Nur Mut, Marion!

Zum (Still-)Stand der Drogenpolitik

Unsere Bundesregierung hat eine neue Drogenbeauftragte: die SPD-Bundestagsabgeordnete Marion Caspers-Merk. Sie tritt die Nachfolge der früheren grünen Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Christa Nickels an. Damit liegt die Gestaltung der Drogenpolitik nun also im wesentlichen in der Hand der Sozialdemokraten. Grund genug für eine Zwischenbilanz in diesem Politikbereich. Was hat sich seit 1998 geändert? Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Für alle, die eine grundsätzliche Wende in der Drogenpolitik von Rot-Grün erwartet haben, wirkt das tatsächlich Erreichte ernüchternd.

Mikado

Der Grund dafür wurde schon am Anfang gelegt: Alle Bemühungen der Grünen, zu einem echten Wechsel in der Drogenpolitik zu gelangen, oder zumindest Cannabis zu entkriminalisieren, sind bereits im Keim in den Koalitionsverhandlungen 1998 erstickt worden. Dort verhandelten die Grünen - den Kompetenzen ihrer damaligen Fraktions- und Flügelstruktur entsprechend - die Drogenpolitik im Bereich Innen- und Rechtspolitik. Wir erinnern uns: Renate Künast war in den ersten Oktobertagen 1998 als Justizministerin im Gespräch. In der Sache stießen die Grünen damals auf Otto Schily und so mit ihrer Forderung nach Cannabislegalisierung auf Granit. Bei den Gesundheitspolitikern der SPD hätten sie, auch wenn das Vermutung bleiben muß, mehr Erfolg in der Sache verbucht - also zumindest Schritte zur Zurückdrängung des Strafrechts aus der Drogenpolitik. Christa Nickels wurde Drogenbeauftragte der Regierung, und die Drogenpolitik wurde dann doch - was einer SPD-Forderung entsprach - im Gesundheitsministerium angesiedelt.

Spötter mögen sagen: Diese Zuordnung war der einzige Fortschritt, denn tatsächlich: Weiterhin bestimmt das Bundeskriminalamt kurzfristig über die zu verbietenden Substanzen und hat die Interpretationshoheit über die Statistiken in Sachen Drogentote; eine Diskussion über Entkriminalisierung der Konsumenten oder die Legalisierung von Cannabis wurde nicht geführt oder konnte aufgrund handwerklicher Fehler in der grünen Bundestagsfraktion auch nicht begonnen werden; der Sanktionsdruck auf die Konsumenten illegaler Drogen verlagert sich von der Strafandrohung auf den Entzug von Führerscheinen; ein Modellversuch zur Heroinverschreibung wurde im Gesundheitsministerium intern bereits unter Horst Seehofer (CSU) diskutiert, ist nach wie vor ein zentrales Projekt der rot-grünen Koalition, geriet dann in der Umsetzung zwischen Kommunen, Bund und Ländern ins Stocken und wartet bis heute auf seine Realisierung; weitergehende Reformschritte sind nicht in Sicht, geschweige denn die Lösung eines zentralen Problems: die Strafverfolgung der Konsumenten.

Zweierlei kann die Koalition auf der Habenseite verbuchen: eine rechtliche Klarstellung zum Betrieb von Gesundheitsräumen, in denen unter hygienischen Bedingungen illegale Drogen konsumiert werden dürfen, und die ersten Ansätze, Drogenpolitik nicht nur als Politik in bezug auf illegale, sondern mit Blick auf alle Drogen (sprich alle psychoaktiven Substanzen) zu verstehen.

Die Angst vor einem Machtwort des Kanzlers, vor der Ungnade des Innenministers oder einer Bild-Zeitungs-Schlagzeile "Rot-Grün will unsere Kinder mit Haschisch vergiften" zur falschen Zeit - vor Wahlen, die eigentlich ständig und immer zur "falschen Zeit" stattfinden - führte offenbar zur Mucksmäuschenstillhaltung der ersten zwei Regierungsjahre. Dazu trug auch der stete Hinweis auf das internationale Suchtstoffübereinkommen bei. Die Drogenpolitik von Rot-Grün ist also auf einen Nenner gebracht ein Mikadospiel: Bloß nichts in Bewegung bringen!

Beschlüsse ohne Folgen?

Eigentlich hätte alles anders werden können: Die SPD-Bundestagsfraktion hat erstmals 1992 ein Artikelgesetz eingebracht, nach dem sogenannte konsumbezogene Bagatelldelikte - sprich Erwerb, Anbau und Besitz von illegalen Drogen zum Eigenverbrauch - straffrei bleiben sollten. Dies wurde über alle fraktionsinternen Lager hinweg unterstützt und vertreten und auch in der 13. Wahlperiode erneut eingebracht. Damit wäre eine materiell-rechtliche Entkriminalisierung der Konsumenten erreicht worden.

Der SPD-Bundesparteitag beschloß 1993 in Mannheim, daß für den "legalen Erwerb von Cannabisprodukten, Bedingungen des kontrollierten Verkaufs" geschaffen werden sollten. In der Erkenntnis, daß sich Drogen nicht gänzlich aus einer Gesellschaft verbannen lassen, schon gar nicht durch strafrechtliche Verbote, wurde nicht dem Abstinenzparadigma das Wort gerecht, sondern man plädiert für die Schaffung von Rahmenbedingungen für einen kontrollierten, risikoarmen Gebrauch. Dies setzt wiederum ein fundamental anderes Verständnis von Prävention voraus.

Bei den Bündnisgrünen waren die Beschlußlagen ähnlich, die Wortgewalt war vor der Wahl sogar noch größer, und das Drängen darauf, gegebene Versprechen einzulösen, wird möglicherweise vor der nächsten Wahl aus ihrer Anhängerschaft heraus wieder stärker. Schon läßt sich dies an neueren internen grünen Auseinandersetzung ablesen.

Und nun?

Um es realistisch einzuschätzen: In dieser Legislaturperiode ist nicht mehr mit großen Schritten zu rechnen. Trotzdem kann und muß auch jetzt schon etwas getan werden. Notwendig ist eine erneute Belebung der Debatte in der SPD, um Spielraum für die zukünftige Drogenpolitik in der nächsten Legislatur zu schaffen.
Die Entwicklungen in den Nachbarländern Niederlande, Belgien und Schweiz sind hier durchaus ermutigend. Die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung kann Anstöße geben. Dabei sollte sie auch einmal die Frage thematisieren werden, ob wir uns in Zeiten knapper Finanzen einen Repressionsapparat im Drogenbereich noch leisten wollen, dessen Ergebnisse vielfach die gesteckten Ziele ins Gegenteil verkehren: Die Gewinne der Drogenmafia werden durch die Kriminalisierung der Konsumenten eher gesteigert als reduziert. Nicht weniger, sondern mehr, nicht risikominimierend, sondern unhygienisch und gefährlich wird in Zeiten der Prohibition konsumiert.

Es wäre Zeit, den Reformstau auch in der Drogenpolitik aufzulösen. Mehr Liberalität und mehr politischer Mut täten Not. Auch wenn ein grundlegender Kurswechsel die Vorlage für eine hoch emotionalisierte Kampagne der deutschen Konservativen bieten könnte, besteht dennoch die realistische Chance, die Zustimmung einer gesellschaftlichen Mehrheit für diesen Kurswechsel zu gewinnen. Die praktischen Erfahrungen der Alt-68er und vieler Nachgeborener werden Schritt für Schritt bei älteren Generationen verbreitete Vorurteile verdrängen (bereits 22 Prozent der 14- bis 16-jährigen Schüler haben Erfahrungen mit illegalen Drogen). Diese natürliche biologische Entwicklung schafft zwar keinen Automatismus für ein verändertes gesellschaftliches Bewußtsein. Die eigenen Erfahrungen zerstören aber viele Mythen, auf denen die herrschende Drogenpolitik bisher gründete.

Politische Voraussetzung für einen neuen Aufbruch in der Drogenpolitik ist zum einen der Mut, zum anderen ein ähnlich geschickter Anstoß für einen solchen Kurswechsel, wie ihn Gerhard Schröder mit der "Green Card-Initiative" für die Einwanderungsdebatte geschaffen hat. In diesem Sinne: Nur Mut, Marion! Und: Kanzler, hilf!

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