Sozialdemokratie und Ökologie im Zeitalter der Klimakrise
Wir sind die ersten Zeugen einer Katastrophe in Zeitlupe. Ein ungebremster Klimawandel gefährdet unsere natürlichen Lebensgrundlagen: Extreme Wetterereignisse werden zunehmen, das Trinkwasser wird knapp, Böden werden vertrocknen und Wüsten werden sich ausbreiten. Viele Menschen werden ihre Heimat verlieren. Forscher schätzen, dass bei einem Temperaturanstieg von 4 Grad die Nahrungsmittelproduktion in vielen Teilen der Erde deutlich zurückgehen wird – während gleichzeitig die Bevölkerung weiter zunimmt. Ein ungebremster Klimawandel wird bestehende Verteilungskonflikte verschärfen und neue hervorrufen: Konflikte um Land und Wasser, um die Bewältigung von Flüchtlingsbewegungen und um die Verteilung der Kosten von Naturkatastrophen. Dies wird die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften überfordern.
In seiner Enzyklika Laudato si hat Papst Franziskus deutlich gemacht, wie sehr die ökologische Frage mit der sozialen Frage zusammenhängt. Er schreibt: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.“
Diese Verbindung geht uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in besonderer Weise an. Dass Solidarität über nationale Grenzen hinausreicht, darf keine Leerformel sein. Die Sorge um unseren Planeten haben wir zu lange als „i-Tüpfelchen“ einer gesättigten Gesellschaft missverstanden. Allzu lang haben wir es anderen überlassen, danach zu fragen, wie wirtschaftliches Wachstum und der Schutz der ökologischen Ressourcen miteinander vereinbar sind. Dabei ist sonnenklar: Nachhaltigen Wohlstand – für die Menschen des Südens, aber auch für die uns folgenden Generationen in Europa – wird es nur geben, wenn wir die ökologische Krise bewältigen. Sozialer Fortschritt ist nur noch durch ökologischen Fortschritt erreichbar.
Was also tun? Erstens müssen wir uns dafür einsetzen, dass die internationale Klimaschutzpolitik einen großen Schritt vorankommt. Die Klimakonferenz von Paris ist dafür ein entscheidender Zwischenschritt. Mein Ziel ist es, ein Abkommen zu verhandeln, das langfristig orientiert ist. Das gemeinsame Ziel der Staatengemeinschaft muss eine Wirtschaftsweise sein, die darauf verzichtet, fossile Energieträger zu verbrennen. Dafür müssen wir die Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern überwinden. Jede Gesellschaft muss – gemäß ihren Fähigkeiten – einen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten. Dabei stehen die Industrieländer in einer besonderen Verantwortung, denn einen Großteil des Kohlendioxid-Ausstoßes haben sie verursacht. Sie müssen besonders die Länder des Südens solidarisch unterstützen, damit diese ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Es muss uns in Paris außerdem gelingen, den internationalen Klimaschutz rechtlich verbindlich festzuschreiben und einen Mechanismus zu entwickeln, der gewährleistet, dass die 2-Grad-Obergrenze eingehalten wird.
Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche
Es wäre trügerisch zu hoffen, das Klimaproblem ließe sich bald und allumfassend lösen. Im Gegenteil: In den kommenden Jahrzehnten werden wir einen Schritt nach dem anderen gehen müssen. Als Deutsche müssen wir Überzeugungsarbeit leisten – gegenüber den Regierungen und der Zivilgesellschaft. Und wir werden unsere Entwicklungszusammenarbeit stärker auf den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel ausrichten müssen.
Zweitens muss Deutschland Vorreiter und Ideenlieferant für die ökologische Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise sein. Deutschland ist eines der wohlhabendsten Länder dieser Erde. Wir haben findige Ingenieure, die die Technologien von morgen entwickeln, sowie mutige Unternehmer und bestens ausgebildete Arbeitnehmer. Wer, wenn nicht wir, kann Technologien entwickeln, die Wohlstand schaffen, ohne dabei unseren Planeten zu zerstören? Und wer, wenn nicht die Fortschrittspartei SPD, kann den Weg dafür ebnen?
Ich bin mir sicher: Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche. Dass ein „Weiter so“ nicht möglich ist, ist eine Erkenntnis, die sich in breiten Teilen der Bevölkerung mittlerweile durchgesetzt hat. Vor 15 Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung die Energiewende aus der Taufe gehoben. Heute ist klar: Der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zahlt sich auch ökonomisch aus.
Erneuerbare Energien decken bereits heute fast 30 Prozent unseres Stromverbrauchs. Der Boom der Umwelttechnologien hat dazu geführt, dass wir in Deutschland vergleichsweise glimpflich durch die Wirtschaftskrise gekommen sind. Rund 1,5 Millionen Menschen sind heute in dieser Branche beschäftigt. Technologien wie die Photovoltaik, deren wirtschaftlicher Nutzen noch vor zehn Jahren stark in Zweifel gezogen wurde, werden marktfähig. Moderne Windkraftanlagen stehen im Ruhrgebiet zwischen alten Schornsteinen. Sie sind das Symbol eines neuen Zeitalters. Technologien für intelligente Stromnetze werden entwickelt und finden weltweit Interesse. Der Weltmarktanteil „grüner“ Produkte, Verfahren und Dienstleistungen „Made in Germany“ liegt bei 13,6 Prozent. Die Behauptung, Klimaschutz schade der Wirtschaft, haben wir also längst widerlegt.
Wir in Deutschland werden vorangehen
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Technologien der Zukunft ökologisch sein werden. Künftig werden Produkte, die die Umweltkomponente ignorieren, am Markt immer weniger erfolgreich sein, zum Beispiel Spritschlucker auf der Straße, stromfressende Waschmaschinen oder fossile Energieträger. Die Frage ist heute nicht mehr, ob wir uns auf dem Weg in eine karbonfreie Wirtschaft befinden. Die G7-Staaten haben sich zu diesem Ziel ebenso bekannt wie Brasilien und China. Große internationale Fonds wie der norwegische Staatsfonds oder die Rockefeller Foundation ziehen ihr Kapital aus dem fossilen Energiemarkt ab.
Wir in Deutschland werden bei der Dekarbonisierung mit gutem Beispiel vorangehen: Bis zum Jahr 2050 wollen wir mindestens 80 Prozent unseres Strombedarfes mit erneuerbaren Energien decken und 80 bis 95 Prozent weniger Kohlendioxid im Vergleich zu 1990 ausstoßen. Das aber heißt: Die Zeit der fossilen Energieträger – auch der Braunkohle – geht zu Ende. Das müssen wir den Bürgern offen sagen – nicht allein um des Klima Willens, sondern weil wir die Verantwortung für einen geordneten Strukturwandel tragen. Diesen verantwortungsbewussten Ausstiegsprozess von 20 bis 25 Jahren müssen wir jetzt in Gang setzen.
Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten deshalb: Wie und mit welchen Instrumenten werden wir diesen Wandel gestalten? Wie gewährleisten wir, dass die Lasten sozial gerecht verteilt werden? Wie ermöglichen wir den betroffenen Regionen eine Zukunft nach der Braunkohle? Eines ist sicher: Der Wandel kommt. Wir sollten darüber diskutieren, wie wir ihn meistern.
Die SPD versteht unter „Fortschritt“ eine ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung, die den Menschen und ihrer Zukunft dient. In einer Zeit, in der wir die ersten Anzeichen der Klimakatastrophe bereits spüren, muss dieser Fortschritt ökologisch verträglich sein. Anderenfalls wird eine Welt, in der alle Menschen eine gute Heimat haben, eine Illusion bleiben. Diese Erkenntnis müssen wir mit dem Versprechen verbinden, dass der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel sozial verträglich organisiert wird. Es darf nicht sein, dass am Ende die Menschen die Zeche zahlen, die bereits heute benachteiligt sind – ob in Deutschland oder weltweit. Für uns Sozialdemokraten ist internationale Solidarität keine leere Formel. Sie gründet sich auf der Hoffnung, dass alle Gesellschaften an der Zusammenarbeit für eine bessere Welt Interesse haben und sich den Menschen verpflichtet fühlen, die Hunger leiden und vor Krieg und Chaos fliehen. Auch das 21. Jahrhundert ist offenbar ein sozialdemokratisches Jahrhundert.