Sicherheit und Stabilität mit deutschen Waffen
Am 2. April 2013 war es dann soweit: Nach sieben Jahren der Vorbereitung und etlichen Rückschlägen stimmten 154 Mitglieder der Vereinten Nationen für ein globales Waffenhandelsabkommen, das Arms Trade Treaty (ATT). Es soll den internationalen Handel mit konventionellen Waffen eindämmen, indem waffenexportierende Länder künftig selbst prüfen, ob ihre Rüstungsprodukte für schwere Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden oder gar in die Hände von Terroristen und anderen bewaffneten Gruppen gelangen könnten. Die selbstverantwortlichen Prüfungsergebnisse sollen dann öffentlich gemacht werden. Befürworter feierten das 13-seitige Dokument als Durchbruch. So begrüßte es UN Generalsekretär Ban Ki-moon als „mächtiges Instrument gegen schwere Menschenrechtsverletzungen“. Die Rüstungsexpertin Verena Haan von Amnesty International sprach sogar von einem „historischen Moment“.
Es ist zweifellos ein beeindruckendes Bekenntnis der internationalen Staatengemeinschaft, den Handel mit Waffen einheitlichen Richtlinien unterwerfen zu wollen. Doch wenn sogar die Vereinigten Staaten als größter Waffenexporteur der Welt zustimmen, wird man schnell skeptisch und darf es auch sein. Denn rein rechtlich unterliegen mögliche Verstöße gegen die Auflagen des Vertrages keinem Sanktionsmechanismus. Zum Glück, möchte man fast sagen, andernfalls hätte womöglich nur Finnland zugestimmt. So aber konnte eine überwältigende Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft Beifall klatschen und wird sich in Zukunft an ihren eigenen Zielen messen lassen. Selbst ewige Verweigerer in Sachen Rüstungskontrolle wie Russland und China (beide enthielten sich bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung), werden diese Messlatte spüren. Mit dem ATT hat die internationale Staatengemeinschaft einen modernen Pranger aufgestellt, der ab sofort als öffentliche moralische Instanz wirkt und Rüstungsexporteuren klare Richtlinien an die Hand gibt.
Jenen Staaten, die geübt sind am Pranger zu stehen, wird das vermutlich auch künftig nichts ausmachen. Aber Staaten, die sich gern in die erste Reihe stellen, wenn über Frieden und den Schutz von Menschenrechten gesprochen wird, laufen fortan Gefahr, einen Imageschaden zu erleiden. Beispielsweise hat Bundesaußenminister Westerwelle besonders lautstark Beifall geklatscht, indem er das ATT einen „Meilenstein in unserem weltweiten Bemühen um Rüstungskontrolle und Sicherheit“ nannte. Die schwarz-gelbe Bundesregierung präsentiert sich gern als weltweiter Förderer des Friedens. Auf der Website des Auswärtigen Amtes sind die Schwerpunkte deutscher Außenpolitik zudem recht klar formuliert: „Deutschland setzt sich weltweit für mehr Sicherheit und Stabilität durch Abrüstung, Rüstungskontrolle und Transparenz ein.“
Betrachtet man die aktuelle Handhabung im Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte, klingen diese Sätze wie blanker Hohn. So wurde im Mai dieses Jahres bekannt, dass die Regierung Merkel die Ausfuhr von 104 Kampfpanzern des Typs „Leopard 2“ sowie 50 Schützenpanzern des Typs „Marder“ nach Indonesien genehmigt hat. In dem Vielvölkerstaat hat das Militär eine traditionell starke Stellung. Aktive und ehemalige Militärs besetzen zahlreiche Ämter der jungen Demokratie. Die Menschenrechtslage ist vielerorts beängstigend. Außerdem hat Indonesien immer wieder gezeigt, dass es bei Sezessionsbestrebungen nicht lange mit einer Militäroffensive zögert. Im Aceh-Konflikt nahm die Regierung Megawatti noch im Jahr 2002 große Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf, um die Separatistenbewegung GAM vernichtend zu schlagen – bevor man sich 2005 auf eine friedliche Lösung einließ. Vor einem solchen Hintergrund erscheint die Genehmigung der Rüstungsexporte nach Indonesien unverantwortlich.
Nur die USA und Russland exportieren mehr Waffen
Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI belegte unser Land zwischen 2008 und 2012 wieder Platz drei beim internationalen Rüstungsexportwettlauf. Sieben Prozent der weltweit exportierten Rüstungsgüter kommen demnach aus Deutschland. Laut aktuellem (!) Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2011, entspricht dies Genehmigungen im Umfang von 5,4 Milliarden Euro. Nur die Vereinigten Staaten (30 Prozent) und Russland (26 Prozent) exportieren noch mehr. Auf Platz vier und fünf liegen Frankreich mit sechs und China mit fünf Prozent. Zusammen kommen die „Top 5“ somit auf fast 75 Prozent der globalen Rüstungsexporte.
Unweigerlich drängt sich der Gedanke auf, dass viele Kriegstreiber ohne den Rüstungsexport dieser fünf Staaten wohl ein ernstes Problem hätten. Aber die Warlords dieser Welt müssen sich keine Sorgen machen. Die Branche ist einfach zu lukrativ und undurchsichtig, als dass sie gefährdet wäre. Verschiedenen Schätzungen zufolge umfasst der internationale Waffenmarkt ein Jahresvolumen von etwa 70 Milliarden Dollar. In Deutschland kann man ebenfalls ganz beruhigt sein, denn unsere Waffen dienen ja ohnehin nur friedlichen Zwecken. Wie sonst lässt sich der eklatante Widerspruch zwischen der Friedensnation Deutschland auf der einen und dem Top-Waffenhändler Deutschland auf der anderen Seite erklären?
Für das Jahr 2011 gibt die Bundesregierung einen Wert von 58 Prozent für Genehmigungen an EU-, Nato- und Natogleichgestellte Länder (Australien, Neuseeland, Japan, Schweiz) an. Lieferungen an diese Ländergruppe dienen den Sicherheitsinteressen Deutschlands im Rahmen von Nato und EU und werden grundsätzlich nicht beschränkt. Problematischer sind die verbleibenden 42 Prozent der Genehmigungen an so genannte Drittländer. Darunter fielen 2011 beispielsweise Exporte nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate oder auf die Philippinen. Diese Exporte müssen durch den Bundessicherheitsrat, einem geheim tagenden Kabinettsgremium unter Vorsitz der Bundeskanzlerin, genehmigt werden. In Übereinstimmung mit dem Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren unterliegen sie den Auflagen des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KrWaffKontrG) und des Außenwirtschaftsgesetz über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern (AWG), welche im Übrigen wesentlich strenger sind als das aktuell beschlossene ATT.
Geschäfte mit Saudi-Arabien und Katar
Im Rüstungsexportbericht führt die Bundesregierung auch die politischen Grundsätze für ihre Exportgenehmigungen auf Basis der genannten Richtlinien auf. Zum Beispiel wird dem Schutz von Menschenrechten im Bestimmungsland „besonderes Gewicht“ beigemessen. Genehmigungen sollen bei „hinreichendem Verdacht“ auf „interne Repressionen oder sonstige fortdauernde und systematische Menschenrechtsverletzungen“ grundsätzlich nicht erteilt werden. Auch ist der Endverbleib der Rüstungsgüter „in wirksamer Weise sicherzustellen“. Bei der Prüfung der jeweiligen Menschenrechtslage sollen Feststellungen der EU, des Europarates, der UN, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und internationaler Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt werden. Laut Rüstungsexportbericht wird der Export von Kriegswaffen in Drittstaaten generell nur im Einzelfall genehmigt, wenn besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands „unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise (!) zu erteilende Genehmigung sprechen“. Soweit zur Theorie.
In der Genehmigungspraxis der schwarz-gelben Bundesregierung wird die eigentlich (nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip) restriktiv formulierte Exportmöglichkeit in Drittländer zur Regel. Wie sonst lässt sich eine Quote von 42 Prozent (2011) aller Rüstungsexporte an Drittländer erklären? Mit 29 (2010), 49 (2009) und 54 Prozent (2008) lagen die Quoten in den vergangen Jahren ähnlich hoch. Der Endverbleib und die Menschenrechtslage scheinen dabei eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. So wird der Endverbleib lediglich durch eine schriftliche Zusage des Empfängerlandes sichergestellt. Ein funktionierender Schutzmechanismus gegen nicht autorisierten Weiterverkauf sieht anders aus. Wie sonst konnte der Heckler & Koch Klassiker G36 nach Libyen gelangen? Rebellen erbeuteten die Waffe 2011 in Gaddafis Palast.
Unverständlich erscheinen auch die möglicherweise stattfindenden Rüstungsgeschäfte mit Saudi Arabien und Katar. Nach Berichten des Spiegel (Heft 49/2012) ist man in Riad an 270 und in Doha an 200 Kampfpanzern vom Typ „Leopard 2“ interessiert. In anderen Zeitungsberichten wird sogar von bis zu 800 Leopard-Kampfpanzern für Saudi Arabien ausgegangen. Hinzu kommen möglicherweise noch einige hundert Radpanzer vom Typ „Boxer“, die sich hervorragend zur Bekämpfung von Aufständen eignen sollen. Im Bundessicherheitsrat scheint man schon vergessen zu haben, dass im Nachbarstaat Bahrein der Arabische Frühling 2011 mit Gewalt beendet wurde. Riad schickte damals, ob der drohenden Gefahr für das Herrscherhaus in Manama, vorsorglich das eigene Militär zur Hilfe. Die schlechte Menschenrechtslage wäre allein schon Grund genug, gegen eine Genehmigung zu stimmen. Was aber passiert, wenn der Arabische Frühling dort wirklich noch einmal aufblüht, ist ungewiss. Die deutschen Waffen könnten dann gegen die Zivilbevölkerung gerichtet werden und würden dann vor allem der Sicherheit und Stabilität der autokratischen Herrscherhäuser dienen. Und was passiert, wenn ein Aufstand gelingt? Der Endverbleib von deutschem Kriegsgerät wäre jedenfalls alles andere als sichergestellt. Wie man es dreht und wendet: Eine Genehmigung scheint auch hier unverantwortlich.
Seit Jahren kürzt der Westen seine Militärhaushalte. Da ist man natürlich zunehmend auf Drittstaaten angewiesen, um die Branche profitabel zu halten. Schließlich leben geschätzte 80 000 Menschen in Deutschland vom Handel mit Kriegsgerät. Nur darf dabei nicht vergessen werden, dass die Rüstungsproduktion kein normaler Wirtschaftszweig ist. Deutsche Waffen sollten nicht rein wirtschaftlichen Interessen dienen, denn sie sind Mittel der militärischen Hochrüstung und Abschreckung und dienen letztlich der Tötung von Menschen. So reiht sich wohl auch deutsches Kriegsgerät in die traurige Schätzung des „UN Office for Disarmament Affairs“ ein, demzufolge jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen durch konventionelle Waffen getötet werden.
So macht man keine Politik für den Frieden
Auch das ATT wird daran so schnell nichts ändern. Der selbstverantwortliche Charakter des Dokuments legt nahe, dass es vor allem am Willen jedes einzelnen Mitgliedslandes liegen wird, die Auflagen einzuhalten. Deutschland hat bereits strenge Richtlinien. Nur nützen die wenig, wenn ein geheim tagendes Gremium sie nach Gutdünken auslegen kann. Die Bundesregierung propagiert Transparenz, lässt sich aber nach Ablauf eines Kalenderjahres fast ein weiteres Jahr Zeit, um das Parlament über Exportgenehmigungen zu unterrichten. Solche Missstände sind für eine Demokratie nicht hinnehmbar.
Die Stellschrauben sind klar: Rüstungsexporte an Drittländer sollten, wenn überhaupt, tatsächlich nur in Ausnahmefällen genehmigt werden – Lizenzen für externe Produktionen gar nicht. Damit die Genehmigungen des Bundessicherheitsrates nicht aus dem Ruder laufen und die Richtlinien eingehalten werden, muss es ein parlamentarisches Kontrollgremium geben, das die Genehmigungen prüfen und notfalls mit einem Veto stoppen kann. Wie es sich für eine Demokratie gehört, muss die Öffentlichkeit zeitnah informiert werden. Der Rüstungsexportbericht sollte daher spätestens drei Monate nach Ablauf eines Kalenderjahres veröffentlicht werden.
Deutschland hat sich international für das ATT stark gemacht und setzt sich schon jetzt über seine eigenen strengeren Regeln hinweg. Auf diese Weise ist nicht nur keine Friedenspolitik zu machen, sondern man verliert als Vorreiter in Sachen Rüstungskontrolle auch deutlich an Glaubwürdigkeit. Da von der schwarz-gelben Bundesregierung in der ablaufenden Legislaturperiode kein Richtungswechsel mehr zu erwarten ist, liegt dieser in der Verantwortung der nächsten Regierung. Und zwar auch dann, wenn diese schwarz-rot sein sollte.