Schweigen ist Bronze
Eine Freundin von mir arbeitete einmal für eine Organisation, die auf Sponsoren angewiesen war und ihre repräsentativen Gebäude daher für private Zwecke zur Verfügung stellte. Eines Tages sollte dort die Jahrestagung eines Industrieverbandes stattfinden.
Dieser Industrieverband ist ein Club, der sich seine Mitglieder selbst auswählt und Frauen sowohl von der Mitgliedschaft als auch von der Teilnahme an seinen Veranstaltungen ausschließt. Deshalb wurden einige männliche Kollegen meiner Freundin zu dem Abendempfang eingeladen, aber keine weiblichen Führungskräfte der Organisation.
Kein Handschlag vom Iraner
Der vermeintlich moderne Arbeitgeber meiner Freundin befand sich nun in der Klemme. Die Mitarbeiterinnen wandten sich gegen die Veranstaltung und verwiesen auf das Leitbild ihrer Organisation, das jegliche Form der Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung und Geschlecht kategorisch ausschloss. Der damalige Präsident erklärte den aufgebrachten Mitarbeiterinnen, er sei von dieser Praxis auch nicht begeistert, der Industrieverband sei aber nun einmal ein wichtiger Unterstützer der gemeinsamen Sache.
Zu meinem Bekanntenkreis gehört auch ein Journalist, dessen Redaktion den iranischen Botschafter für ein Interview in die Berliner Redaktionsräume einlud. Die Botschaft machte frühzeitig klar, dass der Botschafter der leitenden Redakteurin nicht die Hand geben werde. Die Redakteurin stellte sich darauf ein und freute sich trotzdem auf das Interview. Eine Diskussion über dieses Verfahren kam im Kollegenkreis gar nicht erst auf.
Kleinigkeiten? Keinewegs! Denn klein wirken diese Formen der Diskriminierung nur, so lange es sich um Frauen handelt. Könnte ein Club in den Räumen einer öffentlichen Einrichtung tagen, der keine Farbigen in seinen Reihen duldet und dies offen zugibt? Oder ein Verband, der einzelne Führungskräfte aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von einem Empfang ausschließt? Würden Journalisten etwa Interviewpartner in ihre Räume einladen, die dem jüdischen Chefredakteur nicht die Hand geben? Ist es möglich, sich im allgemeinen Geschäftsverkehr in zivilisierten Institutionen offen antisemitisch, rassistisch oder homophob zu geben? In der Regel nicht, zumindest nicht unwidersprochen.
Bei der Abwertung von Frauen ist das anders. Allzu oft wird die ablehnende Haltung gegenüber ihrer Diskriminierung höheren Zielen geopfert. Im Vergleich zu anderen Formen der Diskriminierung steht der gleichberechtigte Status von Frauen in der Güterabwegung sehr viel schneller hinter anderen Werten zurück. Viele Frauen machen gute Miene zum bösen Spiel, um von Entscheidern als professionell wahrgenommen zu werden und bloß nicht als zickig oder kompliziert zu gelten.
Wenn Frauen zu loyal sind
Diese Frauen sollten sich darüber im Klaren sein, dass auch solche Diskriminierung ihre Kosten hat. So hat beispielsweise die Loyalität meiner Freundin zu ihrem Arbeitgeber unter dieser Art der Güterabwägung beträchtlich gelitten. Die Kluft, die sich zwischen dem Leitbild der Organisation, den bunten Bildern junger Frauen auf ihrer Homepage und der Praxis auftat, gab ihr zu denken. Oft sind Frauen gegenüber ihren Arbeitgebern und Kollegen zu loyal, als dass sie die unerfreulichen Dinge beim Namen nennen. In diesem Fall ist Schweigen nicht professionell. Es ist eher ein Zeichen von Schwäche.