Öko-Kapitalismus

Ralf Fücks, Vordenker der Grünen, kartiert den Kurs einer ökologischen Wachstums- und Fortschrittspolitik - ein wichtiger Impuls für Rot-Grün 2.0

Also gut: Noch ein Buch zum grünen Wachstum. Ein großes Thema, genauso wichtig wie umstritten. Aber auch ein bisschen zerredet. Von APO bis OECD, vom Biogemüsekollektiv bis zur Unternehmensberatung eines Großkonzerns: Kaum einer spricht heute nicht von einer anderen, einer nachhaltigeren, einer grüneren Art des Wirtschaftens.

Manche lieben das Thema, andere verabscheuen es, ganze Enquete-Kommissionen beschäftigen sich damit. Dass Vorschläge wie die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 zu den herausragenden Ergebnissen gehören, zeigt, dass beim Thema Nachhaltigkeit manchmal einiges, vielleicht nicht immer das Richtige, im Schwange ist.

Bei diesem Buch ist es vor allem der Name Ralf Fücks, der neugierig macht. Fücks gehört zu denen, die das Thema grünes Wachstum nicht erst mit der letzten Modewelle aufgeschnappt haben. Vielmehr gehört er seit Jahren zu den prägenden Akteuren in dieser Debatte. Und man muss anerkennen: Er ist dabei genauso meinungsstark wie inhaltlich versiert.

Am Wachstum führt kein Weg vorbei

Es gibt weitere hoffnungsvolle Signale. Der Blick auf den Buchrücken enthüllt beispielsweise: Verlegt wird das Buch bei Hanser, also bei einem der bedeutenderen Verlagshäuser. Klassiker der so genannten „Vormärz“-Literatur stehen dort im Sortiment – gewissermaßen Zeitzeugen und Vorboten der ersten deutschen Revolution. Aber auch zahlreiche Fachzeitschriften zu Industrie und neuen Technologien. Dieser zugleich traditionsreiche und zukunftsorientierte Verlag passt ohne Zweifel zu Ralf Fücks: ein bisschen aufmüpfig, immer lösungsorientiert und doch ziemlich seriös. Und ja, es trifft zu: innovativ. Zu den jüngsten Erfolgen des Verlages zählt Tomáš Sedláceks Die Ökonomie von Gut und Böse.

Der Einstieg ins Buch ist eher vorhersehbar. Gleich mit dem ersten Satz der Einleitung kommt, was unvermeidbar ist: der Verweis auf den Ausruf der „Grenzen des Wachstums“ von 1972. Das war es dann aber schon mit dem Vorhersehbaren. Jedenfalls wenn man in Rechnung stellt, dass der Autor ein Grüner ist.

Fücks wäre nicht Fücks, wenn der zentrale Satz lange auf sich warten ließe. Der Autor beschwert sich über die heutige Renaissance des Wachstumsskeptizismus und entdeckt eine „akute Schizophrenie“: „Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung mit all ihren Nöten, Wünschen und Ambitionen grenzt der Traum von der Postwachstumsgesellschaft an Realitätsflucht.“ Und noch schärfer schreibt er: „Der Traum von einer Postwachstumsgesellschaft ist der Seufzer einer akademischen Mittelschicht, die schon alles hat, was das Herz begehrt (außer dem nächsten iPhone).“

Das sitzt. Es ist durchaus damit zu rechnen, dass Fücks seinen Leuten mit diesem Buch ein wenig auf den Keks geht. Mal wieder, muss man sagen. Mehr als einmal hat er für das Wachsen der Grenzen plädiert, statt auf die Grenzen des Wachstums zu insistieren. Doch Ralf Fücks würde niemals zu weit gehen. Er ist deshalb im Gegensatz zu anderen meilenwert davon entfernt, den Club of Rome etwa mit den Zeugen Jehovas zu vergleichen, die ständig den Weltuntergang predigen, der dann doch immer wieder verschoben werden muss.

Mutige, kontroverse Aussagen

Für Fücks sind Klimawandel und Erderwärmung – eigentlich selbstverständlich – sehr wohl reale Bedrohungen. Sie erfordern eine völlig andere, eben viel intelligentere Art des Wirtschaftens und Wachsens. Und auch aus Menschenrechtsgründen sei die Verringerung des Rohstoffverbrauchs notwendig. Das nur der Vollständigkeit halber.

Mehrere Male stößt man im Buch auf mutige, kontroverse Aussagen. Da ist zum Beispiel das Thema Globalisierung. Wo viele mehr oder weniger eindringlich vor den ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Fliehkräften enthemmter internationaler Finanz- und Warenströme warnen, analysiert Fücks: „Sie ist das Fundament, auf dem sich eine wirkliche Weltgesellschaft herausbilden kann, die treibende Kraft für die reale Herausbildung der ‚vereinten Nationen‘.“

Fücks fasst auch andere Großthemen an, bei denen nur eines sicher ist: Man bekommt dabei keinen Applaus, egal wie man sich positioniert. Zum umstrittenen Thema Fracking gibt Fücks beispielsweise zu bedenken, dass es „angesichts des Bedarfs an Gaskraftwerken als Reserve für die erneuerbaren Energien und der großen Rolle von Gas im Wärmemarkt um einen exemplarischen Konflikt geht“. Deshalb fragt er, ob „es besser ist, Erdgas aus Sibirien zu importieren, als es unter kontrollierten Bedingungen im eigenen Land zu fördern?“

Um eine Wahrheit drückt sich aller-dings auch Ralf Fücks. Relativ weit hinten in seinem Buch, im Kapitel zur Energiewende, widmet er sich auf einigen Seiten dem „Klimakiller Kohle“. Einverstanden. Nicht ganz korrekt ist jedoch, dass „der Weltmarktpreis für Kohle weiter steigen wird“. Das Gegenteil ist der Fall. Die Braunkohle aus den USA, die nicht mehr gebraucht wird, weil zuletzt so viele unkonventionelle Gas-Lagerstätten gefunden wurden, überschwemmt den Markt und lässt die Preise sinken. Dazu sind die Preise für Kohlendioxid-Verschmutzungsrechte im Keller. Beides sorgt dafür, dass der Bau eines Braunkohlekraftwerks heute die lukrativste Energie-Investition überhaupt ist.

Allzu dezidiert einräumen, dass wir für das Gelingen der Energiewende in nächster Zeit nicht auf den Zubau konventioneller Kraftwerke verzichten können, mag der Autor nicht. Indirekt gibt er es dann aber doch zu, wenn er davon spricht, dass es Anreize geben muss, damit sich „die Optimierung bestehender Kraftwerke“ lohne. Wir brauchen Grundlast und strategische Reserven durch konventionale Formen der Energieerzeugung. Aus Gründen des Klimaschutzes eher Gas als Kohle – da bin ich ganz bei Fücks. Und an anderer Stelle weist er dann doch darauf hin, dass nicht die Knappheit, sondern die Kohlendioxid-Emissionen das größte Problem bei den fossilen Energieträgern sind.

Das überzeugendste am Buch von Ralf Fücks ist, wie es zu erwarten war: Er gibt sich nicht mit Nörgeleien und Halbgarem zufrieden. Er beleuchtet nicht einfach einzelne Punkte, sondern macht sich tatsächlich daran, einen systematischen Ansatz zu entwickeln. Klügere Formen der Energieerzeugung, der Mobilität und des Städtebaus spielen da eine Rolle, ebenso ökologischer Landbau. Aber eben auch die Bedeutung von Maschinen, Elektro- und IT-Technik oder neuen Materialien in einem neuen, integrierten Wertschöpfungssystem.

Nullwachstum bedeutet Stress

Fücks schafft es tatsächlich, die Umrisse eines sozial-ökologischen Wohlstandsprogramms zu formulieren. Nachhaltigkeit denkt Fücks nicht einfach nur grün, sondern auch rot. Der demografische Wandel, die Staatsverschuldung, die Gewährleistung von Bildung und Arbeit sowie die Aufrechterhaltung des Sozialstaates – all das sei ohne Wachstum nicht möglich. Von Fücks auf den Punkt gebracht: „Nullwachstum bedeutet enormen ökonomischen Stress mit scharfen Verteilungskämpfen.“

So ist das Buch ein echter Fücks – fundiert und anschlussfähig. Und natürlich eigenwillig. Deswegen spricht er auch nicht von ökologischer Industrie-, sondern Ordnungspolitik. Für den Autor ist der Kapitalismus ein lernendes System; die kapitalistische Produktionsweise zeichne „sich gerade dadurch aus, dass sie noch jede Opposition in Innovation verwandelt“ habe.

Das neue Gesicht des Kapitalismus

Kapitalismus ist bei Fücks also eindeutig positiv konnotiert, und Ökokapitalismus mit all den neuen Marktchancen (Erneuerbare Energie, Elektroautos, ökologische Gebäudesanierung und so weiter) und neuen Geschäftsmodellen (fairer Handel, Bürgerkraftwerke, Energiecontracting) das „neue Gesicht des Kapitalismus“, das auf einer Ökonomie des Teilens statt Besitzens beruhe.

Was aber überwiegt, ist das ambitionierte sozial-ökologische Gemeinschaftsprojekt, das Fücks skizziert. Das Buch ist ein wichtiger und diskussionswürdiger Beitrag für ein neues rot-grünes Projekt in den Bereichen Energie, ökologische Industriepolitik und intelligentes Wirtschaften. Fücks geht es nicht „um ein schlichtes mehr, sondern um ein besser“, um „qualitatives Wachstum“, bei dem ein hohes Maß an Produktivität und Wertschöpfung erhalten bleibt.

Eine Spitzen-Grüne hat nach der Vorstellung des SPD-Wahlprogramms gesagt: „Bei den Gerechtigkeitsthemen gibt es viel Übereinstimmung, vom Mindestlohn bis zur Kinderbetreuung. Bei der Energiewende werden wir die SPD eher treiben müssen.“ Fücks zeigt, dass es durchaus auch die Grünen selbst sind, die beim Thema Energie manchmal getrieben werden müssen – in freundschaftlicher Konkurrenz, versteht sich.

Kurzum, ein sehr lesenswertes Buch, das unter seiner grünen Haube einen eindrucksvollen Fortschrittsmotor hat. Es ist besonders all denen zu empfehlen, die glauben, dass die Herausforderungen der Zukunft keine Endzeit heraufbeschwören, sondern eine neue Gründerzeit nötig machen; denen, die Fücks’ Sorgen über die steigende Innovationsskepsis sowie das Unbehagen an der Moderne teilen; und denen, die auf die positiven Potenziale des „Ökokapitalismus“ setzen.

Ralf Fücks, Intelligent wachsen: Die grüne Revolution, München: Hanser Verlag 2013, 362 Seiten, 22,90 Euro

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