über die neue Dynamik auf den deutschen Wohnungsmärkten: Neue Wohnungen haben sich im Jahr 2012 in den deutschen Städten um rund sechs Prozent verteuert. Das ist zwar etwas weniger als im Jahr zuvor, aber immer noch deutlich mehr als im langfristigen Durchschnitt. In den vergangenen vier Jahren kletterten die Preise für neue Wohnungen um 5 Prozent pro Jahr und damit sogar schneller als in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Und natürlich fiel der Preisauftrieb in einigen Ballungsräumen noch kräftiger aus: In München stiegen die Wohnungspreise für Neubauten in den letzten vier Jahren um durchschnittlich 6 Prozent pro Jahr, in Berlin, Düsseldorf und Hamburg sogar um über 7 Prozent.
Diese Beschleunigung weckt Sorgen vor einer neuen spekulativen Übertreibung auf dem deutschen Wohnungsmarkt, der doch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise so ein stabiler Anker Europas gewesen ist. Es ist wichtig, sich mit Überhitzungssignalen auf den Wohnungsmärkten analytisch und politisch frühzeitig auseinanderzusetzen, denn die Verwerfungen in den Vereinigten Staaten, Spanien oder Irland, die sich nach dem Platzen von Immobilienblasen auf den Finanz- und Arbeitsmärkten gezeigt haben, sollten eine dringende Mahnung sein, dass die Wohnungsmärkte angesichts ihrer Größe und gesamtwirtschaftlichen Verflechtung eine besondere Bedeutung haben. Es ist richtig, dass die Dynamik in Spanien oder Irland in den vergangenen Jahren deutlich stärker war als die Marktbelebung in Deutschland – in Spanien stiegen die Wohnungspreise landesweit um jährlich 11 Prozent – dies gilt für zehn Jahre und über alle Marktsegmente hinweg. Gleichzeitig wurden kurz vor dem Platzen der Blase in Spanien mehr als 700 000 Wohneinheiten fertiggestellt. Wichtiger als dieser Vergleich ist jedoch, dass die oben genannten Marktdaten für Deutschland noch keine hinreichende Begründung für eine spekulative Übertreibung in Deutschland sind.
Vier Punkte sind hierbei wichtig: Erstens steigen aktuell vor allem die Preise für Neubauwohnungen in den Städten. Bestandswohnungen haben sich zwar zuletzt ebenfalls spürbar verteuert. Deren Preisauftrieb lag jedoch in den letzten vier Jahren über einem Prozentpunkt niedriger als der Anstieg für Neubauten. Die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Reihenhäuser stiegen sogar nur im Rahmen der allgemeinen Teuerung. Die Marktbelebung findet also vor allem bei neugebauten Mehrfamilienhäusern statt – und zwar insbesondere in den Städten. Auf den ersten Blick deuten die Preissteigerungen in diesem Segment auf potenzielle Überhitzungserscheinungen hin, daher lohnt es sich, hier genauer hinzusehen.
Eine nationale Übertreibung liegt nicht vor
Und dies führt mich zu meinem zweiten Punkt: Die Wohnungsmieten stiegen in den letzten vier Jahren im Neubausegment um rund 4 Prozent und für Bestandswohnungen um 3 Prozent pro Jahr – also insgesamt um rund 1 Prozentpunkt weniger als die Wohnungspreise. Eine spekulative Übertreibung lässt sich nun aber am besten dadurch erkennen, dass sich die Preise spürbar von den Mieten abkoppeln. Dies ist offenbar nicht der Fall, denn wenn man sein Analysefenster etwas weiter öffnet, erkennt man, dass über die letzten 15 Jahre die Wohnungsmieten in Deutschland schneller stiegen als die Preise, so dass der gesamte Anstieg seit 1990 sowohl bei den Mieten als auch bei den Wohnungspreisen mit nicht einmal 10 Prozent nicht nur geringer ausfällt als die allgemeine Teuerung, vor allem aber sehr harmonisch war. Eine nationale Übertreibung liegt nicht vor.
Drittens sind im Jahr 2011 rund 280 000 Personen mehr nach Deutschland gekommen als das Land verlassen haben. Für 2012 schätzt das Statistische Bundesamt einen Nettozuwanderungssaldo von 340 000 Menschen. Rechnet man mit einer mittleren Haushaltsgröße von zwei Personen je Haushalt, müssten also allein aufgrund dieser Belebung 170 000 neue Wohnungen entstehen. Und weil Zuwanderung in den meisten Fällen zunächst die Innenstädte begünstigt, ist es wenig verwunderlich, dass der Miet- und Preisanstieg in den Städten besonders hoch ausfiel.
Viertens wurden in den Jahren vor der Krise in Deutschland zu wenige Wohnungen fertiggestellt. Der Anstieg bei den Wohnungsbauinvestitionen reicht noch nicht aus, um die Zusatznachfrage aufzunehmen. Aufgrund der Mehrnachfrage steigen die Mieten.
Gelegentlich wird argumentiert, dass die niedrigen Zinsen und eine Umschichtung in den Portfolios vieler Anleger für eine Zusatznachfrage sorgen und daher die Wohnungspreise steigen. Das wird in der Diskussion zum Teil als Indiz für Spekulation gewertet. Eine spekulative Übertreibung ist aber dadurch gekennzeichnet, dass fundamentale Faktoren nicht mehr zur Erklärung von Preisbewegungen ausreichen. Demnach ist die Unterstellung einer spekulativen Blase jedoch wenigstens sprachlich unsauber. Denn der oben beschriebene fundamentale Treiber für den Mietanstieg unterfüttert die Preisentwicklung.
Nach den Erfahrungen mit einigen Kapitalmarktprodukten gibt es für Investoren auch weitere fundamentale Gründe dafür, ihre Portfolios neu zu strukturieren. Niedrige Zinsen begünstigen Anlageprodukte, bei denen Anleger üblicherweise Fremdkapital für die Finanzierung einsetzen. Dieser Umschichtungsprozess hat aber nicht zu übertriebener Spekulation, sondern im Gegenteil zur Suche nach stabilen Cashflows geführt. Im Umkehrschluss bedeutet das außerdem, dass die Preise dann wieder (fundamental gerechtfertigt) fallen werden, wenn die Zinsen steigen und sich Anleger wieder vertrauensvoll Anleihen zuwenden. Dann wäre keine Blase geplatzt, sondern es gäbe wiederum einfach gute Gründe für Umschichtungen.
Insgesamt gibt es wohl in Deutschland derzeit keine nationale spekulative Übertreibung, vielmehr allenfalls ein paar Marktsegmente, in denen die Preise tatsächlich deutlich schneller gestiegen sind als die Mieten. Viele dieser Teilmärkte sind hochpreisig, hier agieren überwiegend Käufer, die ein Preisverfall nicht in existenzielle Finanzierungsnöte stürzen würde wie dies in Irland oder den USA der Fall war.
Wichtiger ist jedoch, dass die Mieten in vielen Städten deutlich gestiegen sind – tatsächlich in jeder zehnten Stadt in den letzten fünf Jahren um mehr als 25 Prozent. Das hat nichts mit Spekulation zu tun, sondern mit Knappheit. So hat in vielen Universitätsstädten die Verkürzung der gymnasialen Ausbildung von neun auf acht Jahre zu einem starken Anstieg der Immatrikulationen geführt. Die Folge war ein starker Anstieg der Wohnungsmieten.
Hauskäufer kommen klar, Mieter eher nicht
Doch nicht nur in Universitätsstädten wächst das Problem, sondern auch in vielen einfachen Wohnlagen in Ballungsräumen, weil die Einkommen in den vergangenen fünf Jahren deutlich langsamer gestiegen sind als die Mieten. Daher sollte bei einer Diskussion über die Entwicklung des deutschen Wohnungsmarktes auch nicht zu sehr auf die allenfalls frühe Phase einer möglichen Übertreibung fokussiert werden, sondern darauf, dass wir tatsächliche und heute schon marktwirksame Engpässe haben. Mittels der üblichen Erschwinglichkeitsrechnungen für Hauskäufer lässt sich zeigen: Die niedrigen Zinsen sorgen dafür, dass Wohnraum in Deutschland weiterhin bezahlbar ist. Dies gilt sogar bei einem moderaten Zinsanstieg für die Anschlussfinanzierung in fünf bis zehn Jahren. Diese Logik lässt sich jedoch nicht auf Mieter übertragen. Gewiss sollte man auch bei diesem Thema berücksichtigen, dass für die allermeisten Teilmärkte keine gravierenden Verspannungen zu spüren sind, aber eben doch für immer mehr Städte.
Reflexartig wird bei steigenden Mieten die Forderung laut, man möge den (übermäßigen) Anstieg per Gesetz verbieten. Das ist gut gemeint, aber der falsche Ansatz. Als Folge würden Investoren abgeschreckt. Die Mieten blieben zwar gesetzmäßig niedrig, doch würde die Knappheit an Wohnraum nicht beseitigt. Außerdem würden Investoren dann zurückhaltender, was Bestandsinvestitionen betrifft. Mietgrenzen sorgen immer dafür, dass entweder die Menge oder die Qualität auf der Angebotsseite des Wohnungsmarktes leidet, und dies bekommen über kurz oder lang die Mieter zu spüren.
Sinnvoller ist es, auf dieser Seite des Marktes für Entspannung zu sorgen. Je stärker das Angebot ausgeweitet werden darf, desto eher werden Knappheiten vermindert. Dies hätte zwei weitere Vorzüge: Zum einen würde durch die zusätzliche Bautätigkeit Wirtschaftsleistung induziert, was angesichts der derzeitigen Abkühlung der europäischen Wirtschaft wichtig wäre. Zum anderen sorgte das zusätzliche Ausweiten des Wohnungsangebots dafür, dass mögliche spekulative Investoren mehr Investitionschancen erhielten. Auf diese Weise würden die Preissteigerungen im Bestand reduziert. Auf das Mehr an Miete sollte man also mit einem Mehr an Wohnungen antworten – und nicht mit einem Mehr an Regulierung.