O, Brother, Where Art Thou?

Die NSA-Affäre droht das deutsch-amerikanische Verhältnis dauerhaft zu belasten. Doch wie bereits in früheren komplizierten Perioden der transatlantischen Beziehungen sind die deutschen Sozialdemokraten gut beraten, mit dem Verhältnis zum Verbündeten USA pfleglich umzugehen, statt es mit unangemessener Rhetorik zu belasten

Im Sommer 2013 führten Edward Snowdens Enthüllungen zu einer heftigen Debatte über die Aktivitäten der National Security Agency (NSA). In Deutschland konzentrierte sich die Diskussion schnell auf die Frage, was die Bundesregierung und der Bundesnachrichtendienst davon gewusst hatten. Das Thema bot reichlich Material für den Wahlkampf. Zunächst richtete die Regierung scharfe Kritik und teils absurde Vorwürfe an die USA. Die Bundeskanzlerin etwa sagte, dass „in Deutschland und in Europa nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts“ gelte – und erweckte so den Eindruck, dies sei in den USA anders. Einmal im Wahlkampfmodus angekommen, gingen führende SPD-Politiker in ihrer Kritik noch weiter und forderten Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit den Amerikanern. Parteichef Sigmar Gabriel verlangte, dass die Bundesanwaltschaft Ermittlungen aufnehme gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste „und ihre deutschen Helfershelfer“ – gemeint war wohl der Bundesnachrichtendienst (BND). Kanzlerkandidat Peer Steinbrück forderte, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA auszusetzen. Und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann erklärte, die Bundesrepublik sei „Angriffsziel eines befreundeten Landes“; die amerikanischen Geheimdienste spielten immer noch Kalten Krieg.

Wie im Vorfeld des Irak-Krieges 2002 versuchte die SPD, Vorteile im Wahlkampf zu erringen, indem sie den Anti-Amerika­nismus vieler Wähler bediente. Dies ist problematisch, weil sich aus Sicht vieler amerikanischer Partner ein Muster herausbildet, wonach die SPD bereit ist, die transatlantischen Beziehungen kurzfristigen Parteiinteressen zu opfern. Damit schwächt die SPD ihre Glaubwürdigkeit und schadet ihrem Ruf in den USA. Im Fall der NSA-Debatte waren die Vorwürfe zudem kaum gerechtfertigt, weil die Aktivitäten des Abhördienstes der Bundesregierung schon bekannt waren, als die SPD noch den Kanzler stellte. Damals wie heute waren deutsche Sicherheitsbehörden stark von ihren amerikanischen Kollegen abhängig. Ohne die Hilfe von NSA, CIA und FBI hätte es in Deutschland wahrscheinlich mehrere Anschläge mit vielen Opfern gegeben. Viele Amerikaner fragen sich, warum drei aufeinander folgende deutsche Regierungen Informationen der amerikanischen Dienste bereitwillig entgegennahmen, um in der ersten Krise den Verbündeten öffentlich anzugreifen.

Statt auf den kurzfristigen Effekt im Wahlkampf zu setzen, hätte sich die SPD, um Kritik zu üben, vielmehr der Kanäle bedienen müssen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten in die USA aufgebaut hat. Sie hätte eine sachorientiertere, diskretere und damit verantwortungsbewusstere Vorgehensweise wählen können, bei der die Teilnehmer der Debatte zunächst den Schaden von zu heftiger und offener Kritik für die transatlantischen Beziehungen bedenken. Dann hätten sie die Möglichkeiten eines Austauschs und sogar eines gemeinsamen Vorgehens mit den Akteuren in den USA ausgelotet, die den Wildwuchs der technischen Überwachung ebenfalls einschränken wollen. Immerhin hat die Sozialdemokratie jahrzehntelange Arbeit in ebenjene Beziehungen zu Washington investiert, die für ein sachorientiertes Vorgehen in der Krise so wichtig gewesen wären.

Der BND ist von der CIA abhängig

Zu Recht reagierten amerikanische Regierungsvertreter mit Unverständnis auf die teils hysterische Kritik an den Aktivitäten der NSA. Immerhin, so hieß es mehrfach, hätten Informationen, die die amerikanischen Dienste an die deutschen Sicherheitsbehörden weitergegeben haben, dazu beigetragen, terroristische Anschläge in Deutschland zu verhindern. Der meist genannte Fall bezog sich auf die „Sauerland-Gruppe“, deren Mitglieder im September 2007 in Nordrhein-Westfalen verhaftet wurden, weil sie begonnen hatten, Sprengstoff für Anschläge auf unbekannte Ziele herzustellen. Ohne die Hilfe der NSA hätten die deutschen Behörden den Anschlag nur mit viel Glück verhindern können.

Zwar gibt es zumindest einen weiteren Fall, in dem amerikanische Informationen dazu führten, dass deutsche Sicherheitsbehörden einen geplanten Anschlag im Vorfeld verhinderten. Es wird dem Thema jedoch nicht gerecht, wenn sich die Darstellung der Geheimdienst-Zusammenarbeit auf spektakuläre Anschlagsplanungen beschränkt. Denn seit dem 11. September hat der Austausch von Informationen zwischen den amerikanischen Diensten und ihren Partnern neue Dimensionen angenommen. Dabei sind die Deutschen fast immer Informationsnehmer. Dementsprechend ist auch der Wissensstand zumindest unseres Auslands- und militärischen Nachrichtendienstes BND zu großen Teilen durch amerikanisches Nachrichtenaufkommen geprägt. Die CIA hat sich seit 2001 zu einer Zentralstelle der internationalen Terrorismusbekämpfung entwickelt, bei der zahlreiche Informationsstränge zusammenlaufen. Die Dienste der Verbündeten werden so zu oft nur in kleinen Bereichen handlungsfähigen Teilen eines geheimdienstlichen Netzwerks, das seinen Knotenpunkt in Langley/Virginia hat. Ohne die Hilfe der USA können weder die Saudis, die Türken noch die Deutschen internationale Terroristen effektiv bekämpfen. Im Fall des BND ist die Abhängigkeit von der CIA aus historischen Gründen noch einmal stärker ausgeprägt, da dieser unter Kontrolle der Amerikaner aufgebaut wurde und sich bis heute nicht aus der daraus resultierenden Abhängigkeit lösen konnte.

Auf dem Spiel stehen Vertrauen und Wertschätzung

Diese enorme strukturelle Abhängigkeit war beim BND und seiner Aufsichtsbehörde bereits bekannt, als die SPD noch den Kanzler und damit auch den Koordinator der Nachrichtendienste im Kanzleramt stellte, was einige Meinungsäußerungen in der NSA-Debatte nicht nur für den amerikanischen Partner so unverständlich macht. Gewiss, die in der heutigen Debatte genannten Programme und auch das Ausmaß der Aktivitäten waren damals noch nicht bekannt. Doch wussten alle Spezialisten und auch die mit der Terrorismusbekämpfung befassten Ministerien, dass die NSA nach 2001 ihre technische Informationsgewinnung – also die Überwachung von Telekommunikation und Internet – weltweit rasch ausweitete. Die teilweise erstaunlichen Fähigkeiten der Amerikaner dürften erstmals während der Sahara-Geiselkrise 2003 einem breiteren Kreis von Beamten und Politikern bekannt geworden sein. Dass die Amerikaner diese Fähigkeiten konsequent ausbauten, war für Fachleute kein Geheimnis und ermöglichte in den nächsten Jahren beachtliche Erfolge im Kampf gegen Al-Kaida.

Wie sachgerechte Kritik an den Aktivitäten der NSA geübt werden kann, zeigte der Vorsitzende der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe, Hans-Ulrich Klose. Er gab sich nicht so sehr von den NSA-Aktivitäten an sich, sondern eher von deren Ausmaß überrascht. Klose merkte zu Recht an, dass das Auskundschaften befreundeter Regierungsstellen inakzeptabel sei. Es gebe einen klaren Bedarf an neuen Regeln, welche die Komplexität der neuen Überwachungsmöglichkeiten sowie Fragen nach staatlicher Souveränität und dem Schutz des Individuums berücksichtigen müssten. Vor allem aber mahnte Klose zu einem besonnenen Umgang mit den amerikanischen Partnern.

Vielleicht erfordert die aktuelle Debatte sogar mehr als das, nämlich mehr Engagement und Fingerspitzengefühl mit Gütern, die die Sozialdemokratie in den transatlantischen Beziehungen immer wieder neu aufbauen und pflegen muss: Vertrauen, Wertschätzung und Glaubwürdigkeit im Umgang mit dem engsten Verbündeten außerhalb Europas. Auf der Suche nach Wählerstimmen werden diese Güter mitunter vergessen oder kurzzeitig geopfert. Damit schränkt die Sozialdemokratie allerdings ihre Handlungsfähigkeit ein und trübt ihre eigentlich guten Beziehungen zu den USA, die sie etwa bei der transatlantischen Initiative zur Lösung des Atomstreits mit Iran 2005 demonstriert hat und die sich auch in dem kontinuierlichen Austausch deutscher Parlamentarier mit ihren amerikanischen Kollegen, seien es Kongressabgeordnete oder Vertreter der Administration, widerspiegeln. Gerade die Sozialdemokratie kann auf beispielhafte Initiativen mit den Vereinigten Staaten zurückblicken: Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die SPD über Willy Brandt und seinen einflussreichen „Sechserkreis“ – einer ad hoc einberufenen Gesprächsrunde mit zunächst sechs Vertretern aus Friedrich-Ebert-Stiftung, SPD-Fraktion und Partei (unter anderem mit Hans-Jürgen Wischnewski), ein erstklassiges Kontaktnetzwerk in die Staaten aufgebaut. Mithilfe der FES gelang es der Sozialdemokratie, mittels eines intensiven Austauschs auf Parlaments- und Parteiebene die transatlantische Krise Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre zu meistern, die im Rahmen der Aufrüstungsdebatten und durch die persönlichen Animositäten zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Präsident Jimmy Carter entstanden war.

Mit der Wiedervereinigung trat neben der Begeisterung über den friedlichen Prozess auch Kritik an Deutschlands Umgang mit Asylbewerbern in den Vordergrund und schürte international Ängste vor einem möglicherweise nationalistischen und militaristischen Deutschland. Hier waren ebenfalls Sozialdemokraten gefordert, die in dieser Zeit zwar nicht in Regierungsverantwortung standen, aber immer wieder Position beziehen, die Lage in Deutschland erklären und nach Lösungsmöglichkeiten suchen mussten. Sie fanden auch deshalb Gehör, weil besonders die politischen Stiftungen deutschen Politikern eine Plattform in den USA boten, um ihre Argumente und Analysen einer breiten Öffentlichkeit darzulegen. Das gelang, weil diese Einrichtungen, aber auch sozialdemokratische Transatlantiker wie der Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen, Karsten D. Voigt, sich als verlässliche Diskussionspartner empfohlen und über viele Jahre Vertrauen in den USA aufgebaut hatten. Die hoch emotionale Debatte des Jahres 2002, in der sich Bundeskanzler Schröder auf ein klares Nein zur Beteiligung an der Intervention im Irak festlegte, belebte zwar für eine Weile den deutschen Wahlkampf, hatte aber negative Folgen für das transatlantische Verhältnis. Auch wenn der Kanzler in der Sache eine richtige Position vertrat, so wurde doch deutlich, dass ihm zu diesem Zeitpunkt der Wahlerfolg wichtiger war als die Pflege der transatlantischen Beziehungen. Viele Amerikaner erinnern sich noch heute daran, dass einige der wahlkämpfenden Sozialdemokraten damals ihre guten Kontakte zu den USA mit unangemessener Rhetorik belasteten.

Vertrauen ist schneller zerstört als aufgebaut

Teile der Sozialdemokratie bemühten sich aber bereits während der Diskussion um den Irak-Einsatz darum, das Gespräch mit den USA nicht abreißen zu lassen, da für sie die Wichtigkeit der transatlantischen Beziehungen außer Frage stand. Auf Initiative der FES wurde daher der Gesprächskreis der „Globalen Atlantiker“ gegründet, in dem führende Transatlantiker aller Parteien und externe Experten über mehrere Jahre hinweg einen intensiven Austausch mit dem amerikanischen Kongress und anderen amerikanischen Multiplikatoren pflegten. Ziel war es, jenseits der Regierungsebene nicht nur zusammen an einer außenpolitischen Strategie zu arbeiten, sondern auch gemeinsame Herausforderungen in den USA und Deutschland zu identifizieren. Es zeigte sich jedoch schon in diesem Prozess, dass der (Wieder-)Aufbau von Vertrauen mehr Zeit und sehr viel mehr Mühe in Anspruch nimmt, als Vertrauen zu verspielen.

Die NSA-Debatte des Sommers 2013 wird eine weitere schwere Hypothek im transatlantischen Verhältnis bleiben und die Frage aufwerfen, wer die Partner in Deutschland sind, mit denen die Amerikaner konstruktiv zusammenarbeiten können. Dabei sollte die Sozialdemokratie daran anknüpfen, worin sie sich schon bewiesen hat: Sie muss als Brückenbauer über den Atlantik auftreten, der auch in schwierigen Zeiten und bei komplexen Themen ein konstruktiver Gesprächspartner ist. Eine beeindruckende Initiative hatte die SPD-Fraktion zuletzt 2012 gestartet: Am 8. November 2012 stellte sie einen Antrag zur Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen und wies darin auf die „existentielle Bedeutung der transatlantischen Beziehungen“ hin. Sie forderte etwa, die politische Zusammenarbeit auf Regierungs-und Parlamentsebene weiter zu ergänzen, die Einrichtung einer Freihandelszone zu unterstützen sowie die Umbrüche im arabischen Raum mit einer transatlantisch abgestimmten Strategie politisch zu begleiten. Der Antrag, der mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und der Linken abgelehnt wurde, könnte künftig als Blaupause dienen, um sozialdemokratische Positionen in den USA zu vermitteln. Auf diese Weise könnte die SPD mit einer seriösen transatlantischen Politik zukünftig auch beim Wähler punkten und müsste sich nicht durch einzelne Themen wie der NSA-Affäre von einem solch zukunftsfähigen Projekt ablenken lassen. Es muss nicht Jahrzehnte dauern, bis sicherheitspolitische Gefahren – etwa die Proliferation von Atomwaffen, zerfallende Staaten oder der internationale Terrorismus – Deutschland sehr viel direkter betreffen, als dies heute der Fall zu sein scheint. Dann wird auch der Ruf nach einem Verbündeten und Freund wieder lauter werden, der in der Lage ist, die Deutschen zu schützen. Wenn dies nicht mehr die USA sind, wird kein anderer zur Verfügung stehen.

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